Читать книгу Rache nur der Teufel war Zeuge. - Dagmar Schulz - Страница 4

1. Kapitel

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Susanne wuchs in einem kleinen Dorf auf dem Land auf, wo sich Fuchs

und Hase „Gute Nacht“ sagten.

Ihr Leben schien sehr eintönig zu sein: Die Schule, ein paar Freundinnen

und sonst nichts. Man könnte meinen, eigentlich ein idyllisches Dorf.

Doch der Schein trügt.

Susanne hatte die Hölle auf Erden.

Ihre Eltern hatten nicht viel Geld und konnten ihrer Tochter nicht viel bieten.

Außer Angst, Kummer und Schrecken.

Jetzt fragt man sich, warum sie so was geboten bekam, wo es doch in einem

Dorf eigentlich schön und ruhig sein sollte...

In dem Dorf gab es ein Gasthaus, das von den Dorfbewohnern einfach nur

„Kneipe“ genannt wurde.

Meistens waren die Gäste so betrunken, dass sie dermaßen randalierten, bis der

Wirt gezwungen war, sie rauszuwerfen.

Leider gehörte dazu auch Susannes Vater, der seiner Meinung nach unglücklich

war und sich dann volllaufen ließ.

Andere Gäste gingen nach ihrem Kneipenbesuch meistens ruhig ins Bett und

ließen ihre Familien in Ruhe, aber Susannes Vater, Heinz, fiel immer aus der

Rolle, sobald Alkohol ins Spiel kam.

Wenn der Wirt alle rausgeworfen hatte, kam Heinz mit einer halbvollen Flasche Schnaps nach Hause und beschimpfte Susanne, die zu diesem Zeitpunkt gerade mal 11 Jahre alt war.

Und er tobte und schlug Susannes Mutter erbarmungslos zusammen.

Susanne verkroch sich in solchen Situationen meistens in dem kleinen Zimmer am Ende des Flures. Als sie dort mal von ihrem Vater gefunden wurde, schüttelte er sie so lange, bis sie besinnungslos wurde und mit dem Kopf auf den Boden aufschlug.

Erst dann ließ er von ihr ab und flüchtete fluchend aus dem Zimmer.

Es war ihm egal, was mit Susanne war. Eigentlich war ihm alles egal.

Die Mutter, Hanna, kroch ängstlich zu Susanne und wischte ihr mit zitternden Fingern das Blut ab.

Heinz kam dazu, sah auf die beiden herab und lachte höhnisch.

Tür knallend verließ er die Wohnung und taumelte wieder zurück in die Gaststätte, um weiter zu trinken.Was sollte er auch mit den beiden Weibern anfangen.

Der Wirt gab ihm jedoch an diesem Abend keinen Tropfen Alkohol mehr. Er sah, dass Heinz kurz vor der Besinnungslosigkeit stand und als dieser wütend aus der Kneipe stampfte, rief er ihm beschwichtigend hinterher:

„Heinz, geh nach Hause und schlaf dich aus.“

Wutschnaubend torkelte Heinz über den Bürgersteig und bekam auf einmal unbändige Lust, die Schaufensterscheibe des kleinen Tante-Emma-Ladens einzuschlagen.

Er nahm einen Stein und schmetterte ihn brüllend gegen die Scheibe. Sie zerbarst und er warf wie von Sinnen direkt noch einen zweiten Stein hinterher.

Die Polizei, die zufällig direkt an Ort und Stelle zugegen war, nahm den immer noch aufgebrachten Heinz in Gewahrsam und sperrte ihn in die Ausnüchterungszelle.

Diese Erfahrung sollte für Heinz eigentlich eine Lehre gewesen sein, wo er doch bisher noch nie eingesperrt wurde. Als er morgens in der Zelle erwachte, war es ihm zunächst auch peinlich, in diese Situation geraten zu sein.

Dies hielt jedoch nicht lange an.

Er verfluchte die Polizei, die ihn dabei erwischte, als er die Schaufensterscheibe zerschlug und je länger er darüber nachdachte, desto mehr gab er der Polizei die Schuld. Eigentlich war er das arme Opfer, er, der Arme.

Die Lage verschlimmerte sich von Tag zu Tag.

Heinz war nur noch betrunken und schlug ununterbrochen.

Schläge und Tritte gehörten zur Tagesordnung und Susanne konnte oft nicht die Schule besuchen, weil sie von ihm abends grün und blau geschlagen worden war.

Dass dies keiner gemerkt hat, weder die Lehrer, noch die Schulkrankenschwester

– ist immer noch ein Rätsel.

Susannes Mutter Hanna hatte durch die penetranten Schläge ihres Mannes Heinz mehr als einmal eine gebrochene Nase. Er hat sie oft übel zugerichtet.

So wagten sich die beiden kaum noch, das Haus zu verlassen.

Es sollte keiner wissen, wie schlecht beide behandelt wurden. Darauf passte der versoffene Heinz auch nur zu gut auf.

Er brauchte ja kaum etwas zu Essen, hatte seinen Alkohol und nur darauf kam es für ihn an.

Also hungerten Susanne und ihre Mutter, bis sie sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnten, um Heinz keinen Grund zu geben, erneut auf die einzuschlagen, wenn sie versuchen würden, sich aus dem Haus zu schleichen, um etwas zu Essen zu kaufen.

Doch es gab zwischendurch auch mal friedliche Zeiten in der Familie.

Susanne ging dann nach draußen und spielte mit ihren Freundinnen.

Die Mutter traf sich mit Bekannten zum Kaffee trinken und hielt einen Plausch.

Der Vater betrank sich wie immer in der Kneipe, torkelte nachts grölend durch die Straßen nach Hause und fiel lallend ins Bett. Immerhin einigermaßen friedlich, ohne vorher Frau und Kind zu verprügeln.

Susanne und ihre Freundinnen halfen alten Menschen gerne bei ihren Einkäufen und trugen ihnen die schweren Taschen nach Hause.

Die Mädchen waren in der Dorfgemeinde sehr beliebt, so dass ihre Hilfe sehr gefragt war.

Meistens bekamen sie für ihre Hilfe sogar ein paar Mark.

Die anderen Mädchen gaben das Geld oft für Bonbons, Lutscher und Schokolade aus. Susanne jedoch rannte danach zu ihrer Mutter und erzählte ihr, wofür sie das Geld bekommen hatte, das sie in den Händen hielt.

Sie gab ihrer Mutter dann das Geld, damit sie damit die nötigen Lebensmittel einkaufen konnte.

Die Mutter lobte ihre Tochter mit den Worten:

„Schätzchen, du bist ein gutes und liebes Kind. Ich bin so stolz auf Dich.“

Susanne strahlte und erwiderte „Komm, wir kaufen etwas zu Essen.“

Die beiden lachten sich an, was angesichts der Tatsache, dass beide die meiste Zeit weinend und mit Schmerzen verbrachten, wirklich sehr selten war.

Aber heute lachten sie und freuten sich.

Doch kurz, nachdem sie aufgebrochen waren, wurde die Mutter wieder traurig.

Susanne sah sie fragend an:

“Mama, was ist denn mit dir auf einmal los? Du warst doch gerade noch so fröhlich und jetzt bist du wieder so traurig.“

Hanna erwiderte leise:

“Wenn dein Vater uns erwischt, dann nimmt er uns alles weg. Alles!“

Susanne hatte 5 Mark zusammenbekommen. Das war 1959 sehr viel Geld für die Familie und mit der heutigen Zeit im Wert nicht zu vergleichen.

Trotzig antwortete sie:

“Das Geld habe ich mir verdient! Das Geld gehört mir! Und nicht Papa.“

Susanne wurde richtig wütend und schimpfte laut:

“Dann soll er eben nicht so viel saufen.“

Zum ersten Mal sah die Mutter ihre Tochter staunend an. Aber Recht hatte das Kind ja, dachte Hanna.

Sie gingen also einkaufen. Sie lachten dabei und freuten sich so ausgelassen, dass sie auf dem Weg sogar zusammen sangen. Sie genossen jeden Schritt in der Freiheit, doch vorsichtshalber gingen sie dabei eine Strecke, die Heinz nicht kannte.

Und das war auch gut so, denn Heinz saß betrunken zu Hause und war auf Ärger aus. Wo er immer das Geld für seine Sauferei her hatte, wusste niemand.

Als Susanne und ihre Mutter vom Einkaufen zurück kamen, standen sie vor ihrem Haus und überlegten, was sie wegen der Lebensmittel sagen sollten, die sie in der Tasche trugen. Es war zwar nicht viel, was die beiden gekauft hatten. Nur Brot, Käse und etwas Wurst. Die Flasche Orangensaft hatten sie geschenkt bekommen.

Aber er würde es merken!

Da wurde plötzlich von innen die Tür aufgerissen.

Susannes Vater stand mit hochrotem Kopf wutschnaubend vor den beiden und begann sofort, sie vulgär zu beschimpfen:

„Ihr Miststücke! Ihr elendes Pack! Ihr seid unnötige Fresser bei mir.“

Mutter und Tochter zuckten bei diesen Worten zusammen und sagten wie aus einem Mund:

“Wir haben für uns alle Essen gekauft.“

Der Vater schaute die beiden verblüfft an, schrie aber dann direkt los:

“Wo habt Ihr, verdammt nochmal, das Geld her? Geklaut? Dann habt Ihr bestimmt auch Schnaps für mich dabei, oder?“

Gierig streckte er seine Hand aus und griff wie blind nach der Flasche.

Susannes Mutter sagte leise: “Das ist kein Schnaps. Wir haben Saft geschenkt bekommen.“

Innerlich bebte sie vor Angst vor ihrem aggressiven und gewaltbereiten Mann.

„Was kommt jetzt bloß auf uns zu?“, fragte sie sich.

Mit so einer schnellen Reaktion ihres betrunkenen Mannes hätte sie allerdings nicht gerechnet:

Er packte sie blitzschnell und brüllte los:

“Miststück, wo ist mein Schnaps? Wo hast du ihn versteckt? Ihr habt mich ja wohl nicht vergessen, oder?“

Erschrocken sah Susanne ihren Vater an. Er riss das kleine 11-jährige Mädchen an sich und trat ihr mit voller Wucht in den Bauch.

Susanne krümmte sich vor Schmerzen, verlor das Gleichgewicht und stürzte die Treppe hinunter auf die kleinen Steinchen.

Sie schrie auf.

Dann wurde es still.

Hanna rannte die Treppe hinunter zu ihrer Tochter. Susanne lag blutüberströmt auf den Steinen, rang um Atem und flüsterte leise:

“Hilfe! Hilfe! Bitte helft mir doch.“

Aber es kam niemand vorbei, der dem Mädchen zur Hilfe eilen konnte.

Heinz sah sich das erbarmungsvolle Bild seiner Tochter an, drehte sich um und rannte weg. So einfach war das für ihn. Sein Gedanke galt nur dem Alkohol und der schnellen Beschaffung.

Er rannte in die Kneipe und jammerte, wie schwer er es doch habe und wie gemein und ungerecht seine Familie ihn behandele.

Alkoholiker sind Schauspieler, das weiß jeder. Aber dieses Szenario war wirklich bühnenreif.

Er erzählte so traurig seine Geschichte, dass der Wirt und seine Frau Mitleid mit dem „armen geschundenen Mann“ bekamen und ihm zum Trost auf ein paar Schnäpse einluden.

Unterdessen war Hanna damit beschäftigt, ihre Tochter zu verarzten. Sie holte das Verbandszeug und half dem Mädchen, so gut es ging. Aber zu ihrem Leid musste Hanna erkennen, das Susanne eine große, stark blutende Platzwunde am Kopf hatte und sie alleine damit überfordert war.

Hanna lief zu ihrer Nachbarin. Sie war ihre einzige Möglichkeit.

Sie bat die Nachbarin um Hilfe für ihre kleine Susanne. Aber sie wusste auch, dass sie damit alles verraten würde.

Jeder würde erfahren, dass Heinz brutal das Kind geschlagen hatte und würde erkennen, wie er wirklich war.

Doch das war Hanna in dem Augenblick egal.

Sie musste etwas tun! Sie brauchte Hilfe für Susanne – und die bekam sie auch.

Die Nachbarin handelte sofort und rief einen Krankenwagen, der Susanne abholte und in die Ambulanz brachte. Wegen ihrer Verletzungen musste Susanne eine Woche lang im Krankenhaus bleiben.

Sie hatte starke Kopfschmerzen, mehrere Prellungen und der Körper war mit Blutergüssen übersät.

Die behandelnden Ärzte fragten natürlich, wie das denn passiert sei, aber Hanna und ihre Tochter schwiegen.

Wie einfach wäre es gewesen, einfach das auszusprechen, was beide schon so lange im Herzen trugen:

„Er schlägt uns. Er prügelt uns. Er säuft und quält uns. Wir haben nichts zu Essen und jeden Tag große Angst, wenn er nach Hause kommt.“

Doch das trauten sich beide nicht. Sie schwiegen!

Und so verschlimmerte sich ihr Leben von da an immer mehr.

Niemand sah, was passierte.

Niemand sah oder wollte es sehen, was mit Susanne und ihrer Mutter war.

Rache nur der Teufel war Zeuge.

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