Читать книгу Ein kunterbunter Streifzug durch den Jahreskreis - Dieter Kremp - Страница 57

BIRKENSAFT ZUR FRÜHJAHRSKUR

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Die Birke ist der leibhaftige Frühling

Alte Bäume sind etwas Herrliches. Mit ihrem mächtigen Stamm, den kräftigen Ästen und dem riesigen Blätterdach scheinen sie den Himmel zu tragen. Je älter ein Baum wird, umso mehr festigt sich sein ihm eigener Charakter in der Baumgestalt. Er wird immer mehr zur Persönlichkeit.

Die Birke macht da eine Ausnahme. Als junger Baum ist sie am schönsten. Später gleicht sie einer alten Frau, die ihre Falten mit viel Schminke zu verstecken sucht. Aber in der Jugend übertrifft sie alle anderen Bäume an Schönheit und Grazie. Der weiße, schlanke Stamm ist elegant und das feingliedrige, zartgrüne Blattkleid anmutig. Die Birke ist der leibhaftige Frühling, und wenn sie dann noch ihre spielenden Pollenkätzchen baumeln lässt, scheint sie ihre Hochzeit zu halten. Eine Baumnymphe, die der jungen Birke an einem Frühlingstag entstiege, würde sicher den zarten, blumigen Frauengestalten auf den Bildern Botticellis gleichen.

Haselnuss, Birke und Erle gehören alle zur Familie der Birkengewächse. Jeder dieser drei Bäumen war für die Menschen das Sinnbild eines bestimmten Punktes im Kreislauf des Lebens. Die Haselnuss stand am Anfang als Baum der Kinder und der Zeugung, die Birke verkörperte die Jugend, das Wachstum und Entstehen, die Erlen symbolisierte das Alter, welches schon mit dem Geheimnis des Todes vertraut wird.

Das Fest der Birke wird bei uns schon seit uralter Zeit gefeiert, denn die Heimat dieses Baumes sind die nördlichen, gemäßigten und arktischen Gebiete. Auf Island und Grönland waren die Birken sogar einmal die einzigen Bäume. In diesen Ländern, in denen Väterchen Frost besonders arg wütet, ist die Freude groß über den Frühling mit seinen ersten, sich begrünenden Bäumen: Weide und Birke. Während die Weide auch das Absterben symbolisiert, war die Birke ein Baum der reinen Freude. Ihr Fest im Frühling war jedes Mal ein Freudenfest der Wiedergeburt und der Hochzeit zwischen Himmel und Erde. Manchmal werden Birken am Waldrand auch mit Frauenkleidern behängt und so zur leibhaftigen Frühlingsgöttin gemacht.

Frische Birkenzweige wurden zur Lebensrute, mit der die jungen Burschen durchs Dorf zogen. Wer mit einer solchen Lebensrute „geschlagen“ wurde, war vor Krankheit für das weitere Jahr geschützt.

Selbst ein eisiger Winter kann der Birke nicht schaden, denn ihre luftgepolsterte Rinde ist ein guter Kälteschutz. Kein Laubbaum ist so winterhart wie die Birke. Außerdem ist die Birke besonders wasserdurchlässig. Die Rinde blättert nicht in dicken Schuppen ab, sondern sie schält sich elegant in papierähnlichen Querbändern. Dieses „Baumpapier“ war früher ein billiges Schreibmaterial.

Vom Birkenholz dagegen lässt sich nicht viel Rühmliches berichten. Es ist nicht von bester Qualität. Sehr selten wird es zum Möbelbau verwendet. Deshalb gilt es bei Forstmeistern oft „als Unkraut im Wald“. Aber durch den eingelagerten Birkensaft im Innern des Holzes brennt dieses auch in frischem und nassem Zustand und ist ein Geheimtipp für alle, die es im offenen Kamin verbrennen.

Im Frühling hat die Birke in Blättern und Saft die meisten Heilkräfte und bietet sich für eine Frühjahrskur geradezu an. Ihre Heilstoffe bilden zusammen eine gelungene Kombination, die belebend und reinigend auf den menschlichen Körper wirkt. Blase und Niere werden angeregt, doch hilft sie ebenso bei Rheuma, Gicht, Arthritis, Nieren- und Blasensteinen. Schon bei den Germanen galt der Birkensaft als Schönheitstrunk.

In meiner Kindheit habe ich zusammen mit meinem Großvater den Birkensaft abgezapft. Er schnitt die Rinde an einer der oberen Wurzeln an, hängte ein Fläschchen hinein und fing den tropfenden Saft auf. Daheim wurde dann im Frühjahr jeden Morgen vor dem Frühstück Birkensaft getrunken. „Gemolken“ werden die Stämme und Wurzeln von Ende März bis Mitte Mai, wenn die Säfte in den Stamm steigen. Eine kräftige Birke übersteht das Anzapfen ohne Schaden, wenn es nur alle zwei Jahre geschieht. Nach einem „Aderlass“ von zwei Liter Birkensaft muss das Loch wieder gut verschlossen werden, da er sonst „verbluten“ kann. Dafür nimmt man Baumwachs.

Der frische Saft ist eine glasklare Flüssigkeit, die schwach süßlich schmeckt. Zu einer Trinkkur genehmigt man sich täglich zwei Schnapsgläschen voll. Der Saft beginnt schnell zu gären, so dass er im Kühlschrank aufbewahrt werden muss. Birkensaft kann auch äußerlich verwendet werden. Er ist ein gutes Waschmittel für schlecht heilende Wunden und Hautausschlag. Will man ihn das ganze Jahr über zur Verfügung haben, so gibt man ein Drittel der Menge hochprozentigen Alkohol hinzu. Auch als haarwuchsförderndes Mittel ist der Birkensaft noch populär.

Für einen Birkenblättertee sammelt man die jungen, noch klebrigen Blätter. Durch ihren hohen Gehalt an ätherischen Ölen strömen sie einen balsamischen Duft aus. Von den getrockneten Blättern reichen zwei Teelöffel auf eine Tasse Wasser. Man übergieße die Blätter mit dem kochenden Wasser und lässt zehn Minuten ziehen. Man trinkt drei Tassen täglich. Eine Frühjahrskur sollte drei Wochen dauern.

Ein kunterbunter Streifzug durch den Jahreskreis

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