Читать книгу Das dunkle Reich - Darius Dreiblum - Страница 13

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10. Kapitel

Devius war begeistert von dem Wissen der alten Künste, über das Silvia Adler verfügte, und ihre Art, ihm dieses Wissen zu vermitteln. Er hatte von ihr bis spät in die Nacht eine ganze Reihe von Atem- und Konzentrationsübungen erlernt und danach ausgiebig Gelegenheit zum Trainieren dieser Übungen gehabt.

Zwischendurch versuchte er dann noch Clarissa auf ihrem Handy zu erreichen, was ihm aber nicht gelang. Mit Clarissa verband ihn schon nach ihrer ersten kurzen, aber für ihn sehr intensiven Begegnung ein enges Band. Deshalb fing er auch an, sich Sorgen um sie zu machen. Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen in aller Frühe anzurufen. Jetzt fiel Devius aber, nachdem er durch die angenehm milde Nachtluft nach Hause gelaufen war, erst einmal erschöpft in sein Bett und schlief dort fast sofort ein.

Er trug immer noch den Anhänger mit dem Rutilquarz, den er von Silvia Adler erhalten hatte. Der Stein schützte ihn allerdings nicht davor, augenblicklich wieder in seinen altbekannten Alptraum zurückzukehren. Diesmal konnte er sich nach dem Aufwachen allerdings noch an alle Einzelheiten des Traumes erinnern:

Erneut betrat Devius den großen dunklen Raum, den er schon kannte, und wieder brauchte er einen Moment, ehe seine Augen sich an die Dunkelheit dort gewöhnt hatten und er sich darin orientieren konnte. Wie schon erwartet hörte er jetzt links von sich einen leisen monotonen Gesang, wandte sich in diese Richtung und sah dann auch schon die bläulich schimmernde spiegelnde Fläche des großen Spiegels. Wie in den Nächten zuvor trieb ihn eine unbekannte Kraft dazu, sich dem Spiegel immer mehr zu nähern. Gleichzeitig spürte er aber, wie gefährlich diese Annäherung für ihn war und er vielleicht damit sein Leben aufs Spiel setzte.

Immer deutlicher war für ihn nun zu erkennen, dass die Oberfläche des Spiegels durchlässig war und langsam zu zerfließen schien. Auch immer klarer war der Gesang von ihm zu hören, der von einer Gruppe von etwa ein Dutzend dunklen Wesen ausging, die sich vor dem Spiegel in einem Halbkreis angeordnet hatten. Inzwischen war Devius nun dem Spiegel so nahe gekommen, dass er ihn schon fast berühren konnte. Langsam und etwas zögerlich näherte sich seine Hand der leuchtenden Fläche.

Doch ehe Devius die Spiegeloberfläche mit seinen Fingern berühren konnte, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme, die von einer großgewachsenen Gestalt etwas abseits dieser Gruppe ausging und die verkündete:

„Huldigt mir, Eurer dunklen Göttin und lasst die Beschwörung des Zaubers des Vergessens nun beginnen.“ Die dunklen Gestalten begannen nun eine Art Kanon in einer nichtmenschlichen Sprache zu singen, der sehr melodisch, aber gleichzeitig auch abgrundtief dunkel und böse klang. Schon nach wenigen Augenblicken sah Devius als Folge davon eine Art Energiestrahl aus der Mitte des Spiegels kommend in ein riesiges dunkelblaues Kristall fließen, das in der Mitte des Raumes stand.

Je länger und lauter die Wesen die Beschwörung vortrugen, desto intensiver wurde dieser Strahl. Im Schein dieses Energiestrahls sah Devius, wie die Wesen vor dem Spiegel, die jetzt dem Schutz der Dunkelheit entrissen waren, wirklich aussahen und es war ein schrecklicher Anblick. Jeder einzelne von ihnen schien aus einem grauenhaften Alptraum entwichen zu sein. Außerdem wimmelte es in dem Raum nur so von Schmeißfliegen, als ob die in dem Raum versammelten Wesen schon lange tot waren und sich in einem Zustand der fortschreitenden Verwesung befanden.

Als der Energiestrahl unerwartet aus dem Spiegel trat, hatte Devius seine Hand vor Schreck schnell zurückgezogen und war von dem Spiegel in die umliegenden Schatten zurückgewichen. Doch jetzt schien es ihm, dass keine Gefahr von der spiegelnden Fläche ausging und er sich ihr ohne Gefahr nähern konnte. Sobald er dem Spiegel dann erneut so nah war, dass er ihn berühren konnte, hörte er auf einmal ein leises vielstimmiges Stöhnen. Erst war sich Devius unsicher, woher diese gequälten Stimmen kamen, aber als er genau hinhörte, war er sich sicher, dass das Stöhnen auf der anderen Seite des Spiegels seinen Ursprung hatte.

Tatsächlich sah er dort eine Reihe von schlafenden Menschen, die offenbar von den Wesen des dunklen Reiches ihrer Lebensenergie beraubt wurden. Der Energiestrahl, der auf dieser Seite des Spiegels durch den riesigen Kristall aufgefangen wurde, ging von den Köpfen dieser Menschen auf der andere Seite aus und wurde durch den Spiegel gebündelt und konzentriert. Das war für die Opfer wie es schien eine schmerzhafte Prozedur, gleichzeitig wurde aber offensichtlich durch den angewandten Zauber verhindert, dass sie aus ihrem alptraumhaften Schlaf erwachen konnten.

Während Devius wie gebannt die Opfer der Beschwörung beobachtete und überlegte wie er ihnen helfen konnte, bemerkte er nicht, wie sich ihm von hinten langsam eine große Gestalt näherte. Auf einmal fühlte er eine feingliedrige und gleichzeitig kräftige Hand auf seiner Schulter und drehte sich erschrocken herum. Vor ihm stand die Frau, die die Wesen vorhin aufgefordert hatte, mit der Beschwörung zu beginnen und lächelte ihn an. Es war eine sehr großgewachsene attraktive Frau mit aristokratischen Gesichtszügen und langen schwarzen lockigen Haaren, die von Kopf bis Fuß in enganliegendes schwarzes Leder gekleidet war.

Ihr Lächeln war kein freundliches Lächeln, sondern ähnelte eher dem Zähnefletschen eines Wolfes kurz bevor er beginnt sein Opfer zu zerreißen. Nachdem sie sein Erschrecken mit Befriedigung wahrgenommen hatte, begann sie zu sprechen:

„Ah, wie ich sehe haben wir hier einen Menschen aus der Welt des Lichts, der unerlaubt in den Schrein der dunklen Mächte eingedrungen ist, um uns bei unserem Ritual zu beobachten. Und das alles ohne uns vorher um Erlaubnis zu ersuchen. Das darf natürlich nicht unbestraft bleiben. Aber Du machst einen jungen und kraftvollen Eindruck auf mich und steckst sicherlich voller Lebensenergie, mein kleiner Freund. Daher werde ich zur Strafe für Dein unerlaubtes Eindringen ein wenig von Deiner köstlichen Energie zu mir nehmen und Dich danach den Werwölfen zum Fraß vorwerfen. Na, was meinst Du dazu?“

Ehe Devius darauf antworten oder überhaupt sich in irgendeiner Form dagegen wehren konnte, beugte sich die Fremde zu ihm herunter, hielt ihn mit dem eisernen Griff ihrer Hände fest und küsste ihn. Dabei drang ihre Zunge fordernd in seinen Mund ein, suchte die seine und umschlang sie wie eine kleine Schlange. Devius konnte es in diesem Moment nicht verhindern, dass sich ein warmes und angenehmes Gefühl in seinem Schoß ausbreitete. Aber während ihre Küsse immer drängender wurden, spürte er, wie sich eine seltsame Kälte und Taubheit in seiner Brust breitmachte. Gleichzeitig merkte er, wie ihn immer mehr seiner Lebensenergie verließ und er immer schwächer und schwächer wurde.

Was machte sie mit ihm? Wollte sie ihn völlig seiner Kräfte berauben, bis er in ihren Händen starb? Nein, das konnte und wollte er nicht zulassen. Daher nahm er nun all seine verbliebene Kraft zusammen und stieß sie von sich.

„Oh, mein kleiner Freund ist doch etwas stärker als ich dachte.“ sagte sie mit leichten Erstaunen und einem gefährlichen Blitzen in den Augen, nachdem er sie weggestoßen hatte.

„Aber ich bin noch nicht vollkommen gesättigt. Du willst Dich doch nicht etwa weigern, mir noch ein wenig Deiner wohlschmeckenden Kraft zu geben, um meinen Hunger zu stillen, oder? Schließlich bist Du unerlaubt in mein Reich eingedrungen und daher stehst Du in meiner Schuld. Falls Du Dich allerdings weigern solltest, wäre ich gezwungen, Dich einen armseligen und qualvollen Tod sterben zu lassen. Also gib mir einen letzten Kuss, dann ist Deine Schuld beglichen und ich werde ich Dich gehen lassen.“

„Ich hatte aber eher den Eindruck, dass Du mich meiner gesamten Lebensenergie berauben wolltest. Woher soll ich wissen, dass Dein Angebot ernst gemeint ist und Du mich dann wirklich gehen lässt, statt mich endgültig zu töten?“

„Das kannst Du natürlich nicht wissen, aber warum sollte ich Dich betrügen wollen, Du gefällst mir?“ sagte sie in einem verführerischen Tonfall und mit einem aufreizenden Augenaufschlag, während sie sanft mit ihrer linken Hand über seine Wange strich.

Devius Instinkt riet ihm, der dunklen Göttin nicht zu trauen. Er sollte lieber versuchen zu entkommen. Aber wie wollte er das anstellen? Aus den Augenwinkeln sah er, wie immer mehr Wesen in den Schrein der dunklen Mächte strömten, um sich den zwölf Gestalten vor dem Spiegel anzuschließen. Er konnte also unmöglich durch diese Tür fliehen. Einen anderen Ausgang konnte Devius nicht ausmachen, also würde er sich wohl seinem Schicksal ergeben müssen. Aber irgendetwas hatte er übersehen, das fühlte er ganz deutlich. Es musste für ihn doch noch irgendeine andere Möglichkeit der Rettung geben. Davon war er fest überzeugt.

Schließlich fiel ihm doch noch die naheliegendste Lösung ein. Er musste den Spiegel als Fluchtmöglichkeit nutzen. Aber wäre das nicht auch sehr gefährlich? Der Spiegel sah zwar durchlässig aus, aber würde er ihn wirklich in seine Welt zurücktransportieren können? Devius wusste es nicht, also musste er sich auf sein Glück verlassen und es einfach wagen.

Um die Göttin Eris zu täuschen und sich selbst die Möglichkeit zu geben, zu fliehen, gab er ihr in einem schmeichlerischen Tonfall folgende Antwort:

„Ja, da hast Du recht, wie kann man einer so schönen und mächtigen Göttin wie Dir misstrauen. Ich werde Dich ein letztes Mal küssen, um Deinen Hunger zu stillen, und danach mit Deiner Erlaubnis einen Weg zurück in meine eigene Welt suchen.“ Eris lächelte nun geschmeichelt und sagte mit einer zuckersüßen Stimme:

„Gut, mein kleiner Freund, dann sind wir uns ja einig. Nun komm her und küsse mich.“

Devius machte den Anschein, Eris küssen zu wollen, und näherte sich mit seinen Lippen den ihren, um sich dann plötzlich von ihr abzuwenden, zwischen zwei der Halbwesen hindurch auf den Spiegel zuzurennen und schließlich in ihn hinein zu springen. Eris, die in Erwartung des Kusses ihre Augen geschlossen hatte, nahm es erst einen Augenblick später wahr, dass sie Devius betrogen hatte.

Erst als ihre Untertanen von Devius auf seinem Weg zum Spiegel zur Seite gedrängt wurden und darauf mit lauten Protestschreien reagierten, öffnete sie wieder ihre Augen. Als sie nun bemerkte, dass Devius sein Heil in der Flucht suchte, machte sich große Enttäuschung auf ihrem Gesicht breit und schrie sie Devius voller Zorn nach:

„Du undankbarer Wicht, wie kannst Du es wagen, mich so zu enttäuschen und meine Zuneigung so schamlos zurückzuweisen. Mein göttlicher Zorn wird Dich treffen und vernichten. Ich werde Dir meine Diener hinterher schicken, damit sie Deiner habhaft werden und Dich mir in Ketten gelegt zurückbringen. Wenn Du dann wieder hier bist, werde ich Dich so lange quälen, bis Du sabbernd um Gnade winselst und auf Knien Deinen Tod erflehst, Du Sohn einer räudigen Hündin.“

Devius bekam die Abschiedsworte von Eris nur noch am Rande und wie durch Watte gefiltert mit. Nachdem er in den Spiegel eingedrungen war, hatte er das Gefühl, dass sämtliche Moleküle seines Körpers auseinander gerissen wurden, um dann kurz darauf wieder zusammengesetzt zu werden. Der ganze Ablauf erzeugte einen kurzen, aber doch kaum zu ertragenden Schmerz in seinem gesamten Körper. Dann hatte er es aber geschafft und war auf der anderen Seite des Spiegels angelangt.

Devius schüttelte sich kurz und versuchte sich zu orientieren. Er war in einer Art weiß getünchtem Krankenzimmer mit vier Betten und einem kleinen Fenster gelandet. Der Raum war nicht besonders groß und besaß nur eine Tür, die aus massivem Holz zu bestehen schien. Außerdem hing neben der Tür der alte Spiegel an der Wand, durch den er hierher gelangt war. Das vielstimmige Stöhnen, das er vorhin nur andeutungsweise gehört hatte, war jetzt sehr laut zu hören und ging unter anderem von dem Bett aus, neben dem er zurzeit auf dem Boden lag. Um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wo er sich befand, stand Devius nun auf und schaute nach, neben wessen Bett er gelandet war.

Auf einmal schnürte es ihm vor Entsetzen die Kehle zu und ihm wurde ganz hundeelend. In dem Bett lag sein Vater und er war durch irgendjemanden an sein Bett gefesselt worden. Er versuchte ihn zu wecken, aber durch den Zauber, der auf ihn ausgeübt wurde, gelang ihm das nicht. Devius war ganz verzweifelt. Wie konnte er seinen Vater retten? Er wusste es nicht. Devius wusste nur, dass dieser dunkle Zauber noch aktiv war, obwohl er den Energiestrahl nicht mehr wahrnehmen konnte.

Plötzlich hörte Devius ein seltsames energiegeladenes Sirren, das von dem Spiegel ausging, der ihn hierher gebracht hatte. Der Spiegel, der nach seiner Ankunft hier wieder fest geworden war und seitdem wie ein ganz normaler Spiegel aussah, verfärbte sich erneut bläulich und wurde wieder durchlässig. Devius ahnte, was das zu bedeuten hatte. Eris hielt ihr Versprechen und schickte ihm ihre Häscher nach. In ihm machte sich nun eine große Angst breit. Um nicht in Ketten gelegt und einer zornigen Göttin als Opfer gebracht zu werden, musste er schnellstmöglich von hier verschwinden.

Aber ehe es dazu kam, sprangen schon zwei dunkle Wesen aus dem Spiegel und versperrten Devius den Weg. Als dann auch noch vier weitere von Eris Vasallen durch den Spiegel in das Zimmer gelangten und ihn einkreisten, wusste Devius, dass nun sein Ende gekommen war. Devius war zwar einigermaßen gut trainiert, aber gegen sechs mit Kurzschwertern, Krallen und Fangzähnen bewaffnete Halbwesen, hatte er kaum eine Chance.

Eins dieser Wesen war grauenvoller anzusehen als das andere. Im gleichen Moment wusste Devius, dass diese Kreaturen ihn nicht fangen, sondern gleich hier an Ort und Stelle töten und ihrer Göttin seinen Kopf als Trophäe bringen wollten. Ohne Zögern griffen die Halbwesen Devius nach ihrem Eintreffen an und schon während des ersten Angriffs wurde er, trotzdem er sich verbissen mit bloßen Händen dagegen wehrte, schwer an Bein und Brust verletzt. Sein Blutverlust war schon nach kurzer Zeit enorm. Gleichzeitig spürte er in diesem Moment, dass Eris ihm einen nicht unerheblichen Teil seiner Lebenskraft geraubt hatte.

Ihm gelang es zwar noch einen hinterhältigen Angriff eines Wesens, das halb Ratte und halb Mensch war, abzuwehren, aber gleich darauf griff ihn das wildeste der Halbwesen, eine widerwärtigen Mischung aus Schlange und Mensch, an. Dieses Wesen überzog ihn mit einem Stakkato von Bissen und Hieben, bis er schließlich völlig geschwächt und nahezu paralysiert war. Dann mit einem überraschenden Angriff gelang es dieser unmenschlichen Kreatur, ihm mit seinen langen krallen bewehrten Klauen ein Loch in die Brust zu schlagen. Im gleichen Augenblick riss es ihm das Herz bei lebendigem Leib heraus.

Als Devius nun sah, wie das blutige Herz in den Händen des widerwärtigen Geschöpfs seine letzten Schläge machte und schließlich aufhörte zu schlagen, nahm sein Gesicht einen völlig verblüfften Ausdruck an. Dann brachen seine Augen und fiel er tot in sich zusammen.

Im Augenblick seines geträumten Todes erwachte Devius schreiend aus seinem Alptraum und richtete sich voller Panik in seinem Bett auf. Plötzlich verstand er, warum er seit sechs Wochen immer wieder schweißgebadet und voller Angst aus seinem Schlaf erwacht war. War das, was er in dem Alptraum erlebt hatte seine Bestimmung? War es vorherbestimmt, dass er durch die Halbwesen des dunklen Reiches blutrünstig getötet wurde? Oder bestand die Aussicht, dass er diesem Schicksal entkommen konnte? Er hoffe sehr darauf, dass es nur eine Möglichkeit von vielen war, die er soeben erlebt hatte. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er Lehren aus diesem Alptraum ziehen musste, um sich dem drohenden Verhängnis entgehen zu können.

Devius schüttelte seinen Kopf, um die dunklen Gedanken und Ängste, die sich seiner voller Macht bemächtigten wollten, abzuschütteln. Wahrscheinlich würde er sich noch früh genug in dieser Traumsituation wiederfinden und um sein Überleben kämpfen müssen. Jetzt musste er erst einmal einen klaren Kopf bewahren und den heutigen Tag planen. Es war jetzt kurz nach vier. Um neun war er mit Silvia Adler verabredet, damit sie ihn weiter für seinen Aufenthalt im dunklen Reich vorbereiten konnte.

Was war mit Clarissa? Sie war gestern nicht an ihr Telefon gegangen. Hatte er eventuell ihre Handynummer falsch eingegeben? Nein, das glaubte er nicht. Möglicherweise war irgendetwas mit Clarissas Großmutter oder mit Clarissa selbst geschehen. Gegebenenfalls hatte die Fremde erneut versucht, ihr das Amulett zu stehlen und dadurch Clarissa in Schwierigkeiten gebracht. Devius kontrollierte seine Anrufliste und schaute nach, ob sich Clarissa vielleicht unbemerkt bei ihm gemeldet hatte, aber das war leider nicht der Fall. Dann versuchte er sie nochmals unter ihrer Nummer zu erreichen, aber auch das gelang ihm nicht.

Nun begann Devius, sich ernsthaft Sorgen um Clarissa zu machen. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich hier in Darmstadt normalerweise aufhielt. Den einzigen Anhaltspunkt, den er besaß, war die Neurologische Klinik und die Information, dass Clarissas Großmutter dort behandelt wurde. Somit blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als mit seiner Suche nach Clarissa dort zu beginnen, wo er sie zuletzt gesehen hatte, nämlich in der Klinik.

Aber dazu war es jetzt noch zu früh. Wenn er es richtig in Erinnerung behalten hatte, begann die Frühschicht in der Neurologischen Klinik um sechs, also in etwa zwei Stunden. Daher konnte er sich noch in Ruhe frisch machen und frühstücken, ehe er sich dorthin begab. Als Devius nun das warme Wasser der Dusche über seinen Kopf laufen ließ, wurde er von den auf ihn einstürmenden Gedanken überwältigt. Für ihn war es kaum zu glauben, was innerhalb kürzester Zeit passiert war und wie grundlegend sich sein Leben verändert hatte. Niemals hätte er sich es vorstellen können, dass es so etwas wie Zauberei gab oder dass eine Welt ähnlich der ihren kaum einen Schritt weit weg von hier existierte. Noch viel unfassbarer für ihn war, dass er dazu ausersehen sein sollte, in diese fremde Welt zu reisen, um seine Welt vor dunklen Mächten zu bewahren.

Aber auch seine Begegnung mit Clarissa ließ ihn nicht mehr los. Es fühlte sich so an, als ob sie ihn tief in seinem Inneren berührt und seine Seele gestreichelt hätte. Er spürte eine so tiefe Verbundenheit zu ihr, wie er sie bisher noch nie in seinem Leben gegenüber irgendjemand verspürt hatte. Daher war es für ihn sehr wichtig Clarissa wiederzufinden.

Endlich war es soweit, dass er sich auf den Weg zur Klinik machen konnte. Die Luft war inzwischen etwas abgekühlt, so dass das Laufen in der Morgenluft sehr angenehm war und er mit jedem Schritt immer zuversichtlicher wurde, dass er Clarissa dort finden würde. Als er nach circa zwanzig Minuten in der Neurologischen Klinik ankam, wollte ihm die nette ältere Dame an der Pforte zunächst keine Auskunft geben, dann erlag sie aber doch seinem Charme und beschrieb ihm den Weg zur Intensivstation.

Als Devius den spärlich erleuchteten Gang zur Intensivstation nun entlang ging, sah er schon von weitem die zusammengesunkene Gestalt von Clarissa dort stehen. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er auch ihr verzweifeltes Schluchzen hören. Wie er vermutet hatte, war wahrscheinlich etwas mit ihrer Großmutter geschehen. Devius fragte aber nicht lange nach, sondern nahm Clarissa einfach in die Arme und drückte sie fest an sich. Clarissa warf ihn daraufhin unter Tränen einen dankbaren Blick zu und küsste ihn voller Zuneigung.

Nachdem die jungen Menschen nun eine Weile eng umschlungen dagestanden hatten, begann Clarissa erst stockend und dann immer fließender vom Tod ihrer Großmutter und den Geschehnissen, die dazu geführt hatten, zu erzählen. Während sie Devius von dem dunklen Wesen, das ihre Großmutter schließlich getötet hatte, berichtete, wurde dem jungen Mann bewusst, wie eng die Schicksale von Clarissa und ihm letzten Endes verbunden waren.

Als Clarissa sich irgendwann soweit beruhigt hatte, dass sie wieder einigermaßen aufnahmefähig war, machte Devius ihr den Vorschlag, ihn in seine Wohnung zu begleiten, um sich dort etwas auszuruhen und eine Kleinigkeit zu essen. Die junge Frau, die einen sehr übernächtigten Eindruck machte und vor Müdigkeit und Seelenschmerz dicke dunkle Ränder unter ihren Augen hatte, war für diesen Vorschlag sehr dankbar und willigte sofort ein.

Während sie nun gemeinsam zu der Wohnung liefen, erzählte Devius ihr von den Dingen, die er von Silvia Adler erfahren hatte, und wie wichtig es für den Kampf gegen die Dunkelheit war, dass sie sich begegnet waren. Danach bat er Clarissa noch darum, ihn zu seiner Verabredung mit Silvia Adler zu begleiten, was sie gerne tun wollte.

Als die beiden kurz darauf Devius Wohnung betraten, ging er in die Küche und bereitete seiner Freundin ein ausgiebiges und schmackhaftes Frühstück zu, das sie voller Heißhunger bis auf den letzten Bissen aufaß. Da nach dem Frühstück noch ein wenig Zeit war, legten sie sich für einen Moment auf das Sofa im Wohnzimmer. Eigentlich hatten sie vorgehabt, sich dort auszuruhen und zu dösen, waren aber durch ihre gegenseitige Nähe so aufgeputscht, dass sie stattdessen anfingen, sich voller Zärtlichkeit zu berühren und zu küssen. In ihrer Erregung hätten die beiden sogar beinahe den anstehenden Termin vergessen. Erst im letzten Augenblick fiel Clarissa Devius Verabredung noch ein und konnten sie sich schließlich voneinander lösen. Gerade noch rechtzeitig machten sie sich daher auf den Weg zu Silvia Adlers Praxis.

Die Halbwesen des dunklen Reiches nahmen die Verfolgung des jungen Paares gleich nach deren Verlassen des Hauses auf. Noch wagten sie aber nicht, den beiden Liebenden zu nahe zu kommen oder sie gar anzugreifen. Aber auch diese Scheu würden diese Kreaturen bald verlieren. Vielleicht warteten sie auch einfach nur eine günstige Gelegenheit ab, um der Beiden habhaft zu werden, denn die Macht des dunklen Reiches wuchs von Minute zu Minute und damit auch die dunkle und bösartige Kraft der Halbwesen.

Das dunkle Reich

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