Читать книгу Das dunkle Reich - Darius Dreiblum - Страница 4

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1. Kapitel

Devius schaute aus dem Fenster und beobachte, wie die Sonne langsam aufging. Es würde wieder ein heißer Tag werden. So heiß, dass einem jede Bewegung und jeder Gedanke dadurch schwer fiel. Das ging schon seit Wochen so. Keine Aussicht auf Abkühlung. Selbst die Nächte waren kaum noch zu ertragen. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen und einen wehmütigen Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Gestalt wirkte gebeugt und kraftlos. Seine schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Da war er sich sicher. Wie so oft in letzter Zeit, waren seine Gedanken mit Kummer erfüllt. Jeden Morgen wurde er von einem Alptraum aus dem Schlaf gerissen, der ihn atemlos und voller Angst erwachen ließ. Doch das war nicht das Einzige, was ihn quälte. Er hatte dunkle Ahnungen. Ahnungen, dass bald etwas Furchtbares geschehen würde. Doch er wusste nicht, was ihn dazu brachte, das zu denken. Zweifelte langsam an seinem Verstand.

Jede Nacht schlich sich der Alptraum erneut in seinen Kopf und jeden Morgen wachte er davon auf und konnte sich nur an Bruchstücke davon erinnern:

Er befand sich in einem dunklen Raum, in dem er nur Umrisse und Schatten wahrnehmen konnte. Je weiter er in den Raum vordrang, desto unruhiger wurde er. Während seine Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen, hörte er einen leisen monotonen Gesang.

Als er sich in diese Richtung wandte, sah er dort ein sanftes dunkelblaues Leuchten, das aus einer spiegelnden Fläche an der Wand entsprang. Dieses Leuchten zog ihn unerklärlich an, wirkte gleichzeitig aber auch bedrohlich auf ihn. Irgendetwas verbarg sich hinter dem Leuchten. Das wusste er. Langsam und zögerlich ging er nun darauf zu. Je näher er der leuchtenden Fläche kam, desto besser konnte er erkennen, dass der Gesang von einer Gruppe von etwa einem Dutzend dunkler Gestalten davor ausging.

Devius lauschte ihnen eine ganze Weile, konnte aber nicht erkennen, aus welcher Sprache die Worte dieses bedrückend und finster klingenden Liedes stammten. Nach und nach kam ihm sogar der Verdacht, dass es gar keine menschliche Sprache war, in der dort gesungen wurde. Das war jedoch nicht das Einzige, was ihm auffiel. Je weiter er ging, desto deutlicher sah er, dass es sich bei der leuchtenden Fläche um einen großen Spiegel handelte, der auf eine seltsame Art und Weise durchlässig erschien.

Devius hatte sogar das Gefühl, dass er mit seiner Hand darin versinken würde, wenn er versuchen würde, diese Fläche zu berühren. Sie vielleicht sogar seinen gesamten Körper aufnehmen würde. Voller Neugierde näherte er sich immer mehr diesem Spiegel und versuchte schließlich, seine Oberfläche zu berühren. Er steckte seine Finger aus und fühlte …

Allerdings endete an dieser Stelle abrupt Devius Erinnerungsvermögen. So sehr und so oft er sich auch bemühte, Licht in das Dunkel seines Gedächtnisses zu bringen, gelang es ihm nicht. Der fehlende Teil seines Alptraumes blieb in tiefer Dunkelheit verborgen. Und das, obwohl er genau wusste, dass genau diese Passage ihm eine Erklärung für seine dunklen Ahnungen liefern würde.

Es fiel ihm immer schwerer sich auf sein Leben zu konzentrieren und seine beruflichen Aufgaben zu meistern. Er war ein angesehener und begabter Grafiker, aber seitdem er zum ersten Mal diesen Traum gehabt hatte, konnte er sich kaum überwinden, die Aufträge, die er für einige Werbeagenturen erledigen sollte, anzufertigen oder auch überhaupt damit zu beginnen.

Ähnlich verhielt es sich mit seinem Privatleben. War er vor nicht allzu langer Zeit noch oft durch die Straßen seiner Heimatstadt Darmstadt flaniert und hatte sein Leben bis zur Neige ausgekostet, so blieb er seit eineinhalb Monaten mehr und mehr zuhause und konnte sich immer seltener dazu bewegen, einen guten Freund zu treffen. Er begab sich in eine Isolation, die immer schwieriger von ihm zu durchbrechen war. Obwohl er im Innersten wusste, dass ihm das nicht gut tat, stand er dem hilflos gegenüber.

Nachdem er sich nach der heutigen Nacht und dem durchlebten Alptraum besonders schlecht fühlte, sagte Devius sich, dass es nicht mehr so weitergehen konnte. Er brauchte Ablenkung, sonst würde er noch verrückt werden. Daher entschied er sich, seinen Freund Jasper anzurufen und ihn zu bitten, mit ihm heute auf Kneipentour zu gehen. Jasper, der ziemlich überrascht, aber auch ehrlich erfreut war, endlich mal wieder von seinem Freund Devius zu hören, meinte:

„Eigentlich sollte ich Dir ja böse sein, dass Du Dich schon so lange nicht bei mir gemeldet hast, aber mir fiel es schon immer sehr schwer, lange zornig auf Dich zu sein, daher kann ich Dir auch gleich zusagen. Ich werde Dich heute Abend um sieben abholen. Aber wage es nicht, mir doch noch abzusagen. Also, bis dann, ich freue mich, Tschau!“.

Nachdem das Telefonat beendet war, musste Devius erst einmal über seinen Freund Jasper lächeln. Ihm gelang es immer wieder, ihn auch in den schlimmsten Momenten noch aufzuheitern. Er war wirklich froh, so einen Freund zu besitzen. Jetzt wusste Devius ganz sicher, dass er eine gute Entscheidung getroffen hatte. Ja, er freute sich darauf, seinen alten Freund endlich mal wieder zu sehen und auch darauf, mit ihm das Nachtleben von Darmstadt mit seinen vielen Studentenkneipen zu genießen. Das hatten sie in der Vergangenheit schon öfters getan. Devius glaubte fest daran, dass ihm dieses Erlebnis wieder auf den richtigen Weg bringen und ihm helfen würde, den lästigen Alptraum zu vergessen. Vorher wollte er aber noch ein wenig schlafen, um ausreichend ausgeruht für den Abend zu sein.

Sobald er es sich auf dem Sofa in seinem kleinen Wohnzimmer bequem gemacht hatte, schlief er auch schon ein und glitt erneut in seinem Alptraum. Schon in der ersten Sekunde des Traumes merkte er allerdings, dass etwas anders war. Jemand befand sich ganz in seiner Nähe. Schien nur darauf zu lauern, ihn zu ergreifen und zu überwältigen. Dieses andere Wesen strahlte eine so große Kälte und so eine starke Bösartigkeit aus, dass er anfing, vor Angst zu zittern. Er wagte kaum zu atmen und musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben. Unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft gelang es ihm schließlich, den Kopf in die Richtung dieses Wesens zu bewegen. Doch es war zu spät. Der Wecker klingelte. Devius wachte völlig von Schweiß durchnässt aus seinem Traum auf. Er hatte die Gestalt nur noch aus den Augenwinkeln erblicken können. Wusste nicht, ob sie Mann oder Frau gewesen war.

Devius versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben, dass es wichtig gewesen wäre, zu erkennen, wer in seinem Alptraum bei ihm gewesen war. Diese Chance war vertan. Nun wollte er sich auf den anstehenden Abend konzentrieren. Er machte sich frisch und zog sich ein paar neue Kleider an. Devius war großgewachsen und hatte schon immer gerne Sport getrieben. Er besaß eine freundliche und höfliche Art, mit anderen umzugehen, was viele Frauen sehr ansprach. Allerdings übte das andere Geschlecht auch eine große Faszination auf ihn aus. Sogar so sehr, dass er manchmal dachte, dass es ein wenig einer Krankheit glich, wenn er vom Liebreiz der Frauen so hingerissen war. Das hing vielleicht auch damit zusammen, dass er ohne Mutter aufgewachsen war.

Zurzeit hatte er allerdings keine feste Beziehung. Im Moment war er auch gar nicht in der Stimmung sich zu verlieben. Seine letzte Liebesbeziehung lag schon ein paar Monate zurück und war ziemlich abrupt auseinander gegangen. Bis zuletzt hatte er gedacht, dass Rebecca seine große Liebe war, aber damit hatte er sich bitterlich getäuscht. Rebecca war eine sehr gutaussehende, rothaarige Frau gewesen. Leider war sie auch verheiratet, weswegen die Beziehung zwischen ihr und Devius nach eineinhalb Jahren auseinanderging. Ihr Ehemann hatte von dem Verhältnis seiner Frau erfahren und machte Devius ziemlich deutlich klar, dass er seine Frau für sich alleine haben wollte. Da Rebecca zu verwöhnt war, um sich ein Leben mit einem armen Künstler wie Devius vorstellen zu können, trennte sie sich von ihm.

Das tat Devius unglaublich weh. Doch insgeheim hatte er schon damit gerechnet. Außerdem versuchte er sich damit zu trösten, dass die Momente mit Rebecca so intensiv gewesen waren, dass er hoffte, noch lange daraus Kraft schöpfen zu können.

Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür und Devius wurde aus seinen Gedanken an Rebecca gerissen. Er schaute kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es schon kurz vor Sieben und aller Wahrscheinlichkeit nach Jasper war, der jetzt schon zum zweiten Mal klingelte. Nachdem Devius die Tür geöffnet hatte, stand Jasper vor ihm und lächelte ihn voller aufrichtiger Zuneigung an. Jasper war sein bester Freund. Er kannte ihn schon seit seiner Schulzeit und hatte glücklicherweise nie den Kontakt zu ihm verloren. Jasper hatte in etwa die gleiche Größe wie Devius, war allerdings blond und hatte fast immer ein verschmitztes Lächeln in seinem mit Sommersprossen übersäten Gesicht. Sein Freund war im Gegensatz zu ihm ein sehr kontaktfreudiger und humorvoller Mensch. Er und Devius ergänzten sich somit auf eine seltsame Art und Weise. Während Devius immer schon eher zurückhaltend, sehr nachdenklich und schon fast menschenscheu war, liebte Jasper es, sich unters Volk zu mischen, neue Leute kennenzulernen und ohne nachzudenken Spaß zu haben.

Devius hatte seinen Freund schon immer dafür bewundert, wie es ihm ohne Schwierigkeiten gelang, andere Menschen auf eine sehr charmante Art für sich einzunehmen und sie dazu zu bringen, ihn zu mögen. Insbesondere bei Frauen gelang ihm das. Durch Jasper hatte Devius fast alle seine Freundinnen kennengelernt und unter anderem auch Rebecca. Jetzt nahm Devius seinen Freund in die Arme:

„Danke, dass Du so spontan für mich Zeit hattest und mich begleiten willst. Es tut mir so leid, dass ich mich so lange nicht bei Dir gemeldet habe, aber mir geht es seit ein paar Wochen nicht besonders gut. Deshalb freue ich mich umso mehr, Dich zu sehen, Jasper. Und wie geht es Dir?“. Jasper verwandelte sein offenes Lächeln in ein breites und verschmitztes Grinsen und sagte:

„Mir geht es doch immer gut, wenn wir uns sehen. Es wurde aber auch langsam Zeit, dass Du Dich bei mir meldest. Sag, was war die ganze Zeit mit Dir los und wieso geht es Dir nicht gut? Nie hattest Du auf etwas Lust, wenn ich Dich angerufen habe. Solche depressiven Phasen bin ich von Dir gar nicht gewohnt. Noch nicht einmal als Rebecca sich von Dir getrennt hatte.“

Devius nickte und erzählte Jasper nun von seinem Alptraum und seiner Wirkung auf seine Leben. Nachdem er geendet hatte, fragte Jasper ihn, warum er ihm das denn nicht schon viel früher erzählt hatte. Darauf konnte Devius ihm keine richtige Antwort geben. Nein, er konnte es einfach nicht erklären. Vielleicht weil er Angst davor gehabt hatte, für verrückt erklärt zu werden.

„Devius, Du weißt doch hoffentlich, dass Du mir alles erzählen kannst, ohne Angst davor haben zu müssen, dass ich mich darüber lustig mache oder Dich für geisteskrank halte.“ meinte Jasper daraufhin mit ernstem Gesicht.

„Aber ich denke, wir können ja später nochmal darüber sprechen. Jetzt sollten wir uns erst mal auf den Weg in Stadt machen.“

Devius bewohnte eine Dreizimmerwohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses in Darmstadt Bessungen, einem der schönsten Stadtteile Darmstadts. Von seiner Wohnung aus blickte man direkt auf den Orangeriegarten und nur ein paar Minuten Fußweg von seiner Wohnung entfernt war eine Haltestelle der Straßenbahnlinie drei. Zu dieser Haltestelle hatten die beiden Freunde vor, sich auf den Weg zu machen.

Kurz vor ihrem Aufbruch wollte Devius allerdings im Bad noch einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild werfen. Dieser Blick dauerte dann aber doch so unvermutet lang, dass Jasper langsam ungeduldig wurde. Er klopfte sachte an die Tür und fragte:

„Alles klar bei Dir, Devius?“ Plötzlich hörte er ein Stöhnen seines Freundes. Jetzt klopfte Jasper mit aller Kraft gegen die Badtür und rief besorgt nach Devius. Es war nichts zu hören. Ein dunkles Gefühl der Besorgnis machte sich rasend schnell in ihm breit. Er versuchte die Badtür aufzudrücken. Einen Spaltbreit konnte er sie öffnen, aber dann wurde sie durch irgendetwas blockiert. Nochmals trommelte Jasper voller Panik heftig mit seinen Fäusten gegen die Tür. Jasper war völlig verzweifelt und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Dann hörte er wie Devius erneut aufstöhnte und rief ihm zu, dass er ein Stück zur Seite rutschen sollte. Sofort versuchte Jasper erneut die Tür zu öffnen und diesmal gelang es ihm. Er sah nun, dass Devius an die Badewanne gelehnt dasaß und einen völlig weggetretenen Ausdruck machte. Er schien nicht bei sich zu sein.

Jetzt fing Devius auf einmal an zu schreien und verdrehte dabei die Augen, so dass nur das Weiße darin zu sehen war. Dabei sah er so verwirrt aus, dass Jasper fast schon Angst vor ihm bekam. Immer wieder schrie er, dass die dunkle Göttin ihn in Ruhe lassen sollte. Dann begann er auch noch, wild um sich zu treten. In jedem Fall war er durch Jasper allein nicht mehr zu bändigen. Dieser entschied daher einen Rettungswagen für seinen Freund zu rufen.

Kurz bevor der Rettungswagen eintraf, beruhigte sich Devius erneut und war er auch wieder besser ansprechbar. Nachdem Jasper seinem Freund etwas zu trinken geholt hatte, fragte Devius ihn, was denn überhaupt geschehen war. Jasper erzählte ihm, dass er völlig von Sinnen gewesen war und dass er während der ganzen Zeit immer wieder etwas von einer dunklen Göttin geschrien hätte. Das nahm Devius mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis.

„Ich kann mich nur noch daran erinnern, in den Spiegel geschaut zu haben, danach hatte ich ein Blackout. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist, aber langsam habe ich Angst, den Verstand zu verlieren, Jasper“

„Das glaube ich, aber ich bin mir sicher, dafür lässt sich eine Erklärung finden. Wichtig ist, dass Du Dich jetzt erst einmal untersuchen lässt. Nicht dass sich hinter Deinem Alptraum und diesem Anfall von eben etwas Schlimmeres verbirgt.“ Devius, der sich noch sehr schwach fühlte, musste seinem Freund recht geben und ließ sich daher ohne Probleme von den inzwischen eingetroffenen Rettungssanitätern mitnehmen.

Auf der Fahrt ins Krankenhaus machte sich Devius sehr viele Gedanken. Was war nur mit ihm los? War er vielleicht gerade dabei wahnsinnig zu werden? Und wer zum Teufel war diese dunkle Göttin? All das beschäftigte ihn, während er in der Notfallambulanz des Krankenhauses aufgenommen wurde. Später als er schon Krankenbett lag, grübelte er noch lange darüber nach. Irgendwann gelang es ihm dann schließlich doch noch einzuschlafen, aber es war kein erholsamer Schlaf, der über ihm seine Flügel ausbreitete und ihn die Dunkelheit zog.

Das dunkle Reich

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