Читать книгу Ängste, Panik, Sorgen - Daniel Voigt - Страница 13
2.1.1.3Vor- und Nachteile von psychiatrischen Diagnosen
ОглавлениеVorteile:
Schutz vor Überforderung und Abwertung/sozialer Ausgrenzung (»kann nicht« statt »will nicht«)
Entlastung von Schuld und Versagensgefühlen (»Die Krankheit ist schuld« statt »Ich bin zu dumm …«)
gesicherter Anspruch auf Hilfen wie Psychotherapie, Versorgungssysteme (z. B. Krankengeld)
subjektive Verstehbarkeit und Handhabbarkeit der Symptome sowohl für Patientinnen (»Ich weiß, was mit mir los ist«) als auch für Therapeutinnen (»Ich weiß, was zu tun ist«)
erleichterte Kommunikation unter Professionellen durch Komplexitätsreduktion, Vergleichbarkeit für Forschung
Nachteile:
Risiko der Chronifizierung und Festschreibung von Problemen als selbsterfüllende Prophezeiungen
Probleme werden aus dem Kontext und der Interaktion herausgelöst und einem »Patienten« und seiner »Störung« zugeschrieben
Risiko von Stigmatisierung der Betroffenen
Ausschluss oder Nachteile bei Berufsunfähigkeits-, Lebens- und privaten Krankenversicherungen sowie beruflichen Gesundheitsprüfungen, z. B. vor einer Verbeamtung
Ausblenden von Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten der Person
Sinnhaftigkeit und kommunikativer Aspekt von »Symptomen« wird vernachlässigt
gesellschaftliche und soziale Faktoren werden ausgeblendet
Kasten 1: Vor- und Nachteile psychiatrischer Diagnosen
Die kritischen Auswirkungen von Angstdiagnosen halten sich, verglichen mit anderen psychiatrischen Diagnosen (z. B. »Persönlichkeitsstörungen«), sicherlich noch in Grenzen. Positiv aus Patientensicht ist häufig, dass mit der Diagnose z. B. einer Panikstörung oder einer sozialen Angststörung ein Zugewinn an Entlastung, Selbstakzeptanz (»Ich bin nicht dumm und nicht verrückt«), Selbstverstehen und Zugehörigkeit verbunden ist (»Anderen geht es auch so, ich bin nicht allein«). Dies sind zentrale Teile des für das Erleben von Gesundheit so wichtigen Kohärenzgefühls (vgl. das Salutogenesemodell von Antonovsky 1997).
Andererseits fokussiert die Diagnose einer Angststörung stark auf defizitäre Aspekte des Erlebens und Verhaltens (statt z. B. Angst als sinnvolle Bedürfnisinformation zu verstehen). Sie impliziert analog zu medizinischen Modellen das Ziel des »Wegmachens« der Symptome statt Akzeptanz und Integration. Zudem kann die Diagnose einer Angststörung als durchaus stigmatisierend im Sinne von »eingebildet krank« erlebt werden, insbesondere wenn zunächst der organmedizinische Bereich konsultiert und eine »Psycho-Diagnose« vom Patienten als Entwertung seiner körperlichen Beschwerden erlebt wird.