Читать книгу Wir draußen - Colin Roß - Страница 16
Nachtangriffe vor Anglemont
ОглавлениеDumpf rollt der ferne Geschützdonner durch den Traum der Schlaftrunkenen und löst wirre Traumbilder aus. — Mitten zwischen den in Deckung gebrachten Pferden platzt die Granate. „Die Pferde! Zurück die Pferde!“ — Der Körper schnellt auf, die Hand tastet umher, greift auf Stroh und auf feuchte Lehmwand. Das Erinnern kehrt langsam zurück. — „Ein Traum!“ — Das Donnern rollt verklingend über den Horizont. — „Ach so, wir stehen wieder vor dem Feind!“ Trübes Dämmern fließt durch das Türloch in den Unterstand. Die Pioniere haben ihn uns gebaut, ihn mit starken Balken eingedeckt, als sicherer Schutz für die Schläfer, denn jeder Fußbreit Boden hier oben steht Tag und Nacht unter Feuer.
Der Aufgeschreckte sinkt zurück in die Reihe der Schlafenden. Eng aneinandergeschmiegt liegen sie auf den Strohbündeln. Wieder grollt der dumpfe Donner. Schwer, bleiern schwer senkt sich die Müdigkeit auf die Augenlider. Wieder ein Schuss. — Ach was, lass sie schießen. Wir liegen weit zurück, bei der schweren Artillerie. Was gehen uns die allnächtlichen Scharmützel an. — Doch jetzt geht es Schlag auf Schlag, näher und stärker. Das sind die Batterien des Nachbarkorps. Und nun! Teretteretterette. Das ist das Infanteriefeuer! Alle Instrumente der Schlachtensymphonie haben eingesetzt. Heißt das der täglich erwartete große französische Angriff?
Aus allen Unterständen krabbelt es hervor, hastet in die Beobachtungs- und Befehlsstellen. Erstes Morgenlicht. Am Himmel verblasst die schmale Sichel des abnehmenden Mondes. Nebelige Dünste steigen aus dem Grund, bringen empfindliche Morgenkühle mit herauf, fröstelnd erschauert der Körper. Vor unserer Front ist es still. Nur zur Rechten, wo die Preußen stehen, lärmt es, kracht es wie niederbrechender Wald, donnert es wie stürzender Fels.
Vor unserer Front ist es still. Wir sehen nichts und können nicht eingreifen. Wir stehen bereit und warten. Doch ehe noch Befehle kommen, flaut das Feuer ab, wird schwächer und schwächer. Noch einmal flackert es auf, knattert in Einzelschüssen die Schützenlinie entlang. Noch einige dumpfe Schläge, dann ist es still.
Friedliche Ruhe liegt über der erwachenden Landschaft. Der Himmel rötet sich, der Nebel weicht. Unsere Tagesarbeit beginnt! Sie heißt: Wachen und Warten, Warten und Wachen. Im Süden, dort hinter den großen Wäldern, in denen sich die Franzosen eingenistet haben, sind die vordersten Werke von Epinal. Nicht weil sie uns aufhalten, sondern weil Befehl der Heeresleitung uns hemmt, bleiben wir hier stehen. Ein unwillkommener Befehl, zumal jeder Tag von neuen Siegen unserer Brüder im Norden meldet, die vordringen dürfen, vor auf Paris.
Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen treffen die fröstelnden Glieder. Behaglich dehnen sie sich, trinken gierig die wohlige Wärme. Aber die Sonne steigt höher und höher. Sie wärmt nicht mehr, sie sengt und dörrt. Senkrecht brennt sie herab und füllt unsere Gräben mit brütender Hitze. Auf dem Grunde der Ausschachtung kauern wir unter der lastenden Glut, suchen der steilen Wand vergeblich ein wenig kärglichen Schatten abzuringen, und warten.
Nur ein Augenpaar wacht. Die mit Stroh verkleideten Seharme des Scherenfernrohrs langen über die Deckung, und ihre Prismen führen den Blick des Beobachters über die Umwallung hinweg, hinüber zu den Stellungen des Feindes, ohne dass ein verräterischer Kopf sich zu zeigen braucht.
Unsere Batterien haben sich auf den Höhen von Bazien eingegraben. Weit vorgeschoben, auf der Kimme des Hanges, sind die Beobachtungsstellen der Stäbe und der Batterieführer. Unten am Waldrand stehen die Mörser- und Haubitzbatterien der schweren Artillerie.
Unermüdlich wacht das Auge des Beobachters. Unermüdlich sucht das Scherenfernrohr das Gelände ab. Unermüdlich umkreist der suchende Blick den Horizont, wie der huschende Lichtkegel des Blinkfeuers. Hinter jedem kornverkleideten Erdwall hervor lugt ein Augenpaar und sucht und sucht.
Die Sonne steht im Zenit. Schon ist die erste Septemberwoche vorbei, und noch glüht sie herab, als stünde unter der Wucht des Weltenkrieges der Kreislauf der Jahreszeiten still, als nahe kein entblätternder Herbst der Erde, solange unser Blut sie düngt.
Den Laufgraben herauf rennt ein Kanonier, gebückt, sorgfältig sich deckend. Denn auch drüben wachen hundert Augen. Wenn nur eine Reitergruppe, ein einzelner Fußgänger sich zeigt, kracht es, und über unseren Köpfen krepieren die Schrapnells.
Der Mann bringt unsere Mittagsmahlzeit: laue Suppe und kaltes Fleisch. Der Weg vom Lager herauf ist weit. Hinten im Wald stehen unsere Pferde, und selbst dort sind sie nicht völlig sicher vor den gestaffelt nach rückwärts streuenden französischen Batterien.
Mit dem sich neigenden Tag kommt noch die letzte rafale, der letzte Feuerüberfall. Täglich, fast um die gleiche Stunde setzt das plötzliche Schnellfeuer ein. Es tut uns nicht weh. Wir wissen, wann es kommt, und decken uns. Um unseren Unterstand krachen die einschlagenden Geschosse.
Dann ist Friede. Die Dämmerung bricht herein und hängt schwarze Schleier zwischen uns und unsere Feinde. Es ist die Zeit unseres täglichen Plauderstündchens. Von Baccarat her ist noch ein wenig Wein da. Wir sitzen beieinander und erzählen von daheim — wie weit liegt das zurück! — von dem und jenem, den die Kugel unseren Reihen entriss. Lauschen dem Obersten, der von Südafrika erzählt, bis wir glauben, wir lägen auf afrikanischem Feld und uns gegenüber der Hottentot im Dornbusch.
Der Mond steigt über den Wald, füllt mit milchweißem Licht den Grund. Frieden atmet Blatt und Halm. Da krachen vier Schüsse hintereinander. Weitere Batterien folgen. Das hässliche Krachen der Rimailho-Granaten zerreißt die Luft. Infanteriefeuer knattert auf.
Diesmal gilt es uns. Gegen Anglemont, das vielumstrittene, gehen die Franzosen vor. Fast automatisch arbeiten unsere Batterien. Zu sehen ist nichts, aber Richtung und Entfernung wurden am Tage festgelegt. Wo der Feind seine Unterstützungen vorführen muss, dahin richtet sich ihr Feuer.
Es prasselt und kracht. Da mischt wie Paukenschlag die Mörserbatterie ihre Stimme in das Konzert. Vier Mörser stehen hinter uns am Waldrand. Wir kennen sie alle. Ein jeder hat seine eigene Stimme. Als zerrisse eine unermesslich große Papierdüte, so trifft ihr Knall schmerzend das zuckende Trommelfell. Dann zischt das Projektil über uns hinweg. Hinter ihm aber stürzen die jäh auseinandergerissenen Luftmassen ineinander, wirbeln schäumend auf wie das Kielwasser eines eilenden Schiffes. Lange noch, wenn das Geschoss längst vorüber, heult es in den Lüften, als könne das gestörte Element sich nicht beruhigen. Schauerlich jammert und brüllt es, als fänden die Seelen der Gefallenen keine Ruhe und rängen weiter in den Wolken.
„Der Herr zog über ihnen her, als Rauchwolke des Tages, als Flammensäule des Nachts.“ — So wandeln sich im Dunkeln die Sprengwolken in glühende Flammenzeichen. Ein leuchtendes Feuerwerk brennt vor dem schwarzen Wald ab. Lohenden Meteoren gleich zerspringen unsere Geschosse, als liehe uns der Himmel seine Sterne und schmettere sie herab auf unsere Feinde.