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Wieder am Feind!

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In das automatisch gleichmäßige Vorwärtsschieben der Divisionen auf der staubigen Marschstraße kommt ein plötzliches Stocken. Gewehrfeuer knattert auf. Im nächsten Augenblick kommt an Vorhutführer und Artilleriekommandeur, die an der Spitze des Haupttrupps der Vorhut reiten, die Meldung, dass die Infanteriespitze auf feindliche Kräfte gestoßen sei.

Die Vorhut entwickelt sich zum Gefecht. Kavalleriepatrouillen werden rechts und links weit hinausgeschoben, Infanteriezüge folgen. Das Vortrupp-Bataillon hat Roisel — den Ort vor uns im Grunde — bereits passiert und geht in Schützenlinien die jenseitigen Hänge hinauf.

Die Artillerie soll baldmöglichst in Stellung. Ein Artillerieoffizier reitet zur Erkundung vor. Im Dorf sieht man nur die grauen Uniformen unserer Infanteriepatrouillen, die den Ort nach zurückgebliebenen Feinden absuchen. Die Bewohner haben sich in die Häuser geflüchtet. Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer werden gerade als Geiseln abgeführt. Neben dem ersten schreitet resolut seine Frau, die sich von dem Gatten nicht hat trennen lassen. Auf dem Marktplatz steht der erste Gefangene, ein Kürassier, ein prächtiger, stämmiger Bursche. Seines Pallasches, Kürasses und Helmes hat man ihn beraubt. Trotzig steht er neben dem ihn bewachenden Infanteristen. Auf der Brust trägt er die wattierte Kürassunterlage. Sonderbar muten uns doch diese veralteten, prächtigen, aber unpraktischen Uniformen an. Nach Möglichkeit sucht die französische Heeresverwaltung ihre ärgsten Mängel zu beheben. So verdecken graue Überzüge das blanke Metall von Kürass, Helm und Säbelscheiden. Die Infanterie bindet sich, wo die blaugrauen Schutzüberzüge fehlen, Tücher über die weithin sichtbaren roten Käppis. Aber das alles sind doch nur Hilfsmittel. Aus den Aussagen aller Gefangenen hört man immer wieder heraus, wie unheimlich ihnen unsere schwer sichtbaren grauen Uniformen sind.

Die Infanterie ist in flottem Vorschreiten; auch die Artillerie bleibt nur kurze Zeit in der erkundeten Stellung. Anscheinend stehen nur schwächere feindliche Kräfte, Kavalleriekörper, uns gegenüber.

Es sieht lustig aus, wie die Infanterie in langen Linien die Hügelketten hinaufkriecht. Mit einem Male hemmt Schrapnellfeuer ihr Vordringen. Die Schützenlinien legen sich hin, die nachdrängenden Unterstützungstrupps decken sich am Hang, in einer Mulde, hinter einem Ravin.

Der Gegner hat seine reitenden Batterien in Stellung gebracht, mit gewohnter Geschicklichkeit in dem unübersichtlichen Gelände unauffindbar aufgestellt. Eine Artilleriepatrouille soll sie wie auch eine Stellung für die eigenen erkunden.

Die große Straße den Hang hinauf steht unter Feuer. Die Franzosen schießen mit Schrapnells auf jeden einzelnen Reiter. Hier kommen die Batterien unmöglich durch. Ein zweiter Weg wird versucht. Wieder schlagen Geschosse in nächster Nähe ein. Auf einem dritten geht’s. Nur ein kurzes Stück ist eingesehen, das im Galopp zurückgelegt wird. Dann kommt man in die Deckung eines Waldstückes auf der Höhe. Hier liegt seit längerer Zeit die Spitzenkompagnie, und mit Hilfe ihrer Beobachtungen lässt sich wenigstens ungefähr die Lage der feindlichen Batterien feststellen. Ja, es ist manches anders als auf dem Schießplatze, und die genaue Stellung von Geschützen lässt sich überhaupt nur mittels Flieger feststellen.

Sobald unsere Batterien feuern, leisten die Franzosen nur mehr kurzen Widerstand. Gegen Abend können wir in Cartigny einziehen, das gute Quartiere und noch erstaunlich viel Vorräte bietet. Ein altes Mütterlein ist zu Tode erschreckt über das Eindringen der Quartiermacher. Endlich lässt sie sich beruhigen und fasst Zutrauen. — „Vous n’etes pas méchant, n’est-ce pas?“ — Und sie streichelt vorsichtig den vor ihr stehenden Krieger, so wie man etwa einen großen fremden Hund streichelt, den man beruhigen will, dem man aber noch nicht recht traut.

Am nächsten Morgen setzt die Division über die Somme. Sonderbarerweise suchen die Franzosen dies nicht zu hindern. So kann denn die starke Artilleriemasse, die zur Sicherung des Überganges auf den diesseitigen Höhen steht, wieder aufprotzen, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben.

Wir sind vorgetrabt und reiten dicht hinter der vordersten Infanterie. Nur in einzelnen Dörfern versuchen zurückgebliebene Kavalleriepatrouillen Widerstand zu leisten. Es gelingt, eine abzufangen. Es sind Dragoner. Wir hoffen auf Beutepferde, allein die der Gefangenen sind leider verwundet und unbrauchbar. Doch Sattel und Zaumzeug sind willkommene Beute.

Es ist so viel Zeit, dass eine Chevaulegers- und Artillerie-Patrouille rasch das Dorf abstreifen kann, um bei den Ortseinwohnern nach brauchbaren Pferden zu suchen. Bei den großen Pferdeverlusten kann die Armee jeden Gaul mehr gut brauchen. Freilich geht’s dabei nicht ohne Härten gegen die Zivilbevölkerung ab. Ein Kamerad, der in Belgien ein größeres Pferde-Requisitionskommando leitete, erzählte von einem Bauernmädel, das von dem einzigen Pferde ihres Vaters nicht lassen wollte. Als alles kniefällige Bitten und Flehen nichts fruchtete und man den Gaul abführte, warf sie sich ihm schluchzend an den Hals und küsste und küsste ihn. — Das ist eine bittere, harte Aufgabe. . .

Auf der großen Landstraße nach Amiens ziehen wir schnurgerade weiter nach Westen. Wir sollen an den rechten Flügel der Armee. Die Franzosen müssen wohl Kunde von unserem Marsch bekommen haben. Sie suchen uns mit rasch entgegengeworfener Kavallerie aufzuhalten, bis sie stärkere Kräfte heran haben. Nach übereinstimmenden Meldungen und Gefangenenaussagen ist es eine Kavalleriedivision mit einem Radfahrerbataillon, das uns gegenübersteht. Leider sind sie nicht zu fassen, sie sitzen immer wieder rechtzeitig auf und ziehen ab, während ihre reitenden Batterien uns aus großen Entfernungen beschießen und zu starker Artillerieentwicklung zwingen.

Trotz alledem wird der Vormarsch möglichst in Fluss gehalten; die herausgezogenen Batterien werden im Trabe nachgeführt. Wir wollen uns nicht aufhalten lassen. Dorf auf Dorf wird kurzerhand genommen.

Nach kurzer Mittagsrast geht es weiter. Der Vorhut ist noch mehr Artillerie zugeteilt worden, sogar beim Vortrupp marschiert ein Zug.

Bald knattert es vorne wieder auf. Zur Rechten ist hinter einem Walde Kavallerie gemeldet. Infanterie geht dagegen vor. Im nächsten Dorfe pfeift es von allen Seiten. Wir kommen nicht über den Ortseingang hinaus. Neben einer Scheune stehend sehen wir, wie sich Infanterie zum Angriff entwickelt. In dünnen Schützenlinien schiebt sie sich über den Grund. Von unserem Standpunkt aus lässt sich der Infanterieangriff glänzend beobachten. Sss, sss pfeifen die verlorenen Kugeln. Zur Seite kracht es. Da ist in einem Obstgarten der Artilleriezug aufgefahren.

Lihons, das Dorf vor uns, das sich hinter Gärten und Hecken, Busch- und Baumgruppen fast verkriecht, scheint stärker besetzt zu sein. Feindliche Infanterie ist gemeldet worden; wir haben es nicht mehr allein mit der Kavalleriedivision zu tun. Einerlei, der Ort ist uns durch den eben eingetroffenen Divisionsbefehl als Quartier zugewiesen; das wollen wir uns bis zum Anbruch der Nacht noch rasch nehmen. . .

Wir haben ihn nicht genommen. Der Feind saß in Büschen und Hecken. Unsere Artillerie konnte ihn nicht fassen. Unsere Infanterie litt schwer unter flankierenden Maschinengewehren. Wir wurden müde vom Warten. Statt der erhofften Siegesmeldung kommt Meldung auf Meldung von schweren Verlusten.

Die Nacht naht und das Geknatter will nicht verstummen, das Pfeifen nicht aufhören. Schwer blutet unsere Front und die Tropfen sammeln sich neben uns, wo in einem Gehöft ein Verbandplatz eingerichtet ist. Wie aus einer Wunde das Blut unaufhaltsam zu Boden tropft, so treffen hintereinander die Verwundeten ein: Tropfen auf Tropfen ohne Ende. Mit leidlichem Humor kommen die mit Schüssen in Arm und Hand, schwer humpeln die im Fuß und Bein Getroffenen.

Einer stöhnt, dem die Kugel im Rücken sitzt. Zwei Soldaten tragen mehr, als dass sie stützen, einen Offizier. Das Geschoss zerschmetterte den Kiefer. Das Blut rinnt ihm über das Gesicht, strömt in breiter Lache über die Uniform. Die Ärzte arbeiten mit blutigen Händen. Sie können den Strom von Blut kaum dämmen. Den Stabsarzt, der sich im feindlichen Feuer das Eiserne Kreuz holte, trifft eine verlorene Kugel. Wann wird ein Ende?

Der neue Tag bringt keine neue Hoffnung. Der Feind hat frische Truppen herangebracht, mit der Bahn bis hinter die Front geworfen. Schwere Artillerie ist aufgefahren. Sie wirft ihre Granaten ins Dorf. Kreck! kreck! krepiert es in nächster Nähe. Der Dorfteich vor uns spritzt als Fontäne auf; von dem Dach hinter uns rieseln Schutt und Ziegelbrocken herab. Der Ort steht voll Fahrzeuge: Protzen, Patronenwagen, Feldküchen. Sie müssen schleunigst in Deckung. Vor den sich bäumenden Pferden schlagen die Granaten ein.

Die Verwundeten sind gefährdet. Der Verbandplatz muss weiter zurück. Im Torweg steht in Schürze und Gummihandschuhen der Assistenzarzt, ein junger Gynäkologe, und gibt ruhig, fast heiter seine Anweisungen.

Kreck! fährt neben ihm eine Granate in die Mauer. Ein zackiges Loch gähnt; Rauch wirbelt hervor. — „Die Verwundeten!“ — Wir stürzen in den Hof, sie aus dem brennenden Hause zu tragen. Im Rahmen der Tür kommt uns ein Sanitätsunteroffizier entgegen. Zwei Kameraden stützen ihn. Hinter ihnen zieht der Rauch aus der Türöffnung.

Beim Verbinden traf ihn die Granate in den Oberschenkel. Nur noch an einigen Fleischfetzen hängt das zerschossene unbrauchbare Glied. Wie der Verwundete mühsam die Stufen vor dem Hauseingang herunterhumpelt, stößt es schwer auf, schleppt unwillig nach, als zögere es, dem Körper zu folgen. . .

Wir draußen

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