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3.1.3 Stadtgründung als Investition und Landesentwicklung

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Charakteristisch wurde in dieser Phase des 12. und 13. Jahrhundert aber nicht nur die Emanzipation der Bischofsstädte, die zunehmend zu Freien oder Reichsstädten wurden, sondern besonders auch die Gründung neuer Städte, die von vornherein mit umfangreichen Privilegien versehen wurden. Die Periode zwischen 1150–1350 war die Hauptphase von Stadtgründungen: Von insgesamt 5000 Städten, die Stoob für den mitteleuropäischen Raum erfasst hat, wurden rund 4000 in dieser Phase gegründet.21 Territorialherren nahmen die Stadt als “Erfolgsmodell“ wahr, erkannten, dass man durch die Gründung von Märkten und Städten die eigenen Einnahmen vermehren und die eigene Machtposition in Konkurrenz zu benachbarten Adligen oder dem König stärken konnte.

Freiburg: Die Marktprivilegierung

Das in der deutschen Stadtgeschichte berühmteste und quellenmäßig am besten belegte Beispiel ist im frühen 12. Jahrhundert die Gründung der Stadt Freiburg im Breisgau. Schriftliche Quellen für die Existenz einer früheren Siedlung auf dem Gebiet von Freiburg gibt es nicht, aber archäologische Funde legen eine Vorsiedlung aus dem späten 11. Jahrhundert nahe.22 Die Existenz einer Martinskapelle (= fränkisches Patrozinium) [<<49] auf dem Stadtgebiet deutet auf noch ältere Siedlungselemente hin. Der Graf Konrad von Zähringen lässt 1120 folgende Gründungsurkunde anfertigen:

Allen Zukünftigen wie Gegenwärtigen sei bekannt, das ich, Konrad, auf meinem eigenen Land, nämlich in Friburc, im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1120 einen Markt (forum) gegründet habe. Ich habe durch Bekanntmachung von überallher Kaufleute herbeigerufen und bestimmt, den Markt durch eine Schwureinung (coniuratio) zu gründen und auszubauen. Dann habe ich jedem Kaufmann in dem gegründeten Markt einen Bauplatz zugeteilt, damit er Häuser auf eigenem Besitz errichten kann, und habe bestimmt, dass mir und meinen Nachfahren von jedem Grundstück zu Martini ein Schilling gültigen Geldes als jährlicher Zins bezahlt werde. Die einzelnen Hausgrundstücke sollen hundert Fuß lang und fünfzig Fuß breit sein. […] Ich verspreche Frieden und Wegesicherheit in meinem Macht- und Herrschaftsbereich allen, die meinen Markt aufsuchen. Sollte jemand dort beraubt werden, werde ich, wenn er den Räuber benennt, entweder die Rückgabe erreichen oder selbst Schadensersatz leisten. […] Allen Kaufleuten erlasse ich den Zoll. Niemals will ich meinen Bürgern einen Vogt oder einen Pfarrer ohne Wahl vorschreiben, sondern wen immer sie dazu erwählen, will ich bestätigen. Wenn sich irgendeine Streitigkeit oder Meinungsverschiedenheit unter meinen Bürgern erhebt, sollen diese weder nach meinem Urteil noch dem ihrer Vorsteher verhandelt werden, sondern nach dem gewohnheitlichen und legitimen Recht aller Kaufleute, besonders der Kölner, soll ein Urteil gefunden werden.23

Das erste Freiburger Recht war eigentlich noch kein Stadtrecht, sondern vielmehr ein Marktrecht, im lateinischen Text ist nur von locus und forum die Rede. Erst knapp hundert Jahre später, als 1218 die Freiburger ihre Rechte im „Stadtrodel“ nochmals bestätigen lassen, spricht der Text von civitas.24 Zentrale Elemente des Freiburger Rechts von 1120 waren Marktgründung und Schwureinung der beteiligten Kaufleute. Der Graf übergibt abgemessene gleich große Grundstücke an die Kaufleute zu deren freiem Besitz und verlangt lediglich eine regelmäßige, einmal jährlich zu entrichtende Geldabgabe, eine Vorform der Grundsteuer. Besonders wichtig für das Gedeihen des Freiburger Marktes war angesichts der grassierenden Unsicherheit auf Straßen und Wegen die Garantie für Frieden und Sicherheit und die Zusicherung von Schadensersatz, sollte [<<50] ein Kaufmann beraubt werden. Außerdem versprach der Stadtgründer den Kaufleuten Abgabenfreiheit – mit Ausnahme des Grundzinses – und das Recht, ihren Vogt und Pfarrer selbst zu wählen. Die Rechtsgrundlage für das Gerichtswesen in Freiburg bildete das Kölner Kaufmannsrecht; war die Klärung einer Rechtsfrage also in Freiburg strittig, so konnten sich die Parteien an den Rat der Stadt Köln mit der Bitte um Rechtsauskunft wenden. Trotz der bemerkenswert dichten stadtrechtlichen Überlieferung in Freiburg wurde die Stadt nie eine “Freie Stadt“ wie die vorher erwähnten Bischofsstädte. Nach Aussterben der Gründungsdynastie der Zähringer fiel die Stadt 1218 an die Grafen von Freiburg, mit denen es allerdings dann im späteren 14. Jahrhundert auch bewaffnete Auseinandersetzungen gab. Nach massiven Kämpfen, bei denen die Freiburger die gräfliche Burg zerstörten, dann aber doch militärisch besiegt wurden, ging die Stadt den wirtschaftlichen Weg; man kaufte sich von den Grafen von Freiburg los und unterstellte sich dem Schutz der mächtigen, aber fernen Habsburger, Freiburg blieb damit eine Landstadt.25 Wirtschaftlich nahm Freiburg durch den Silberbergbau im nahen Südschwarzwald und den regionalen Handel im Raum zwischen Straßburg und dem Bodensee einen raschen Aufschwung. 1146 sind Mauern, ein Hospital und eine Kirche belegt, in den 1170er-Jahren dürften die Stadtbäche angelegt worden sein. Die Präsenz von Steinhäusern bereits im frühen 13. Jh. zeigt den Reichtum der Stadt. Die Grundstruktur des Stadtgrundrisses mit Straßenmarkt und Querstraßen, die wiederum durch Gassen verbunden waren, dürfte bereits bei der Gründung festgelegt worden sein.26

Leipzig: Stadtgründung im Kolonisationsland

Lag Freiburg im Breisgau im fränkischen und schon früh christianisierten Altsiedelland, so soll Leipzig als Beispiel einer Stadtgründung östlich der Elbe, im Zuge der sogenannten Ostkolonisation, dienen. Auf dem Gebiet des heutigen Leipzig, am Zusammenfluss von Parthe, Pleiße und Elster, existierte seit dem Frühmittelalter eine sorbische Siedlung „Lipzi“, was auf „lipa“= Linde verweist. Erstmals urkundlich erwähnt wird Leipzig als urbs Lipzi, Burg Leipzig, in der Chronik Bischofs Thietmar von Merseburg im Jahr 1015. Diese deutsche Burg sicherte eine Kaufmanns- und Handwerkersiedlung an der Kreuzung von zwei wichtigen Fernstraßen, der via regia in West-Ost-Richtung, aus dem [<<51] Rhein-Main-Raum kommend und weiter nach Breslau führend, und der via imperii, die vom Süden, letztlich aus Italien über Nürnberg kommend, weiter über Halle, Magdeburg und schließlich an die Ostsee führte. Leipzig lag im Hochmittelalter am östlichen Rand eines ausgedehnten, versumpften Auenwaldes im Flusstal der Weißen Elster, was eine Annäherung und Belagerung von Westen her wohl erschwert haben dürfte. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts zeigen Kirchenbauten, dass Leipzig wachsende Bedeutung gewann. Der Stadtbrief, den Markgraf Otto der Reiche von Meißen-Wettin zwischen 1156 und 1170 für Leipzig ausstellte, die erste Stadtrechtsverleihung in Ostdeutschland, dokumentiert die Wichtigkeit der Stadt für den Markgrafen: Er verlieh der Stadt Hallisch-Magdeburgisches Recht, gab – wie in Freiburg – das Stadtgebiet zur Bebauung frei. Besonders wichtig wurde das Marktrecht, das Leipzig eine Bannmeile von 15 km Umkreis sicherte. In diesem Bereich lagen 27 Dörfer, denen die Abhaltung eines Marktes damit untersagt war. Der räumliche Geltungsbereich des Stadtrechts, das sogenannte Weichbild, wurde durch Grenzzeichen markiert.27 Leipzig selbst genoss Zollfreiheit, war aber berechtigt, in den Dörfern seines Marktbanns Wege- und Brückengelder zu erheben. Die Stadt durfte die Wälder der Nachbarschaft nutzen und musste keine Abgaben leisten mit Ausnahme für die Kriegszüge der deutschen Könige.28 Infolge dieser Privilegierung bildete sich eine ausgeprägte regionale Hierarchie heraus: Nachbarorte wie Taucha oder Schkeuditz, die bis Mitte des 12. Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung wie Leipzig durchlaufen hatten, wurden als Konkurrenten ausgeschaltet, weil ihnen die Möglichkeit abgeschnitten wurde, über die Entwicklung eines regionalen Marktes Wachstumsimpulse zu erhalten. Das Marktrechtsprivileg mit der Bannmeile sollte später auch den Kern für das bedeutsame Messeprivileg Leipzigs bilden.

Im 13. Jahrhundert begegnet uns Leipzig als entwickeltes städtisches Gemeinwesen: Über den großen planmäßig angelegten Marktplatz führten die beiden wichtigen Fernhandelsstraßen. Jenseits der Mauern und der vier Tore lagen im Norden und Nordwesten gewerbliche Vorstädte mit Ansiedlung der Gerber und zahlreichen Mühlen. Die örtlichen Flüsse waren für den Betrieb dieser Mühlen vielfach umgeleitet worden, was auf eine kapitalkräftige und leistungsfähige städtische Siedlung verweist.

Im Verlauf einer Reihe von Konflikten zwischen Bürgergemeinde und Stadtherrn, dem Markgrafen, zerstörte die Stadt nach 1225 die vom Stadtherrn errichteten [<<52] Zwingburgen und überließ deren Reste den neuen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner zur Nutzung. Allerdings gelang es Leipzig nie, wie etwa Frankfurt, den Status einer Reichsstadt zu erkämpfen. Seit 1270 sind in Leipzig consules, also Räte nachgewiesen, 1273 erwirbt die Stadt von ihrem Landesherrn das Münzrecht. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts dürfte Leipzig etwa 3000 Einwohner gezählt haben.29

Die Gründungsprozesse von Freiburg und Leipzig zeigen, wie Territorialherren einerseits Siedlungen an strategisch günstigen Stellen gezielt mit Stadtrechten und städtischen Privilegien förderten, andererseits die Bewohner dieser Städte sich erhebliche Handlungsspielräume gegenüber ihren Stadt- und Landesherren erkämpfen konnten. In ganz Europa wurde die Gründung von Städten zur vielfach praktizierten Strategie der führenden Geschlechter, die sich damit Herrschaftsstützpunkte und Quellen für Steuern und Abgaben schaffen wollten. So wurden die Staufer etwa mit der Gründung von Heidelberg, Breisach, Pforzheim oder Hagenau aktiv, die Welfen etablierten München – nachdem sie Föhring, den Marktort des Freisinger Bischofs, zerstört hatten – wie auch Lübeck, und förderten Braunschweig nachdrücklich. Ergebnis dieses säkularen Prozesses der Urbanisierung im 12. und 13. Jahrhundert war die Herausbildung einer vielfach gegliederten Städtelandschaft, die einherging mit einer wesentlich intensiveren Kultivierung des Bodens. Peter Clark schätzt den Anteil der städtischen Bevölkerung um die Mitte des 14. Jahrhunderts europaweit auf 10–15 %, was aber große Unterschiede zwischen stark urbanisierten Landschaften in Norditalien und Flandern (30–40 %), Raten um 15 % in Frankreich, dem westlichen Deutschland und England, und Gebieten mit außerordentlich geringer Urbanisierung (Nord- und Osteuropa, 3–4 %) einschloss.30

Europäische Urbanisierung (1000-2000)

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