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II.Die wettbewerbsrechtliche Lösung als zweiter Umsetzungs­versuch von Gemeinschaftsrecht

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13Zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge gab der Bundesgesetzgeber die zuvor verfolgte haushaltsrechtliche Lösung komplett auf.62 Der Vergaberechtsschutz wurde vielmehr in das Wettbewerbsrecht integriert und zwar in den Vierten Teil des GWB a. F. (§§ 97 ff. GWB a. F.). Diese Einordnung ins Wettbewerbsrecht ist der Erkenntnis geschuldet, dass das moderne Vergaberecht letztlich auf den gemeinschaftsrechtlichen Gedanken eines funktionierenden Binnenmarkts für Waren und Dienstleistungen und das darauf folgende Wettbewerbsprinzip zurückzuführen ist. Die VgV blieb aber auch nach der wettbewerbsrechtlichen Lösung neben dem GWB bestehen und verlieh VOB/A, VOL/A sowie VOF weiterhin Gesetzeskraft.63 Sie wurde indes erst im Jahre 2001 der neuen Rechtslage nach dem Vergaberechtsänderungsgesetz angepasst.64 Das Kaskadenprinzip der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch eine Trias von GWB, VgV und Verdingungsordnungen wurde faktisch beibehalten.65 Aus dem Sektorenbereich wurde die Telekommunikation nach der Liberalisierung in den neunziger Jahren herausgenommen.66 Als Vergabearten im Oberschwellenbereich legte § 101 GWB a. F. das offene Verfahren (§ 101 Abs. 2 GWB), das nicht offene Verfahren (§ 101 Abs. 3 GWB), das Verhandlungsverfahren (§ 101 Abs. 5 GWB) sowie den wettbewerblichen Dialog (§ 101 Abs. 4 GWB) fest.67

14Mit § 97 Abs. 7 GWB a. F. wurde erstmals klargestellt, dass die Bieter ein subjektives (materielles und einklagbares) Recht auf Einhaltung der Vergaberegeln haben. § 97 GWB a. F. hatte darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung, da die Vorschrift das Wettbewerbs-, Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot gesetzgeberisch für die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand festlegte. Der Bieterschutz im Vergabeverfahren wurde überdies durch die Einführung des § 16 VgV a. F. gestärkt, der den Ausschluss von bestimmten Personen aus dem Vergabeverfahren bei konkreten Anhaltspunkte für Interessenkonflikte vorschrieb, etwa wenn Bieter bereits für die Vergabestelle beratend tätig waren.68

15Darüber hinaus erfuhr mit der Regelung des Vergaberechts im GWB insbesondere die prozessrechtliche Stellung der (unterlegenen) Bieter eine Verbesserung: Anstelle der alten Vergabeüberwachungsausschüsse wurde nunmehr ein Rechtsschutzsystem über zwei Instanzen mit speziellen Vergabekammern sowie Vergabesenaten bei den Oberlandesgerichten eingerichtet (§ 116 Abs. 3 GWB a. F.). Die Vergabekammer ermittelt von Amts wegen und entscheidet innerhalb von fünf Wochen über den Nachprüfungsantrag. Die Kammerentscheidungen haben eine Bindungswirkung wie Verwaltungsakte.69 Gegen eine Entscheidung der Vergabekammer kann jeder Verfahrensbeteiligte eine sofortige Beschwerde zum Vergabesenat beim Oberlandesgericht einlegen.70 Weder die Vergabekammer noch der Vergabesenat können jedoch einen einmal erteilten Zuschlag wieder aufheben (§§ 114 Abs. 2, 123 Satz 4 GWB a. F.).

16Bedeutsam für einen effektiven Rechtsschutz i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG war besonders die Einführung der Regelung in § 115 GWB a. F., wonach während eines anhängigen Gerichtsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung das Vergabeverfahren von Amts wegen auszusetzen ist (Zuschlagssperre). Denn der Zuschlag der Vergabestelle bewirkt das Zustandekommen des Vertrags mit dem Bieter.71 Mit § 115 GWB a. F., dem heutigen § 169 Abs. 1 GWB, wurde erstmals sichergestellt, dass der unterlegene Bieter nicht mehr vor vollendete Tatsachen gestellt wird.72 Auf Antrag kann die Vergabekammer gem. § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB a. F. auch andere vorläufige Maßnahmen ergreifen. Zuvor musste der Bieter regelmäßig den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 1004 BGB und §§ 935, 940 ZPO beantragen.73 Ein entgegen des Aussetzungsgebots nach § 115 GWB erteilter Zuschlag ist gem. § 134 BGB zivilrechtlich nichtig.74 Das Aussetzungsgebot kann der Bieter bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens ausdehnen, indem er beim Beschwerdegericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde gem. § 118 Abs. 3 GWB beantragt.75 Zudem besteht für die Vergabesenate am OLG gem. § 124 Abs. 2 GWB die Pflicht zur Divergenzvorlage an den BGH.76 Dies führte im Oberschwellenbereich zu einem lückenlosen Primärrechtsschutz. Im Unterschwellenbereich hingegen ist der Rechtsschutz nach wie vor nur rudimentär auf Sekundärebene ausgestaltet.77

17Ein weiterer Meilenstein in puncto Bieterschutz bei der öffentlichen Auftragsvergabe war § 126 GWB, der dem unterlegenen Bieter unter bestimmten Umständen erstmals eine selbstständige Anspruchsgrundlage auf Ersatz seines Vertrauensschadens einräumte. Der Vorteil ist, dass die ordentlichen Gerichte bei einer auf § 126 GWB a. F., heute § 181 GWB, gestützten Schadensersatzklage an die Feststellungen der Vergabe­kammern gebunden sind und diese Vorschrift eine verschuldensunabhängige Haftung darstellt.78 Für eine hierauf gestützte Schadensersatzklage kommt es hinsichtlich der Kausalität der Verletzung von Vergabevorschriften für den Schadenseintritt auf den Nachweis einer „echten Chance“ des Erfolgs bei ordnungsgemäßer Vergabe an. Dies stellt gegenüber der c.i.c (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB) eine wesentliche Erleichterung gegenüber dem normalen Kausalitätsnachweis im Prozess dar.79

18Mit Beschluss vom 27.1.2009 beschloss die Bundesregierung im Rahmen des Konjunkturpakets II eine Vereinfachung des Vergaberechts für die Jahre 2009 und 2010. Damit wurde zum 29.1.2009 die Dauer von EU-Vergabeverfahren von 87 auf 30 Tage reduziert. Darüber hinaus wurden neue Schwellenwerte für die beschränkte Ausschreibung und für die freihändige Vergabe eingeführt. Diese betrugen:

– bei Bauleistungen für eine beschränkte Ausschreibung: 1 Mio. Euro,

– bei Bauleistungen für eine freihändige Vergabe: 100.000 Euro,

– bei Dienst- und Lieferleistungen sowohl für die beschränkte Ausschreibung als für die freihändige Vergabe: 100.000 Euro.

Unterhalb dieser Schwellenwerte konnten die Vergabestellen des Bundes ohne Nachweis eines Ausnahmetatbestands beschränkte Ausschreibungen oder freihändige Vergaben durchführen. Die Länder und Kommunen erleichterten ihre Vergabeverfahren ebenfalls durch Anhebung der Schwellenwerte.80 Einige Landesregierungen (z. B. NRW81) verlängerten ihre im Rahmen des Konjunkturpaketes II beschlossenen Wertgrenzenerlasse bis zum 31.12.2012.82 Damit galten die erhöhten Schwellenwerte für beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergaben fort, insbesondere um noch nicht abgeschöpfte Mittel aus dem Konjunkturpaket II leichter in den Wirtschaftskreislauf einzuspeisen. Auf Bundesebene galten seit Januar 2011 wieder die ursprünglichen Schwellenwerte.83

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