Читать книгу Ein kunterbunter Streifzug durch den Jahreskreis - Dieter Kremp - Страница 47

WAS DIE STUNDE GESCHLAGEN HAT

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Im Reich der Natur gehen die Uhren anders. Manche Vögel und Blumen beginnen den Tag, wenn es noch ganz dunkel ist. Sie sind wahrhaftig Frühaufsteher. Die Nachtigall trägt ihren Namen zurecht. Der Deutschen Lieblingsvogel lässt sich als erster Sänger hören, bereits um zwei Uhr nachts beginnt er sein herrliches Lied. Allerdings kehrt die Nachtigall erst Ende April aus dem Süden zurück. Unter den Blumen ist der Wiesenbocksbart ein ausgesprochener Frühaufsteher, der seine Blüten im Hochsommer bereits um drei Uhr früh öffnet. Die Natur hält also für die warme Jahreszeit gleich zwei Chronometer parat, eine „Vogeluhr“ und eine „Blumenuhr“. Blüten und Vögel verraten uns, „was die Stunde geschlagen hat“.

Um vier Uhr früh öffnet der Wegerich seine Blüten. Ein Stündchen später ist dann der Löwenzahn an der Reihe, ihm leisten Mohn, Gänsedistel und Habichtskraut Gesellschaft. Die meisten Blüten aber haben im Sommer ihren Morgenappell zwischen sieben und acht Uhr, zu anderen Jahreszeiten entsprechend später. Das gilt für den Hahnenfuß, den Ackergauchheil, den Gartenlattich, das Steinkraut und sogar für die Kartoffel. Gäbe es die Langschläfer nicht, könnten uns die Blumen die weitere Zeit des Tages nicht verraten. Steinnelke und Ringelblume lassen sich bis neun Uhr Zeit. Weil sie prallen Sonnenschein brauchen, erwachen Lilien und Eisenkraut (Verbena) um zehn Uhr, die Küchenschelle und die Bibernelle um elf Uhr und die Herbstzeitlose erst um zwölf Uhr. Erst am Abend gegen zwanzig Uhr beginnt das Leimkraut zu blühen, gegen 21 Uhr die Kuckuckslichtnelke. Punkt acht Uhr am Abend öffnet der berühmteste, allerdings nur selten zu beobachtende Nachtschwärmer seine wunderschöne Blüten – die Königin der Nacht. Ebenfalls nachtblühend sind Taubenkropf und Storchenschnabel, die von Nachtfaltern aufgesucht werden.

Karl von Linné, der große schwedische Botaniker, auf den die Nomenklatur der Pflanzen zurückgeht, schuf in seinem Garten die „Blumenuhr“, die sich allerdings nach der Sonne richtet: Die Blumen, die sich zu verschiedenen Stunden öffnen und schließen, werden in der Reihenfolge und in der Form eines Zifferblattes gepflanzt. Nach ihrem Aufblühen kann man die Zeit ablesen.

Einen verlässlichen natürlichen Wecker, der sogar ohne Sonnenschein auskommen kann, liefern uns die Vögel. Ihr Gesang verrät frühmorgens die Zeit.

Neben der Nachtigall können auch andere Vögel den Tag nicht erwarten und lassen sich schon lange vor Morgengrauen vernehmen. Dazu gehören der Gartenrotschwanz (4 Uhr), der Hausrotschwanz (4.30 Uhr) und die Lerche (4.40 Uhr9. Wenn es dann richtig dämmert, singen Kuckuck und Amsel (4.50 Uhr), Buchfink und Kohlmeise (5.00 Uhr), Goldammer, Zaunkönig und Singdrossel (5.10 Uhr), Blaumeise, Rotkehlchen, Zilpzalp und Fitislaubsänger (5.20 Uhr). Mit Beginn der Helligkeit fangen Girlitz und Mönchsgrasmücke (5.30 Uhr), Zaungrasmücke (5.40 Uhr) und Grünfink (5.50 Uhr) an zu singen. Zeigt sich die Sonne, stimmen Spatz und Distelfink (6.00 Uhr) in den Gesang ein.

Der Hahn war für unsere Vorfahren nicht nur Wetterprophet, er war auch der pünktliche Wecker, nach dem der Bauer sein Tagewerk einteilte. Frühmorgens um drei Uhr kündet der Hahn den nahenden Tag an. Dann kräht er jede Stunde so pünktlich und zuverlässig, dass man annehmen könnte, schon seit Jahrtausenden wäre die Tageszeit nach seinem Krähen eingeteilt worden. Beim zweiten Hahnenschrei im Hochsommer stand der Bauer auf, beim ersten schon der Großknecht auf dem Hof. Der Hahn war auf dem Dorf der beliebteste Begleiter der Frühaufsteher, und die Wanderer zogen in die Welt hinaus: „Frühmorgens, wenn die Hähne krähn, ziehn wir zum Tor hinaus.“

Als Regenkünder zeigte sich der Hahn, wenn er „zu ungewöhnlicher Zeit“ krähte: „Wenn der Hahn nicht zur rechten Stund kräht, weint Petrus.“

Ein kunterbunter Streifzug durch den Jahreskreis

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