Читать книгу Europäische Urbanisierung (1000-2000) - Dieter Schott - Страница 21
4.2 Die mittelalterliche Stadt und der Wald
ОглавлениеDer Wald stellte nach Aussage des Mediävisten Ernst Schubert die „wirtschaftliche Grundlage der spätmittelalterlichen Stadt“ dar.3 In einer Quelle zu zwei Wäldern der südwestdeutschen Stadt Pfullendorf wird um 1220 betont, „sine quibus civitas stare non potest“, die Stadt könne ohne sie nicht bestehen.4 Für die Menschen des Mittelalters und auch noch der frühen Neuzeit bildete der Wald eine multidimensionale Ressource, Wolfgang Piereth spricht vom Wald als der „nahezu alternativlosen Universalressource“.5 Auf materieller Ebene standen zunächst einmal die Nutzungen zur Holzversorgung und als “Nährwald“ im Zentrum. Holzversorgung bezog sich nicht nur auf Brennholz, das praktisch bis zur Erschließung und dem Abbau von Steinkohle die wichtigste Brennstoffressource für alle Vorgänge war, bei denen thermische Energie benötigt wurde.6 Holz bildete auch das Baumaterial für die allermeisten Gebäude der Stadt, sowie den Werkstoff, aus dem Werkzeuge, Wagen, Fässer, Möbel, Gerätschaften aller Art gefertigt wurden. Wald war „sowohl Grundstofflieferant als auch wichtigster Energieträger.“7
„Nährwald“ bedeutet, dass den Einwohnern von Städten der fußläufig erreichbare Wald (in Thünens Modell die forstwirtschaftliche Zone in Stadtnähe) als zusätzliche Quelle für Nahrungsmittel diente. Man sammelte dort Beeren, Pilze und Kräuter, hielt Bienen im Wald für Honig, das einzige Süßungsmittel der mittelalterlichen Gesellschaft. Schließlich wurde im Wald Wild gejagt, wobei dies offiziell den Jagdberechtigten, meistens adligen Herren, vorbehalten war. Allerdings zeigen zahlreiche Strafordnungen gegen Jagdfrevel und Prozesse gegen Wilderer, dass illegales Jagen weit verbreitet war. Der Wald diente auch als Weide; Schweine wurden im Herbst in den Wald getrieben, um sich an [<<68] Eicheln zu mästen, in Freiburg i.Br. brachte die Eichelmast 15 % der Einnahmen aus dem Stadtwald. Auch anderes städtisches Vieh weidete regelmäßig im Wald, für Nürnberg wird von 3000–4000 Stück Vieh berichtet, die in den Reichswäldern weideten. Die Waldweide setzte allerdings voraus, dass der Wald überwiegend aus Laubbäumen bestand; ein Nadelholzwald bietet nur wenig Futter für Weidetiere.
Die mittelalterliche Stadt war eine hölzerne Stadt: Nur wenige herausgehobene Bauten, vor allem die Kirchen und Klöster, einige Zunfthäuser, und natürlich die Mauern waren aus Stein. Die allermeisten Wohnhäuser waren dagegen noch ganz oder überwiegend aus Holz, selbst die Dächer waren mit hölzernen Schindeln oder Stroh bzw. Reet gedeckt. Seit dem Spätmittelalter setzte sich auf Druck der Stadtbehörden wegen des Feuerschutzes langsam die Verwendung von gemauerten Kaminen, von feuerfesten, aber rund ein Drittel teureren Ziegeln für die Dächer durch. Holz wurde aber auch für Steinbauten in erheblichem Maße gebraucht, etwa für die Konstruktion von Dachstühlen, Böden, Treppen und für die Gerüste. Der Bau der Münchner Frauenkirche im späten 15. Jahrhundert erforderte 20.000 Baumstämme, die auf der Isar angeflößt werden mussten.
Die städtischen Gewerbe waren ebenfalls in hohem Maße waldabhängig. So verarbeiteten Wagner astfreies Eichenholz, die Drechsler fertigten Büchsen aus Buchsbaum, die Seiler stellten ihre Seile aus Baumrinde her, Tischler und Schreiner verarbeiteten alle Arten von Holz, je nach Verwendungszweck und Geschmack. Sehr viel Holz wurde für Schiffsbau in Hafenstädten, aber auch für Brückenbau in Binnenstädten gebraucht. Großen Holzbedarf hatten die Küfer oder Büttner, die Fässer herstellten, zumal auch die dazu notwendige Herstellung von Teer großen Brennholzverbrauch verursachte. Fässer dienten der mittelalterlichen Wirtschaft als universales Transportmittel, das für Waren aller Art eingesetzt wurde, die geschützt über längere Strecken transportiert werden sollten, sie waren die „Container“ des Mittelalters. Aber auch Handwerker wie Schuster oder Gerber lebten vom Wald; Schuster stellten Leisten und Zwecken (= Nägel) aus Holz her, Gerber verarbeiteten die Baumrinde von Eichen, um die nötige Lohe für den Gerbprozess von Leder zu gewinnen.8