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Marsch durch Belgien in die Picardie

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Wir ziehen in einer Spur, die eherne Pflugschar riss. Eine deutsche Armee hat die Straße gebahnt, dass wir jetzt durch Feindesland marschieren, ruhig und sicher wie in der Heimat. Die Male, die sie setzte, stehen am Weg — warnende Menetekel.

Gleich das erste Dorf ist niedergebrannt. Zwischen den leeren Mauern ist nichts als Schutt. An den geschwärzten Giebeln klettern Kamine frei in die Luft, seltsam anklagend und drohend. Im Grund zieht die Bahntrasse; der Bahnhof ausgebrannt. Weiterhin die Kirche —ein Trümmerhaufen. Das Schlösschen oben am Hang liegt noch zwischen zierlichen Blumenrabatten, aber den Mauern fehlt das Dach, dem Turme die krönende Zinne, als hatten Kinderhände spielerisch den Bau gefügt und, vorzeitig müde, unterlassen, ihn zu vollenden.

Diese Straßen sind leer und öd. Das Leben ist vor dem Tode geflohen. Nur die Gärten stehen all überall unberührt, blühen und duften ihrer selbst genug. Übervoll sind sie von großen leuchtenden Blumen.

Furcht und Unterwerfung ist dem zu Kriegsbeginn auflodernden blutgierigen Fanatismus gefolgt. Die Trümmerstätten der Dörfer, die das Strafgericht getroffen, sind stumme Warner Tag und Nacht. Dem Sieger begegnet das Volk mit kriechender Dienstwilligkeit. Kein Hut bleibt auf dem Haupte, wo er einreitet.

Es ist Herbst. Aus dem Sommer sind wir in den Herbst gekommen. Noch sind seine Anzeichen nicht da, aber man fühlt sein Nahen. Die Sonne strahlt noch am blauen Himmel, aber die sengende Wärme fehlt ihr, die das Blut in den Adern so heiß kocht, dass die Überfülle der Lebenskraft die Gefäße sprengen will. Es ist, als resigniere sie, gebe mit mattem, mildem Lächeln die schwindende Kraft.

An den Spalieren hängen die reifen Birnen in dichten Büscheln, drängen sich zu Trauben zusammen, die der Riesentraube gleichen, wie sie die Abgesandten Judas aus dem gelobten Lande brachten. Herbstzeit! Die Astern brennen in roten, blauen und gelben Gluten, ein letztes Verschenken und Verschwenden, schon mit dem Unterton von Müdigkeit und Resignation. „Das ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz, stiege fort, fliege fort. . .“ Wir reiten weiter. Wie lange marschieren wir noch so? Wann kommen wir wieder an den Feind? Als die Dämmerung weicht, senkt sich der Weg; in scharfen Kurven klettert die Straße hinab. Unten fließt die Maas. Sie sollte die deutschen Heere aufhalten, bis die Verbündeten mit überlegener Macht heran.

Im engen Flusstal liegt Dinant, einst ein beliebtes Ausflugsziel für Lüttichs Einwohner. Dichtbesetzte Dampfer fuhren an Sonntagen dorthin die Maas hinauf. Jetzt haben es deutsche und französische Geschütze um die Wette zusammengeschossen. Erst schossen die Deutschen darauf, und nachdem sie den Ort gestürmt, die Franzosen.

Straße auf, Straße ab nur Schutt und Trümmer. Ein Schild „Entrée de I’hôtel“ sieht man noch über dem Tor eines großen Gebäudes, aber bis an seinen Rand reichen die Schuttmassen.

Die Brücken über die Maas hat der Feind vor seinem Abzug gesprengt. In der Mitte sind die mächtigen Bogen zerrissen und haben sich gegeneinander geneigt, als wollten sie sich verbeugen. Wie eine Berg- und Talbahn laufen sie in Wellenlinien über das Wasser, das trübe zwischen den geborstenen Enden strömt.

Die Kolonne zieht über eine Kriegsbrücke, die sächsische Pioniere im feindlichen Feuer schlugen. Über die Hälfte zahlte die Arbeit mit ihrem Leben.

Am andern Ufer liegen weithin verstreut noch immer die Spuren der Schlacht: verlassene Schützengräben und Geschützstände, Uniformstücke, zerschossene Fahrzeuge. Der Marsch geht fort auf endlos geraden Straßen. Pappelalleen laufen zu beiden Seiten mit.

Es regnet und regnet. Der Himmel hängt tief herab und drückt auf die Marschierenden. Die Infanterie hat die Zeltplanen übergeworfen. Sie buckeln sich über den Tornistern, und es sieht von der Ferne aus, als kröche ein unabsehbarer Zug brauner Schildkröten heran. Die Pferde lassen die Köpfe hängen, trotten trübselig mit langen Zügeln. Von dem glatten Fell rinnt das Wasser. Mit der vollkommenen Nässe kommt die vollkommene Gleichgültigkeit.

Aber am Abend erwartet die Durchnässten ein trockenes Quartier. Belgische Gastfreundschaft harrt ihrer. Wirklich ist es so. An allen Häusern hängen weiße Fahnen. Der Ärmste hat ein Taschentuch an einem Stecken herausgehängt. Mit Kreide steht es an den Türen: „Bitte schonen, gute Leute!“ oder „Gute Leute, geben deutschen Soldaten alles!“ Wir dachten, Truppen vor uns hätten das geschrieben, aber anscheinend stammen die meisten Inschriften von den Bewohnern. Augenscheinlich wollten sie sich selber einen Freibrief ausstellen. Aber sie halten, was sie versprachen. Sie geben tatsächlich alles, was sie haben, und wetteifern, es den Deutschen so angenehm wie möglich zu machen. Es fällt den Kommandeuren schwer, unter diesen Umständen die strengen Bestimmungen durchzuführen, die das Generalkommando zur Sicherung der Truppen anordnet.

Der Stab liegt in Renlis beim Pfarrer im Quartier. Er nimmt uns auf wie langerwartete Gäste, räumt uns seine Zimmer ein, deckt für uns den Tisch. Er sorgt um jede Kleinigkeit. Während seine Köchin die letzten Hühner rupft, schält er selber die Kartoffeln.

Es ist eine unangenehme Zwickmühle. Wie soll man sich zu den freundlichen Wirten stellen? Gehören sie doch dem gleichen Volke an, das Kameraden hinterrücks gemordet, grausam gemartert hat. Sind sie unschuldig? Ist es wahr, was sie sagen, dass das Volk den Krieg nicht gewollt, dass es hineingehetzt worden sei?

Auf dem Schreibtisch des Pfarrherrn liegen belgische Zeitungen. Zu spät sucht er sie zu verbergen. Sie sind voll lächerlicher, gemeiner Verleumdungen. So absurd sind die deutschen Soldaten vorgeworfenen Grausamkeiten, dass man nicht von Entstellungen oder Übertreibungen reden kann. Es sind glatt erfundene Scheußlichkeiten, wie etwa die, dass deutsche Truppen im Gefecht Gefangene nackend vor der Schützenlinie hertreiben.

Ist das Volk wirklich nur aufgehetzt? Bis zu einem gewissen Grad mag die Herzlichkeit, mit der sie uns begrüßen, echt sein; denn ihre französischen Befreier haben in der kurzen Zeit, die sie im Lande waren, bös gehaust. Besonders die Weinkeller sind gründlich ausgeplündert, und in einem Lazarett, das wir passierten, liegen ein paar belgische Mädchen, die französische Turkos so zugerichtet haben, dass sie wohl kaum wieder aufkommen werden.

Meint die Bevölkerung hier es ehrlich? — Als sich herausstellt, dass der Pfarrer noch westeuropäische Zeit hat, macht ihn der Oberst auf die Verordnung des Gouverneurs aufmerksam, dass in Belgien jetzt deutsche Zeit gelte. Da schießt alles Blut in das glatte bartlose Gesicht, und es ist, als fiele eine Maske. Für einen Augenblick allerdings nur, für einen winzigen kurzen Augenblick. Aber was für Sekundenbruchteile in diesen Augen steht, ist verzerrte Wut und Hass, abgrundtiefer Hass. — Wir Deutschen sind doch Toren, die fremde Tücke und Gemeinheit erst glauben, wenn wir sie am eigenen Leibe erfahren.

Über die Grenze geht es, und weiter, immer weiter nach Westen; vorbei an Maubeuge, an St.-Quentin, Namen, die Deutsche nicht vergessen werden. Wir reiten als Sieger durch ein unterworfenes, reiches Land. Bilder werden wahr, wie unsere Väter sie uns aus dem Siebziger Kriege erzählten. Wir wohnen in Schlössern, die die Besitzer verlassen, und schlafen in seidenen Betten, deren Eigentümer geflohen.

Bei Joucourt hören wir das erste vom Feinde. Eine preußische Kavalleriedivision hat starke feindliche Reitermassen vor uns gemeldet. Von morgen ab hat der Friedensmarsch ein Ende; der Krieg beginnt wieder.

Wir haben in einem kleinen Chalet Quartier. Der Feldzug hat ihm übel mitgespielt, aber die Ansprüche sinken im Kriege. Wir sitzen um den großen runden Tisch. Die Dämmerung ist hereingebrochen. Die Kerze tropft auf die Tischplatte.

Wein ist reichlich requiriert worden; einer von uns hat sogar ein Grammophon aufgetrieben. Jeder sitzt weit in den Stuhl zurückgelehnt und lauscht. Die Gesichter verschwimmen im Dämmern. Das Grammophon spielt und spielt. Es ist ein herrlicher Apparat, und wir haben seit sieben Wochen keine Musik mehr gehört.

Ganz still ist’s geworden. Ein jeder denkt an daheim. Die Kerze flackert. Eine Welle von Traurigkeit zieht durch den Raum. . . Nein, wir wollen fröhlich sein. Eine neue Platte! Zigeunermusik und Walzer, immer wieder Walzer . . .

Wir draußen

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