Читать книгу Europäische Urbanisierung (1000-2000) - Dieter Schott - Страница 9
1.1 Die Stadt als gebaute Entität
ОглавлениеInsbesondere die baulich-materiellen Strukturen von Stadt weisen eine hohe Langlebigkeit und eine außerordentliche Veränderungsresistenz auf; sie überdauern meist auch große politische Zäsuren, selbst Kriege und massive Zerstörungen im Zuge von Naturkatastrophen.7 In der Umwelt- und Technikgeschichte wird diese Veränderungsresistenz von physischen, materiellen, aber auch von mentalen Strukturen „Pfadabhängigkeit“ genannt, ein Begriff, der aus der Wirtschaftsgeschichte entlehnt wurde.8 „Pfadabhängigkeiten“ liegen häufig bei Infrastruktur-Technologien vor, die für ihr störungsfreies Funktionieren auf ein bestimmtes Prinzip oder ein nicht beliebig kompatibles technisches System angewiesen sind. So setzte sich etwa für die Kanalisation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast allgemein das Prinzip der Schwemm- oder Mischkanalisation durch, das sämtliche Abwässer in einem Röhrensystem zusammenfasst, aber zu seinem störungsfreien Funktionieren erhebliche Mengen Wasser braucht, die aus den WCs in die Kanalisation eingeführt werden (vgl. Kap. 9, S. 223). Heutige Überlegungen, unterschiedlich belastete Abwässer zu trennen und [<<14] getrennt zu behandeln, was effektiver und auch energetisch günstiger wäre, treffen auf die gebaute Realität der Schwemmkanalisation, die sich wegen der enormen damit verbundenen Kosten und auch des systemischen Charakters kaum kurzfristig umbauen lässt. Das Konzept „Pfadabhängigkeit“ lenkt die Aufmerksamkeit auf die mit der Einrichtung eines Systems getroffenen Grundentscheidungen, die für die Folgezeit den Handlungsspielraum erheblich limitieren und die Entwicklung auf einen bestimmten Pfad festlegen, der – unter veränderten Prämissen – später als suboptimal angesehen wird. Weil die ursprüngliche Entscheidung zunächst positive Rückkoppelungseffekte produziert und so Selbstverstärkungswirkungen entfaltet, verfestigt sich der einmal eingeschlagene Pfad. In der Folge erscheinen Entscheidungsspielräume den Akteuren als erheblich eingeschränkt, was die Pfadabhängigkeitsforschung als „lock-in“ bezeichnet. Diese Strahlkraft von Geschichte in unsere Gegenwart verweist darauf, dass wir die Strukturen, mit denen es heutige Stadtentwicklung und Umweltpolitik zu tun hat, nur angemessen verstehen können, wenn wir sie in ihrer langfristigen Genese analysieren und erklären.
An diesem Punkt setzt dieses Studienbuch an: Es möchte deutlich machen, wie die heutigen Strukturen, die unsere europäischen Städte als gebaute Entität prägen, sich langfristig formiert haben. Diese Langfristperspektive wird auch zeigen, dass die europäischen Städte schon immer ihre Umwelt erheblich verändert und umgestaltet haben, wobei Dauerhaftigkeit und Reversibilität dieser Eingriffe unterschiedlich waren.
Der Gang durch die Geschichte der europäischen Stadt, auf den dieses Buch seine Leser mitnehmen möchte, wird unter einer besonderen Perspektive stehen, die aus der eingangs erläuterten Problematik erwächst: Im Zentrum wird das Stadt-Umwelt-Verhältnis stehen, konkreter die Frage, wie die Stadt als „kollektiver Konsument“ von Nahrungsmitteln, Wasser, Energie, Rohstoffen etc. diese Ressourcen beschafft und damit auf ihre Umwelt, ihr Umland eingewirkt hat. Zentral wird weiterhin die „Kehrseite“ dieses Aspektes sein: In der Verwertung von Nahrungsmitteln, Wasser, Energie und Rohstoffen produziert die Stadt „Restprodukte“ dieses Konsums: Fäkalien, Abwasser, Abfall, Rauch, Asche, aber auch gewerbliche Produkte einer höheren Fertigungsstufe. Diese Materialien können nur sehr bedingt auf städtischem Territorium gelagert werden, zum einen aus Platzmangel, zum anderen aus hygienischen Gründen. Städte waren und sind also darauf angewiesen, ihre Stoffwechselprodukte an ihre Umwelt abzugeben und sie dadurch zu „entsorgen“ bzw. einer neuen, anderen Nutzung zuzuführen, sie zu „recyceln“. Gewerbliche Produkte werden, soweit sie nicht innerhalb der Stadt konsumiert werden, an die Umwelt über Handel abgegeben, um damit wieder andere benötigte Materialien für den städtischen Stoffwechsel zu erwerben. Diese Strukturnotwendigkeiten der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und deren Sicherung [<<15] einerseits, der Entsorgung der Stoffwechselprodukte und damit Unschädlichmachung für die städtische Bevölkerung andererseits sind gewissermaßen universale Grundkonstanten städtischer Existenz über alle historischen Epochen hinweg.
„Stadt“ soll für dieses Studienbuch als verdichtete Siedlung begriffen werden, die für ein unterschiedlich großes Umland zentrale Funktionen des Güteraustauschs (Markt), der politischen Herrschaft und Verwaltung, der Produktion gewerblicher Güter und der kulturellen Reproduktion (Hauptkirchen, Schulen, Universitäten, Wissenseinrichtungen) ausübt.9 Relativ breite Akzeptanz hat in der deutschen Stadtgeschichtsforschung eine eher an der vormodernen Stadt von Franz Irsigler entwickelte Definition gefunden:
„Stadt (ist) eine vom Dorf und nichtagrarischen Einzwecksiedlungen unterschiedene Siedlung relativer Größe mit verdichteter, gegliederter Bebauung, beruflich spezialisierter und sozial geschichteter Bevölkerung und zentralen Funktionen politisch-herrschaftlicher-militärischer, wirtschaftlicher und kultisch-kultureller Art für eine bestimmte Region oder regionale Bevölkerung. Erscheinungsbild, innere Struktur sowie Zahl und Art der Funktionen sind je nach Raum und Zeit verschieden: Die jeweilige Kombination bestimmt einmal die Individualität der Stadt, zum anderen ermöglichen typische Kombinationen die Bildung von temporären und regionalen Typen oder Leitformen, je nach den vorherrschenden Kriterien.“10
Die auch in Irsiglers Definition akzentuierte funktionale Spezialisierung und Arbeitsteilung bedeutet, dass ein variabler, aber in der Regel nennenswerter Teil der Stadtbevölkerung nicht oder nur teilweise mit Landwirtschaft befasst ist. Die Stadt ist daher Netto-Konsument von Agrarprodukten, die nicht auf ihrem Territorium produziert werden können. Aus dieser Tatsache ergibt sich unabweisbar der Zwang, diese primär konsumierende Bevölkerung aus den Überschüssen anderer Gebiete zu versorgen. Historisch unterschiedlich wurde nun aber jeweils die Frage gelöst, wie diese Versorgung konkret organisiert, gesichert wurde. Hier spielten der Stand der Agrartechnik und der Agrarverfassung, die naturräumliche Lage, die Entwicklung der Transporttechnik, aber auch Fragen der politischen Herrschaft bzw. der wirtschaftlichen Dominanz über Versorgungsgebiete eine zentrale Rolle. [<<16]
Fokus 1: Die Stadt und ihr Stoffwechsel
In der Umweltgeschichte, insbesondere der Umweltgeschichte der Stadt, hat sich in den letzten Jahren ein Ansatz entwickelt, der das Verhältnis Stadt-Umwelt unter dem Leitbegriff „gesellschaftlicher Stoffwechsel“ konzeptualisiert.11
Abb 1 Gesellschaftlicher Stoffwechsel der Stadt [<<17]
Dieser von der Interdisziplinären Forschergruppe für Soziale Ökologie unter der Leitung von Marina Fischer-Kowalski an der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Alpen-Adria Universität Klagenfurt-Wien-Graz entwickelte Ansatz, der auf älteren Studien etwa von Stephen Boyden zum Stoffwechsel Hongkongs aufbaut12, fragt nach den Ressourcen, die für die Reproduktion der Stadt lebenswichtig sind. Die Stadt braucht zur Aufrechterhaltung des biologischen Stoffwechsels ihrer (menschlichen, tierischen und pflanzlichen) Bewohner wie auch für kollektive Phänomene, etwa den Bau von Straßen, Plätzen, Gebäuden, die Zuführung von dafür unverzichtbaren Materialien und Ressourcen, hier als „Inputs“ bezeichnet. Diese werden in der Stadt verarbeitet, verbraucht und in veränderter Form als Abfall, als verarbeitete Produkte („Outputs“) deponiert, ausgeschieden oder abgegeben. Der Fokus auf den Stoffwechsel der Stadt stellt also Stoffströme und deren Veränderung ins Zentrum, insbesondere aber auch den Prozess der „Kolonisierung der Natur“ durch die Stadt. Zur Befriedigung ihrer Ressourcenbedürfnisse wie zur Entsorgung der Restprodukte greifen Städte in langfristiger Perspektive räumlich immer weiter in ihr Umland aus. Sie nutzen die Ressourcen dieses Umlands für ihren Stoffwechsel und – zur Absicherung dieser Nutzung – unterwerfen sich dies entweder durch politische Beherrschung, indem Städte etwa ein eigenes Herrschaftsgebiet aufbauen, oder durch wirtschaftliche Dominanz, etwa den Kauf von Land oder von Gütern. Im Industriezeitalter erreicht diese „Kolonisierung von Natur“ schließlich neue Dimensionen, indem Städte sich für die Erschließung der Ressourcen in großen Entfernungen technisch-industrieller Transportsysteme wie Eisenbahn, Dampfschifffahrt, aber auch dampfmaschinengetriebener Pumpsysteme bedienen können, die auch den Ferntransport eigentlich geringwertiger Güter (z. B. Wasser) ermöglichen. Stadt mobilisiert also die Ressourcen des Umlandes für den sich in ihr vollziehenden gesellschaftlichen Stoffwechsel. Zugleich verändert sie damit tendenziell tief greifend die Ökosysteme ihrer Umwelt, etwa durch die Ausrichtung landwirtschaftlicher Bewirtschaftung auf die primären Konsumbedürfnisse der städtischen Bevölkerung, durch Absenken des Grundwasserspiegels bei Wasserentnahme, durch Entwaldung oder Veränderung der Zusammensetzung und Bewirtschaftung des Waldes, durch Abraumhalden, Mülldeponien oder Flussverschmutzung, was wiederum die Möglichkeiten flussabwärts gelegener Städte, den Fluss zu nutzen, beeinträchtigt.
Was jeweils konkret als „Umland“ zu definieren ist, ist historisch und geografisch variabel. Für die flandrischen und niederländischen Städte des späten Mittelalters und [<<18] der frühen Neuzeit waren die Getreideanbaugebiete rund um die Ostsee Umland in dem Sinne, dass die Getreideexporte etwa der Gebiete entlang der Weichsel für die Brotversorgung von Brügge, Antwerpen oder Amsterdam bedeutsam waren (vgl. Kap. 4.3, S. 76 u. Kap. 6.5, S. 141). Das konkrete Ausmaß des Umlands hing daher ab von der spezifischen Ressource, ihrem Wert, ihrer Transportierbarkeit sowie dem Stand der Transporttechnik und der Lage der Stadt. Heute ist in vieler Hinsicht die ganze Welt Umland unserer europäischen Städte, wozu wesentlich die radikale Senkung von Transport- und Transaktionskosten der modernen Logistik beigetragen hat. Ein Blick auf die Herkunftsorte der Waren in unseren größeren Supermärkten reicht, um die heutige Globalität des Umlandes einsichtig zu machen.
Sowohl zur Gewinnung der im Stoffwechsel der Stadt benötigten Inputs als auch zur Entsorgung der Outputs ist Fläche/Land unverzichtbar. Daher entwickelte sich in der Umweltwissenschaft ein einflussreicher Versuch, Flächenbeanspruchung als Indikator für die Umweltwirkung gesellschaftlicher Einheiten wie Städte zu nehmen. Es wird die (theoretische) Fläche ermittelt, die benötigt wird, um die in einer Stadt erforderlichen Ressourcen zu erzeugen bzw. zu gewinnen, aber auch um die Rest- und Abfallprodukte zu entsorgen. William Rees und Mathis Wackernagel, die in den 1990er-Jahren diese Methode entwickelt haben, nannten diesen Indikator einprägsam „Ökologischer Fußabdruck“ (ecological footprint).13 Londons ökologischer Fußabdruck beansprucht nach einer Studie von 2002 eine Fläche, die dem Doppelten der Gesamtfläche Großbritanniens entspricht, fast dem Dreihundertfachen der Stadtfläche. Jeder Londoner entwickelt einen Fußabdruck von 6,63 ha, während global – bei gleicher Verteilung der Ressourcen – pro Weltbewohner nur 2, 18 ha zur Verfügung stehen. Perspektivisch bedeute dies – so die Studie –, dass die Londoner eine Reduktion ihres Ressourcenverbrauchs um 35 % bis 2020, um 80 % bis 2050 realisieren müssten, um nachhaltig zu sein.14
Der „ökologische Fußabdruck“ besitzt zwar als Metapher eine hohe Anschaulichkeit, ist allerdings für eine historische Analyse der Umweltbeanspruchung europäischer Städte kaum umsetzbar, denn nur selten finden wir in den Quellen für die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks ausreichend genaue und quantifizierbare [<<19] Angaben.15 In der Regel muss sich Umweltgeschichte der Stadt, vor allem für weiter zurückliegende Perioden, damit begnügen, die wichtigsten Energie- und Materialflüsse, die in eine Stadt und ihren Stoffwechsel eingehen, auf einer qualitativen Ebene nachzuzeichnen. Dies ist daher auch der Anspruch dieses Studienbuchs: Das Modell des „Stoffwechsels der Stadt“ dient dazu, die materielle Reproduktion von Städten und ihrer Bewohner sowie deren Auswirkungen auf das Umland überhaupt als zentrales Problem zu identifizieren. Es hilft uns, Fragen nach den wichtigsten Ressourcen zu formulieren und nachzuspüren, wie diese beschafft wurden, welche Konflikte dabei auftraten, welche Wirkungen die „Kolonisierung von Natur“ in den Gebieten, auf die sich die Versorgungsinteressen der Stadt jeweils richteten, zeitigten. Dabei lassen sich, auch wenn keine genaue Quantifizierung möglich ist, doch weitreichende Aussagen treffen: So konnten britische Mittelalterhistoriker das Hinterland Londons im Spätmittelalter für die Versorgung mit Getreide und Brennholz einigermaßen exakt räumlich bestimmen. Es zeigte sich dabei die zentrale Bedeutung von Naturraum und Verkehrslage: Begünstigt durch die Themse und ihr Flussdelta bezog London seine wesentlichen Nahrungsmittel und Brennstoffe aus einem über 160 km langen, aber auf beiden Seiten der Themse nur jeweils etwa knapp 30 km tiefen Korridor.16 Innerhalb dieses Gebiets ist eine spezifische, auf die Getreide- und Holzbedürfnisse Londons ausgerichtete „Kolonisierung von Natur“ nachweisbar, wurden etwa Wälder mit dem Ziel maximalen Brennholzertrags bewirtschaftet, was den Charakter dieser Wälder dauerhaft veränderte (vgl. Kap. 4.2, S. 68 u. Kap. 7.2.6, S. 175).
Das Konzept „gesellschaftlicher Stoffwechsel“ der Stadt erlaubt, die Beziehungen zwischen Städten und ihrer Umwelt in einen Gesamtzusammenhang zu bringen. Wir können die Abhängigkeit einer Stadt von den natürlichen, für ihre Reproduktion notwendigen Ressourcen erfassen und die Schwachpunkte, die Aspekte, hinsichtlich [<<20] derer eine spezifische Stadt am meisten verwundbar war und am wenigsten autonom ihre Versorgung sicherstellen konnte, identifizieren. Wir können daher die Ver- und Entsorgungsstrategien verschiedener Städte innerhalb einer Zeitperiode vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede ausmachen. Dabei geht es allerdings nicht primär um das Herausarbeiten von Besonderheiten, sondern vielmehr um die Darstellung allgemeiner, für die meisten Städte strukturell ähnlicher Muster. Im Zeitverlauf können wir fragen, wie sich solche Strategien in Reaktion auf Bevölkerungswachstum oder Schrumpfung, auf politische oder ökonomische Veränderung gewandelt haben.
Fokus 2: Die Umwelt der Stadt
Das zweite Thema, das diesen Band als roter Faden durchzieht, ist die Frage nach der „Umwelt“ der europäischen Städte in einem weiteren, umfassenden Sinn. Städte waren nicht nur geprägt und zugleich auch begrenzt von ihrer Lage in der Landschaft, ihren Standort etwa an einem wichtigen Fluss, durch Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit der sie umgebenden Länder. Sie sahen sich auch in politisch und religiös bestimmte Umwelten eingebunden, mit Herrschaftsstrategien und geistigen Bewegungen konfrontiert, die sich auf ihre Position in politischen Bündnissen auswirkten, die die Bewohner der Stadt mobilisierten und zur Durchsetzung neuer Forderungen, zur Schaffung neuer Strukturen motivierten, wie dies in der vorindustriellen Zeit etwa im Investiturstreit oder in der Reformation der Fall war. „Umwelt“ der Städte war außerdem bis ins 18. Jahrhundert der Feudalismus, die Art und Weise, wie die europäischen Gesellschaften ihren Umgang mit Boden, ihre Landwirtschaft, ihre gesellschaftliche Hierarchie und ihren Austausch organisierten. Dabei handelte es sich um eine keineswegs statische, aber sich doch in sehr langen Zeiträumen wandelnde Formation, innerhalb derer die Städte mit der Garantie persönlicher Freiheit für ihre Bewohner, aber auch mit der größeren Bedeutung marktförmiger Allokationsprozesse, eigentlich systemfremde Inseln bildeten. „Umwelt“ städtischer Entwicklung waren schließlich auch langfristige demografische und ökonomische Konjunkturen, die die europäische Geschichte insgesamt seit dem Frühmittelalter prägten, ein Wechselspiel zwischen Expansion – Krise – Kontraktion und Erholung, das sich natürlich auch auf Städte und deren Entwicklung in gelegentlich überraschenden Effekten auswirkte, wenn z. B. Städte – nach zunächst dramatischen Bevölkerungsverlusten durch die Pest Mitte des 14. Jahrhunderts – später dann zu Gewinnern in der Krise des 14. Jahrhunderts wurden (vgl. Kap. 5.2.2, S. 93). Diese großen Perioden von Expansion, Krise und Kontraktion strukturieren insbesondere die Kapitel 2 (S. 25), 3 (S. 41), 5 (S. 89) und 6 (S. 125). Angesichts der Fülle und Vielschichtigkeit historischer [<<21] Entwicklungsprozesse in diesem langen Zeitraum eines Jahrtausends können viele historisch-politische Rahmenbedingungen allerdings nur knapp angedeutet werden.
Fokus 3: Die Stadt als Umwelt
Eine dritte strukturierende Fragestellung richtet sich auf den Wandel von Stadt als Umwelt der Städter. Städte als gebaute Artefakte gesellschaftlichen Zusammenlebens unterliegen einem historischen Wandel, der sich über Prozesse des Verfalls und Neubaus, der kollektiven Formierung bestimmter Räume in der Stadt (Mauern, Plätze, Straßen, öffentliche Einrichtungen), der Zerstörung und des Wiederaufbaus nach Kriegen und Naturkatastrophen manifestiert. Und auch die Stoffströme der Stadt gehen nicht in gesamtstädtischen Materialbilanzen auf, sondern wurden konkret kleinräumlich vermittelt und organisiert, etwa durch die Hunderte oder Tausende von Grundwasserbrunnen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten (vgl. Kap. 5.4, S. 109) oder die hochgradig regulierten städtischen Märkte. Es wird daher immer wieder aufgezeigt werden, wie Stadt als gebaute Struktur aussah, wie bestimmte Funktionen räumlich zugeordnet waren, wo und wie sich „Natur“ in der Stadt zeigte und insbesondere, wie sich soziale Ungleichheit im Raum der Stadt artikulierte. Für die Zeiträume näher zu unserer Gegenwart wird die baulich-räumliche Umgestaltung der Stadt zentrales Thema, sei es quasi-naturwüchsig durch die Marktkräfte einer entfesselten Industrialisierung wie in der shock-city Manchester (vgl. Kap. 8, S. 193) oder im Berlin der gründerzeitlichen Mietskasernen, sei es durch Versuche planmäßiger Neuordnung, wie sie sich in staatlichen oder städtischen Umbauprogrammen, etwa der „Haussmannisierung“ von Paris Mitte des 19. Jahrhunderts (vgl. Kap. 10, S. 253), beobachten lassen.