Читать книгу Die Macht der ersten 1000 Tage - Dr. med. Matthias Riedl - Страница 19
DIE FETT-ZUCKER-GIER – EVOLUTIONÄRES ERBE 3
ОглавлениеMal wieder eine Chipstüte leer genascht – obwohl Sie gar keinen Hunger hatten und nur eine Handvoll snacken wollten?
Voilà, ein weiterer Beleg für die Wirkmacht, die die Evolution bis heute im Hinblick auf unser Ernährungsverhalten hat. Forscher, unter anderem Lebensmittelchemiker der Universität Erlangen-Nürnberg, haben herausgefunden, dass wir evolutionär darauf programmiert sind, bei einer bestimmten Gruppe von Lebensmitteln hemmungslos zuzuschlagen: jenen, die etwa zur Hälfte aus Kohlenhydraten und zu einem Drittel aus Fett bestehen – wie beispielsweise eben Chips.6
Ein solches Nährstoffverhältnis ist evolutionär betrachtet ideal: Zum einen liefert dieser Mix schnell verfügbare Zuckerstoffe, die uns etwa einen Sprint erlauben, beispielsweise auf der Jagd. Zum anderen stellt er mit Fett ein Material bereit, mit dem sich die Energiespeicher füllen lassen, und wappnet uns so gegen mögliche – und früher übliche – Zeiten des Nahrungsmangels.
Weil diese Nährstoffkombination so günstig ist, hat uns die Evolution mit einem Programm ausgestattet, das es uns erlaubt, beinahe unendlich viel der entsprechenden Lebensmittel zu futtern. Dieses Programm manipuliert über die Hirnchemie bestimmte Prozesse, die einsetzen, wenn wir essen. Sobald wir anfangen, Dinge wie Chips zu mümmeln, aktiviert das zum einen unser Belohnungszentrum im Gehirn derart, dass wir nach immer neuem Nachschlag greifen. Zugleich – und das ist das früher Günstige und heute Fatale – setzt es die üblichen Sättigungsprozesse außer Kraft. So wird beispielsweise die Ausschüttung von Insulin gedrosselt, jenem Hormon, dass uns bei anderen Lebensmitteln das Signal »Aufhören!« erteilt, wenn wir genug gegessen haben. So kommt es, dass wir nach dem ersten Teller Pasta weniger oder gar keine Lust mehr auf einen zweiten haben – obwohl wir zu Beginn der Mahlzeit noch dachten, locker fünf vertilgen zu können.
Bei Chips dagegen läuft dieses System also im Sparmodus, das Belohnungssystem dagegen im Dauerbetrieb. In der Folge können wir essen und essen, ohne je übersatt zu sein. Das erklärt beispielsweise das Phänomen, dass wir selbst nach einer Riesenportion Gyros mit Pommes beim Griechen um die Ecke wenig später in der Lage sind, auf dem heimischen Sofa vorm TV noch die Tüte Flips zu verdrücken. Oder die Tafel Schokolade. Und dieses evolutionärbiologische Programm ist auch dafür verantwortlich, dass wir beim Sonntagsfrühstück einfach nicht in der Lage sind, den Löffel am Ende auch wirklich – wie geplant – nur einmal ins Glas mit der Nuss-Nougat-Creme zu tauchen. Die eingeprägte Zucker-Fett-Gier sorgt vielmehr dafür, dass wir, ähnlich wie Drogensüchtige, erst von dem Stoff lassen können, wenn das Glas leer ist. Oder jemand anderes am Tisch energisch nach seinem Anteil verlangt.