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Inhaltsverzeichnis

Es war gegen Abend. Die Festlichkeiten auf den Berkow’schen Gütern hatten, wenigstens soweit es die Theilnahme der Herrschaft daran betraf, ihr Ende erreicht. Man hatte, nachdem die gefährliche Katastrophe, welche beinahe das ganze Fest in Frage stellte, glücklich überwunden war, das ursprüngliche Programm gewissenhaft innegehalten. Jetzt endlich befand sich das junge Ehepaar, das den ganzen Nachmittag über von allen Seiten in Anspruch genommen worden war, allein in seiner Wohnung. Soeben hatte sich Herr Schäffer verabschiedet, der morgen nach der Residenz zu dem ältern Herrn Berkow zurückkehrte, und jetzt verließ auch der Diener, nachdem er den Theetisch in Ordnung gebracht, das Gemach.

Die auf dem Tische brennende Lampe warf ihr klares, mildes Licht auf die hellblauen Damasttapeten und die kostbar gearbeiteten Möbel des kleinen Salons, der, wie überhaupt sämmtliche Räume des Hauses, zum Empfange der jungen Frau ganz neu und höchst prachtvoll eingerichtet, zu den Zimmern der letztern gehörte. Die seidenen Vorhänge, dicht zugezogen, schienen das Gemach von der Außenwelt völlig abzuschließen; in den Vasen und Marmorschalen dufteten die Blumen, und auf dem Tische vor dem kleinen Ecksopha stand das silberne Theeservice bereit, es war mitten in all der Pracht doch ein Bild traulicher harmonischer Häuslichkeit.

Soweit es eben den Salon betraf – die Neuvermählten schienen vorläufig den Zauber dieser Häuslichkeit noch nicht zu empfinden. Die junge Frau stand, noch im vollen Gesellschaftsanzuge, auf dem Teppich inmitten des Zimmers und hielt das Bouquet in der Hand, das Wilberg an Stelle Martha’s nun selbst zu überreichen das Glück gehabt hatte. Der Duft der Orangenblüthen fesselte sie sehr, so sehr, daß sie nicht die mindeste Aufmerksamkeit für ihren Gatten übrig behielt, der eine solche Aufmerksamkeit auch in der That nicht beanspruchte, denn kaum hatte sich die Thür hinter dem Diener geschlossen, so sank er mit dem Ausdrucke der Erschöpfung in einen Fauteuil.

„Dieses ewige Repräsentirenmüssen ist wirklich tödtend! Findest Du nicht, Eugenie? Seit gestern Mittag hat man uns kaum eine Minute Erholung gegönnt! Erst die Trauung, dann das Diner, dann die höchst anstrengende Eisenbahn- und Extrapostfahrt, die ganze Nacht und den ganzen Vormittag hindurch, dann noch den tragischen Zwischenfall, hier wieder Empfang, Beamtenvorstellung, Diner – mein Papa scheint, als er das Programm dieser Festlichkeiten entwarf, gar nicht daran gedacht zu haben, daß wir so etwas wie Nerven besitzen. Die meinigen sind, ich gestehe es, völlig hin.“

Die junge Frau wendete den Kopf und ein sehr geringschätzender Blick glitt über den Mann hin, der bei diesem ersten traulichen Beisammensein ihr von seinen „Nerven“ sprach. Eugenie schien nun allerdings diesen Uebelstand nicht zu kennen; ihr schönes Gesicht verrieth auch nicht die leiseste Spur von Ermüdung.

„Hast Du Nachricht erhalten, ob die Wunde des jungen Hartmann gefährlich ist?“ fragte sie statt aller Antwort.

Arthur schien etwas befremdet, daß man von der ungewöhnlich langen Rede, zu der er sich ausnahmsweise einmal hatte fortreißen lassen, so gar keine Notiz nahm. „Schäffer sagt, es sei nicht von Bedeutung,“ entgegnete er gleichgültig. „Er hat, glaube ich, den Arzt gesprochen. Dabei fällt mir ein, man wird doch auf irgend eine Anerkennung für den jungen Menschen denken müssen. Ich werde den Director damit beauftragen.“

„Solltest Du die Sache nicht lieber persönlich in die Hand nehmen?“

„Ich? Nein, damit verschone mich! Wie ich nachträglich höre, ist es nicht einmal ein gewöhnlicher Arbeiter, der Sohn, des Schichtmeisters, selbst Steiger oder so etwas; wie kann ich da wissen, ob hier Geld oder ein Geschenk oder sonst etwas am Platze ist! Der Director wird das ganz ausgezeichnet arrangiren.“

Er ließ den Kopf noch tiefer in die Polster zurücksinken. Eugenie erwiderte nichts; sie ließ sich auf das Sopha nieder und stützte das Haupt in die Hand. Nach einer Pause von etwa einer Minute schien es Herrn Arthur denn doch einzufallen, daß er seiner jungen Frau einige Aufmerksamkeit schuldig sei, und daß er füglich nicht während der ganzen Theestunde so stumm in seinem Fauteuil vergraben bleiben könne; es kostete ihn allerdings einige Anstrengung, aber er brachte das Opfer und erhob sich wirklich. An der Seite seiner Gattin Platz nehmend, erlaubte er sich, ihre Hand zu ergreifen, und ging sogar soweit, daß er versuchte, den Arm um ihre Schulter zu legen; aber es blieb bei dem Versuche. Mit einer raschen Bewegung zog Eugenie ihre Hand aus der seinigen und rückte seitwärts. Dabei traf auch ihn wieder jener Blick, der seinem Vater gestern in der Kirche die erste Umarmung der Schwiegertochter so gründlich verleidet hatte. Es war derselbe Ausdruck eisig stolzer Abwehr, der besser als Worte sagte: „Ich bin unnahbar für Dich und Deinesgleichen!“

Es schien nun freilich leichter, dem Vater mit dieser vornehmen Art zu imponiren als dem Sohne, vielleicht weil dieser sich überhaupt durch nichts mehr imponiren ließ. Er sah denn auch weder bestürzt noch eingeschüchtert aus bei dieser Bewegung eines nur zu deutlich kundgegebenen Widerwillens; nur etwas erstaunt schaute er auf.

„Ist Dir das unangenehm, Eugenie?“

„Ungewohnt zum Mindesten! Du pflegtest mich bisher damit zu verschonen.“

Der junge Mann war viel zu apathisch, um die tiefe Herbheit dieser Worte zu verstehen; er schien sie als eine Art von Vorwurf zu nehmen.

„Bisher? Ja, die Etiquette in Deinem Vaterhause wurde etwas streng gehandhabt. Während unseres zweimonatlichen Brautstandes hatte ich nicht ein einziges Mal das Glück, Dich allein zu sehen, und die stete Gegenwart Deines Vaters oder Deiner Brüder legte uns doch einen Zwang auf, der bei diesem ersten ungestörten Alleinsein ja wohl fallen darf.“

Eugenie wich noch weiter zurück. „Nun denn, so erkläre ich Dir bei diesem ersten Alleinsein, daß ich Zärtlichkeiten, mit denen man der Convenienz genügt, ohne daß das Herz Antheil daran hat, durchaus nicht liebe. Ich entbinde Dich ein für alle Male von der Verpflichtung dazu.“

Das Erstaunen von vorhin prägte sich diesmal etwas lebhafter in Arthur’s Zügen aus; bis zu einer wirklichen Erregung kam er immer noch nicht.

„Du scheinst heute in einer eigenthümlichen Laune zu sein! Convenienz! Herz! Wirklich, Eugenie, ich glaubte bei Dir gerade am wenigsten romantische Illusionen befürchten zu müssen.“

Ein Ausdruck tiefer Bitterkeit überflog die Züge der jungen Frau. „Ich habe mit meinen Illusionen vom Leben in dem Momente abgeschlossen, wo ich Dir meine Hand zusagte. Du und Dein Vater, Ihr wolltet ja nun einmal um jeden Preis Euren Namen mit dem alten edlen der Windegs verbinden, wolltet Euch damit den Eingang zu Kreisen und Ehren erzwingen, die man Euch bisher immer noch verschlossen hielt. Nun wohl, Ihr habt Euren Zweck erreicht – ich heiße Eugenie Berkow!“

Sie legte einen unendlich verächtlichen Nachdruck auf das letzte Wort. Arthur war aufgestanden; er schien jetzt endlich zu begreifen, daß es sich hier um mehr handelte als um eine bloße Laune seiner jungen Frau, vielleicht durch seine Vernachlässigung während der Reise hervorgerufen.

„Du scheinst diesen Namen allerdings nicht sehr zu lieben! Ich glaubte bisher nicht, daß bei seiner Annahme ein Zwang von Seiten Deiner Familie vorgewaltet hätte; jetzt aber scheint es mir doch –“

„Mich hat Niemand gezwungen!“ unterbrach ihn Eugenie fest. „Niemand auch nur überredet. Was ich that, geschah freiwillig, mit dem vollen Bewußtsein Dessen, was ich auf mich nahm. Die Meinigen tragen es schwer genug, daß ich das Opfer für sie wurde!“

Arthur zuckte die Achseln; man sah es seinem Gesichte an, daß das Gespräch bereits anfing, ihn zu langweilen.

„Ich begreife nicht, wie Du eine einfache Familienübereinkunft so tragisch nehmen kannst. Wenn mein Vater dabei anderweitige Pläne verfolgte, so waren die Beweggründe des Barons wohl auch nicht romantischer Natur, nur daß die seinigen vermuthlich noch dringender zum Abschluß einer Verbindung mahnten, bei der er jedenfalls nicht der verlierende Theil war.“

Eugenie fuhr auf, ihre Augen flammten und eine heftige Bewegung ihres Armes warf das duftende Bouquet vom Tische auf den Fußboden nieder.

„Und das wagst Du mir zu sagen? Nach dem, was Deiner Bewerbung vorherging? Ich glaubte doch wenigstens, daß Du darüber erröthen müßtest, wenn Du dessen überhaupt noch fähig bist!“

Die müden, halb verschleierten Augen des jungen Mannes öffneten sich plötzlich groß und weit; es glimmte darin etwas wie ein Funken unter der Asche, aber seine Stimme behielt ihren matten gleichgültigen Ton.

„Ich muß Dich vor allen Dingen bitten, deutlicher zu sein, ich fühle mich außer Stande, diese völlig räthselhaften Worte zu verstehen.“

Eugenie kreuzte mit einer energischen Bewegung die Arme; ihre Brust hob und senkte sich stürmisch.

„Du weißt es so gut wie ich, daß wir am Ruin standen! Wer ihn verschuldet, darüber kann und mag ich nicht rechten. Es ist leicht, den Stein auf Den zu werfen, der mit dem Untergange ringt. Wenn man die Familiengüter verschuldet und überlastet ererbt, wenn man den Glanz eines alten Namens, eine Stellung in der Welt zu wahren, die Zukunft seiner Kinder zu sichern hat, da kann man nicht Geld auf Geld häufen, wie Ihr in Eurem bürgerlichen Erwerbe. Du hast das Gold von jeher mit vollen Händen weggeworfen, hast jeden Wunsch Dir erfüllt, jede Laune Dir gestattet; ich habe das ganze Elend eines Lebens durchgekostet, das der Welt gegenüber Glanz heuchelt, heucheln muß, während jeder Tag, jede Stunde es dem unabwendbaren Ruin näher bringt. Vielleicht wären wir ihm dennoch entronnen, wären wir nicht gerade in die Netze Berkow’s gefallen, der uns anfangs seine Hülfe förmlich aufdrang, so lange aufdrang, bis er Alles in Händen hatte, bis wir, gehetzt, umgarnt, verzweifelt, keinen Ausweg mehr wußten. Da kam er und forderte meine Hand für seinen Sohn, als einzigen Preis der Rettung. Mein Vater hätte eher das Aeußerste ertragen, als mich geopfert, aber ich wollte ihn nicht geopfert, seiner Laufbahn entrissen sehen, ich wollte die Zukunft meiner Brüder nicht vernichtet, unsern Namen nicht entehrt wissen; so gab ich denn mein Jawort. Was es mich kostete, hat keiner von den Meinen je erfahren, aber wenn ich mich verkaufte, so kann ich es verantworten vor Gott und vor mir selber; Du, der sich zum Werkzeuge der niedrigen Pläne seines Vaters hergab, Du hast kein Recht, es mir vorzuwerfen; meine Beweggründe waren zum Mindesten edler als die Deinigen!“

Sie schwieg, überwältigt von der Erregung. Ihr Gatte stand noch immer unbeweglich vor ihr, sein Antlitz zeigte wieder jene leichte Blässe, die es heute Mittag gehabt, als er soeben der Gefahr entgangen war, aber die Augen waren bereits wieder verschleiert.

„Ich bedaure, daß Du mir diese Eröffnungen nicht vor unserer Trauung gemacht hast,“ sagte er langsam.

„Weshalb?“

„Weil Du dann nicht der Erniedrigung theilhaftig geworden wärest, Eugenie Berkow zu heißen.“

Die junge Frau schwieg.

„Ich hatte in der That keine Ahnung von diesen – Manipulationen meines Vaters,“ fuhr Arthur fort, „wie ich denn seinem ganzen Geschäftskreise überhaupt fernzubleiben pflege. Er sagte mir eines Tages, daß, wenn ich bei dem Baron Windeg um die Hand seiner Tochter werben wolle, mein Antrag angenommen werden würde. Ich fügte mich dem Project, und darauf fand die Förmlichkeit meiner Vorstellung statt, der in wenig Tagen die Verlobung folgte. Das ist mein Antheil bei der Sache.“

Eugenie wandte sich zur Hälfte ab. „Ich hätte ein offenes Geständniß Deiner Mitwissenschaft diesem Märchen vorgezogen,“ erwiderte sie kalt.

Wieder öffneten sich die Augen des jungen Mannes und wieder glimmte der seltsame Funke darin, der aufsprühen zu wollen schien und den die Asche doch erstickte.

„Also so hoch stehe ich in der Achtung meiner Gemahlin, daß meine Worte nicht einmal Glauben bei ihr finden?“ sagte er, diesmal doch mit einem entschiedenen Anfluge von Bitterkeit.

Das schöne Antlitz Eugeniens, welches sich ihrem Gemahl jetzt wieder zuwandte, trug in der That den Ausdruck herbster Verachtung, und der gleiche Ausdruck lag auch in ihrer Stimme, als sie entgegnete:

„Du mußt es mir schon verzeihen, Arthur, wenn ich Dir kein allzu großes Vertrauen entgegen bringe. Bis zu dem Tage, wo Du zum ersten Male unser Haus betratest, zu einem Zwecke, den ich nur zu wohl kannte, bis dahin habe ich Dich nur aus den Gesprächen der Residenz gekannt, und diese –“

„Malten mein Bild in nicht eben schmeichelhafter Weise! Ich kann es mir denken! Willst Du nicht die Güte haben, mir zu sagen, was es der Residenz eigentlich beliebte über mich zu sprechen?“

Die junge Frau richtete das große Auge fest und finster auf das Antlitz ihres Gatten. „Man sagte, Arthur Berkow triebe nur deshalb einen so fürstlichen Aufwand, würfe nur deshalb Tausende und aber Tausende hin, um sich damit den Umgang und die Freundschaft der jungen Adeligen zu erkaufen und dadurch seine eigene bürgerliche Geburt vergessen zu machen. Man sagte, er sei in dem wilden zügellosen Treiben gewisser Kreise der Wildeste und Zügelloseste von Allen – was man ihm sonst noch nachsagte, entzieht sich meiner Frauenbeurtheilung.“

Arthur’s Hand lag noch immer auf der Lehne des Fauteuils, auf den er sich stützte, sie hatte während der letzten Secunden sich unwillkürlich tiefer in die seidenen Polster vergraben.

„Und Du hältst es natürlich nicht der Mühe werth, auch nur den Versuch zur Besserung eines solchen ‚Verlorenen‘ zu machen, über den die öffentliche Meinung bereits den Stab gebrochen hat?“

„Nein!“

Es klang eisig kalt, dieses Nein. Ein leichtes Zucken flog über die Züge des jungen Mannes, als er sich rasch emporrichtete.

„Du bist mehr als aufrichtig! Gleichviel, es ist immer ein Vortheil, zu wissen, wie man miteinander steht, und miteinander müssen wir für’s Erste doch nun einmal bleiben. Der gestern gethane Schritt kann nicht zurückgethan werden, wenigstens nicht sofort, ohne uns Beide der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn Du übrigens diese Scene provocirtest, um mir zu zeigen, daß ich, trotz jener bürgerlichen Anmaßung, die Deine Hand erzwang, mich der Baroneß Windeg möglichst fern zu halten habe – und ich fürchte, es geschah allein in dieser Absicht – so hast Du Deinen Zweck erreicht, aber –“ hier fiel Arthur wieder völlig in den alten Ton gelangweilter Blasirtheit zurück – „aber ich bitte Dich, laß es dann auch die erste und letzte dieser Art zwischen uns gewesen sein. Ich verabscheue nun einmal alles, was Scenen heißt; meine Nerven ertragen das durchaus nicht und das Leben läßt sich ja auch völlig regeln, ohne dergleichen unnöthige Echauffements. Für jetzt glaube ich Deinen Wünschen zuvorzukommen, wenn ich Dich allein lasse. Du entschuldigst, daß ich mich zurückziehe.“

Er nahm den auf einem Seitentische brennenden silbernen Armleuchter und verließ das Gemach, draußen aber blieb er noch einen Moment lang stehen und wendete das Haupt zurück. Der Funke glimmte jetzt nicht mehr blos in dem Auge des jungen Mannes, er sprühte hell auf, freilich nur eine Secunde lang, dann war alles dort wieder leer und todt, aber die Kerzen flackerten unruhig auf und nieder, als er durch das Vorzimmer schritt – ob von dem Luftzuge oder weil die Hand, die sie trug, bebte?

Eugenie war allein zurückgeblieben und ein tiefer Athemzug hob ihre Brust, als die Portière hinter ihrem Gatten zufiel; sie hatte erreicht, was sie gewollt. Als sei die freie Luft ihr Bedürfniß nach dieser Scene, trat sie an den Balcon, schob den Vorhang zurück, und das Fenster zur Hälfte öffnend, blickte sie hinaus in den duftigen, mild verschleierten Frühlingsabend. Der Sternenglanz schimmerte nur matt durch das leichte schleierartige Gewölk, das den ganzen Himmel umzog, während die Contouren der Landschaft, schon von dichter Dämmerung umwoben, undeutlich und schattenhaft in einander verschwammen. Von der Terrasse herauf drangen die Blumendüfte, und leise plätscherten dazu die Fontänen. Ueberall tiefe Ruhe und tiefer Friede, nur nicht in dem Herzen der jungen Frau da oben, die heute zum ersten Male die Schwelle ihrer neuen Heimath betreten hatte.

Er war jetzt zu Ende, der stumme, qualvolle Kampf der letzten zwei Monate, der sie doch eben durch diese Qual und dieses Kämpfen aufrecht erhalten hatte. Es liegt für heroische Naturen immer etwas Großes in dem Gedanken, so die ganze Zukunft für Andere hinzuwerfen, mit dem eigenen Lebensglück die fremde Rettung zu erkaufen und sich dem nun einmal unabwendbaren Geschick als Opfer für das Geliebte zu stellen. Aber jetzt, wo dies Opfer gebracht, die Rettung vollzogen war, wo es nichts mehr zu kämpfen und zu überwinden gab, jetzt verblich jener romantische Schimmer, mit dem die Kindesliebe bisher Eugeniens Entschluß umgeben, und die ganze trostlose Oede und Leere des Lebens, das ihrer wartete, that sich vor ihr auf. In dem leisen Duften und Wehen dieses Frühlingsabends regte sich wieder das lang zurückgehaltene Weh des jungen Weibes, das auch seinen Antheil an Glück und Liebe vom Leben gefordert hatte und das so bitter um diesen Antheil betrogen war. Sie war jung und schön, schöner als so viele Andere, aus altem edlen Geschlecht, und die stolze Tochter der Windeg hatte von jeher den Helden ihres Jugendtraumes mit all’ der glänzenden Ritterlichkeit ihrer Vorfahren geschmückt. Daß er ihr gleich sein müsse an Rang und Namen, galt dabei als selbstverständlich, und nun –? Hätte der ihr aufgedrungene Gatte wenigstens noch Charakter und Energie besessen, die sie nun einmal bei dem Manne am höchsten schätzte, sie hätte ihm vielleicht seine bürgerliche Geburt verziehen, aber dieser Weichling, den sie verachtet hatte, noch ehe sie ihn gekannt! Hatten die Beleidigungen, die sie ihm mit vollster Absicht entgegengeschleudert, und die jeden anderen Mann außer sich gebracht haben würden, es wohl vermocht, ihn aus seiner apathischen Gleichgültigkeit zu reißen? War er dem herbsten Ausdruck ihrer Verachtung gegenüber auch nur einen Augenblick aus dieser Apathie gewichen? Und als heut’ Mittag die Gefahr über sie Beide hereinbrach, hatte er da auch nur die Hand zu seiner oder ihrer Rettung gerührt? Ein Anderer, ein Fremder mußte sich den rasenden Thieren entgegenwerfen und sie bändigen, auf die Gefahr hin, von ihnen getreten zu werden. Vor Eugeniens Augen stieg das Bild des jungen Mannes auf, mit den trotzigen blauen Augen und der blutenden Stirn. Ihr Gatte freilich wußte nicht einmal, ob die Wunde seines Retters gefährlich, ob sie vielleicht tödtlich sei, und doch wären er und sie verloren gewesen ohne jene energische blitzähnliche That.

Die junge Frau sank in einen Sessel und verbarg das Antlitz in beiden Händen, aber Alles, was sie seit Monden durchgekämpft und durchgelitten und was in dieser Stunde mit zehnfacher Gewalt auf sie eindrang, das gab sich jetzt kund in dem einen verzweiflungsvollen Aufschrei: „O mein Gott, mein Gott, wie werde ich dies Leben ertragen!“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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