Читать книгу Das dunkle Reich - Darius Dreiblum - Страница 19

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16. Kapitel

Johannes Melzer war ganz furchtbar blass und machte den Eindruck, immer schwächer zu werden. Ja, es schien, als ob der Tod im dunkelsten Eck des Raumes schon bereit stand, um ihn an seine Hand zu nehmen und in sein Reich zu führen.

Aber auf einmal hatte Devius die aus reiner Verzweiflung geborene Idee, seinem Vater das Amulett umzulegen, um damit zu versuchen, ihm seine verloren gegangene Lebenskraft wieder zurückzugeben. Voller Hast riss er sich das Amulett vom Hals und legte es seinem Vater sanft und mit Tränen der Hoffnung in den Augen um. Nachdem die Kraft des Amuletts durch direkten Körperkontakt auf ihn einwirken konnte, schien sein Vater tatsächlich innerhalb von wenigen Augenblicken erneut an Lebenskraft zu gewinnen. Seine Wangen wurden wieder rosig. Voller Erleichterung sahen Silvia Adler und Devius wie Johannes Melzer, kaum fünf Minuten nachdem ihm das Amulett von Devius umgelegt wurde, die Augen aufschlug und sie anlächelte.

Noch mehr erfreute es Devius, dass der Blick seines Vaters nun vollkommen klar war und eine ungetrübte Intelligenz ausstrahlte. Der Zauber schien wirklich gewirkt zu haben, so fantastisch das auch war. Dann fing sein Vater an zu sprechen und seine Worte bestätigten nochmals die Hoffnungen seines Sohnes:

„Devius, mein Sohn, es kommt mir so vor, als ob ich gerade aus einem immerwährenden Alptraum erwacht bin. Ich kann mich nur sehr dunkel daran erinnern, wie es vor langer Zeit begann, mir immer schwerer zu fallen, zu denken und mich an gewisse Dinge zu erinnern. Die Zeit danach liegt wie unter einem dichten Nebel verborgen, der kaum von mir zu durchdringen ist. Aber jetzt hat mein Denken wieder eine große Klarheit. Wie hast Du es geschafft, mich aus diesem Gefängnis der geistigen Ohnmacht zu befreien?“

Devius war so voller Freude und Dankbarkeit, dass er über das ganze Gesicht strahlte. Sein Vater wirkte so auf ihn, wie vor vielen Jahren, als die Demenz noch nicht ihre Finger nach ihm ausgestreckt hatte. Voller Entzücken nahm er seinen Vater in seinen Arm und drückte ihn ganz fest an sich. Dann begann er mit leicht zitternder Stimme zu sprechen:

„Ich bin so froh, dass es Dir wieder gut geht, Vater. Wir hatten große Angst, dass Du sterben könntest. Ich hatte einen Zauber beschwört, der Dir Deine geistigen Fähigkeiten zurückgeben sollte. Allerdings war dieser Zauber scheinbar so stark, dass er Dir einen Teil Deiner Lebenskraft entzog und Du daran fast gestorben wärst. Das Amulett, das Du um den Hals trägst, hat Dir diese Lebenskraft wieder zurückgegeben und Dich dadurch gerettet.“

„Dann hat sich die Prophezeiung Deiner Mutter doch noch bewahrheitet. Kurz nachdem Du geboren wurdest, hatte Sie mir vorausgesagt, dass Du mir eines Tages ein würdevolles Leben wiedergeben würdest, dadurch dass Du mich einer großen Bedrohung aussetzt und mein Leben in Gefahr bringst. So ist es nun tatsächlich geschehen. Durch den Zauber, der mir meine geistige Kraft wieder gegeben hat, bin ich fast gestorben. Du hast aber dann das Richtige getan und mir das Amulett umgelegt und damit mein Leben gerettet. Für all das bin ich Dir sehr dankbar, Devius.“ sagte Johannes Melzer mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen und küsste seinen Sohn auf die Stirn.

Als Johannes Melzer seine Frau erwähnte, bekam Devius Gesicht plötzlich einen argwöhnischen Ausdruck, denn in seinem ganzen Leben war sein Vater stets Fragen nach seiner Mutter ausgewichen.

„Vater, das war das erste Mal, dass Du meine Mutter erwähnt hast, ohne dass ich Dich auf sie angesprochen habe. Das einzige, was ich bisher von ihr wusste, war, dass sie uns kurz nach meiner Geburt verlassen hat und Du mich daher alleine groß ziehen musstest.“ sagte Devius in einem leicht vorwurfsvollem Ton

„Ja, Devius, ich habe volles Verständnis dafür, dass Du Dich darüber beklagst. Um Dich zu schützen, musste ich Dir lange Zeit die Wahrheit verschweigen und irgendwann, als ich Dir die Wahrheit ohne Gefahr hätte anvertrauen können, konnte ich mich nicht mehr daran erinnern. Jetzt ist aber die Zeit gekommen, Dir alles, was ich darüber weiß, zu erzählen.

Ich war Mitte zwanzig als ich im Rahmen meines Studiums der Architektur in einer Vorlesung einen Kommilitonen kennenlernte, mit dem ich zusammen ein Referat über den gotischen Baustil halten sollte. Dieser Studienkollege kam mir von Beginn an etwas seltsam vor. Er sprach unsere Sprache mit einem seltsamen Dialekt und auch sein Körperbau war nicht wie bei einem normal gewachsenen Menschen.

Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen freundeten wir uns mit der Zeit an und zogen dann irgendwann zusammen in eine WG. Eines Nachts, wir hatten in seinem Zimmer auf eine bestandene Zwischenprüfung angestoßen, legten wir uns erst spät schlafen. Früh am Morgen wachte ich dann von irgendeinem Geräusch auf und wollte mir noch den Schein von der bestandenen Prüfung aus seinem Zimmer holen. Gerade als ich in sein Zimmer kam, sah ich, wie er durch den großen Spiegel in seinem Zimmer förmlich verschluckt wurde und darin verschwand. Ich war natürlich völlig perplex und dachte es wäre eine optische Täuschung gewesen. Also sah ich mir den Spiegel genauer an. Aber daran war nichts Ungewöhnliches. Es war ein ganz normaler handelsüblicher Spiegel und er hatte eine feste Oberfläche. Also war es für mich unerklärlich, wie mein Freund es geschafft hatte, plötzlich darin zu verschwinden.

Als ich meinen Studienfreund am nächsten Tag daraufhin ansprach, wollte er anfangs nichts davon wissen, aber irgendwann nervte ich ihn dann doch sosehr, dass er mir doch noch die Wahrheit erzählte. Seine Geschichte wäre für mich nicht zu glauben gewesen, wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie er in dem Spiegel verschwand. So beichtete er mir schließlich mit einem ängstlich unruhig hin und her wandernden Blick, dass er ursprünglich aus einer anderen Welt stammte und dorthin auch regelmäßig zurückkehrte.

Damals hörte ich zum ersten Mal von dem dunklen Reich und der Möglichkeit durch einen Spiegel dorthin zu gelangen. Ab diesem Zeitpunkt war ein seltsames Feuer in mir entfacht und versuchte ich immer mehr Wissen über das dunkle Reich zu erlangen. Ich war förmlich davon besessen. Natürlich bekniete ich auch meinen Freund, mich einmal mit dorthin zu nehmen, aber er widerstand allen meinen Überredungskünsten. Dann stieß ich endlich in einer der vielen Bibliotheken, die ich regelmäßig besuchte, auf ein sehr altes Buch, in dem das Ritual zum Übergang von der Welt des Lichts in das dunkle Reich beschrieben wurde. Irgendwie gelang es mir dann auch einen der sieben dunklen Spiegel ausfindig zu machen. Wie Du Dir sicherlich vorstellen kannst, musste ich unbedingt versuchen, in das dunkle Reich einzudringen. Ich ließ mich über Nacht in dem Museum einschließen, wo der dunkle Spiegel stand und führte kurz vor Mitternacht das Ritual zum Übergang in das dunkle Reich durch. Das heißt, ich stellte mich vor den Spiegel und sprach mit lauter Stimme das Wort „MULUCEPS“ aus. Daraufhin fing der Spiegel an bläulich zu schimmern und wurde durchlässig. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hatte es wirklich geschafft und trat nach kurzem Zögern voller Erregung durch den Spiegel.

Was in dem Buch allerdings nicht stand, war, dass der Übergang in das dunkle Reich uns Menschen höllische Schmerzen bereitete und schon den einen oder anderen Unwissenden in den Wahnsinn getrieben hatte. Dieses Schicksal blieb mir aber glücklicherweise erspart. Was mir aber nicht erspart blieb, war beinahe dort getötet zu werden.

Das dunkle Reich hatte für mich zunächst nichts Angenehmes an sich. Es war eine dunkle dämmrige Welt, in der es kalt und feucht war. Die Wesen, die dort lebten, schienen oft irgendwelchen bösen Träumen entsprungen zu sein. Genauso wie die zwei Wächter, die mich nach dem Durchschreiten des dunklen Spiegels mit grimmigen Mienen in Empfang nahmen. Der eine Wächter sah so aus, wie man sich einen halb verwesten Zombie vorstellt, mit toten Augen, blaugrauer Haut und langsam abfallenden Gliedmaßen. Der andere Wächter ähnelte eher einer riesigen schwarzen Spinne auf zwei Beinen. Er besaß sechs Arme, außerdem hatte er das Fell einer Spinne und verfügte über acht kleine schwarze Augen, die mich gierig musterten.

Sobald ich den ersten Schritt in Richtung Ausgang machen wollte, versperrten die beiden mir den Weg und fragten mich etwas in einer fremden Sprache. Nachdem ich darauf nicht gleich antwortete, wurden ihre Mienen noch bedrohlicher und hoben sie ihre Waffen, um mich damit zu bedrohen. Die Frage war, wie ich aus dieser verfahrenen Situation ohne Schaden wieder herauskommen konnte. Da betrat plötzlich eine junge hübsche Frau den Raum und sorgte für Ablenkung. Die junge Dame überblickte kurz die Situation und als sie ein paar Worte mit den Wächtern gewechselt hatte, nahm sie einfach meine Hand und verließ mit mir den Schrein der dunklen Mächte.

Während wir vor die Tür nach draußen traten, bedankte ich mich bei ihr und sagte ihr, dass ich schon befürchtet hatte, dass mich die beiden erstechen würden. Sie entgegnete mir daraufhin mit ernster Miene, dass sie glaube, dass sie genau das mit mir vorgehabt hatten. Falls sie den Wächtern nicht gesagt hätte, dass sie mich erwartet und ich ihr Gast sei, würde ich inzwischen dort im Dreck liegen und langsam verbluten. Aber nun sei ich erst einmal außer Gefahr, versuchte sie mich zu beruhigen und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Da war ich natürlich erleichtert. Auf den Gedanken, dass auf mich im dunklen Reich vielleicht noch viel schlimmere Gefahren lauerten, kam ich in diesem Moment nicht.

Ich war so fasziniert von der jungen Frau, die mich eben gerettete hatte, dass alles andere nebensächlich für mich war. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass sie akzentfrei meine Sprache sprach. Ich musterte sie von oben bis unten, was sie mit einem offenen Lächeln und sichtbarem Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Das war der Moment in dem ich mich in Deine Mutter verliebte. Sie hieß Hemera und war eine der Göttinnen des dunklen Reiches. Für mich war sie die schönste Frau aller Welten. Ihr hübsches Gesicht war von langen blonden Haaren umrahmt und sie hatte das strahlendste und liebenswürdigste Lächeln, das man sich nur vorstellen kann. Außerdem verfügte sie aber auch über eine kaum zu beschreibende innere Schönheit, denn in ihr war nichts Böses oder Hinterhältiges, sondern nur Zuversicht, Verständnis und sehr viel Liebe.

Und sie war nicht per Zufall in den Schrein der dunklen Mächte gekommen, Sie wusste im Voraus, wie dringend ich ihre Hilfe benötigte, da sie das zweite Gesicht besaß. Hemera konnte gewisse Dinge voraussehen und sie wusste, welches Schicksal mich erwartet hätte, wenn sie mir nicht geholfen hätte. Nun könntest Du mich fragen, was für ein Interesse eine schöne Göttin aus dem dunklen Reich an einem wildfremden jungen Mann aus der Welt des Lichts hatte. Darauf würde ich Dir antworten, dass Hemera viele Jahre sehr einsam war und eine unerfüllte Sehnsucht nach Liebe verspürte. Als sie mich dann eines Tages in einem ihrer Träume gesehen hatte, erwachte in ihr ein bisher nicht gekanntes Verlangen nach der körperlichen Nähe eines menschlichen Mannes und verliebte sie sich in mich.

Nachdem unser erstes gemeinsames Abenteuer nun überstanden war, spürte Hemera sofort, dass ihre Zuneigung zu mir nicht unerwidert blieb und war sichtbar erleichtert darüber. Daher nahm sie mich mit in ihr Haus, das auf einem Hügel in der Nähe des Dorfes der Erinnerung lag, und erzählte mir dort von ihrem Leben im dunklen Reich. Schon während diesen ersten Gespräches stellten wir fest, dass, obwohl uns eigentlich Welten trennten, wir uns durch eine tiefe Seelenverwandtschaft verbunden fühlten.

Ich entschied damals, erst einmal eine Zeitlang bei Hemera zu bleiben und mit ihr im dunklen Reich zu leben. Sie führte mich während dieser Zeit in die Geheimnisse des dunklen Reiches ein und zeigte mir, dass es dort nicht gar so schrecklich war, wie es mir zu Anfang erschien. Hier gab es sehr viele schöne und faszinierende Dinge zu entdecken. Eine davon war die Flora des dunklen Reiches. Obwohl dort keine Sonne schien, hatten sich doch im Laufe der Evolution hier zahlreiche besondere Pflanzen angesiedelt.

Die wohl eindrucksvollsten davon waren die Nachtfalterorchideen und die Bäume des Blutes. Die Nachtfalterorchideen des dunklen Reiches wuchsen sehr häufig in den Auen des Flusses des Vergessens. Sie waren eine wunderschöne dunkelblaue Orchideenart, die, sobald man in ihre Nähe kam, ein überirdisches blaues Leuchten von sich gaben. Dieses Leuchten wirkte wie eine Droge und führte zu einem nie gekannten Hochgefühl bei dem Betrachter. Falls man sich zu sehr von diesem Leuchten fesseln ließ, konnte es passieren, dass diese Pflanzen einen mit im Boden verborgenen Pflanzenschlingen zu Fall brachten, umschlangen und durch Besprühen mit einem Enzym in einen verdaubaren Nahrungsbrei umwandelten.

Während die Nachtfalterorchideen eher auf visuelle Reize setzen, um an Nahrung zu gelangen, waren die Bäume des Blutes in der Lage, einen betörenden, ja schon fast sirenenhaften Gesang von sich zu geben. Durch diesen Gesang vergaßen die Wesen, die diesen hörten, alles andere und dachten nur noch daran, in die Nähe des Ursprungs dieses wunderschönen Gesangs zu gelangen. Dort wurden die Angelockten dann von den Bäumen des Blutes mit spitz zulaufenden Ästen getötet und ihr Blut bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt.

Aber auch das Gemeinwesen des dunklen Reiches hatte sich in einer besonderen Art und Weise entwickelt. Während die Mitglieder der oberen Kasten sehr ichbezogen, machtverliebt und mitunter äußerst grausam waren, gingen die Halbwesen, die den niederen Kasten angehörten, meist mit sehr großem Respekt miteinander um und halfen sich gegenseitig, wenn sie in Schwierigkeiten waren. Durch den Machthunger der drei dunklen Göttinnen und der Mitglieder der oberen Kasten, waren immer mehr Halbwesen gegen die herrschenden Machtstrukturen aufgebracht und gab es immer größere Widerstände gegen deren autoritäre Herrschaft. So war schon damals die Saat einer Widerstandsbewegung gelegt.

Dabei wurde auch oft von einem Retter gesprochen, der eines Tages aus der Welt des Lichts zu ihnen kommen und die Herrschaft der drei Göttinnen beenden würde. Hemera war allerdings nie Teil dieses Machtapparates gewesen. Anders als die anderen Göttinnen hatte sie nie deren Machtversessenheit und Herrschsucht besessen. Nein, sie war eine liebevolle und sanfte Persönlichkeit, die bei den Halbwesen des dunklen Reiches sehr beliebt war. Das war ihrer Mutter Nyx immer mehr ein Dorn im Auge. Ja, die Herrscherin der Dunkelheit war schließlich so von Neid und Hass zerfressen, dass sie dunkle Ränke schmiedete.

Als dann auch noch bekannt wurde, dass sich Hemera in einen Menschen aus der Welt des Lichts verliebt hatte und mit ihm zusammen ihr Leben verbringen wollte, hielt die Göttin der Nacht nichts mehr davon ab, alles zu tun um ihre Tochter zu entmachten und ihr letztendlich auch das Leben zu nehmen.

Aber davon erfuhren Hemera und ich zunächst einmal nichts. Wie waren frisch verliebt, genossen das Leben und unsere große Zuneigung zueinander. Während Hemera ihren Lebensunterhalt als Heilerin und Wahrsagerin verdiente, versuchte ich meine Kenntnisse der Architektur in bare Münze umzusetzen. Wir führten viele Monate lang ein unbeschwertes und glückliches Leben und waren mit dem zufrieden, was wir hatten. Allerdings nur bis meine Geliebte mich eines Tages mitten in der Nacht weckte, um mir voller Furcht zu berichten, dass sie soeben eine Vision ihres Todes hatte.

Hemera berichtete mir zitternd und völlig verängstigt davon, dass in ihrer Vision ihre Mutter ihr den grauenhaften Schemen auf die Fährte gesetzt hatte, um sie durch ihn töten zu lassen. Der dunkle Schemen war dafür berüchtigt, dass, wenn er von jemand die Witterung aufgenommen hatte, er denjenigen in jedem Fall fand und ihn ohne Gnade und mit sehr viel Hingabe tötete. Der Schemen, erzählte sie weiter, war eines der dunkelsten und bösartigsten Geschöpfe des dunklen Reiches.

Er war eine Kreatur, die vor langer Zeit ein Mensch aus der Welt des Lichts gewesen war. Seine Familie wurde auf bestialische Weise durch Halbwesen des dunklen Reiches ermordet. Daran ging diese arme Kreatur zugrunde. Aber kurz bevor er sich selbst ermorden konnte, beschwörte er noch die sieben Teufelinnen der dunklen Rache, was selbst im dunklen Reich als abgrundtief lästerliche Tat galt. Die Teufelinnen töteten in seinem Auftrag diejenigen Halbwesen, die diese Morde an seiner Familie durchgeführt hatten, auf erbarmungslose Weise. Gleichzeitig verhinderten sie aber in ihrer Bösartigkeit, dass der arme Mensch von dem Wasser des Vergessens trinken und über den Acheron in das Totenreich gelangen konnte, um dort seinen Frieden zu finden.

Somit war diese Kreatur auf ewig dazu verflucht, die Schmerzen und das Leid des Verlustes seiner gesamten Familie immer wieder aufs Neue zu erleben, ebenso wie seinen eigenen Tod. Also eine immerwährende Hölle, die dazu führte, dass aus der armen bedauernswerten Kreatur der grauenhafte und wahnsinnige Schemen wurde. Der Schemen war ein Wesen halb Traum und halb Wirklichkeit. Eine Kreatur voller Schwärze und Dunkelheit, aber auch voller schrecklicher Schmerzen und Pein, woran seine Opfer auf ihrem Weg in den Tod regelmäßig teilhaben mussten.

Also blieb uns nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Der Versuch, vor ihm zu fliehen, schien zwar fast aussichtslos zu sein, denn dies war bisher wohl noch niemanden gelungen. Aber für alles gab es ein erstes Mal und außerdem mussten wir es zumindest probieren. Daher packten wir die notwendigsten Sachen zusammen und verließen eilig das Haus von Hemera. Wir wollten zu einer befreundeten Familie fliehen, die uns in ihrem Keller verstecken sollte. Plötzlich beim Verlassen des Hauses gestand mir dann meine Geliebte mit Tränen in den Augen, dass sie im dritten Monat schwanger war und furchtbare Angst um ihr Baby hatte.

Im ersten Moment war ich so verblüfft, dass ich dazu nichts sagen konnte. Was im Normalfall bei mir einen Freudentaumel ausgelöst hätte, ließ jetzt das Gewicht der schweren Verantwortung, die schon vorher auf meinen Schultern ruhte, auf einmal doppelt so schwer erscheinen. Aber dann gab ich mir einen Ruck und meine Zuversicht gewann wieder die Oberhand. Ich lächelte Hemera an und sagte ihr, dass uns das Schicksal gesonnen war und wir uns allen dunklen Mächten dank unserer Liebe erwehren würden. Sie bedankte sich bei mir dafür mit ihrem wundervollen Lächeln, das direkt in mein Herz eindrang und es zum Leuchten brachte.

Meine Zuversicht hielt allerdings nicht sehr lange an, denn jedes Mal, wenn wir irgendwo Unterschlupf fanden, spürte uns der Schemen schon nach sehr kurzer Zeit dort auf. Wir hatten es nur dem zweiten Gesicht von Hemera zu verdanken, dass es uns immer wieder im letzten Moment gelang, zu fliehen. Aber der Abstand zwischen ihm und uns wurde immer geringer. Während der Schemen scheinbar über ein nicht versiegendes Reservoir an Kräften verfügte, wurden unsere Kräfte immer schwächer und schwächer. Nach drei Monaten der Flucht, waren wir völlig ausgelaugt und fast komplett kraftlos. Hemera war so extrem schwach und abgemagert, dass ich schon um ihr und das Leben des Babys bangen musste. Das schlimmste war aber, dass kaum ein Ort im dunklen Reich übrig war, den wir noch nicht als Versteck genutzt hatten. Was sollten wir nun tun? Wie sollten wir dem dunklen Schemen entfliehen? Ich war in diesem Moment völlig verzweifelt.“

Das dunkle Reich

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