Читать книгу Meine sanfte Medizin für einen guten Schlaf - Dr. med. Franziska Rubin - Страница 7
ОглавлениеUnser Schlaf im Wandel der Zeit
Schon immer wollten die Menschen Erkenntnisse über das Phänomen Schlaf gewinnen. Doch erst in den letzten 100 Jahren wurde das technisch möglich. In der Antike war der Schlaf als kleiner Bruder des Todes gefürchtet. Seit der industriellen Revolution bestimmen nicht mehr unsere Bedürfnisse, sondern Profit und Produktionsbedingungen die Schlafenszeiten.
Der Schlaf hat sich Jahrtausende dem Erkenntnisdrang der Menschen entzogen. Erst mit der Erfindung der EEG (Elektroenzephalografie) in den 1920er-Jahren wurde es möglich, Informationen über die Vorgänge im Gehirn zu gewinnen. Die EEG wird bis heute in der Schlafmedizin eingesetzt, mittlerweile jedoch um zahlreiche Diagnosemethoden ergänzt.
Hypnos, Morpheus und Somnus
Das Unerklärliche haben unsere Vorfahren gerne den Göttern in die Schuhe geschoben, so auch das Mysterium des Schlafs. Davon abgeleitete Begriffe begegnen uns heute noch in der Medizin. Die Griechen ernannten Hypnos (Schlaf) zum Gott des Schlafs, der in der Unterwelt wohnt und nie das Licht erblickt. Da Hypnos die Fähigkeit zugesprochen wurde, Götter und Menschen in Tiefschlaf zu versetzen, wurde von seinem Namen der Begriff „Hypnose“ abgeleitet. Die EEG, die im Schlaflabor Hirnströme misst, heißt Hypnografie. Wenn auch der Schlaf für die alten Griechen ein Geheimnis gewesen sein mag, die schlaffördernde Wirkung von Mohn war es offenbar nicht. Denn Hypnos wird in der Mythologie oft mit Mohnzweigen oder -blüten dargestellt.
Jeder kennt die Redensart „in den Armen von Morpheus ruhen“. Morpheus, auch eine Figur aus der griechischen Mythologie, ist Hypnos‘ Sohn. Als Gott der Träume ist er für die nächtlichen Bilder zuständig. Als Traumgott kann er verschiedene Gestalten im Traum annehmen.
Die Römer hatten natürlich auch einen Gott des Schlafs, sie nannten ihn Somnus. Auch dieser Wortstamm kommt in vielen Begriffen der Schlafmedizin vor. So nennt man Schlafstörungen Insomnien und Dinge, die während des Schlafs passieren – beispielsweise Zähneknirschen –, sind Parasomnien. Eine Parasomnie, das Schlafwandeln, wird als Somnambulismus bezeichnet. Eine große Diagnostik im Schlaflabor nennt man Polysomnografie. Und Schlafforscher sind Somnologen.
Der griechische Schlafgott Hypnos war ein beliebtes Motiv in der Kunst.
Ansichten über den Schlaf
Während wir uns heute nach dem Schlafen sehnen, dürfte es früher Angst verbreitet haben. In der Antike nannte man den Schlaf den kleinen Bruder des Todes. Die Menschen gingen davon aus, dass es sich um eine Art Sterben auf Zeit handelte, wenn jemand einschlief. Die Angst, nicht mehr aufzuwachen, war groß; ein Schlafplatz in der Nähe von Tempeln deshalb begehrt.
Bestes Mittel für gute Nerven
Erstaunlich modern erwiesen sich die mittlerweile mehr als 1000 Jahre alten Erkenntnisse der Benediktinerin und Universalgelehrten Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), die den natürlichen Schlaf als das beste Mittel beschrieb, damit sich das „(Nerven-)Mark erholen kann“. Und der berühmte Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) forderte, möglichst jeder Mensch solle nicht zu viel und nicht zu wenig schlafen und sich dabei am besten nach der Sonne richten. Sonst wäre die Ordnung der Natur gebrochen. „Denn die Sonne will, dass alles wach sei.“
Orientierung an der Sonne
Der schweizerisch-österreichische Arzt Paracelsus empfahl zudem ein Schlafmaß, das dem Schlaf-wach-Rhythmus des Menschen bis heute etwa entspricht: „Der natürliche Schlaf dauere sechs Stunden, beseitige die durch Arbeit aufgetretene Ermüdung und erquicke den Menschen.“ Man solle sich nach der Sonne richten, mit ihr aufstehen und mit ihr schlafen gehen. Im frühen Mittelalter galt Schlaf als verlorene Zeit. Die Vorstellung, idealerweise sieben bis acht Stunden durchzuschlafen, entstand erst viel später. In der vorindustriellen Zeit wurde häufig in zwei Etappen geschlafen. Vor allem im Winter waren die Nächte sehr lang. Die Menschen mussten bis zu 16 Stunden ohne Licht verbringen. So lange durchschlafen? Das war kaum zu schaffen. Also schlief man erst einmal vom Dunkelwerden bis Mitternacht. Dann folgte eine zwei- bis dreistündige Pause, in der die Menschen wieder aufstanden, sich anzogen und bei Kerzenschein oder im Dunkeln beschäftigten, bevor sie sich für den zweiten Teil der Nacht wieder ins Bett legten.
Kürzere Schlafenszeiten
Es waren die Kirchen, die als Erste zu viel Schlafen als Laster brandmarkten. Die Menschen sollten die Dunkelheit nicht zur Unzucht nutzen und tugendhaft bleiben. Mit der industriellen Revolution setzte sich die Verteufelung eines natürlichen Schlafbedürfnisses fort. Es ging zunehmend um den Profit. Maschinen und Produktionsstätten gaben den Lebensrhythmus vor. Zumindest die Stadtmenschen mussten in Schichten arbeiten. Ihr Arbeitsalltag richtete sich nicht mehr nach Licht und Dunkelheit, sondern nach dem Anfang und dem Ende der Arbeitszeit. Wer lange Wege hatte, kam erst sehr spät ins Bett und musste trotzdem in aller Frühe wieder aufstehen. Die Uhr gab vor, wann die Menschen morgens rausmussten. Die Schlafenszeiten wurden insgesamt kürzer. Das Ziel, sich möglichst effizient und kurz in einem Stück zu erholen, war zunehmend erstrebenswerter.
Die digitale Revolution
Bleibt abzuwarten, wie Forscher in ferner Zukunft die derzeit laufende digitale Revolution in Sachen Schlaf einordnen. Wird die Digitalisierung uns weiterhin nachts stören, weil wir immer schlechter schlafen, wenn wir nach Mitternacht online einkaufen, E-Mails schreiben und rund um die Uhr erreichbar sind? Oder schaffen wir die Wende und können die Vorteile der digitalen Möglichkeiten nutzen, ohne uns davon den Schlaf rauben zu lassen?