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2.9Krankheitsängste/Hypochondrie
ОглавлениеDie Angst oder ängstliche Überzeugung, an einer schweren Krankheit zu leiden (oft Krebs- oder Herzerkrankungen) und körperliche Symptome daraufhin fehlzuinterpretieren, findet sich bei Angstklienten häufig. Krankheitsängste bilden diagnostisch eine Schnittmenge zwischen Angst-, Zwangs-, depressiven und somatoformen Störungen, was ihre Zuordnung erschwert und die klinische Diagnosenbrille an ihre Grenzen bringt3.
Herr H., 42 Jahre, Arzt:
»Sie mögen glauben, ich wäre kerngesund, aber körperliche Beschwerden machen mir ganz schön zu schaffen. Seit ein paar Monaten sind es vor allem Bauchschmerzen, die mich nachts plagen. Dieses Muster des Ruheschmerzes spricht leider sehr für Pankreaskrebs. Ich überlege jetzt seit Wochen schon, ob ich dazu bei uns im Krankenhaus einen Ultraschall machen lassen sollte, um Klarheit zu bekommen, aber andererseits fürchte ich mich vor der Klarheit, die ich dann bekomme, denn die Prognose von Pankreaskrebs ist extrem schlecht, das macht mir wiederum solche Angst, dass ich bisher keinen Termin zur Untersuchung gemacht habe …
Vor lauter Grübeln darüber kann ich nachts manchmal nicht schlafen und werde so aufgeregt, dass ich schon mehrmals fast eine Panikattacke bekam. Das Thema Krankheiten zieht sich durch mein Leben, mal mehr, mal weniger. Bis etwa letztes Jahr hatte ich starken Schwindel, da hat sich dann nach mehreren Untersuchungen herausgestellt, dass eine Kardiomyopathie vorliegt, und, na ja, das Risiko für plötzlichen Herztod liegt immerhin bei 1,5 %. Neben den körperlichen Beschwerden sehe ich bei mir inzwischen Zeichen einer Depression, ich schaffe es vor Erschöpfung oft nicht zur Arbeit und war jetzt zwei Wochen krankgeschrieben. Ich mache mir auch sonst viele Gedanken, am schlimmsten sind aber die Ängste vor Krankheit …«
Nach Morschitzky (2007) stehen im Mittelpunkt der hypochondrischen Störung meist schwerpunktmäßig entweder phobische Krankheitsängste oder Krankheitsüberzeugungen. Die Lösungsversuche im Umgang mit der Angst sind dann sehr verschieden.
Krankheitsüberzeugung: Checking Behavior – zu viel Selbstfürsorge
Ein Teil der Patienten kann sich kaum von der Überzeugung distanzieren, bereits eine schwere Krankheit zu haben. Sie untersuchen »auffällige« Körperstellen intensiv, was kurzfristig beruhigt. Sobald die Gedanken oder Beschwerden wieder auftreten, beginnt das Checking von vorne. Dies ähnelt dem Auftreten von angstbesetzten Zwangsgedanken, die bei zu großer Spannung durch neutralisierende Handlungen (Checking) bekämpft werden, wodurch es kurzfristig zu einer Abnahme der Spannung kommt. Zur Absicherung und Beruhigung suchen die Patienten alle verfügbaren Informationen in Medien, wiederholte Diagnostik und viele Ärzte auf, im Extremfall in einer Art »Doctor-(S)hopping« in der Hoffnung, endlich auf den »richtigen« Arzt zu stoßen, der die bislang unerkannte Krankheit entdeckt.
Krankheitsphobie: Vermeidung von Arztkontakten – zu wenig Selbstfürsorge
Andere Betroffene befürchten ständig, krank zu sein, vermeiden aber jede aktive Auseinandersetzung damit, insbesondere Arztbesuche, und versuchen sich aktiv abzulenken. Dies hat Ähnlichkeiten mit phobischer Vermeidung (»Wenn im Fernsehen was über Krankheiten kommt, muss ich umschalten, sonst steigere ich mich da rein«). Die Folge kann sein, dass medizinisch sinnvolle und notwendige Untersuchungen unterlassen werden. Sollte den körperlichen Symptomen tatsächlich eine schwere Erkrankung zugrunde liegen, so würde diese nicht erkannt.
Patienten mit hypochondrischen Ängsten suchen selten direkte Hilfe bei einer Psychotherapeutin, sondern konsultieren in der Regel organmedizinische Ärzte und stellen diese dabei vor häufig große Herausforderungen, sodass die Patienten in hausärztlichen Praxen zwar häufig, aber nicht »beliebt« sind. Neben der erhofften Entlastung führen die Arztbesuche oft zu weiterer Verunsicherung, nach folgenden Mustern:
• »Sie sind körperlich gesund, aber ich würde Ihnen eine Psychotherapie empfehlen«: Der Patient fühlt sich als »Simulant« oder »eingebildet krank« abgestempelt.
• Oder: »Da ist nichts, aber sicherheitshalber empfehle ich noch folgende Untersuchungen«: »Wenn der Arzt sich nicht sicher ist, dann habe ich vielleicht doch was Ernsthaftes …«.