Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 35

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Inhaltsverzeichnis

In der Residenz wogte das ganze buntbewegte Treiben eines Sommernachmittages. In den Hauptstraßen drängte sich die Menge der Spaziergänger, Geschäftsleute und Arbeiter in ewig wechselndem Gewühl; dazwischen tönte endloser Lärm und endloses Wagengerassel; von allen Seiten wirbelte der Staub auf, und die heißen Strahlen der Nachmittagssonne, die schon anfingen etwas schräg zu fallen, beleuchteten das Ganze.

Von den Fenstern des Windeg’schen Hauses, das in einer dieser Hauptstraßen lag, schaute eine junge Dame hinab auf dieses Getümmel, das ihr beinahe fremd geworden war in der Einsamkeit ihrer Waldberge. Eugenie war in das väterliche Haus zurückgekehrt, und damit schien die kurze Zeit ihrer Ehe ausgelöscht und vergessen. Im Familienkreise wurde dieser Punkt nur höchst selten und nur dann berührt, wenn von der bevorstehenden Scheidung die Rede war. Die Söhne folgten darin dem Beispiel ihres Vaters, der sich einfach vorgenommen zu haben schien, jene Erinnerung todtzuschweigen, in seinem Hause wenigstens, während er zugleich in der Stille die nöthigen Schritte zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsprocesses that. Bis dahin sollte die Sache der Welt gegenüber noch nicht berührt werden. Die Dienerschaft und die wenigen um diese Zeit noch in der Residenz anwesenden Bekannten wußten nur von einem vorübergehenden Besuche der jungen Frau bei den Ihrigen, der durch die Verhältnisse auf den Gütern ihres Mannes veranlaßt und geboten war.

Eugenie bewohnte wieder die Zimmer, die sie vor ihrer Vermählung inne gehabt hatte; in der Einrichtung derselben war nichts verändert worden, und wenn sie wie früher am Erkerfenster stand, so begegnete ihr Blick auch draußen den allbekannten Gegenständen, als sei sie nie fort gewesen. Die letzten drei Monate sollten und konnten für sie ja auch nichts Anderes sein, als ein schwerer banger Traum, aus dem sie jetzt erwachte zu der alten Freiheit ihrer Mädchenjahre, und zu einer besseren, als die ehemalige, denn jetzt lauerte das Gespenst der Sorge nicht mehr drohend auf jedem Schritte, den sie und die Ihrigen thaten; jetzt brachte nicht jeder neue Tag wieder neue Demüthigungen und neue Opfer; jetzt wurde nicht jede Stunde des Familienlebens vergiftet durch die Furcht vor der vielleicht morgen schon drohenden Schande des Ruins und vor all seinen furchtbaren Folgen. Das alte edle Geschlecht der Windeg konnte wieder auftreten im vollen Glanze der Macht und des Reichthums. Wer die Rabenau’schen Güter besaß, war reich genug, alle früheren Verluste damit zu decken und sich und den Seinen eine glänzende Zukunft zu bereiten.

Freilich ein Schatten blieb noch immer zurück in all dem neuen Sonnenschein, der dem Baron und auch einst Eugenien so sehr verhaßte bürgerliche Name; aber auch das konnte nur eine Frage der Zeit sein. Das schöne, geistvolle Mädchen hatte schon in ihren eigenen Kreisen manchen Verehrer gefunden, der wohl früher oder später zum Bewerber geworden wäre, trotz der offenkundigen Verhältnisse ihres Vaters. Eugenie Windeg war ganz danach, es einen Mann vergessen zu lassen, daß er die Tochter einer armen und verschuldeten Familie in sein Haus führte. Der alte Berkow hatte damals mit roher Hand in all jene Pläne und Anknüpfungen gegriffen und den Preis seinem eigenen Sohne zugewandt. Er hatte die Macht, zu fordern, wo Andere erst werben mußten, und wußte sie zu gebrauchen. Jetzt aber wurde Eugenie wieder frei; der nunmehrige Majoratsherr konnte ihr eine reiche Mitgift sichern; er kannte mehr als einen Standesgenossen, der gern, und nicht blos aus Berechnung, bereit war, die einst zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen und mit dem Namen auch die letzte Erinnerung an jene Heirath zu verwischen, indem er durch eine ebenbürtige Vermählung die junge Baroneß wieder auf die gleiche, wenn nicht noch auf eine höhere Stufe erhob, als die war, auf welche die Geburt sie gestellt hatte. Dann war der letzte Flecken getilgt von dem Wappenschilde der Windeg und es strahlte wieder im hellsten Glanze.

Aber die junge Frau sah gar nicht so ruhig und hoffnungsfreudig aus, wie man es nach all diesem Sonnenschein des Glückes doch hätte erwarten sollen. Schon wochenlang war sie im väterlichen Hause, und noch immer wollte die Farbe nicht auf ihre Wangen zurückkehren und der Mund das Lächeln nicht wieder lernen. Sie blieb hier, umgeben von all der Liebe und Sorgfalt der Ihrigen, so bleich und still, wie sie nur je an der Seite des ihr aufgedrungenen Gatten gewesen, und auch jetzt schaute sie hinunter auf das Gewühl zu ihren Füßen, ohne daß es auch nur einer der wechselnden Gestalten in der auf- und abfluthenden Menge gelang, ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln. Es war jener leere, träumende Blick, dem die nächste Umgebung völlig verschwindet, und der statt dessen etwas ganz Anderes an einem ganz anderen Orte sieht. „In Eurer Residenz verlernt man ja Alles, sogar die Sehnsucht nach der Waldeinsamkeit!“ Das schien hier nicht zuzutreffen. Eugenie sah aus, als sehne sie sich recht schmerzlich danach.

Der Baron pflegte vor dem Spazierritt, den er gewöhnlich gegen Abend unternahm, stets auf eine halbe Stunde zu seiner Tochter zu kommen; auch heute geschah das, aber heut war seine Miene wichtiger als sonst und er hielt ein Papier in der Hand.

„Ich muß Dich diesmal mit etwas Geschäftlichem behelligen, mein Kind,“ begann er nach kurzer Begrüßung. „Ich habe soeben eine Conferenz mit unserem Rechtsanwalt gehabt, die über Erwarten befriedigend ausgefallen ist. Der Vertreter der Gegenpartei ist in der That bevollmächtigt, all unseren Wünschen entgegenzukommen; die Herren haben sich bereits über die nothwendigen Schritte geeinigt, und die ganze Angelegenheit wird sich voraussichtlich weit schneller und leichter erledigen lassen, als wir zu hoffen wagten. Ich bitte Dich, dies Blatt zu unterschreiben.“

Er hielt ihr das Papier hin; die junge Frau schien hastig danach greifen zu wollen, aber auf einmal ließ sie die ausgestreckte Hand wieder sinken.

„Ich soll –?“

„Nun, Deinen Namen unter diese Schrift setzen, weiter nichts,“ sagte der Baron ruhig, indem er das Blatt auf den Schreibtisch legte und ihr einen Sessel heranschob. Eugenie zögerte.

„Es ist ein Actenstück – soll ich es nicht zuvor durchlesen?“

Windeg lächelte ein wenig. „Wenn es ein Document von Wichtigkeit wäre, so hätten wir es Dir selbstverständlich zur Durchsicht vorgelegt; es handelt sich hier aber nur um den Scheidungsantrag, den der Justizrath in Deinem Namen stellen wird und wozu er Deiner Unterschrift bedarf – eine bloße Förmlichkeit zur Einleitung des Processes. Die Details folgen erst später. Wenn Du indessen den Wortlaut kennen zu lernen wünschest –“

„Nein, nein!“ unterbrach ihn die junge Frau abwehrend, „dessen bedarf es nicht. Ich werde unterschreiben; aber es muß doch wohl nicht gerade jetzt in dieser Stunde sein; ich bin augenblicklich nicht in der Stimmung dazu.“

Der Baron sah sie höchst befremdet an. „Stimmung? Es handelt sich hier nur um eine Namensunterschrift; sie wird in einer Minute vollzogen sein, und ich habe dem Justizrathe versprochen, ihm das Blatt noch heute wieder zuzusenden, da er es morgen einzureichen beabsichtigt.“

„Nun denn, so werde ich es Dir heute Abend noch mit meiner Unterschrift bringen. Nur in diesem Augenblicke nicht; ich kann es nicht.“

Der Ton der jungen Frau war seltsam gepreßt, beinahe angstvoll. Ihr Vater schüttelte etwas unwillig das Haupt.

„Das ist eine seltsame Laune, Eugenie, die ich nicht begreife. Warum willst Du diesen einfachen Federzug nicht gleich jetzt in meiner Gegenwart thun? Indessen, wenn Du darauf bestehst – ich rechne darauf, daß Du mir heute Abend beim Thee das Blatt zurückgiebst; es ist dann noch Zeit genug, es fortzusenden.“

Er bemerkte nicht das tiefe, erleichternde Aufathmen seiner Tochter bei den letzten Worten, sondern trat an den Erker und blickte gleichfalls hinunter auf die Straße.

„Wird Curt nicht zu mir kommen?“ fragte Eugenie nach einer augenblicklichen Pause. „Ich habe ihn nur erst heute Mittag bei Tische gesehen.“

„Er wird noch müde sein von seiner Reise und wohl etwas ausgeruht haben. – Ah, da bist Du ja, Curt, soeben sprechen wir von Dir.“

Der junge Baron, der in diesem Augenblicke eintrat, mußte wohl darauf gerechnet haben, die Schwester allein zu finden, denn er sagte mit offenbarer und nicht ganz angenehmer Ueberraschung:

„Du hier, Papa? Ich hörte doch, Du hättest drüben in der Bibliothek eine Conferenz mit unserem Rechtsanwalte.“

„Wir sind bereits zu Ende, wie Du siehst.“

Curt schien der besagten Conferenz fast eine längere Dauer gewünscht zu haben, indeß er erwiderte nichts, sondern ging zu seiner Schwester und nahm vertraulich an ihrer Seite Platz. Er war in der That erst heute Mittag aus der Provinz eingetroffen; ein eigenthümlicher, dem Baron im höchsten Grade fataler Zufall hatte es gewollt, daß das Regiment, bei welchem sein ältester Sohn stand, gerade jetzt in die Stadt verlegt wurde, die den Berkow’schen Besitzungen zunächst lag, gerade jetzt, wo man alle Beziehungen dort abgebrochen hatte! Von einem längeren Urlaube des jungen Officiers konnte nicht die Rede sein, da die soeben ausbrechende Bewegung der Arbeiter in dortiger Gegend die ganze Provinz in Aufregung versetzte. Es standen Unruhen und demzufolge das Einschreiten des Militärs zu erwarten – da konnte sich Curt dem Dienste nicht entziehen. Er reiste also ab, mit der gemessenen Weisung des Vaters, in seiner neuen Garnison, wo man natürlich Berkow sehr genau kannte, die bevorstehende Scheidung für jetzt noch zu verschweigen. Der Baron hielt an der Taktik fest, der Welt erst die Thatsache gegenüberzustellen, und im Uebrigen hegte er die stillschweigende Voraussetzung, daß sein Sohn jede persönliche Berührung mit dem einstigen Verwandten möglichst vermeiden werde.

Die Voraussetzung schien auch einzutreffen, wenigstens wurde Arthur’s Name in den Briefen nie genannt und die Verhältnisse auf seinen Besitzungen nur sehr beiläufig erwähnt, bis Curt in einer dienstlichen Angelegenheit nach der Residenz beordert wurde. Während der wenigen Stunden seines Hierseins hatte man sich nicht aussprechen können. Bei Tische hatte die Gegenwart einiger Gäste der Familie Zwang auferlegt; jetzt aber, wo durch die geforderte Unterschrift Eugeniens der sonst streng vermiedene Punkt einmal berührt war, erkundigte sich der Baron auch mit jener Gleichgültigkeit, mit der man nach dem Ergehen eines sehr entfernten Bekannten fragt, wie es denn eigentlich auf den Berkow’schen Gütern stände.

„Schlimm, Papa, sehr schlimm!“ sagte Curt, indem er sich dem Vater zuwandte, ohne jedoch seinen Platz neben der Schwester aufzugeben. „Arthur wehrt sich wie ein Mann gegen das Unglück, das von allen Seiten auf ihn einstürmt, aber ich fürchte, er wird ihm doch zuletzt unterliegen. Er hat es zehnfach schlimmer als seine Collegen auf den übrigen Werken; all’ die Sünden, die sein Vater mit einer zwanzigjährigen Tyrannei und Ausbeutung, mit den unsinnigsten Speculationen der letzten Zeit aufgehäuft hat, muß er jetzt büßen. Ich begreife nicht, wie er sich in dem Kampfe noch überhaupt aufrecht erhält. Ein Anderer wäre längst unterlegen.“

„Wenn die Bewegung ihm über den Kopf wächst, so wundert es mich, daß er noch nicht militärische Hülfe in Anspruch genommen hat,“ meinte der Baron ziemlich kühl.

„Das ist’s ja eben, daß er in dem Punkte keine Vernunft annehmen will! Ich“ – hier brach die ganze aristokratische Rücksichtslosigkeit des jungen Erben von Windeg durch – „ich hätte längst unter die Kerle schießen lassen und mir mit Gewalt Ruhe geschafft! Anlaß dazu haben sie ihm wahrhaftig genug gegeben, und wenn ihr Rädelsführer so weiter hetzt, wie er es jetzt Tag für Tag thut, so werden sie ihm noch nächstens das Haus über dem Kopfe anzünden – aber das hilft Alles nichts. ‚Nein und abermals nein‘, und ‚so lange ich mich noch allein wehren kann, setzt kein Fremder den Fuß auf meine Werke!‘ Da helfen weder Bitten noch Vorstellungen. Und, offen gestanden, Papa, man sieht es im Regimente sehr gern, wenn unsere Hülfe nicht verlangt wird, wir haben sie nur zu oft leisten müssen in den letzten Wochen. Auf den anderen Werken war es nicht halb so schlimm wie auf den Berkow’schen, und doch hatten die Herren nichts Eiligeres zu thun, als nach Schutz und Soldaten zu rufen und sich mit ihren eigenen Leuten auf den Kriegsfuß zu stellen. Es sind da häßliche Scenen vorgekommen, und wir fahren am schlimmsten dabei. Mit Härte vorgehen soll man nicht, wo es sich nur irgend vermeiden läßt; seiner Autorität etwas vergeben soll man auch nicht, und doch die Verantwortung tragen für Alles, was geschieht. Darum rechnen es auch der Oberst und die Cameraden dem Arthur hoch an, daß er bis jetzt noch ganz allein mit seinen Rebellen fertig geworden ist und auch ferner mit ihnen fertig werden will, obgleich es gerade bei ihm am ärgsten zugeht.“

Eugenie hörte in athemloser Spannung dem Bruder zu, der sie für ganz unbetheiligt bei der Sache zu halten schien, denn er wandte sich mit der Erzählung ausschließlich an seinen Vater. Dieser dagegen, der schon mit steigendem Mißfallen das wiederholte „Arthur“ bemerkt hatte, dessen sein Sohn sich bediente, sagte jetzt mit zurechtweisender Kälte:

„Du und Deine Cameraden, Ihr scheint ja sehr genau über Alles unterrichtet zu sein, was da draußen bei Berkow vorgeht.“

„Die ganze Stadt spricht davon!“ versicherte Curt unbefangen. „Was mich betrifft, ich war allerdings ziemlich oft draußen.“

Der Baron fuhr fast in die Höhe bei diesem Geständniß. „Du warst bei ihm auf seinen Gütern? Und das sogar öfter?“

Ob der junge Officier die innere Bewegung bemerkt hatte, die sich bei seinen letzten Worten in den Zügen Eugeniens bemerkbar machte, er schloß ihre Hand auf einmal fest in die seinige, während er seinen unbefangenen Ton beibehielt.

„Nun ja, Papa! Du befahlst mir ja über die bewußte Angelegenheit noch zu schweigen, und da wäre es doch aufgefallen, wenn ich meinen Schwager völlig ignorirt hätte, zumal in seiner augenblicklichen Lage; das Hinausfahren war mir ja nicht verboten.“

„Weil ich glaubte, Dein eigenes Tactgefühl würde Dir dergleichen verbieten,“ rief Windeg im höchsten Grade gereizt. „Ich setzte voraus, daß Du diese Beziehungen meiden würdest; statt dessen hast Du sie geradezu aufgesucht, wie es scheint, ohne mir auch nur ein Wort davon zu schreiben. Wahrhaftig, Curt, das ist stark!“

Curt hätte, um die Wahrheit zu sagen, bekennen müssen, daß er ein directes Verbot gefürchtet und es deshalb wohlweislich vorgezogen hatte, das ganze Vergehen, brieflich wenigstens, zu verschweigen. Er hegte sonst einen unbedingten Respect vor dem zornigen Stirnrunzeln seines Vaters; heute aber schien die Gegenwart Eugeniens diesem Respect das Gleichgewicht zu halten. Sein Auge begegnete dem ihrigen, und was er darin sah, mußte ihm wohl die väterlichen Vorwürfe erträglicher machen, denn er lächelte sogar, als er ganz unbekümmert erwiderte:

„Ja, Papa, ich kann doch nicht dafür, daß ich Arthur so lieb gewonnen habe! Du hättest es auch gethan an meiner Stelle. Ich versichere Dir, er kann von einer ganz hinreißenden Liebenswürdigkeit sein, wenn er nur nicht immer so furchtbar ernst wäre, aber freilich, das steht ihm ganz ausgezeichnet. Ich habe ihm noch gestern beim Abschiede gesagt: ‚Arthur, wenn ich Dich früher so gekannt hätte –‘“

„‚Dich?‘“ unterbrach ihn der Baron mit seiner allerschärfsten Betonung.

Der junge Officier warf ziemlich trotzig den Kopf zurück. „Nun ja, wir sind Du und Du geworden! Das heißt, ich bat ihn darum, und ich sehe auch nicht ein, warum wir einander nicht so nennen sollen. Er ist ja doch mein Schwager.“

„Die Schwagerschaft hat ein Ende!“ sagte der Baron kalt, nach dem Schreibtisch zeigend, „dort liegt der Scheidungsantrag.“

Curt warf einen nicht allzu zärtlichen Blick auf das bezeichnete Blatt. „Ja so, die Scheidung! Hat Eugenie schon unterschrieben?“

„Sie ist eben im Begriff, es zu thun.“

Der junge Mann sah wieder seine Schwester an, deren Hand jetzt in der seinigen bebte und deren Lippen zuckten, wie in mühsam verhaltener innerer Qual.

„Nun, ich dächte, Papa, gerade in dem Punkte hätte sich Arthur so benommen, daß jeder Vorwurf und jede Bitterkeit gegen ihn ausgeschlossen ist. Es wäre kleinlich, ihm jetzt nicht volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich habe nie geglaubt, daß ein Mann sich mit solcher Energie aus seiner Schlaffheit emporraffen kann, wie ich es jetzt an ihm sehe. Was er alles geleistet hat in diesen letzten Wochen, wie er überall zu rechter Zeit und am rechten Orte eingreift, was er schon für entsetzliche Scenen und Conflicte verhindert hat, er allein, mitten unter der rebellischen Menge, blos durch sein Erscheinen und die Macht seiner Persönlichkeit, das muß man sehen, um es zu glauben. Er ist geradezu zum Helden geworden – das sagen der Oberst und die Cameraden, das sagt überhaupt die ganze Stadt. Die Beamten benehmen sich ausgezeichnet, weil er sie überall anführt; auch nicht ein Einziger ist von den Werken gewichen, aber als ich abreiste, da schienen sie mir denn doch an der Grenze des Möglichen angekommen zu sein. Das Unglück ist nur, daß Arthur sich in den Kopf gesetzt hat, es solle kein Fremder zwischen ihn und seine Leute treten, und daß er das mit eiserner Consequenz durchführt. Ich glaube, wenn es zum Aeußersten kommt, so ist er im Staude, sich mit dem ganzen Beamtenpersonal im Hause zu verschanzen und sich dort bis auf den letzten Mann zu wehren, ehe er uns zu Hülfe ruft. Das sieht ihm ganz ähnlich!“

Hier zog Eugenie heftig ihre Hand aus der des Bruders. Sie stand plötzlich auf und ging an’s Fenster, der Baron dagegen erhob sich mit dem Ausdruck des lebhaftesten Unwillens.

„Ich weiß nicht, Curt, wie Du dazu kommst, eine einfache Frage nach dem Stande der Dinge auf Berkow’s Gütern mit einem so überschwenglichen Lobliede auf ihn zu beantworten. Es ist das eine Schonungslosigkeit gegen Deine Schwester, die ich gerade Dir, der sie stets mit so besonderer Zärtlichkeit zu lieben behauptete, am wenigsten zugetraut hätte. Wie Du Dich mit Deiner excentrischen Bewunderung für diesen Mann, die Du in Deiner Garnison ganz offen zur Schau zu tragen scheinst, später dort abfinden willst, wenn die Scheidung bekannt wird, überlasse ich Dir selber. Für jetzt bitte ich, daß dieses Gespräch ein Ende nimmt. Du siehst, wie peinlich es Eugenien berührt. Du wirst mich begleiten.“

„Nur einige Minuten noch laß mir Curt hier, Papa,“ bat die junge Frau leise. „Ich möchte ihn etwas fragen.“

Der Baron zuckte die Achseln. „Nun, dann wird er wenigstens die Güte haben, diesen Punkt nicht weiter zu berühren und Dich nicht noch mehr aufzuregen. In zehn Minuten stehen die Pferde unten, Curt; ich erwarte Dich dann bestimmt. Auf Wiedersehen!“

Die Thür hatte sich kaum geschlossen, als der junge Officier an’s Fenster zu seiner Schwester eilte und mit unverkennbarer, wenn auch etwas stürmischer Zärtlichkeit den Arm um sie legte.

„Bist Du mir auch böse, Eugenie?“ fragte er. „War ich wirklich schonungslos?“

Die junge Frau hob in leidenschaftlicher Spannung das Auge zu ihm empor. „Du bist bei Arthur gewesen – Du hast ihn öfter gesprochen, erst gestern noch beim Abschiede – hat er Dir nichts, gar nichts aufgetragen?“

Curt sah zu Boden. „Er läßt sich Dir und dem Papa empfehlen,“ sagte er etwas kleinlaut.

„In welcher Art? Was sagte er Dir?“

„Er rief mir nach, als ich schon im Wagen saß: ‚Empfiehl mich dem Herrn Baron und Deiner Schwester!‘“

„Und das war Alles?“

„Alles!“

Eugenie wandte sich ab; sie wollte dem Bruder die bittere Enttäuschung nicht zeigen, die sich in ihren Zügen malte, aber Curt hielt sie fest. Er hatte die schönen dunklen Augen seiner Schwester; nur war der Ausdruck bei ihm kecker, lebenslustiger, aber in diesem Augenblick – er beugte sich tief zu ihr hinab – verschwand dies Alles vor einem ungewohnten Ernst.

„Du mußt ihm wohl einmal sehr wehe gethan haben, Eugenie, und das in einer Weise, die er noch immer nicht verwinden kann. Ich hätte Dir so gern eine Zeile, ein Abschiedswort gebracht, aber das war von ihm nicht zu erlangen. Er wollte mir nie Rede stehen, so oft ich Deinen Namen nannte, aber todtenbleich wurde er jedesmal dabei und wandte sich ab und zog fast mit Gewalt ein anderes Thema herbei, um nur nichts mehr davon zu hören, gerade so, wie Du es machst, wenn ich Dir von ihm spreche. – Mein Gott, haßt Ihr Euch denn so sehr?“

Eugenie riß sich mit einer leidenschaftlichen Bewegung aus seinen Armen. „Laß mich, Curt! um Gotteswillen, laß mich! ich ertrage das nicht länger.“

Ein Ausdruck halben Triumphs flog über das Gesicht des jungen Officiers und es klang fast wie ein mühsam unterdrückter Jubel aus seiner Stimme.

„Nun, ich will mich ja nicht in Eure Geheimnisse drängen! Ich muß jetzt fort. Papa wird sonst ungeduldig; er ist so schon heut’ übler Laune. Ich soll Dich wohl jetzt allein lassen, Eugenie. Du mußt ja noch den – den Scheidungsantrag unterschreiben! Bis wir zurückkommen, wird es wohl geschehen sein. Leb’ wohl!“

Er eilte fort. Die Pferde standen in der That bereits unten im Hofe, und der Baron sah ungeduldig nach den Fenstern hinauf. Der Spazierritt gehörte diesmal nicht zu den angenehmsten, denn sowohl der älteste Sohn, als die beiden jüngeren hatten dabei die üble Laune des Vaters zu empfinden. Baron Windeg konnte es nun einmal nicht ertragen, wenn irgend etwas, das den Namen Berkow trug, in seiner Gegenwart gelobt wurde, und da er natürlich bei seiner Tochter das Gleiche voraussetzte, so fand er sie und sich beleidigt, und Curt bekam noch Verschiedenes über seine „Tactlosigkeit“ und „Rücksichtslosigkeit“ zu hören. Dieser ließ das aber sehr ruhig über sich ergehen und schien leider nicht die geringste Reue zu empfinden, dagegen bekundete er ein lebhaftes Interesse an dem Ritte selbst, oder vielmehr an der Dauer desselben. Er war so lange nicht in der Residenz gewesen, fand die äußerst belebte Promenade so unterhaltend, und brachte es denn auch wirklich dahin, die Partie so weit auszudehnen, daß die vier Herren erst mit dem Einbruch der Dunkelheit in die Stadt zurückkehrten.

Eugenie war inzwischen allein zurückgeblieben. Die Thür war abgeschlossen – sie konnte und wollte jetzt Niemand in ihrer Nähe dulden. Die Wände ihres Zimmers und die alten Familienbilder, die sie schmückten, hatten schon manche Thräne, manche bittere Stunde gesehen, damals, als es sich um die Vermählung der jungen Frau handelte, aber doch keine so schwere wie heute, denn heute galt es den Kampf mit sich selber, und der Gegner war nicht leicht zu überwinden.

Dort auf dem Schreibtisch lag das Blatt, in welchem eine Frau die gesetzliche Trennung von ihrem Manne forderte; nur die Unterschrift fehlte noch daran. War die vollzogen, so war es auch die Scheidung, denn die Einwilligung ihres Gatten, der Einfluß und die Verbindungen des Barons sicherten der Angelegenheit ein schnelles und erwünschtes Ende. Sie hatte vorhin, in Gegenwart des Vaters, den verhängnißvollen Federzug nicht thun wollen, gethan mußte er doch jetzt werden. Was half der Aufschub einer einzigen Stunde? Es galt ja gleich, ob das Unabänderliche früher oder später geschah. Aber gerade in dieser einen Stunde war Curt gekommen und hatte mit seiner Erzählung die Wunde wieder aufgerissen, die freilich noch niemals aufgehört zu bluten.

Und doch hatte ihr Bruder kein Wort, nicht einmal einen Gruß bringen können. „Empfiehl mich dem Herrn Baron und Deiner Schwester!“ das war das Ganze. Warum nicht lieber „Empfiehl mich der gnädigen Frau“? Das wäre noch eisiger, noch passender gewesen. Eugenie war an den Schreibtisch getreten, und ihr Auge irrte über die Worte des Schriftstückes hin. Auch dort klang Alles so kalt, so förmlich, und doch wurde damit der Stab gebrochen über die Zukunft zweier Menschen. Aber Arthur hatte es ja nicht anders gewollt. Er war es, der zuerst das Wort der Trennung aussprach, er, der sich zuerst und rückhaltslos in die Beschleunigung fügte, und als sie zu ihm gekommen war und sich bereit erklärte, noch zu bleiben, da hatte er sich abgewandt und sie gehen heißen. Das Blut stieg wieder heiß empor zu den Schläfen der jungen Frau, und ihre Hand griff nach der Feder. Sie war denn doch Weib genug, um zu wissen, wie ihn diese Unterschrift traf, wenn er auch darauf gefaßt sein mußte; sie verstand es denn doch, auch Blicke zu deuten und unbewachte Momente, in denen er sich verrathen hatte; aber daß er Herr über diese Schwäche geblieben war bis zum letzten Augenblick, daß er den Wink nicht verstehen wollte, mit dem sie ihm die Möglichkeit einer Versöhnung gezeigt, daß er Stolz gegen Stolz, Schroffheit gegen Schroffheit setzte, das sollte er jetzt büßen und wenn sie selbst zehnfach mitbüßte. – Lieber zwei Menschen unglücklich machen, als bekennen, daß man einmal Unrecht gehabt.

Der Dämon des Stolzes bäumte sich wieder in ihr empor mit seiner ganzen verderblichen Macht. Wie oft schon hatte er allen besseren Regungen zum Trotz das Feld behauptet, wenn auch nicht immer zum Segen für sie und Andere. Aber heute mischte sich seine Stimme doch mit einer anderen. „Arthur wehrt sich wie ein Mann gegen das Unglück, das von allen Seiten auf ihn einstürmt, aber er wird ihm doch zuletzt unterliegen!“ Und wenn er unterlag, so erlag er allein, allein wie er in dem ganzen Kampfe gestanden, er hatte keinen Freund, keinen Vertrauten, nicht einen einzigen. Wie sehr ihm auch die Beamten ergeben sein mochten, wie sehr die Fremden ihn jetzt bewunderten, nahe stand ihm Keiner; ein Herz hatte Keiner für ihn, und die Gattin, deren Platz jetzt an seiner Seite war, sie unterschrieb in diesem Augenblicke das Blatt, in dem sie in möglichster Eile nun auch die Trennung von dem Manne verlangte, den sie bereits verlassen hatte und der jetzt Tag für Tag mit dem Untergange rang.

Eugenie ließ die Feder fallen und trat vom Schreibtische zurück. Was war denn am Ende Arthur’s Schuld gewesen? Er hatte sich gleichgültig, nachlässig gegen eine Frau gezeigt, von der er geglaubt, daß nur die Aussicht auf seinen Reichthum sie zu dieser Convenienzehe verlockte, und als diese Frau ihn aus seinem Irrthum riß, da trat sie ihm auch zugleich mit einer Verachtung entgegen, die kein Mann erträgt, wenn noch ein Funken von Ehre in ihm ist. Er büßte auch hier die Sünden seines Vaters und hatte sie reichlich gebüßt in dieser kurzen Ehe. Seit jener Unterredung war ihr nichts weiter geschehen, als daß ihr Gatte sich fremd und kalt von ihr zurückzog, aber ihm? Eugenie kannte am besten den wahren Inhalt dieser drei Monate, die ihrer Umgebung nur die ruhige Oberfläche der Gleichgültigkeit gezeigt und die doch Stacheln in sich bargen, genug, um einen Mann bis auf’s Aeußerste zu treiben; man kann mit jedem Blicke, mit jedem Athemzuge beleidigen, und das war hier geschehen. Mit dem ganzen Hochmuth ihrer Geburt und ihres Standes hatte sie immer wieder versucht, ihn in die Nichtigkeit und Erbärmlichkeit herabzudrücken, wohin er ihrer Meinung nach gehörte. Tag für Tag hatte sie ihre Waffen gebraucht, und nur um so schonungsloser gebraucht, als sie erst sah, daß er verwundbar war, hatte ihm sein Haus zu einer Folter, seine Ehe zu einem Fluche gemacht, um sich an ihm dafür zu rächen, daß sein Vater gewissenlos an ihrer Familie gehandelt. Sie hatte ihn mit vollster Absichtlichkeit dahin getrieben, daß er zuletzt selbst die Trennung verlangte, weil er das Leben an ihrer Seite nicht mehr ertragen konnte – wenn er sich nun endlich aufbäumte und die Hand von sich stieß, die ihn so oft gequält und gepeinigt, wer war da im Unrecht?

Die junge Frau sprang auf von dem Sessel, auf den sie sich geworfen, und schritt in furchtbarer Erregung auf und nieder, wie um ihren eigenen Gedanken zu entfliehen. Sie wußte nur zu gut, was sie von ihr wollten, wohin sie sie drängten; es gab nur eins, was hier helfen und retten konnte, aber das war ja unmöglich, das konnte ja nicht sein. Und wenn sie das ungeheure Opfer ihres ganzen Stolzes brachte, und es wurde nicht so voll und ganz genommen, wie sie es gab: konnte sie sich nicht getäuscht, nicht falsch gelesen haben in diesen Augen, die sich ihr immer nur auf Augenblicke, und auch dann nur widerstrebend, entschleierten? Wenn er ihr nun wieder entgegentrat mit jenem Eisesblick, der nach ihrer Berechtigung fragte, da, wo jede andere Frau nur ihre Pflicht erfüllte, wenn er ihr auf’s Neue sagte, daß er allein stehen und fallen wolle, wenn er sie zum zweiten Male gehen hieß – nun und nimmermehr! Eher die Trennung, eher ein ganzes Leben voll Qual und Elend auf sich nehmen, als die Möglichkeit einer solchen Demüthigung!

Die Abendsonne, die die Wipfel der Bäume drüben vergoldete, war längst gesunken; die Dämmerung senkte sich herab, freilich ohne den heißen menschenvollen Straßen Stille und Kühlung zu bringen. Da draußen in der schwülen Abendluft summte und wogte es noch immer; unaufhörlich fluthete die Menge auf und nieder und Stimmengeräusch und Wagengerassel drang noch immer im wirren Durcheinander hinauf zu den Fenstern. Aber durch das Alles hindurch tönte jetzt etwas Anderes, erst nur fern, undeutlich, dann immer näher, immer lauter. War es von den grünen Waldbergen hergeflogen und hatte sich seinen Weg gebahnt mitten durch das Brausen der großen, ewig bewegten Residenzwoge bis hin zu der jungen Frau? Was es war, wußte sie nicht, aber es klang wie das Wehen der Tannenzweige, wie das Waldesrauschen mit seinen geheimnißvollen Accorden, und damit erstand in ihr auch wieder das ganze Frühlingsahnen, das ganze schmerzlich-süße Weh jener unter solchen Tannenzweigen verlebten Minuten. Der Nebel wallte wieder, und der Sturm brauste, und die Bäche rauschten, und aus den grauen Schleiern hervor trat klar und deutlich nur die eine Gestalt, die seitdem nicht wieder von ihr gewichen war im Wachen und Träumen, und schaute sie so ernst und vorwurfsvoll an mit den großen braunen Augen. Wer nur einmal einen Kampf durchgekämpft hat, wo sich alle Seelenkräfte anspannen im Ringen eines werdenden Entschlusses, der kennt auch solche Erinnerungen, die auf einmal kommen und da sind, ohne irgend eine äußere Beziehung oder Anregung, aber mit einer Allmacht, der nichts widersteht. Auch Eugenie fühlte sich jetzt umweht von ihnen, fühlte, wie ihr eine Waffe nach der anderen aus der Hand, ein Stachel nach dem anderen aus dem Herzen gewunden wurde, bis zuletzt Nichts mehr zurückblieb, nichts als die Macht jener Stunde, in der sie zum ersten Male empfunden, daß der Haß zu Ende war und an seiner Stelle etwas Neues auflebte, gegen das sie gestritten hatte auf Leben und Tod, und dem sie jetzt dennoch erlag.

Es war ein kurzer letzter Kampf zwischen dem alten Dämon, dem herben Stolz, der die einmal empfangene Abweisung nicht verzeihen konnte, und dem Herzen einer Frau, die sich trotz alledem geliebt wußte; aber die Waldesstimme hatte diesmal nicht umsonst gesprochen; sie behielt doch zuletzt den Sieg. Das Blatt, das zwei Menschen trennen sollte, die geschworen hatten, einander auf ewig anzugehören, lag zerrissen am Boden, und die junge Frau lag auf den Knieen, das von heißen Thränen überströmte Antlitz emporgerichtet.

„Ich kann nicht! Ich kann ihm und mir das nicht anthun; es trifft uns Beide – komme was da will, Arthur, ich bleibe bei Dir!“ – – –

„Wo ist Eugenie?“ fragte der Baron, als er eine Stunde darauf in den erleuchteten Salon trat, wo sich seine Söhne bereits befanden. „Hat man der gnädigen Frau nicht gemeldet, daß wir sie erwarten?“ fuhr er, zum Diener gewendet, fort, der soeben den Theetisch in Bereitschaft gesetzt hatte und jetzt im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen.

Curt kam der Antwort zuvor. „Eugenie ist nicht zu Hause, Papa,“ sagte er, indem er dem Bedienten winkte, sich zu entfernen.

„Nicht zu Hause?“ wiederholte der Baron erstaunt. „So spät noch ausgefahren und wohin?“

Curt zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht. Ich war unmittelbar, nachdem ich vom Pferde gestiegen, in ihren Zimmern, fand sie aber nicht mehr dort; dagegen fand ich das auf dem Fußboden.“

Er zog ein Blatt hervor, und um die Lippen des jungen Officiers zuckte es ganz eigenthümlich, während er sich anscheinend mit dem größten Ernste bemühte, die beiden Hälften möglichst genau zusammengepaßt vor den Vater hinzulegen, der darauf niedersah, ohne irgend etwas zu begreifen.

„Das ist ja der Entwurf des Scheidungsantrages von der Hand des Justizrathes, das Blatt, das ich Eugenie zur Unterschrift übergab; sie fehlt aber noch immer, wie ich sehe.“

„Nein, unterschrieben ist das Ding nicht,“ meinte Curt mit der unschuldigsten Miene von der Welt, „aber mitten durchgerissen. Merkwürdig! Sieh nur her, Papa!“

„Was soll das heißen?“ fragte Windeg im höchsten Grade befremdet. „Wo kann Eugenie sein? Ich werde die Diener fragen; wenn sie wirklich ausgefahren ist, so müssen sie doch wissen, wohin der Wagen beordert wurde.“

Er wollte die Hand an die Klingel legen, aber schnell ergriff sein Sohn das Wort. „Ich glaube, Papa, sie ist zu ihrem Manne gegangen!“ sagte er sehr ruhig.

„Bist Du von Sinnen, Curt?“ fuhr der Baron auf. „Eugenie zu ihrem Manne?“

„Nun, ich vermuthe das nur so, und wir werden wohl auch bald Gewißheit darüber erhalten, denn auf ihrem Schreibtische lag dieses Billet, an Dich adressirt. Ich habe es mit herübergenommen; es enthält jedenfalls eine Benachrichtigung.“

Windeg riß das Couvert ab und bemerkte in seiner Hast gar nicht, wie Curt die Etiquette so weit verletzte, daß er sich erlaubte, hinter ihn zu treten und über seine Schulter weg mitzulesen. Die Züge des jungen Officiers zeigten dabei aber einen so unverkennbaren Triumph, daß seine beiden jüngeren Brüder, die nichts von der Scene verstanden, erschreckt und fragend bald auf ihn, bald auf den Vater blickten.

Das Billet enthielt nur wenige Zeilen: „Ich gehe zu meinem Manne! Verzeih’, Papa, daß ich so plötzlich, so heimlich abreise, aber ich will keine Stunde verlieren und ich will nicht erst Deinen Widerstand herausfordern, den ich doch brechen müßte; denn mein Entschluß steht fest. Thue keinen Schritt weiter in der Scheidungsangelegenheit, widerrufe die schon geschehenen! Ich versage meine Einwilligung dazu, ich verlasse Arthur nicht! Eugenie.“

„Ist so etwas je erhört worden?“ brach der Baron jetzt aus, indem er den Brief sinken ließ. „Ein Widerruf, eine förmliche Flucht aus meinem Hause, und das wagt meine Tochter mir zu bieten! So entreißt sie sich meinem Schutze, all’ meinen Plänen und Zukunftshoffnungen für sie und kehrt zu diesem Berkow zurück, jetzt, wo er nahe am Ruine steht, geht zu ihm, mitten unter die empörten Arbeiter, unter die Anarchie auf seinen Gütern; das grenzt ja nahezu an Wahnsinn! Was ist da vorgefallen? Ich muß es wissen, aber zuerst muß dieser unsinnige Entschluß vereitelt werden, so lange es noch Zeit ist. Ich werde augenblicklich –“

„Der Courierzug nach M. ist schon seit einer halben Stunde fort, Papa,“ unterbrach ihn Curt lakonisch. „Und eben scheint auch der Wagen vom Bahnhofe zurückzukommen. Es ist jedenfalls zu spät.“

In der That hörte man soeben den Wagen, dessen sich die junge Frau ohne Zweifel bedient hatte, unten in das Portal einfahren. Der Baron sah jetzt auch ein, daß es zu spät war, und nun wendete sich sein ganzer Zorn gegen seinen Sohn. Er warf ihm vor, allein an Allem schuld zu sein; er habe durch seine thörichte Bewunderung für den Schwager, durch seine übertriebenen Berichte von dessen Lage Eugeniens Gewissen aufgestachelt, bis ein falsches Pflichtgefühl sie antrieb, an die Seite ihres Gatten zu eilen, nur weil sie ihn unglücklich glaubte, und war sie erst dort, wer konnte da wissen, ob es nicht am Ende zu einer vollständigen Aussöhnung kam, wenn Berkow egoistisch genug war, das ihm gebotene Opfer anzunehmen. Aber Windeg vermaß sich hoch und theuer, die Scheidung trotz alledem doch durchzusetzen. Die Sache war einmal eingeleitet, der Justizrath hatte sie bereits in Händen, und Eugenie sollte und mußte zur Vernunft zurückkehren. Er, der Baron, wollte doch einmal sehen, ob er seine väterliche Autorität nicht mehr geltend machen könne, wenn auch zwei seiner Kinder – hier traf ein niederschmetternder Blick den armen Curt, der augenblicklich allein zur Stelle war – sie so gänzlich zu mißachten schienen.

Curt ließ den ganzen Sturm über sich ergehen, ohne sich mit einer Silbe zu vertheidigen; er wußte aus Erfahrung, daß dies das beste Mittel sei. Mit tiefgesenktem Kopfe und niedergeschlagenem Blicke schien er in der That außerordentliche Reue zu empfinden über seinen Leichtsinn und über das Unheil, das er damit angerichtet. Als aber der Baron, noch immer ganz außer sich, den Salon verließ, um in seinen eigenen Zimmern über die unerhörte Geschichte weiter zu grollen, schnellte der junge Officier muthig in die Höhe, und der übermüthige Ausdruck seines hübschen Gesichtes, die lachenden Augen gaben leider den Beweis, wie wenig ihm der väterliche Zorn zu Herzen gegangen war.

„Morgen früh ist Eugenie bei ihrem Manne!“ sagte er zu seinen beiden Brüdern, die jetzt mit Fragen und Vorwürfen auf ihn einstürmten. „Und da soll Papa es einmal versuchen, mit seiner väterlichen Autorität und seinem Rechtsanwalt dazwischen zu kommen! Arthur wird sich seine Frau schon sichern, wenn er nur erst weiß, daß sie ihm gehört, bisher wußte er das noch nicht. Wir freilich“ – hier warf Curt einen etwas bedenklichen Blick auf die Thür, hinter der sein Vater verschwunden war –, „wir werden wohl noch acht Tage lang Sturm haben, und der allerärgste kommt noch, wenn Papa erst merkt, wie es eigentlich zwischen den Beiden steht, und daß da von ganz etwas Anderem die Rede ist als blos von Gewissen und Pflichtgefühl; aber dafür bekommt Arthur jetzt vollen Sonnenschein, und damit und mit Eugenie an der Seite wird er sich schon durchschlagen. Den Scheidungsproceß sind wir nun Gott sei Dank los, inclusive Gerichte und Justizräthe – und wer von Euch mir jetzt noch ein einziges Wort gegen meinen Schwager sagt, dem werde ich darauf antworten!“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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