Читать книгу Das dunkle Reich - Darius Dreiblum - Страница 10

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7. Kapitel

Devius hatte sich nach der Chefarztvisite alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen und intensiv das Für und Wider abgewogen. Schließlich traf er eine Entscheidung und ging zu Oberarzt Dr. Hartmann, um ihn darüber zu informieren und um seine Entlassung zu bitten. Nachdem die Diagnostik nicht Greifbares ergeben hatte und er nun große Zuversicht in die Kräfte und Fähigkeiten von Silvia Adler hatte, wollte er dieses Risiko auf sich nehmen.

Dr. Hartmann war zwar sichtlich überrascht über seinen Wunsch, zeigte dann aber doch nach Devius Erklärung ein gewisses Verständnis dafür. Als er seine Entlassungspapiere erhalten hatte, besuchte Devius nochmal Anton Müller in seinem Zimmer und verabschiedete sich voller Herzlichkeit von ihm. Irgendwie war ihm der alte Herr in der kurzen Zeit, in der sie sich das Zimmer geteilt hatten, ans Herz gewachsen.

Jetzt war aber der Augenblick des Aufbruchs für Devius gekommen. Er hatte neue Hoffnung geschöpft und spürte in seinem Herzen, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Als er nun vor die Tür der Klinik trat und dort von einer Wand aus schwül heißer Luft empfangen wurde, war es schon kurz nach Mittag. Kaum war er nach draußen getreten, hatte er bereits eine Schicht Schweißtropfen auf seiner Stirn stehen. Sein wichtigstes Ziel war jetzt, Kontakt zu Silvia Adler aufzunehmen. In sie setzte er nun alle seine Erwartungen. Also machte er sich auf den Weg in Richtung seiner Wohnung, um von dort aus in aller Ruhe mit ihr zu telefonieren.

Doch nur wenige Meter entfernt wartete eine schicksalhafte Begegnung auf ihn. Als er in eine kleine einsame Seitenstraße, nicht weit entfernt von der Klinik, einbog, wurde die Ruhe der mittäglichen Hitze durch einen lauten und verzweifelten Hilfeschrei zerschnitten. Diesen Schrei hatte eine junge hübsche Frau ausgestoßen, die er dort auf dem Gehweg liegen sah und die sich in einer Rangelei mit einer Frau mittleren Alters befand. Die beiden Frauen schienen um den Besitz von etwas zu kämpfen, was die jüngere Frau um ihren Hals trug. Devius fiel im gleichen Augenblick auf, dass die ältere von den beiden Frauen etwas Dunkles und Gefährliches an sich hatte, was ihn dazu drängte, der jungen Frau um jeden Preis helfen zu wollen.

Daher rannte er so schnell er konnte auf die beiden Frauen zu. Der Kampf schien inzwischen schon fast zugunsten der älteren Frau entschieden zu sein, als er die beiden atemlos erreichte und es ihm gelang, die beiden Frauen voneinander zu trennen. Im gleichen Augenblick wandte sich ihm die ältere Frau zu und fauchte ihn hasserfüllt an. Die Fremde erinnerte Devius dabei an eine wilde Furie.

Gerade hatte er den Eindruck, dass sie sich voller Abscheu auf ihn stürzen wollte, da machte sie erneut den Versuch, der jungen Frau mit brutaler Gewalt ihre Kette vom Hals zu reißen. Wieder musste Devius eingreifen. Nachdem die Fremde merkte, dass ihr Opfer nicht mehr allein war, sondern tatkräftig von Devius unterstützt wurde, gab sie doch noch auf. Sie stieß Devius brutal zu Seite und rannte dann schnell weg. Devius überlegte kurz, ob er die Verfolgung aufnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Er wollte lieber bei der jungen Frau zu bleiben, da sie sehr hilflos und angeschlagen aussah.

Devius half nun der jungen Frau, die immer noch sehr wackelig war, wieder auf die Beine. Dann hob er all die Dinge, die aus ihrer Handtasche gefallen waren, auf und machte sie zurück in die Tasche. Erst als er ihr die Handtasche zurückgeben wollte, nahm Devius die junge Frau, die ihn dankbar anlächelte, etwas genauer in Augenschein.

Devius hatte noch nie so ein nettes und einnehmendes Lächeln, wie das von ihr gesehen. Aber nicht nur das, die junge Frau erschien ihm mit ihrem hübschen Gesicht und ihren langen lockigen blonden Haaren fast wie ein Engel. Devius konnte sich kaum sattsehen an ihr und vergaß völlig seine Umgebung, als er ihr in ihre strahlenden blauen Augen schaute und darin beinahe versank. Erst als die junge Frau

„Danke für Deine Hilfe, aber könntest Du mir jetzt meine Tasche wiedergeben?“ sagte, kehrte Devius in das Hier und Jetzt zurück.

„Aber natürlich, entschuldige bitte, ich war etwas in Gedanken.“ und ließ ihre Handtasche, die er bis dahin fest umklammert hielt, los.

„Das habe ich bemerkt, ich heiße übrigens Clarissa“, entgegnete die junge Frau mit einem leicht ironischen, aber trotzdem bezaubernden Lächeln.

„Es freut mich sehr Dich kennen zu lernen, auch wenn die Umstände etwas unglücklich waren. Ich bin Devius. Ist alles in Ordnung mit Dir? Kann ich noch irgendwas für Dich tun oder soll ich Dich noch ein Stück begleiten?“

„Ja, das wäre sehr nett, ich war auf dem Weg zur Neurologischen Klinik, um dort meine Großmutter zu besuchen, ehe diese Verrückte auftauchte und mich überfiel.“

„Weißt Du eigentlich, was sie von Dir wollte? Sie sah ja nicht unbedingt wie eine Straßenräuberin aus.“

„Diese Frau verfolgt mich jetzt schon seit mehreren Wochen und wollte mir anscheinend das Amulett stehlen, das eigentlich meiner Großmutter gehört und das ich heute in ihrem Haus wiedergefunden habe.“

„Kannst Du Dir erklären warum? Ist das Amulett denn so wertvoll?“

„Keine Ahnung, aber offenbar hat es einen besonderen Wert für sie. Trotzdem hoffe ich, sie hält sich zukünftig von mir fern“

„Nun, ich denke, wenn so etwas besonders an dem Amulett ist, dass sie Dich deswegen mehrere Wochen lang verfolgt und dich dann sogar überfällt, als sie sicher ist, dass es sich in Deinem Besitz befindet, wird sie nicht so schnell aufgeben. Vielleicht solltest Du sicherheitshalber mit der Polizei sprechen.“

„Ja, daran hatte ich auch schon gedacht, aber dann ist der Schlaganfall meiner Großmutter dazwischen gekommen. Ihr geht es so schlecht, dass es für mich sehr wichtig ist, dass ich in ihrer Nähe bleibe und sie meine Anwesenheit spürt, auch wenn sie schläft.“ Die beiden waren inzwischen vor dem Eingang der Neurologischen Klinik angekommen und mussten sich nun voneinander verabschieden.

„Nochmals vielen Dank für Deine Hilfe, Devius, aber ich kann meine Großmutter nicht länger warten lassen.“

„Ja, das verstehe ich. Ich muss auch noch etwas Wichtiges erledigen. Aber vielleicht können wir uns bald mal wieder treffen?“

„Klar, gerne. Vielleicht können wir schon heute Abend was zusammen machen. Du kannst mich ja nachher anrufen.“ Clarissa gab Devius zum Abschied einen Kuss auf die Wange und ehe sie endgültig die Klinik betrat, auch noch ihre Telefonnummer. Devius konnte sein kaum Glück fassen. Eine so tolle Frau wie Clarissa hatte er noch nie kennengelernt. In ihm schien ein Feuer entfacht worden zu sein, das seine Seele zum Leuchten brachte. Ja, Devius machte in der Tat den Eindruck von innen zu glühen.

Aber leider gab es wirklich noch ein paar Dinge, die er dringend erledigen musste. Die wichtigste Aufgabe war die Kontaktaufnahme zu Silvia Adler. Er holte das Blatt, auf dem Anton ihm die Adresse von Silvia Adler aufgeschrieben hatte, aus seiner Tasche und entschied sich nun spontan, direkt bei ihr vorbeizugehen und zu versuchen, einen Gesprächstermin mit ihr zu vereinbaren. Die Praxis von ihr war in der Goethestraße, also knapp zwanzig Minuten Fußweg entfernt. Da er keine Lust hatte, bei dieser Hitze öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, entschied er sich zu laufen.

Das bereute er allerdings schon nach kurzer Zeit. Die Sonne schien direkt senkrecht auf ihn herab und ließ jeden seiner Schritte immer schwerer und schwerer werden. Der Schweiß floss in Strömen sein Gesicht und seine Arme und Beine herunter und er konnte es kaum fassen, als er nach mehr als dreißig Minuten die Praxis von Silvia Adler doch noch erreichte. Dort betrachtete er zunächst das imposante Haus vor sich, ehe er schließlich an der antik wirkenden Haustür klingelte. Bei dem Haus handelte es sich um ein mehrstöckiges Stadthaus aus der Gründerzeit, das sehr ansprechend hergerichtet und renoviert worden war und damit auf den guten Geschmack der Besitzerin schließen ließ.

Nachdem er der Sprechanlage seinen Namen und sein Anliegen anvertraut hatte, wurde ihm recht schnell die Tür geöffnet. Im kühlen Flur der Praxis begrüßte ihn dann Silvia Adler persönlich und gab ihm ihre Hand. Sie war eine großgewachsene schlanke Frau mit langen grauen, fast schon weißen Haaren, die hinter ihrem Kopf streng zu einem Knoten zusammen gebunden waren. Ihr Gesicht war mit Falten übersät, wobei die Lachfalten am ausgeprägtesten waren. Am eindrucksvollsten waren aber ihre leuchtend dunkelgrünen Augen, die eine große Stärke ausstrahlten. Sie lächelte Devius freundlich an und machte einen sehr sympathischen, gleichwohl auch wissenden Eindruck auf ihn. Dann begann sie mit einer tiefen und wohlklingenden Stimme fast schon beschwörend auf ihn einzureden:

„Devius Melzer, ich warte schon sehr lange darauf, Dich kennenzulernen und Dich in eine Reihe von dunklen Geheimnissen einweihen zu können. Alles deutete zwar darauf hin, dass Du eines Tages den Weg zu mir finden würdest, aber unklar war, ob dies noch rechtzeitig geschehen würde. Daher freut es mich ungemein, dass wir noch ein wenig Zeit haben, ehe die Dunkelheit die vollkommene Macht erlangt, und es dadurch möglich ist, Dich noch auf das vorbereiten zu können, was Dich auf Deiner langen Reise erwarten wird.“

Devius war sehr verblüfft, über das was Silvia Adler da gerade zu ihm sagte. Sie hatte ihn schon erwartet, wie konnte das denn sein? Und was sprach sie da von einer langen Reise? Er war doch hoffentlich nicht unbeabsichtigt in die Fänge einer Irren geraten.

„Tja, ich muss schon sagen, dass ich etwas überrascht bin, das zu hören. Hatte denn Anton Müller bereits mit Ihnen gesprochen und Ihnen gesagt, dass ich Ihre Hilfe benötige?“

„Nein, Devius, Anton ist zwar ein guter Freund von mir, aber leider habe ich von ihm schon eine ganze Weile nichts mehr gehört. Geht es ihm denn gut?“

Dies musste Devius zu seinem großen Bedauern verneinen und erzählte Silvia Adler nun kurz von Anton Müllers Leidensweg seit dem Verlust des beschützenden Ringes. Das Gesicht der älteren Frau nahm daraufhin einen sehr betrübten Ausdruck an und dann sagte sie:

„Es tut mir sehr leid, das zu hören. Und gleichzeitig bedaure ich es sehr, dass ich vor lauter Freude über Dein plötzliches Erscheinen, bei Dir zu viel Wissen über gewisse Zusammenhänge vorausgesetzt und Dich dadurch ein wenig überrumpelt habe. Woher oder von wem solltest Du denn die Wahrheiten über die Welt des Lichts und das Reich der Dunkelheit erhalten haben? Ich vermute, Dein Vater war in dieser Beziehung eher zurückhaltend, oder? Daher lass uns doch in mein Sprechzimmer gehen, damit ich ein wenig von meinem Wissen mit Dir teilen kann. Wärst Du dazu bereit?“ Devius fragte sich nun zu recht, was sein Vater mit all dem zu tun hatte, war aber auch gleichzeitig neugierig darauf zu erfahren, was Silvia Adler ihm erzählen würde. Daher nickte er als Antwort und folgte ihr immer noch sichtbar von Misstrauen erfüllt in ihr Sprechzimmer.

Silvia Adlers Sprechzimmer war ein großer Raum, der abgedunkelt war und von einer Reihe von Kerzen beleuchtet wurde. Seine Wände waren teracottafarben geschlemmt und gaben dem Raum eine behagliche Atmosphäre. Außerdem glaubte Devius auch das Aroma von Räucherkerzen wahrzunehmen. In der Mitte des Raumes standen ein bequem aussehendes Sofa und zwei Ohrensessel, auf die Silvia Adler nun deutete. Etwas Abseits stand der Schreibtisch seiner Gastgeberin, der ziemlich chaotisch aussah und voll von Büchern, Zeitschriften und losen Blättern war.

Als Devius sich hingesetzt hatte, gab ihm Silvia Adler ein großes Glas Wasser, das er gierig leertrank. Erst in diesem Moment merkte er, wie durstig ihn sein Spaziergang durch die brennende Sonne gemacht hatte.

Dann fing seine Gastgeberin an zu sprechen.

„Devius, ich möchte Dir erst einmal ein paar grundlegende Dinge erklären, ehe ich zu den wichtigen Einzelheiten komme. Wir leben in der Welt des Lichts. Unsere Welt wird seit Anbeginn der Zeit durch die Sonne mit Energie und Nahrung versorgt. Aber unsere Welt ist nicht die einzig existente Welt. Unbemerkt von den meisten Menschen besteht neben unserer Welt eine andere Welt, eine Welt der Dunkelheit und der Schatten. Die Bewohner dieser anderen Welt haben schon immer mit Neid und Missgunst auf unsere Welt geschaut und versucht die schlechten und dunklen Eigenschaften der Menschen zu fördern und damit immer mehr an Macht und Einfluss zu gewinnen. Gleichzeitig herrschte aber auch lange Zeit eine Art Gleichgewicht zwischen unseren beiden Welten. Dieses Gleichgewicht ist nun aber schon seit einer ganzen Weile gestört. Daher besteht die Gefahr, dass unsere Welt des Lichts durch das Reich der Dunkelheit zerstört oder zumindest unterjocht wird. In dem Buch der dunklen Wahrheiten wird davon gesprochen, dass ein junger Held aus der Welt des Lichts in das Reich der Dunkelheit gelangen wird, um die Welten wieder in Einklang zu bringen. Und dieser junge Held bist nach Deutung aller Zeichen Du, Devius.“

Devius Gesicht hatte im Verlauf der Beschreibungen von Silvia Adler einen zunehmend zweifelnden Ausdruck angenommen. Schließlich nach dem Ende des letzten Satzes schüttelte er dann verneinend den Kopf und sagte:

„Frau Adler, ich bin zu ihnen gekommen, um mich von Ihnen von meinen quälenden Alpträumen kurieren zu lassen und nicht, um von Ihnen zu erfahren, dass ich dazu auserwählt bin, die Welt vor irgendwelchen dunklen Ungeheuern zu retten. Sie müssen doch zugeben, dass die Geschichte, die sie mir erzählt haben, eher in ein Märchenbuch als in die heutige Zeit passt. Wo soll denn diese Welt sein, von der Sie da sprechen, wenn sie uns so nah ist?“

„Devius, natürlich ist es mir bewusst, dass das alles ziemlich unglaubwürdig klingt. Aber andererseits solltest Du vielleicht mal versuchen, auf Deine innere Stimme zu hören und Dich zu bemühen zu verstehen, was sie Dir sagen will. Könnte es nicht sein, dass Dir Dein Gefühl sagt, dass es sehr seltsam ist, seit sechs Wochen jede Nacht den gleichen Alptraum zu träumen und jeden Morgen mit der Gewissheit aufzuwachen, dass in naher Zukunft etwas Furchtbares geschehen wird. Oder ist es nicht merkwürdig, dass dieser Traum eine so große Angst bei Dir auslöst, obwohl Du Dich nur an einen Bruchteil von ihm erinnern kannst? Mal abgesehen, von irgendwelchen Anfällen, die Du erleidest, wenn Du zufällig Dein Ebenbild in einem Spiegel betrachten willst.“

Devius war während Silvia Adler sprach zunehmend blasser geworden und immer tiefer in seinem Stuhl versunken .Er musste innerlich zugeben, dass er ihre Argumentation nicht mehr so vorbehaltlos wie eben noch zurückweisen konnte. Sie hatte bei ihm eine Saite zum Erklingen gebracht und die hörte nicht mehr auf zu schwingen. Außerdem wusste sie doch weit mehr von ihm, als sie eigentlich hätte wissen können. Doch wirklich Glauben schenken konnte er ihr deswegen trotzdem noch nicht. Vielleicht hatte sie von irgendjemand diese Informationen erhalten, mit denen sie ihn eben verblüfft hatte. Ja, er konnte sich mittlerweile sogar denken von wem. Jasper, diese unzuverlässige Plaudertasche. Was hatte er sich nur dabei gedacht, Dinge, die er ihm anvertraut hatte, einfach so auszuplaudern?

„Ich weiß zwar nicht, woher Sie diese Informationen haben, aber wirklich beweisen tut dies nichts. Es tut mir leid, aber ich kann Ihrer Geschichte keinen Glauben schenken.“

„Nun gut, wenn Du mir immer noch nicht glaubst, dann muss ich doch noch mehr preisgeben, als ich es bisher vorgehabt hatte.“ Kaum hatte Silvia Adler das gesagt, stand sie auch schon auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Dort öffnete sie eine der Schubladen, kramte etwas und holte kurz darauf einen kleinen flachen Gegenstand hervor, der in ein dunkelrotes Tuch eingewickelt war. Sie legte das Tuch mit dem Gegenstand auf den Tisch vor Devius und wickelte ihn nun vorsichtig aus. Es war das kleine Bruchstück eines alten Spiegels, das nun glänzend vor ihm auf dem Tisch lag. Jetzt hörte er, wie die ältere Dame etwas in einer fremden Sprache murmelte und schon begann die kleine spiegelnde Fläche bläulich zu schimmern und schien durchlässig zu werden. Devius konnte kaum glauben, was er da sah, und hielt es zunächst für einen billigen Zaubertrick.

Aber dann näherte sich seine Hand wie im Traum dem Bruchstück des Spiegels. Je näher seine Hand kam, desto nervöser wurde er. Gleichzeitig spürte er aber auch das große Verlangen, sie zu berühren. Als nur noch wenige Zentimeter zum Erreichen der glänzenden Fläche fehlten, merkte Devius wie ihm der Schweiß auf der Stirn stand und seine Hand unkontrolliert zitterte. Kurz bevor er sie dann endgültig berührte, blickte er auf und schaute Silvia Adler fragend an. Diese schenkte ihm ein offenes Lächeln und nickte dann zustimmend. Jetzt tat Devius, wovon er jede Nacht träumte. Er berührte den Spiegel mit seiner Hand. Im selben Augenblick spürte er, wie dessen Oberfläche nachgab und zwei seiner Finger in sich aufnahm. Aber nicht nur das. Plötzlich fühlte Devius wie seine Finger Stück für Stück von dem Spiegel aufgesogen wurden und er immer mehr Kraft aufwenden musste, damit nicht seine komplette Hand darin verschwand. Dies wurde ihm dann schließlich doch Zuviel. Ein panisches Gefühl ergriff von ihm Besitz und dann konnte er es nicht mehr verhindern und musste er augenblicklich seine Finger wieder aus der leuchtenden Fläche herausziehen.

Kaum war das geschehen, verlor das Bruchstück des Spiegels seine Durchlässigkeit und sah es wieder wie ein herkömmlicher Spiegel aus. Devius schüttelte seinen Kopf, um die leichte Benommenheit, die ihn erfasst hatte, los zu werden und um sich bewusst zu werden, was soeben passiert war. Mit so etwas hatte Devius in seinem ganzen Leben nicht gerechnet. Vielleicht hatte er schon einmal davon geträumt, aber dass es Wirklichkeit werden könnte, hätte er niemals für möglich gehalten. Es gab so etwas wie Zauberei und es gab diese andere Welt, daran bestand nun kein Zweifel mehr.

Jetzt blieb ihm nichts anderes mehr übrig als Silvia Adler zu glauben.

„Das war ein unglaubliches Erlebnis. Ich konnte mit meinen beiden Fingern auf der anderen Seite des Spiegels einen kalten Windhauch spüren, so als ob sie durch ihn in eine andere Welt gelangt waren. Ist das alles wirklich wahr oder habe ich das alles nur geträumt? Und wie haben Sie es geschafft, diesen Übergang zu schaffen?“

„Es ist wirklich so, wie es sich bei Dir angefühlt hat, Devius. Du hast eben zum ersten Mal mit Deinen Fingern die Kälte des dunklen Reiches gespürt. Aber das war nur der erste Schritt. Bald wirst Du persönlich dorthin gelangen, um Deine großen und schwierigen Aufgaben zu erfüllen.“

„Glauben Sie wirklich daran, dass ich dazu ausersehen bin, unsere Welt vor dem Reich der Dunkelheit zu retten. Wie soll ich das bewerkstelligen? Ich bin ein ganz normaler Mensch, ohne besondere Fähigkeiten, und wäre den Mächten in dieser anderen Welt hilflos ausgeliefert.“

„Da sprichst Du sicherlich die Wahrheit, Devius. Du bist ein ganz normaler junger Mann. Doch anders als Du denkst, hast Du wie jeder andere Mensch auch einige besondere Fähigkeiten, die der Menschheit insgesamt aber schon seit Urzeiten nicht mehr bewusst sind und die sie deshalb auch nicht mehr bewusst anwenden kann. Eine dieser Fähigkeiten nennen manche Intuition, andere die Fähigkeit Dinge vorauszusehen. Eine andere Kraft ist die Dinge so zu beeinflussen, wie Du das möchtest, was andere vielleicht Hexerei nennen würden.

Meine Aufgabe ist es, Dir ein paar grundlegende Dinge zu vermitteln, so dass Du Deine Potentiale wieder entfalten kannst und damit gegen die Gefahren gewappnet bist, die auf Dich lauern werden. Aber ich kann Dich nicht alles lehren. Ein paar wesentliche Dinge musst Du selbst herausfinden. Meinst Du, Du kannst Dich darauf einlassen?“

Devius, der nach diesem außergewöhnlichen Erlebnis Silvia Adler fast alles glauben würde, brauchte sich es nicht lange auszumalen, wie faszinierend es sein könnte, über ganz besondere Kräfte und Fähigkeiten zu verfügen, daher sagte er voller Enthusiasmus zu ihr:

„Ja, auf jeden Fall und wann fangen wir damit an?“

„Am besten gleich, wenn Du etwas Zeit mitgebracht hast.“

„Das habe ich.“

„Gut, dann machen wir dort weiter, wo wir vorhin aufgehört haben. Wenn es Dir, wie im Buch der dunklen Wahrheiten beschrieben, geglückt ist, in das dunkle Reich zu gelangen, werden die meisten dort Dir misstrauisch oder sogar feindselig gegenüber stehen. Du musst damit rechnen, ständig in irgendwelche Kämpfe oder Rangeleien verwickelt, ja vielleicht sogar getötet zu werden.

Also solltest Du es Dir zu Herzen nehmen, Dich unauffällig zu verhalten und Dich bei Bedarf zu verstecken. Deine Ziele im dunklen Reich sind der Fluss des Vergessens, das Dorf der Erinnerung und der Berg der Versuchung. An jedem dieser Orte musst Du eine wichtige Aufgabe erfüllen. Welche das genau sind, kann ich Dir aber nicht sagen. Zur Bewältigung dieser drei Aufgaben benötigst Du die sieben Zauber des Lichts, die ich Dir noch lehren werde. Aber verlass Dich niemals allein darauf. Höre immer auf Deine innere Stimme und was sie Dir zu sagen hat. Lass Dich nicht von Dingen blenden, die vorgeben etwas anderes zu sein als sie wirklich sind. Glaube immer an Dich und Deine Fähigkeiten. Aber was am wichtigsten ist. Bewahre dir Deine Fähigkeit andere zu lieben, denn die Liebe ist wie ein helles Licht und Licht ist im dunklen Reich unabdingbar zum Überleben für Dich.“

„Gut und wie komme ich in das dunkle Reich?“

„Das ist eine der Dinge, die ich Dir leider nicht sagen kann, denn die Beschwörung, die ich eben ausgeführt habe, wirkt nur auf sehr kleine Spiegelflächen, bei größeren zeigt sie dagegen keine Wirkung. Aber es gibt einen, der diesen Zauber beschwören kann.“

„Wer ist das und wo finde ich ihn?“

„Es ist Dein Vater, Johannes Melzer. Dein Vater kann Dir erklären, wie Du in das dunkle Reich gelangen kannst, denn er war vor langer Zeit schon einmal dort.“

„Was, mein Vater? Aber mein Vater hat Alzheimer und kann kaum noch einen vernünftigen Satz von sich geben, ganz zu schweigen von der Beschreibung, wie ich das dunkle Reich finden kann.“

„Doch, Devius, das kann er und er wird es auch tun, schon allein aus Liebe zu seinem Sohn.“ sagte Silvia Adler nun voller Überzeugung und mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen.

Nun begann Devius doch wieder an dem, was Silvia Adler ihm erzählt hatte, zu zweifeln. Sein Vater sollte ihm den Weg in das dunkle Reich beschreiben. Das war ein ziemlich abwegiger Gedanke. In was für eine verrückte Geschichte war er da nur reingeraten? Konnte er Silvia Adler wirklich vertrauen? Andererseits hatte er aber heute Nachmittag schon viele andere unglaubliche Dinge gehört und gesehen, da kam es auf diese eine auch nicht mehr an.

„Um dieses Wissen von Deinem Vater zu erlangen, musst Du ihm allerdings etwas von der geistigen Energie zurückgeben, die er in den letzten Jahren verloren hat. Damit Dir das gelingt, benötigst Du einen ganz besonderen Gegenstand.“

Nun stellte Silvia Adler ein sehr alt wirkendes Holzkästchen auf den Tisch, holte einen daumenstarken Quarzstein, der in feinstes Silber gefasst war und an einer silbernen Kette hing, aus dem mit rotem Samt beschlagenen Innern hervor und legte ihn in Devius Hand. Dann sagte sie in einem feierlichen Tonfall:

„Nimm diesen Stein am heutigen Tag von mir entgegen und trage ihn ab jetzt und für immer bei Dir. Er wird Dir Heilung bringen, wenn Deine Seele vor finsteren Qualen schreit und Dir leuchten, wenn Dein Herz voller Dunkelheit ist.“

Als das Amulett in Devius Hände glitt, gab der Stein im gleichen Moment ein sanftes Leuchten von sich und spürte Devius wie sich eine angenehme Wärme im Inneren seines Körpers ausbreitete. Er war auf einmal sehr zuversichtlich, dass er die Aufgaben, die ihm im dunklen Reich erwarteten, ohne Probleme erfüllen konnte. Noch ahnte er allerdings nicht, dass ihm das vielleicht nie gelingen würde und unter Umständen ein tödliches Schicksal dort auf ihn wartete.

Silvia Adler beobachtete nun fasziniert, welche Wirkung die Berührung von Devius auf den Stein hatte und fuhr dann mit ihren Schilderungen fort:

„Es ist die gleiche Art von Stein, die ich auch Anton Müller damals gegeben hatte, um ihn von seinen Alpträumen zu befreien. Dein Stein birgt allerdings noch erheblich mehr Kräfte. Es ist einer der stärksten Rutilquarze, der sich jemals in Menschenhand befand. Von seiner Art gab es seit Beginn der Zeit insgesamt nur sieben Stück auf der ganzen Welt. Inzwischen sind aber nur noch er und ein anderer Stein übrig. Die anderen Steine wurden von den Halbwesen des dunklen Reiches zerstört oder gestohlen. In ihm sind Kräfte verborgen, die die menschliche Vorstellungskraft sprengen. Mit ihm kannst du fast jede Art von Zauber beschwören.“

Devius Augen nahmen nun einen begeisterten Glanz an:

„Mit der Kraft des Steines kann ich auch meinen Vater heilen?“

„Nein, heilen, das wäre wahrscheinlich zu viel gesagt. Du kannst damit Teile seines Gehirnes wieder aktivieren und in diesen Hirnarealen Energieflüsse ermöglichen, die die gewünschten Erinnerungen wieder zum Vorschein zu bringen.“, erklärte ihm Silvia Adler.

„Jetzt aber erst einmal genug davon. Wir sollten nun damit anfangen, mit den ersten Übungen zu beginnen. Der Zauber, den ich Dir zuerst beibringen werde, ist der Zauber der Unsichtbarkeit. Um diesen und die anderen Zauber, die ich Dir in den nächsten Tagen noch lehren werde, durchführen zu können, ist es notwendig, dass Du Dich in einen Zustand höchster Konzentration versetzen kannst, unabhängig davon, was in Deiner Umwelt in diesem Moment vorgeht. Alle Zauber des Lichts können nur durch das Zusammenspiel von Geist, Stein und Stimme beschwört werden.“

Nach dieser knappen Einführung beschäftigten sich Devius und Silvia Adler den ganzen Nachmittag über mit Atem- und Konzentrationsübungen, die Voraussetzung für das Erlernen der Zauber des Lichts waren. Devius hatte noch niemals Yoga oder etwas Ähnliches praktiziert, daher fiel es ihm schwer, sich auf Anhieb zu entspannen oder sich so zu konzentrieren, dass er ganz in sich selbst aufging und seine Umwelt vergaß. Dabei spielte es aber sicherlich auch eine Rolle, dass Devius schon immer ein sehr nachdenklicher Mensch gewesen war und jetzt die Verantwortung spürte, die wie ein großer Stein auf seinen Schultern lag und drohte ihn zu erdrücken.

Es gab wahrlich genug finstere Wesen und eine Vielzahl von dunklen Kräften, die ihre Ohren spitzten und aufhorchten, angesichts der Dinge, die in Silvia Adlers Hause vorgingen. Sie hatten nicht vor, Devius ungehindert seinen Weg gehen zu lassen, nein, nie und nimmer.

Das dunkle Reich

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