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2.4 Panikstörung – »Oh je, mir wird so komisch – ich glaub’, es geht schon wieder los!«

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Herr T., ein 40-jähriger Informatiker, beklagt Angstzustände und Panikattacken mit Todesangst:

»Meist ist mir schon längere Zeit latent unwohl, dann wird mir plötzlich ganz seltsam übel, alles ist wie im Nebel, mir ist innerlich heiß und trotzdem kalter Schweiß überall, ich bekomme so einen Druck auf der Brust, wie ein Zittern am ganzen Körper. Manchmal wache ich aber auch nachts plötzlich in diesem Zustand auf. Seitdem bin ich völlig verstört und ausgebrannt, wie abgekapselt von anderen Menschen. Mein Hausarzt hat mich durchgecheckt und gesagt, ich sei körperlich fit. Mehrere Male habe ich aus Angst vor einem Herzinfarkt nachts sogar den Rettungsdienst gerufen, bin aber aus der Notaufnahme immer ohne Befund entlassen worden. Das hat mich dann kurz erleichtert, auch wenn ich mir schon blöd vorkam – so als würde ich mir das nur einbilden. Meist hält der Frieden ja dann auch nur bis zur nächsten Nacht, dann geht das Karussell von vorne los. Schlafen ist schwierig, ich habe in den letzten Wochen oft ganze Nächte wach verbracht und grüble dauernd nach, was mit mir los ist. Inzwischen habe ich echt Angst, ins Bett zu gehen, weil ich dann vielleicht wieder so eine Attacke kriege. Ich versuche, mich mit Filmen und Internet abzulenken, und gehe allen Situationen aus dem Weg, wo es ruhig ist oder wo ich mit mir und meinen Gedanken allein bin, denn dann geht die Angst mit mir durch, doch irgendeine gefährliche Krankheit zu haben.«

Begonnen habe alles mit einer starken Grippe vor etwa sechs Monaten, die ihn mitten in einer beruflichen Stressphase erwischt habe, wo er über mehrere Monate täglich 12–14 Stunden in einer anderen Stadt gearbeitet habe. Dort sei es ihm oft schwergefallen, Nein zu sagen, obwohl er seine Grenze schon deutlich gespürt habe. Er habe jetzt vom Psychiater Medikamente zur Schlafunterstützung und zur Stimmungsaufhellung verschrieben bekommen, wolle diese aber nicht über längere Zeit nehmen, zumal sie auch nicht wirklich helfen würden.

Bei der Panikstörung leiden Menschen unter unerwarteten, nicht situationsgebundenen Panikattacken und starker Angst davor, dass diese wieder auftreten – Panikattacken allein reichen für die Diagnose nicht aus. Vor allem die erste Panikattacke wird häufig als lebensbedrohlich mit extremem Vernichtungsgefühl erlebt und zu einem traumatisierenden Ereignis. Besonders belastende körperliche Erfahrungen einer Panikattacke sind Atemnot, Herzrasen/-klopfen und Schwindel/Benommenheit (siehe Kasten 2). Selbst wenn die letzte Panikattacke schon länger zurückliegt, sind Betroffene davon oft stark geprägt, die Hauptbefürchtung ist: »Ich könnte wieder einen Anfall kriegen und sterben (bzw. erbrechen, verrückt werden usw.).«

Die Panikattacken sind dabei zumindest anfangs nicht situationsgebunden, sondern treten scheinbar plötzlich und wie aus heiterem Himmel auf – im Gegensatz zu anderen Angststörungen, wo auch Panikattacken möglich, aber an konkrete Auslöser oder Belastungen gekoppelt sind. Es kommt zu einer schnellen Aufschaukelung aus vegetativer Erregung und Angst, die schließlich in eine Panikattacke münden kann.

Häufige Symptome einer Panikattacke

körperlich: Herzrasen oder starkes Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Übelkeit, Atembeschwerden, Hyperventilation, Brustenge und -schmerzen, flaues Gefühl im Bauch, Schwindel, Schwächegefühl, Parästhesien (Taubheitsgefühl, Kribbeln), Sehstörungen (wie durch Nebel, Tunnelblick), Mundtrockenheit

psychisch: Angst vor Sterben, Hilflosigkeit oder Kontrollverlust (ausflippen, verrückt werden), Derealisation (die Außenwelt erscheint unwirklich) oder Depersonalisation (»nicht richtig da sein«)

Kasten 2: Typische Symptome einer Panikattacke

Panikattacken dauern meist wenige Minuten bis zu einer halben Stunde. Manchmal beschreiben Patienten auch stunden- oder sogar tagelang anhaltende Zustände, die aber eher ein dauernder Wechsel zwischen hoher ängstlicher Grundanspannung mit starker Erwartungsangst und Eskalationen in Richtung Panik sind.

Oft entwickeln Betroffene in der Folge eine Agoraphobie mit der Angst, in öffentlichen Situationen hilflos zu sein oder die Kontrolle zu verlieren. Bei zusätzlicher Agoraphobie bestehen starke Fluchtimpulse und das Bedürfnis, sich in Sicherheit zu bringen (»Ich muss hier weg!«).

Immer auf »Hab-acht«

Mit dem wiederholten Erleben von Panikattacken unterteilt sich das Leben aus Sicht der Betroffenen häufig in ein »Davor« und »Danach«. Die Selbstverständlichkeit des Lebens wandelt sich in ängstliche Besorgnis vor einer nächsten Attacke, die Aufmerksamkeit verschiebt sich auf innere Körperwahrnehmungen, die allgemeine Anspannung ist hoch – mit der Folge von Schlafstörungen und Unfähigkeit, zur Ruhe zu kommen. Es kommt angesichts der Unkontrollierbarkeit der Panik oft zu Hilflosigkeit und Überforderung.

Viele Patientinnen beobachten sich aus Furcht vor erneuter Attacke intensiv selbst, scannen den Körper auf mögliche Vorboten und bewerten normale Körperempfindungen als bedrohlich (wie z. B. Herzklopfen nach körperlicher Belastung beim Sport oder minimalen Schwindel nach Alkoholgenuss), was oft zu einer massiven Einschränkung von Aktivitäten führt.

Manchmal gab es in der Vorgeschichte auch nur eine oder wenige Panikattacken, die schon lange zurückliegen. Die darauf folgende Angst vor weiteren Anfällen, ängstliche Selbstbeobachtung und Einschränkung von Aktivitäten bestehen aber eventuell über Jahre massiv und anhaltend.

»Das Fass läuft über«

Oft gehen der ersten Panikattacke eine Phase hoher Stressbelastung oder traumatische Erfahrungen voraus, wie Todes-, Verlust-, Gewalt- oder Krankheitserfahrungen, chronische familiäre oder berufliche Belastungen, sodass durch die permanente Übererregung die Schwelle zur Eskalation in Panikzustände abgesenkt ist. Selbst kleine Auslöser können dann das »Fass zum Überlaufen bringen«. Auslöser sind oft auch körperliche Erkrankungen wie ein Herzinfarkt, Magen-Darm-Erkrankungen, Konsum oder Entzug von Alkohol und anderen psychoaktiven Substanzen, was jeweils mit starkem subjektiven Kontrollverlust oder Bedrohungserleben verbunden sein kann.

Vor- und Nachteile der Diagnose

Die Diagnose einer Panikstörung ist für Betroffene häufig mit Entlastung verbunden (»Jetzt weiß ich endlich, was mit mir los ist«), nachdem organmedizinische Untersuchungen oft keine Erklärungen für das subjektiv extreme Belastungserleben finden konnten. Andererseits bestehen oft nachvollziehbare Zweifel an der körperlichen Unversehrtheit (»Es könnte doch eine versteckte Herzerkrankung sein«). Für manche Menschen ist die Diagnose mit dem stigmatisierenden Etikett von »eingebildet krank«, »Simulant« oder »Psycho« und »es am Kopf haben« verbunden. Dies passiert vor allem dann, wenn Patienten aus der Rettungsstelle oder vom Hausarzt mit dem Befund entlassen werden: »Sie sind kerngesund – Ihnen fehlt nichts!« – oder mit der Aufforderung, die Rettungsstelle »demnächst für wirklich kranke Menschen freizuhalten«.

Häufigkeit und Verlauf

Etwa 2 % aller Menschen erfüllten innerhalb der letzten 12 Monate die Kriterien einer Panikstörung, wobei sehr viel mehr Menschen (15–30 %) einmalig oder gelegentlich in ihrem Leben Panikattacken haben. Frauen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen (Jacobi, Höfler u. Strehle 2014). Der Beginn der Symptomatik ist meist später als bei anderen Angststörungen, oft zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, wobei auch schon Kinder ab dem 8. Lebensjahr die Symptome zeigen können. Wenn Panikstörungen sich nicht schnell bessern, entwickeln bis zu 50 % der Betroffenen Symptome einer Agoraphobie mit ausgeprägtem Sicherheits- und Vermeidungsverhalten, später dann auch oftmals depressive Symptome.

Ängste, Panik, Sorgen

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