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2.3 Wege zur mittelalterlichen Stadt

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Die mittelalterliche Stadt hatte ihren Ursprung in verschiedenen Typen von Siedlungskernen. Felicitas Schmieder nennt als funktionale Hauptfaktoren für die Entwicklung einer Siedlung zur Stadt wirtschaftliche, militärisch-herrschaftliche, kirchliche und zentralörtliche Funktionen.11

In der Forschung werden eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungswege zur mittelalterlichen Stadt identifiziert: Zahlreiche bedeutende Städte, vor allem im romanischen Bereich Europas, aber auch in dem Teil Deutschlands, wo eine dauerhafte Präsenz Roms wirksam geworden war, gehen auf ehemalige Römerstädte zurück, die meist über ihre Eigenschaft als Bischofssitze überdauerten (in Deutschland etwa Aachen, Köln, Mainz, Regensburg, Trier). Ein zweiter Fokus waren Klostergründungen mit Bischofssitz, etwa Städte wie Bamberg oder Würzburg. Ein dritter Strang zeigt sich in kaiserlichen Pfalzen und fürstlichen Burgen wie Goslar und Paderborn, die als militärisch-herrschaftliche Zentren zu Stadtentwicklungen Anlass gaben. Viertens entstanden Städte aus umzäunten Marktsiedlungen freier Kaufleute (Wik-Siedlungen) wie etwa Hildesheim, wozu dann noch die Zentralität des Bischofssitzes kam. Städte konnten sich fünftens auch aus freien Meierhöfen oder Dörfern mit Marktrecht entwickeln, ein häufigeres Muster in Bayern (Orte mit „Markt“ im Namen), wobei die zentralörtliche wirtschaftliche Funktion im Vordergrund stand. Schließlich konnte [<<32] auch die Präsenz wichtiger Rohstoffe wie etwa Silber, deren Abbau Anlass zur Stadtgründung gab, städtebildend wirken, etwa in Frankenberg oder Freiberg in Sachsen.

Neben dieser funktionalen Genese waren auch geografische Faktoren für die Entwicklung von Städten wesentlich. Gunstlagen waren etwa Flussfurten, Wegkreuzungen, Flussmündungen oder/und ein hochwasserfreier Hügel oder Bergsporn. Die Gunst solcher Lagen bestand einerseits darin, Verkehr auf den Ort der Siedlung zu ziehen bzw. die von der Geografie bedingte Bündelung des Verkehrs, etwa bei einer Furt, einer Brücke oder einem Bergpass, dort kontrollieren oder abschöpfen zu können. Andererseits gründete die Gunstlage auf der Möglichkeit, den Siedlungsplatz militärisch mit vertretbaren Mitteln sichern und verteidigen zu können. So verdankte etwa München seine Gründung durch Heinrich den Löwen 1158 der Lage einer Isar-Furt, die zum Bau einer Brücke genutzt wurde, um den Salzhandel über den Ort zu führen und mit Zöllen abschöpfen zu können. Heinrich der Löwe zerstörte dazu eine dem Bischof gehörende Isarbrücke bei Föhring und zwang so die mit Salz handelnde Zunft, die Münchner Brücke zu nutzen.12

Besonders Flussspaltungen erwiesen sich als vorteilhaft für die Anlage städtischer Siedlungen. Kurz vor dem Zusammenfluss der Flussarme ist die Strömung deutlich langsamer, daher boten sich diese Stellen für die Errichtung von Fischwehren an, ein wichtiges Mittel der Fischerei. Diese Standorte waren aber auch günstig für die Querung von Flüssen auf Furten und – häufig daraus hervorgehend – den Bau von Brücken. Weil Wehre die Schifffahrt unterbrachen, mussten die Waren aus den Schiffen geladen werden, damit diese die Wehre in unbeladenem Zustand überwinden konnten.13 Solche Umlade- und Transportvorgänge übten eine große Anziehungskraft für die Entwicklung städtischer Siedlungen aus; häufig leiteten sich daraus auch bedeutende Privilegien wie Stapelrechte ab, die den Städten das Recht verliehen, alle die Stadt passierenden Kaufleute zu zwingen, ihre Waren auszuladen und für üblicherweise drei Tage auf dem Markt der Stadt feilzubieten.14

Am Beispiel Hildesheim, oben angeführt für den Entwicklungsweg aus einer Marktsiedlung freier Kaufleute, lässt sich der Prozess der Stadtwerdung und das Wirken der unterschiedlichen Faktoren gut nachvollziehen. [<<33]


Abb 2 Die Entwicklung von Hildesheim 1000–1300

Beim späteren Hildesheim mündete ein kleiner, selbst teilweise in mehrere Arme geteilter Bach, die Treibe, in die Innerste, die im flachen Flusstal wiederum in mehrere Arme zerfiel. Die erste nachgewiesene historische Siedlung, ein Straßenmarkt von freien Kaufleuten aus dem 7. Jahrhundert, lag zwischen den beiden Gewässern am Fuß eines steileren Berges, an einem Fernhandelsweg, dem Hellweg. Dieser zog sich durch den Straßenmarkt und führte westlich auf eine Furt, über die man die beiden Arme der Innerste überqueren konnte. Diese Wik-Siedlung bekam ihr Marktrecht vor dem Jahr 1000 durch den regionalen Adel bestätigt. Ein zweiter Siedlungskern war ein Bischofssitz, der ab 815 einige Hundert Meter entfernt auf einem Hügel südlich der Kaufmannssiedlung erbaut wurde, gut gesichert durch den den Bischofssitz in einem Halbkreis südlich umrundenden Fluss Treibe. Zu diesem Zeitpunkt muss die Wik-Siedlung also schon so bedeutend gewesen sein, dass die Gründung eines Bistums, das von Elze, knapp 20 km von Hildesheim entfernt, dorthin verlegt wurde, legitimiert war. 852 wurde mit dem Bau des Domes begonnen und um 1000 wurde der ganze Dombezirk zu einer Domburg ausgebaut und mit einer Mauer umgeben.

Im 11. Jahrhundert können wir den Bau mehrerer Klöster feststellen sowie den Bau einer Marktkirche nördlich des Wik, das nun auch selbst von einer Mauer umgeben wurde. Im 12. Jahrhundert, einer Periode besonders intensiver Stadtgründungen, wurde im Nordosten, auf einer Insel der Treibe und östlich davon, eine Bürgerstadt [<<34] planmäßig angelegt, die später den Namen „Altstadt“ erhielt. Anfang des 13. Jahrhunderts folgte die Gründung einer weiteren Stadtzelle im Osten, jenseits der Treibe, mit fast kolonialstädtisch anmutendem regelmäßigen Stadtgrundriss und einer Marktkirche. Zunächst war jeder dieser Siedlungskerne für sich selbst ummauert, erst im 13. Jahrhundert wurde eine alle Siedlungen umfassende Stadtmauer errichtet. Allerdings waren damals die Siedlungskerne noch nicht rechtlich zu einer Einheit verschmolzen. Der Konflikt zwischen Bischof und Bürgerschaft, die sich zunehmend von ihrem Stadtherrn zu emanzipieren suchten, spiegelte sich im Streit zwischen bürgerlicher Altstadt und dompröpstlicher, also dem Bischof unterstehender Neustadt, der teilweise auch gewaltsam ausgetragen wurde. Erst 1583 wurde eine „Union“ der beiden Stadtteile gebildet und ein „Samtrath“ zur Koordination eingesetzt, außerdem die innere Mauer niedergelegt.15

Frankfurt am Main bildet eines der bedeutendsten Beispiele für eine Stadt, die sich aus einer königlichen Pfalz entwickelte. Hervorzuheben ist zunächst die im Namen manifestierte Lage an einem sehr gut passierbaren Mainübergang. Wenige Meter nördlich der Furt bot ein langgestreckter Höhenrücken, der spätere Domhügel, hochwasserfreies Siedlungsgelände, das gleichzeitig nach verschiedenen Richtungen gegen Angreifer geschützt war: Im Süden bot der damals noch deutlich breitere Main Schutz vor Annäherung, im Osten erschwerte ein Sumpfgelände den Zugang, im Norden war ein vermoorter Altarm des Main ein ähnliches Hindernis. Nur vom Westen, vom Karmeliterhügel (heute “Römerberg“) aus, war das Gelände gut zugänglich. Die Siedlungsgunst zeigt sich u. a. darin, dass der Platz schon seit 3000 v. Christus besiedelt war. Seit 70 n. Chr. war das Untermaingebiet unter Kaiser Vespasian in den römischen Machtbereich einbezogen. Am Standort Frankfurt gab es im 2./ 3. Jahrhundert eine Straßenstation, im 4./ 5. Jahrhundert einen Brückenkopf der Provinzhauptstadt Mogontiacum (Mainz) zur Sicherung der Mainfurt. Für die Franken wurde der Platz ab dem 6. Jahrhundert zu einem wichtigen Vorposten für den Ausgriff nach Osten, wohl auch bald schon Königsland und Sitz eines fränkischen Grafen. 794 wird der Name „Franconofurd“ erstmals erwähnt im Zusammenhang mit einer Reichssynode, die Karl der Große dort in einem fränkischen Königshof veranstaltete. Für eine so große Versammlung mit Hunderten der Edlen und Würdenträger des Reiches samt [<<35] Gefolge, die sich über viele Wochen oder gar Monate hinzog, waren umfangreiche Vorräte notwendig bzw. es musste dort möglich sein, Ressourcen an Nahrungsmitteln und Futter rasch aus dem näheren und weiteren Umland zu mobilisieren. Die Pfalz “Franconofurd“ war also bereits 794 wirtschaftlich recht potent, die Rede ist von 450 Tagwerk Land (=180 ha), außerdem stand südlich des Mains der umfangreiche Königsforst für Holz und Wild zur Verfügung. Die Lage am Untermain, nur wenige Kilometer vom Rhein entfernt, erleichterte die Beschaffung von Nahrungsmittel und Futter auf dem Wasserweg – die Teilnehmer an der Synode führten sicherlich Hunderte von Pferden mit sich. Nach der Reichsteilung von 843 wurde Frankfurt – neben Regensburg – zum „Hauptort des Ostreiches“16 und häufig von Königen besucht. Allerdings zeigt die Periode der „scheinbaren Königsferne“ im 11./12. Jahrhundert, während der Frankfurt zum Fernhandelsplatz aufstieg, dass die Stadtentwicklung nicht nur von der direkten Begünstigung durch den König abhing. Als die staufischen Könige seit Mitte des 12. Jahrhunderts wieder zurückkehrten, eine neue Burganlage am Mainufer bauten (heute Salhof, Teil des Historischen Museums) und die Messen, die sich in Frankfurt etablierten, förderten, schuf dies die Rahmenbedingungen für Frankfurt, sich im 13. Jahrhundert ummauert als rechtliche und politische Einheit zu etablieren. Die Privilegierung mit der Goldenen Bulle von 1356 – Frankfurt als Stadt der Königswahl – bestätigte nur eine bereits etablierte Praxis und unterstrich die hohe Bedeutung der Stadt.17

Europäische Urbanisierung (1000-2000)

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