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FÜNF

Es scheint unstrittig, dass sich Coubertin erst in den Monaten nach seinem Besuch in Much Wen-lock zum olympischen Erneuerer entwickelte. Dabei griff er ausgiebig auf Ideen und Experimente seiner Vorgänger zurück, meistens jedoch ohne deren Verdienste zu würdigen. Gleichwohl war Coubertin mehr als ein bloßer Nachahmer. In den 18 Monaten zwischen der Veröffentlichung seines Artikels über Much Wenlock und seiner Rede von 1892 an der Sorbonne, wo er erstmals eine Wiederbelebung der Spiele anregte, schmiedete er eine einzigartige Version der modernen Spiele. Darüber hinaus war er anders als seine Vorgänger in der Lage, eine internationale gesellschaftliche und politische Koalition zu schaffen, die seine Pläne in die Tat umsetzen könnte. Coubertins größter Vorteil war vielleicht seine Fähigkeit, in großem Stil zu denken. In den 1790er Jahren hat-ten die französischen Revolutionäre die neue europäische Republik dazu aufgerufen, sich ihrer Olympiade anzuschließen. In den 1860er Jahren warb die NAO um Bewerbungen ausländischer Athleten, erhielt jedoch keine. Die Much Wenlock Spiele waren hoffnungslos provinziell, Zappas’ Olympien richteten sich an ein ausschließlich griechisches Publikum und waren mit einem griechischen Anliegen verknüpft. Zwar konnten beide von den aufkommenden Sportkulturen und Klubs ihrer Zeit profitieren, es gelang ihnen aber nicht, sich die aristokratischen Netzwerke sport-lichen Prestiges, kulturellen Kapitals und politischen Einflusses zunutze zu machen.

Coubertin hingegen knüpfte seine olympischen Erneuerung an den universellen Ruf nach Internationalismus und stellte sich die Spiele nicht als Neugestaltung eines ländlichen Volksfestes vor, sondern als großes, wenn auch maßvolles urban-kosmopolitisches Spektakel. Außerdem hatte er sowohl die persönlichen Beziehungen als auch die ideologische Anziehungskraft, die Wiederbelebung der Olympischen Spiele an die vornehmen Sportler der industrialisierten Welt zu binden.

Obwohl er sich gegen eine Laufbahn als Diplomat entschieden hatte – eine der wenigen Karrieren, die ihm offenstanden –, war Coubertin aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und Beziehungen ganz selbstverständlich ein Teil der Welt internationaler Angelegenheiten. Seit der Etablierung der Pentarchie am Ende der napoleonischen Kriege hatten es sich die gekrönten Häupter Europas zunehmend zur Gewohnheit gemacht, Konferenzen untereinander einzuberufen, um sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen.1 Da es für dieses semi-offizielle Verfahren internationaler Diplomatie keine verbindlichen Vorgaben gab, war nie ganz klar, wer unter den europäischen Herrschern berechtigt war, eine Konferenz einzuberufen und zu welchem Thema. Im Laufe des 19. Jahrhunderts machten sich auch kleinere Monarchien und untergeordnete Mitglieder der europäischen Aristokratie diese Praxis zu eigen. Dabei wurden alle möglichen Themen diskutiert: vom weltweiten Schutz intellektuellen Eigentums bis hin zum Kriegsvölkerrecht und dem Bau des Suezkanals. Coubertin hatte nicht nur Zugang zu diesen Netzwerken, sondern, dank seiner Reisen und seinem wachsenden Fundus an Briefpartnern, Kontakte zu einigen der wichtigsten Sportverbände, Universitäten und Sportklubs in Europa und Nordamerika.

Wie wir noch sehen werden, war die effektivste Weise, diese Kräfte zu mobilisieren, sie mit der Frage nach dem Amateurismus im Sport und dann der üblichen Aufgabe internationaler Kongresse zu betrauen: in ihrem jeweiligen Fachgebiet international gültige Normen zu diskutieren, anzuregen und wenn möglich festzulegen. Wie aber angesichts der neuen Sprache und Argumente des Barons nach 1892 ersichtlich ist, bildete der Amateurgedanke keinen besonderen Antrieb für ihn, sondern war lediglich Mittel zum Zweck. Viel wichtiger waren die Ideen des Internationalismus, Pazifismus und Friedens unter den Nationen, Ideen, die ihm erstmals an der École Libre begegnet waren und die Bestandteil der aufregenden intellektuellen Szene der Pariser Gesellschaft waren.

Auffallend ist, dass unter den ehrenwerten Befürwortern des Kongresses zur Wiederbelebung der Spiele von 1894 neben einer Reihe kosmopolitischer Monarchen auch sämtliche führenden Figuren der aufkeimenden Friedensbewegung waren, die ihr Zentrum in Paris hatte.2 Diese Welt der internationalen Beziehungen und Konferenzen überschnitt sich mit den wichtigsten Knotenpunkten in den globalen Netzwerken für kulturellen Austausch der Belle Époque – den Weltausstellungen, die 1851 mit der Londoner Great Exhibition ihren Anfang nahmen und mit der Pariser Exposition universelle von 1889, bei der Coubertin gesprochen hatte, einen neuen Höhepunkt an Größe und Einfuss erreichten. Die von Coubertin mitveranstalteten Vorträge und kleinen Darbietungen der schwedischen Heilgymnastik bei der Ausstellung brachten den internationalen Sport ins Umfeld dieser neuen weltumspannenden Spektakel und ihrer grandiosen Interpretationen der Modernität.

1891 machte der imperialistische Agitator John Astley Cooper den nächsten Schritt. In Great Britain: The Imperial and Asiatic Quarterly schlug er ein internationales Sportfest vor, das auf eigenen Füßen stehen könnte: »Ein panbritannisches, pananglikanisches Sportfest alle vier Jahre, um Ansehen und Verständigung im Britischen Empire zu steigern« und so das Mutterland, die Dominions und die Kolonien zu einen. Coubertin folgte einem ähnlichen Gedankengang, aber mit eher kosmopolitischen Absichten.3

Es fehlte noch ein letztes Element. Freilich hatte Coubertin pragmatische Argumente dafür vorgebracht, Sport zu betreiben und in den Schulen einzuführen – wie die Heranbildung junger Gentlemen, die Vorzüge einer gesunden Bevölkerung sowie die moralischen und politischen Gründe dafür, internationale Spiele auszutragen. Aber um diesen Ansprüchen zu genügen, hätten es auch säkulare internationale Sportfeste wie die panbritannischen Spiele getan. Die antiken Spiele wiederzubeleben, auch unter modernen Bedingungen, bedeutete, in den Bereich des Sakralen vorzustoßen. Coubertin, der mit Vorliebe Pindar zitierte, der glaubte, dass »die Götter die Freunde der Spiele« seien, war fasziniert vom unauslöschlich religiösen Charakter der antiken Olympischen Spiele. Würden die Alten den modernen Sport betrachten, so befand er, »wären sie erstaunt, keine Äußerung oder Andeutung der religiösen Idee von Läuterung und geweihten Taten zu erkennen«.4 Tatsächlich aber sei »ebenso wie der Sport des Altertums die moderne Leibeserziehung eine Religion, ein Kult, ein leidenschaftliches Streben, das in der Lage ist, vom bloßen Spiel zum Heldentum zu werden«.5 Der katholische Aristokrat, der sich nach Ruhm und Helden sehnte und in einer zunehmend volksnahen und säkularen Welt gestrandet war, hatte seine Berufung gefunden, seine Götter und eine Bühne, auf der man sie verehren könnte.

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