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Die Erstürmung von Badonviller

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Kurze Rast folgt dem ersten Gefecht. — Es waren Hochsommertage von süßer schwerer Reife. Die Acker übervoll von gelbem Korn, das vergeblich nach der Sichel rief; die Bäume brechend unter der allzu schweren Fruchtlast. In unseren Adern sang das sonnenwarme Blut. Offen und lockend lag vor uns das Land wie eine reife Frau. Wäre nicht der Kranz der brennenden Dörfer gewesen, aus denen verräterische Tücke uns hinterrücks angefallen, wär’s wie ein Ritt zu festlich-froher Brautfahrt.

Plötzlich und blutig kam der Ernst. Noch lag das Gros der Artillerie beim Detachementsführer zurück. Da kam ein Ordonnanzoffizier: Die Infanterie ist auf unerwartet starken Widerstand gestoßen. Sie bittet dringend um Unterstützung. Und während des Vorreitens häufen sich die Hiobsposten: Die Infanterie hat sich nicht halten lassen und ist in das Städtchen Badonviller gestürmt. — Sie ist auf Reduits gestoßen und kann nicht vor noch zurück. — Es ist ein Straßenkampf wie in Orleans. — Die Einwohner greifen hinterrücks die Unseren an.

Unterstützung? Woher? Eine einzige Kompagnie ist noch zur Verfügung des Generals. Sie wird vorgeworfen. Vorn und fürs erste verwendbar ist nur ein bayerisches Infanterieregiment und ein bayerisches Feldartillerieregiment. Die Infanteristen sind sämtlich in Badonviller engagiert. Die Batterien werden vorgezogen.

Wir können nicht viel helfen. Auf den Ort können wir nicht schießen, ohne unsere eigene Infanterie zu gefährden, und die französische Artillerie ist eingeschossen und in guter gedeckter Stellung.

Da hilft nur eins. Vor, rücksichtlos vor! Bis dicht vor den Ort und ihm zur Seite fahren die Batterien auf. Über ihnen zerplatzen französische Schrapnells.

Ein Infanteriehauptmann galoppiert heran. Das Gesicht ist geschwärzt; ein Gewehr hängt ihm über die Schulter. Er reitet das Pferd eines französischen Kapitäns: „Das Leibregiment liegt in schwerem Artilleriefeuer.“ Unsere Batterien machen ihm Luft. Wenige hundert Meter vor den Geschützen feuert französische Infanterie. Die einschlagenden Geschosse scheuchen sie auf.

In der Flanke gefasst, weicht der Feind. Unsere Infanterie kann durchstoßen. Vor den vordersten Batterien liegen wir in einem Hohlweg gedeckt, neben uns ein toter Chasseur, wenige Schritte weiter einer der Unseren.

Der Feind weicht, aber noch knattert es in den Straßen. Die vorgeschickten Krankenträger kommen eilig zurück. Man hat auf sie geschossen, trotz der weißen Armbinden mit dem Roten Kreuz. Stöhnende werden zurückgeschafft. Gerüchte durchschwirren die Luft, Worte schlagen ans Ohr: Der ist tot und jener; liebe, vertraute Namen. Armes Leibregiment, du hast dir deinen blutigen Ruhmeskranz teuer erkauft! Aber der Schrecken wird vor dir herbrausen!

Wir ziehen durch den Ort. Eine Eskadron der 8. Chevaulegers, das einzige, was wir noch haben, muss als Artilleriebedeckung dienen. Zwischen den Lanzenreitern rasseln die Batterien über das holprige Pflaster.

Im flüchtigen Vorbeireiten fällt die Kirche des Städtchens auf. Ein sonderbarer Bau! Wie das Pantheon in Rom mit weiter Kuppel. Ein massiger Turm über dem Eingangstor. Aus festem Quaderstein, welch treffliche Festung!

Am Südausgang der Stadt schanzt die Infanterie. Als sie des Obersten an der Spitze seiner Batterien ansichtig wird, fliegen die Helme in die Höhe, durchbraust Hurra die Luft. „Hurra! Hurra!“ hinüber, herüber! Ein Siegesjauchzen, ein jubelnder Dank für treu geleistete Waffenhilfe.

Noch ist unser Werk nicht getan. Offen fahren die Batterien rechts und links der Straße auf und senden dem abziehenden Gegner pfeifenden Abschiedsgruß.

Mücken summen im hohen Gras. Sommernachmittagsschwüle lastet über den Feldern. — Der Feind ist verschwunden. Feldkessel werden über rasch entzündete Feuer gehängt, die Pferde in die Haferfelder getrieben.

In Badonviller prasselt noch hie und da plötzlich heftiges Gewehrfeuer auf, gleich niederbrechendem Platzregen. Noch lauert in Winkeln und Ecken sicher versteckt heimtückischer Feind. Haus für Haus muss geräumt und vom Keller bis zum Speicher durchsucht werden. Wenn wir nur hineinfeuern dürften in dies Höllennest, es in Staub und Asche schießen mit unseren Haubitzen!

Wütend schwillt das Gewehrfeuer an. Was ist das? In unserem Rücken pfeifen die Kugeln. Protzen und Pferde fluten zurück.

Da die Kirche! Jede Luke in Turm und Kuppel ist besetzt von einem Gewehrlauf, der zwischen den heruntergelassenen Jalousien heraussieht.

Im Feuer wird eine Batterie herumgeworfen. Nun hilf, heilige Barbara! Kein Schuss darf fehlgehen! Sechsmal kracht es hintereinander und sechs Löcher tun sich auf in Turm und Kirche. — Kein Laut mehr! Mit einem Schlage ist das Feuer verstummt, aber feiner blauer Rauch kräuselt, noch kaum sichtbar, aus dem Glockentürmchen über der Kuppel.

Ruhe ist im Ort. Der Maire eilt von Haus zu Haus: Alle Türen und Fenster müssen weit offen stehen. Wo der Besitzer geflohen, prasseln Kolben und Äxte gegen das splitternde Holz.

In der Bogenhalle des Rathauses sind die männlichen Einwohner zusammengetrieben. In dichten Reihen stehen sie hintereinander, finstere, trotzige und verängstigte Gesichter. Gesondert, streng bewacht, lehnen die auf frischer Tat Ertappten an der Mauer, die man dabei überrascht, wie sie auf unsere Verwundeten und Krankenträger schossen. Auf der anderen Seite hocken die Gefangenen: rothosige Infanteristen und Jäger aus Baccarat, Frankreichs Elitetruppe. Ein Elsässer ist unter ihnen. — „Was geschieht mit uns?“ — Sie erwarten Schlimmes.

An allen Ecken und Enden brennt die Stadt. Unsere ermüdeten Truppen versuchen zu löschen, so gut es geht. Allein es fehlt an Eimern. Die einzige Feuerspritze, die man aufgetrieben, gibt nur kümmerlich dünnen Strahl.

Frauen und Kinder stehen rat- und hilflos, gleich aus den Nestern gescheuchten Vögeln auf den Straßen. — „Monsieur! Monsieur!“ ruft es, „mein Sohn hat ein Gewehr im Hause versteckt! Er ist geflohen. Ich weiß nicht, wo es ist.“ Man durchsucht die Häuser. „Oh, mon Dieu, mon Dieu!“

In einem Laden kaufen wir Keks und Zucker. Eine geschwätzige Alte bedient übereifrig. In einer Ecke schluchzt eine kleine Achtjährige still vor sich hin. — „Sie hat so viel Angst vor dem Feuer.“ — Ich nehme das weinende Köpfchen. Vertrauensvoll schmiegt es sich an den Fremden. „0h, ma petite, ma petite, weine nicht mehr; alles wird wieder gut!“ — O, ihr daheim, was wisst ihr vom Krieg; mögt ihr nie erfahren, was das heißt: Der Feind im Land!

Wir müssen zurück. Übermächtige feindliche Kolonnen sind uns rechts und links im Anmarsch gemeldet. Aber es wird Nacht, ehe die vordersten Batterien der Befehl erreicht.

In schweigendem Marsch geht es zurück. Lichterloh flammt jetzt die Stadt. Auf die menschenleeren Straßen prasselt das niederbrechende Gebälk. Auf den engen Wegen springt glostende Glut uns an und sengt die Haut. Wir reiten durch die Hölle.

Noch steht die Kirche. Nur in ihrem Innern wütete bislang der Brand. Jetzt hat das Feuer die weiten Pforten gesprengt, durch die kein lebendes Wesen mehr geschritten. Das Auge schaut in blendende Helle, so blendend, dass es nicht Feuer noch Flamme erkennt, nur Helle, strahlende Helle. Über dem Altar aber reckt sich, von der Glut gehoben, riesengroß ein Heiliger mit segnend ausgebreiteten Armen. Noch segnet er, segnet uns über Tod und Zerstörung.

Wir draußen

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