Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 33
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ОглавлениеEs war Abend geworden, und im Hause herrschte eine unruhige Geschäftigkeit. Noch am Nachmittage hatte Baron Windeg eine längere Unterredung mit seiner Tochter gehabt, und unmittelbar darauf erhielt das Kammermädchen die Weisung, die Toilettensachen ihrer Herrin einzupacken. Schon vorher hatte Herr Berkow selbst der Dienerschaft angekündigt, daß seine Gemahlin morgen früh ihren Vater nach der Residenz begleiten und einige Wochen dort verweilen werde, daß also die nöthigen Vorbereitungen zu treffen seien, eine Nachricht, die vom Hause aus natürlich sofort die Runde durch sämmtliche Beamtenwohnungen machte, und dort wie hier weit mehr Besorgniß als Aufsehen erregte. Es war ja sonnenklar, daß der Herr die gnädige Frau nur fortsandte, weil er gleichfalls überzeugt war, daß es nächstens auf den Werken „losgehen“ werde. Er wollte sie in der Residenz in Sicherheit wissen und hatte wahrscheinlich selbst ihren Vater veranlaßt, zu kommen und sie abzuholen.
Windeg hatte Recht, der Vorwand war so wahrscheinlich, daß es Keinem einfiel, daran zu zweifeln. Das eigenthümlich kalte Verhältniß zwischen dem jungen Ehepaar war freilich anfangs in der Colonie viel besprochen und gedeutet worden; jetzt hatte das allmählich aufgehört. Man wußte ja, daß die Heirath nicht aus Neigung geschlossen war, aber da man nie etwas von heftigen Scenen oder bitteren Auftritten hörte, die der Dienerschaft doch wohl nicht entgangen wären, da Berkow immer die Höflichkeit selbst gegen seine Gemahlin und diese die Ruhe selbst ihm gegenüber blieb, so mußten sie sich doch wohl aneinander gewöhnt haben und ganz zufrieden miteinander sein – der gewöhnliche Ausgang solcher aus Berechnung geschlossenen Ehen. Ihre etwas seltsame Art zu leben schien wirklich nur eine Sitte der großen Welt zu sein; man lebte in den vornehmen Kreisen der Residenz wohl meist auf diesem getrennten, höflich kühlen Fuße, und daß Baroneß Windeg und der Sohn des Millionärs Berkow dies auch hier taten, konnte am Ende nicht weiter befremden.
Daß diese Abreise, der ja keine Streitigkeit irgend einer Art vorangegangen war, eine Trennung in sich schloß, das ahnte Niemand, und es fiel auch nicht weiter auf, als die Herrschaften den Abend ganz getrennt zubrachten. Die beiden fremden Herren speisten allein im Eßzimmer, die gnädige Frau hatte sich, da sie nicht wohl war, den Thee in ihr Boudoir bringen lassen, rührte jedoch zur Verwunderung ihres Kammermädchens nichts davon an, und Herr Berkow endlich speiste gar nicht, sondern zog sich „Geschäfte halber“ in sein Arbeitscabinet zurück, nachdem er den Befehl gegeben, ihn unter keiner Bedingung zu stören.
Draußen herrschte bereits völlige Dunkelheit, und hier drinnen warf die auf dem Schreibtisch brennende Lampe ihr Licht auf den Mann, der seit länger als einer Stunde ruhelos auf- und abwanderte, der jetzt endlich hinter geschlossenen Thüren den so lange getragenen Zwang der Gleichgültigkeit abwarf und den Sturm austoben ließ, der in ihm wühlte. Das war freilich nicht der blasirte junge Erbe mehr mit seiner apathischen Schwäche, aber auch nicht der junge Chef mehr, der mit so plötzlich erwachter Energie und Besonnenheit seinen Untergebenen zu imponiren und seinen Beamten Muth einzuflößen wußte. In diesem Antlitz stürmte die ganze Gewalt einer Leidenschaft, deren Größe er wohl selbst nicht gekannt hatte, bis zu dem Momente, wo es sich um das Verlieren handelte. Der Moment war jetzt gekommen, und jetzt forderte sie ihr Recht. Auf dieser bleichen Stirn, in diesen zuckenden Lippen und brennenden Augen stand es deutlich geschrieben, was ihm die heutige Unterredung gekostet, von der Baron Windeg meinte, er habe nicht geglaubt, daß die Sache sich so leicht machen werde.
Also jetzt war sie da, die so lang gefürchtete Stunde der Trennung, und es war gut, daß es so kam, daß ein fremder Wille hier eingriff, wo der eigene sich machtlos erwies. Wie oft während der letzten vierzehn Tage hatte Arthur daran gedacht, selbst den Vorwand zu gebrauchen, den der Baron ihm jetzt in die Hand gab, und damit die Folter dieses Zusammenlebens abzukürzen, denn diese abgemessene Kälte nach außen, welche die Gluth im Innern jeden Augenblick Lügen strafte, ließ sich nicht mehr ertragen; das ging über Menschenkräfte – und dennoch war nichts geschehen. Freilich ist es eine unbestrittene Wahrheit, daß das Unvermeidliche am besten schnell geschieht, aber nicht Jeder, der den Muth besitzt, mit fester Hand das Messer an eine vergiftete Wunde des Körpers zu setzen, hat ihn auch da, wo es sich darum handelt, eine verzehrende Leidenschaft aus dem Herzen zu reißen; mit ihr kommt unabweisbar die Furcht vor dem Verluste. Sie waren ja längst getrennt, diese Beiden, aber er sah doch wenigstens immer noch das schöne blonde Haupt mit den stolzen, jetzt so ernsten Zügen und den sprechenden dunklen Augen, hörte doch wenigstens noch diese Stimme, und dann kamen auch Momente eines blitzähnlich aufflammenden Glückes, die ganze Tage und Wochen voll Bitterkeit aufwogen, wie vorgestern im Walde, wo sie mit so sichtbarer Angst ihr Pferd an das seinige drängte, wo sie in seinen Armen bebte, als er sie herabhob – mochte es Feigheit sein, aber er hatte nicht freiwillig, nicht eher verzichten können, bis man es forderte, wie es jetzt geschah.
Die Thür wurde leise geöffnet und ein Diener erschien zögernd auf der Schwelle.
„Was giebt’s?“ fuhr Arthur auf. „Habe ich nicht befohlen –“
„Um Vergebung, Herr Berkow!“ sagte der Mann schüchtern. „Ich weiß wohl, daß Sie nicht gestört sein wollen – aber da – da die gnädige Frau selbst –“
„Wer?“
„Die gnädige Frau sind selbst hier und wünschen –“
Der Diener hatte keine Zeit zu vollenden und er war auch etwas überrascht von dem Ungestüm, mit dem sein Herr die Thür aufriß und in’s Vorzimmer eilte, wo er wirklich seine Gattin erblickte, die dort zu warten schien. In der nächsten Minute war er an ihrer Seite.
„Du läßt Dich melden? Welche überflüssige Etiquette!“
„Du wolltest Niemand sehen, wie ich höre, und Franz sagte mir, der Befehl gelte für Alle ohne Ausnahme.“
Arthur wandte sich mit finsterer Miene zu dem Bedienten, der entschuldigend sagte: „Ich wußte wirklich nicht, was ich da thun sollte. Es ist ja das erste Mal, daß die gnädige Frau hierher kommt.“
Die Worte enthielten wirklich nur eine verlegene Entschuldigung, weiter nichts, aber Eugenie wendete sich doch rasch ab und die Zurechtweisung, die ihr Gemahl bereits auf den Lippen hatte, unterblieb. Der Mann hatte im Grunde Recht; für einen so ungewöhnlichen Fall, wie das Erscheinen der gnädigen Frau in der Wohnung des Herrn war, reichten seine Instructionen nicht aus; es war in der That das erste Mal, daß sie diese Wohnung betrat. Man hatte sie bisher immer nur im Salon, im Eßzimmer oder in den Gesellschaftsräumen getroffen; so konnte und mußte denn der heutige Besuch die Dienerschaft wohl befremden.
Arthur gab dem Bedienten einen Wink, sich zu entfernen, und trat mit seiner Frau in das Arbeitszimmer. Sie schien auf der Schwelle zu zögern.
„Ich wünschte Dich zu sprechen!“ sagte sie mit unterdrückter Stimme.
„Ich stehe Dir ganz zu Befehl.“
Er schloß die Thür wieder und schob einen Fauteuil heran, indem er sie mit einer Handbewegung einlud, darauf Platz zu nehmen. Die wenigen Minuten hatten genügt, dem jungen Manne wieder die ganze Fassung zurückzugeben, in der er sich in den letzten Wochen hinreichend geübt; Antwort und Bewegung waren so kühl und abgemessen, als ob er der fremdesten Dame in dem fremdesten Salon eine Höflichkeit erweise.
„Willst Du Dich nicht setzen?“
„Ich danke! Ich werde Dich nicht lange in Anspruch nehmen.“
Es war etwas Scheues, Unsicheres in dem Wesen der jungen Frau, das eigenthümlich mit ihrer sonst so sicheren Haltung contrastirte. Vielleicht fühlte sie sich fremd in diesen Räumen, und vielleicht wurde es ihr auch schwer, den Anfang des Gespräches zu finden. Arthur erleichterte ihr Beides nicht; er sah, wie sie zweimal vergebens nach Worten suchte, ohne sie finden zu können, aber er stand stumm und finster ihr gegenüber am Schreibtische und wartete.
„Mein Vater hat mir sein heutiges Gespräch mit Dir mitgetheilt,“ begann Eugenie endlich, „und auch das Resultat desselben.“
„Das habe ich erwartet, und eben deshalb – verzeih’, Eugenie! – war ich anfangs so überrascht, Dich hier zu sehen. Ich glaubte Dich mit den Vorbereitungen der Abreise beschäftigt.“
Die Worte sollten wohl den Eindruck seiner Bewegung bei ihrem Erscheinen verwischen, und sie schienen es auch zu thun. Es vergingen einige Secunden, ehe die junge Frau antwortete.
„Du hast diese Abreise bereits heute Nachmittag der Dienerschaft angekündigt?“
„Ja! Ich glaubte Deinen Wünschen zuvorzukommen und überdies hielt ich es für besser, wenn der Befehl zu den Vorbereitungen von mir ausging; Du kennst ja den Vorwand, den wir brauchen. Beabsichtigtest Du die Sache anders einzuleiten? Dann bedaure ich, Deine Absichten nicht gekannt zu haben.“
Der Ton war eisig, und es schien auch daraus wie ein Eishauch zu Eugenien herüberzuwehen; sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Ich habe nichts zu erinnern. Es überraschte mich nur, daß der einmal festgesetzte Termin meiner Abreise beschleunigt werden soll. Du hattest doch Deine Gründe, ihn festzuhalten.“
„Ich? Es war Dein Wunsch, Deine Forderung, der ich in diesem Punkte nachkam. Baron Windeg sagte mir wenigstens, daß es so wäre.“
Eugenie fuhr auf. Es schien, als ob mit dem tiefen erleichternden Athemzuge, der jetzt ihre Brust hob, auf einmal alle Scheu und Unsicherheit verschwinde, als ob ihr mit der einen Antwort der ganze Muth zurückgekommen sei.
„Ich ahnte es! Mein Vater ist zu weit gegangen, Arthur; er hat in meinem Namen gesprochen, wo er nur seinen eigenen Wunsch vertrat. Ich bin gekommen, das Mißverständniß zu lösen und Dir zu sagen, daß ich nicht abreisen werde – wenigstens nicht eher, bis ich aus Deinem Munde höre, daß Du es verlangst.“
Eugenie hatte den Blick fest, aber wie in banger, athemloser Erwartung auf Arthur’s Antlitz gerichtet, als wolle und müsse sie jetzt in seinem Auge lesen, aber dieses Auge blieb verschleiert und die Worte brachten überhaupt gar keine Wirkung hervor. Wohl fuhr ein Zucken durch seine Mienen, als sie das „Mißverständniß“ löste, vielleicht war es ihr auch nur so vorgekommen, denn die Bewegung ging so schnell wie sie kam, aber das Gesicht blieb unverändert und die Stimme hatte den alten eisigen Klang, als er nach einer secundenlangen Pause antwortete:
„Du willst nicht abreisen? Und warum nicht?“
Die junge Frau trat mit voller Entschiedenheit vor ihren Gatten hin. „Du hast mir gestern selbst gesagt, daß es sich in dem bevorstehenden Kampfe um Deine Existenz handelt; daß er bis auf’s Aeußerste ausgefochten wird, weiß ich seit der letzten Begegnung mit Hartmann, und Deine Lage ist jedenfalls noch bedrohlicher, als Du mir zugiebst. Ich kann und werde Dich gerade in solchem Momente nicht verlassen, das wäre eine Feigheit und –“
„Du bist sehr großmüthig,“ unterbrach sie Arthur; aber jetzt barg sich hinter der Kälte seines Tones bereits eine schlecht verhehlte Bitterkeit. „Aber um Großmuth ausüben zu können, dazu gehört auch, daß sich jemand findet, der sie annimmt, und ich nehme die Deinige nicht an.“
Eugeniens Hand drückte sich wie im verhaltenen Zorne fest in die sammetüberzogene Lehne des Sessels. „Nicht?“
„Nein! Der Plan ging von Deinem Vater aus – sei es! Er hat ohne Zweifel das Recht, für seine Tochter, die ihm in Kurzem wieder ganz gehören wird, Schutz und Sicherheit vor den Rohheiten und Excessen zu fordern, die aller Wahrscheinlichkeit nach hier vorkommen werden. Ich gebe ihm darin vollkommen Recht und füge mich unbedingt der morgenden Trennung.“
Die junge Frau hob energisch das blonde Haupt. „Und ich fügte mich ihr nur so lange, als ich sie für Deinen Wunsch hielt; dem bloßen Willen meines Vaters weiche ich darin nicht. Ich habe die Pflichten Deiner Gattin nun einmal übernommen, vor der Welt wenigstens; vor ihr werde ich sie auch durchführen, und sie gebieten mir, Dich im Angesichte dessen, was bevorsteht, nicht feig zu verlassen, sondern an Deiner Seite zu bleiben, bis die Katastrophe vorüber und der ursprünglich beschlossene Termin unserer Trennung da ist. Dann werde ich gehen, eher nicht.“
„Auch nicht, wenn ich es ausdrücklich von Dir verlange?“
„Arthur!“
Der junge Mann stand zur Hälfte abgewendet, seine Rechte zerknitterte nervös eins der Papiere seines Schreibtisches, das er mechanisch ergriffen hatte; die so gewaltsam zusammengeraffte Selbstbeherrschung wollte diesem Blicke und Tone gegenüber nicht mehr Stand halten.
„Ich habe Dich schon einmal gebeten, keine Großmuthsscene mit mir zu spielen,“ sagte er bitter. „Ich bin nicht empfänglich dafür. Pflichten! Eine Frau, die ihrem Manne freiwillig Hand und Herz giebt, die hat die Pflicht, in der Gefahr bei ihm auszuhalten und sein Unglück, vielleicht seinen Untergang zu theilen, wie sie sein Glück getheilt hat – das war unser Fall ja wohl nicht. Wir haben keine Pflichten gegen einander, weil wir nie Rechte auf einander gehabt haben. Das Einzige, was ich Dir in dieser erzwungenen Ehe bieten konnte, war die Möglichkeit, sie zu lösen; sie ist gelöst seit dem Augenblicke, wo wir die Trennung beschlossen. Das ist meine Antwort auf Dein Anerbieten.“
Die dunklen Augen Eugeniens hingen noch immer unverwandt an seinen Zügen. Dieses heiße verrätherische Aufleuchten, das jedesmal blitzähnlich eine unbekannte Tiefe zu enthüllen schien, heute kam es nicht, und heute gerade hatte sie es hervorzwingen wollen um jeden Preis. Was sie darin auch gesehen und geahnt haben mochte – und die stolze Frau mußte etwas geahnt haben, ehe sie sich zu diesem Kommen und Anerbieten entschloß – er gönnte ihr nicht den Triumph, es noch einmal zu sehen oder zur Klarheit darüber zu gelangen; er blieb vollkommen Herr über sich und ließ ihr den quälenden Zweifel. Der Instinct des Weibes hatte so laut und untrüglich gesprochen, als ihr gestern auf der Waldhöhe die Blicke Ulrich Hartmann’s entgegenflammten, und mit der Erkenntniß dessen, was dahinter lag, war auch das Grauen davor gekommen. Freilich dort war sie kalt geblieben, mitten in der Gefahr, mit der eine unsinnige Leidenschaft sie bedrohte; hier, wo nichts zu fürchten war, hier bebte ihr ganzes Wesen in fieberhafter Erregung, und ebendeshalb verschleierte sich Alles, wie sich die braunen Augen drüben vor ihr verschleierten; deshalb schwieg die innere Stimme, und doch hätte sie ihr Leben darum gegeben, gerade hier Gewißheit zu haben.
„Du solltest mir das Bleiben nicht so schwer machen.“ Die Stimme Eugeniens hatte etwas von dem quälenden Zweifel ihres Innern; sie schwankte zwischen herbem Stolze und weicher Nachgiebigkeit. „Ich habe Manches überwinden und niederkämpfen müssen, ehe ich hierher kam; Du weißt es, Arthur, also schone es auch.“
Die Worte klangen fast wie eine Bitte; aber Arthur war bereits auf einen Punkt gekommen, wo er das nicht mehr verstand. Die wilde Bitterkeit, die furchtbare Gereiztheit, welche sein ganzes Wesen durchzitterten, gaben auch hier die alleinige Richtung und Auffassung, als er schneidend erwiderte:
„Ich zweifle durchaus nicht daran, daß Baroneß Windeg ein unendliches Opfer bringt, wenn sie sich entschließt, noch drei Monate länger den gehaßten bürgerlichen Namen zu tragen, noch länger an der Seite eines so tief verachteten Mannes zu bleiben, trotzdem man ihr die sofortige Freiheit bietet. Ich habe einst hören müssen, wie furchtbar Dir Beides war; ich kann danach ermessen, was diese Selbstüberwindung Dich kostet.“
„Du wirfst mir das Gespräch am Abende unserer Ankunft vor,“ sagte Eugenie leise. „Ich – hatte es vergessen.“
Jetzt endlich flammten seine Augen auf; aber es war nicht jenes Aufleuchten, welches sie darin gesucht und gehofft; es war etwas Fremdes, Feindseliges, was sich jetzt in ihm emporbäumte.
„Hast Du wirklich? Ob ich es vergessen habe, danach fragst Du nicht? Mit anhören habe ich es damals müssen, das war aber auch die Grenze dessen, was ich ertragen konnte. Meinst Du, ein Mann ließe sich ungestraft so in den Staub treten, wie Du es an jenem Abende thatest, und sich dann ohne Weiteres wieder daraus erheben, wenn es Dir beliebt, Deine Meinung zu ändern? Ich war nicht ganz der elende Weichling, für den Du mich gehalten; seit jener Stunde war ich es nicht mehr; die hat über mich entschieden, aber sie entschied auch über unsere Zukunft. Was mich trifft und treffen kann, werde ich allein tragen. Ich habe ja so Manches gelernt in diesen letzten Wochen; ich werde auch das durchführen, aber“ – hier richtete er sich mit glühendem Stolze in die Höhe – „aber die Frau, die mich am Tage nach unserer Trauung mit so hochmüthiger Verachtung von sich stieß, ohne auch nur zu fragen, ob der Gatte, dem sie doch nun einmal ihre Hand gegeben, auch wirklich so schuldig war, wie sie ihn glaubte, – bei der meine Erklärung, mein Wort darauf, daß sie sich im Irrthume befinde, nur als die Ausflucht eines Lügners galt – die mir auf die Frage, ob sie es nicht wenigstens der Mühe werth halte, den Versuch zur Besserung eines ‚Verlorenen‘ zu machen, dieses verächtliche Nein entgegenschleuderte – diese Frau will ich nicht an meiner Seite haben, wenn ich den Kampf um meine Zukunft ausfechte – ich will allein sein!“
Er wandte sich stürmisch ab. Eugenie stand betreten, wortlos da; so sehr sich auch das Wesen ihres Mannes in der letzten Zeit geändert hatte, leidenschaftlich hatte sie ihn noch nie gesehen, und jetzt war er es in einem Maße, das sie fast erschreckte. An dem Sturme, der ihr hier entgegenfluthete, konnte sie ermessen, was sich damals hinter seiner Gleichgültigkeit barg, die sie so tief empörte, was monatelang in ihm gewühlt hatte, bis es ihn endlich emporriß aus der Apathie, die ihm zur zweiten Natur geworden war. Jawohl, dieses kalte verächtliche Nein – sie wußte am besten, wie unrecht sie ihm damit gethan, und jetzt, wo sie sah, wie tief es ihn getroffen, jetzt hätte diese Stunde vielleicht Alles wieder gut gemacht, was jene andere verschuldet, wären nicht die unseligen letzten Worte gewesen. Die berührten die Hochmuthsader der jungen Frau, und wo ihr Stolz in’s Spiel kam, da war es vorbei mit Einsicht und Ueberlegung, selbst wo sie sich im Unrechte wußte.
„Du willst allein stehen!“ wiederholte sie. „Nun denn, aufdrängen werde ich Dir meine Nähe nicht. Ich kam, um mich zu überzeugen, ob der Plan meines Vaters auch der Deinige sei. Er ist es, wie ich sehe – ich werde also abreisen.“
Sie wandte sich zum Gehen. An der Thür hielt sie noch einmal inne; es war ihr, als sei er in dem Moment, wo sie die Hand an den Drücker legte, emporgeschnellt, als habe er eine Bewegung gemacht, ihr nachzustürzen, doch das mußte wohl Täuschung sein, denn als sie sich umwendete, stand Arthur noch am Schreibtisch, todtenbleich zwar, aber in seiner Haltung, in jedem Zuge seines Gesichts stand das Wort geschrieben, mit dem sie ihn einst von sich gestoßen, ein herbes unbeugsames Nein.
Eugenie raffte ihren letzten Muth zusammen zum Abschied.
„Wir werden uns morgen nur in Gegenwart meines Vaters sehen und dann vielleicht nie wieder, also – leb’ wohl, Arthur!“
„Leb’ wohl!“ sagte er dumpf.
Die Thür schloß sich hinter ihr; sie war verschwunden. Das letzte Alleinsein war unnütz verstrichen, die letzte Brücke zur Verständigung abgebrochen. Keines von Beiden hatte seinen Starrsinn beugen, keines das Wort aussprechen wollen, das hier allein helfen und retten konnte, das eine Wort, das Alles wieder gut gemacht hätte, und wäre zehnfach Schlimmeres geschehen; der Stolz allein redete – und damit war ihr Urtheil gesprochen. –
Grau und trübe kam der nächste Morgen über die Berge, aber im Hause war es trotz der ungewöhnlichen Stunde schon lebendig geworden. Man hatte die Abreise so früh festsetzen müssen, da man rechtzeitig den Anschluß an den Bahnzug erreichen wollte, um heute Abend noch in der Residenz einzutreffen. Vorläufig war freilich nur erst Curt von Windeg im Salon. Der Baron befand sich noch auf seinem Zimmer. Eugenie war gleichfalls noch nicht sichtbar, und der junge Officier schien mit offenbarer Ungeduld irgend etwas zu erwarten. Er hatte bereits mehrere Male den Salon durchmessen, dann am Balcon gestanden, dann auf dem Fauteuil gesessen, von dem er jetzt rasch in die Höhe sprang, als Arthur Berkow eintrat.
„Ah, Sie sind schon hier?“ sagte dieser, seinen jungen Schwager mit jener höflichen Kälte begrüßend, die zwischen ihnen Sitte war.
Curt eilte ihm lebhaft entgegen. „Ich wollte gern noch allein einige Worte mit Ihnen – aber mein Gott, was ist Ihnen? Sind Sie krank?“
„Ich?“ fragte Arthur ruhig. „Was fällt Ihnen ein? Ich befinde mich vollkommen wohl!“
„So?“ meinte Curt mit einem Blick auf das bleiche, überwachte und abgespannte Antlitz seines Schwagers, „ich hätte eher das Gegentheil angenommen.“
Arthur zuckte etwas ungeduldig die Achseln. „Ich bin das frühe Aufstehen nicht gewohnt; da sieht man immer überwacht aus. Uebrigens fürchte ich, Sie werden heute eine schlechte Fahrt haben; es ist ein abscheulicher Nebelmorgen.“
Er trat an’s Fenster, wie um nach dem Wetter zu sehen, in Wahrheit aber wohl nur, um sich den unbequemen physiognomischen Beobachtungen zu entziehen, mit denen Curt ihm lästig fiel. Dieser ließ sich aber so leicht nicht abweisen; er trat dicht an seine Seite.
„Ich wollte der Erste hier sein,“ begann er ein wenig stockend, „weil ich gern noch eine Unterredung unter vier Augen mit Ihnen haben möchte, Arthur!“
Der Angeredete wendete sich um, eben so sehr verwundert über dieses Verlangen, als über die Art der Anrede. Curt hatte ihn während der ganzen Verwandtschaft kaum einmal beim Vornamen genannt. Er pflegte sonst stets dem Beispiel seines Vaters zu folgen und das steife „Herr Berkow“ zu gebrauchen.
„Nun?“ fragte dieser befremdet zwar, aber freundlich.
In den Zügen des jungen Officiers kämpften sichtbar Unsicherheit und Verlegenheit mit anderen Empfindungen, plötzlich aber hob er sein hübsches, offenes Gesicht zu dem Schwager empor und sah ihn treuherzig an.
„Wir haben Ihnen Unrecht gethan, Arthur, und ich vielleicht am meisten! Ich war empört über die Heirath, über den Zwang, der uns geschah, und – daß ich es Ihnen nur ehrlich gestehe – ich habe Sie rechtschaffen gehaßt von dem Augenblick an, da Sie mein Schwager wurden. Seit gestern weiß ich, daß wir uns in Ihnen geirrt haben, und seitdem ist es auch aus mit dem Hasse. Es thut mir leid, sehr leid, und das – das war es, was ich Ihnen sagen wollte! Nehmen Sie es an, Arthur?“
Er streckte ihm warm und herzlich die Hand hin. Arthur ergriff sie.
„Ich danke Ihnen, Curt!“ sagte er einfach.
„Gott sei Dank! jetzt ist’s herunter; es hat mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen,“ versicherte Curt aufathmend. „Und glauben Sie mir, auch mein Vater läßt Ihnen jetzt Gerechtigkeit widerfahren. Zugestehen wird er Ihnen dies freilich nicht, aber ich weiß, daß er so denkt.“
Ein flüchtiges Lächeln zog über Berkow’s Gesicht; freilich die Stirn wurde nicht heller davon und das Auge nicht klarer; auf beiden lag noch der schwere Schatten, als er ruhig antwortete: „Das ist mir lieb. So scheiden wir wenigstens nicht als Feinde.“
„Ja, was die Abreise betrifft,“ fiel Curt rasch ein, „Papa ist noch oben in seinem Zimmer und Eugenie augenblicklich ganz allein in dem ihrigen – wollen Sie sie nicht noch einmal sprechen?“
„Wozu?“ fragte Arthur betroffen. „Der Herr Baron kann jeden Augenblick erscheinen, und Eugenie wird schwerlich –“
„Ich stelle mich vor die Thür und lasse Niemand hinein!“ versicherte Curt eifrig. „Ich werde den Papa schon so lange hier aufzuhalten wissen, bis Ihr drinnen fertig seid.“
Eine schnelle Röthe bedeckte einen Moment lang Arthur’s Stirn, als er dem gespannt forschenden Blick seines Schwagers begegnete, aber er schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, Curt, das ist unnöthig! Ich habe gestern Abend bereits noch einmal und ausführlich mit Ihrer Schwester gesprochen.“
„Auch über die Abreise?“
„Auch über die Abreise!“
Der junge Officier sah etwas enttäuscht aus, übrigens blieb ihm keine Zeit zu weiteren Vorschlägen, denn man hörte bereits draußen den Schritt des Barons, der gleich darauf eintrat. Curt zog sich mit einer halb trotzigen Bewegung mehr in den Hintergrund des Zimmers zurück, während er vor sich hinmurmelte: „Und richtig ist die Sache doch nicht!“
Das unumgänglich nöthige Beisammensein während des Frühstücks war vorüber. Die abgemessene Förmlichkeit des Barons und die stete Gegenwart der Diener hatten darüber hinweg geholfen; jetzt fuhr der Wagen unten auf der Terrasse vor. Die Herren nahmen ihre Mäntel um, und das Kammermädchen brachte Eugenien Hut und Shawl. Arthur bot seiner Frau den Arm, um sie hinunter zu führen. Der Schein eines vollkommenen Einverständnisses sollte ja bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten bleiben.
Grau und trübe war der Morgen über die Berge gekommen; grau und trübe stieg er jetzt in’s Thal hernieder, vor den Fenstern wogte ein Nebelmeer, und hier drinnen gab das frostig kalte Morgenlicht, das die Räume bereits erfüllte, ihnen etwas gespenstig Oedes und Unheimliches; es schien, als ob all die reiche Pracht, die sie schmückte, auf einmal Glanz und Farbe verloren hätte, und sie sollten ja auch jetzt leer werden, ganz leer – die junge Herrin verließ sie, um nicht wiederzukehren.
Curt machte im Stillen die Bemerkung, daß auch seine Schwester dasselbe Aussehen zeigte, das ihn vorhin an Arthur so erschreckt hatte, aber sonst konnte auch er in der Haltung Beider nichts Außergewöhnliches entdecken. Sie wußten die einmal übernommenen Rollen durchzuführen, wenn ihre Züge auch verriethen, daß es ihnen eine schlaflose Nacht gekostet, und vielleicht war diese starre kalte Fassung nicht einmal eine Rolle. Wenn der Sturm ausgetobt hat, dann folgt jene Ruhe, die uns so oft im Leben gerade über das Schwerste, das am meisten Gefürchtete verhältnißmäßig leicht hinweghilft, weil es wie ein Schleier auf der Seele liegt, der sie nicht zum klaren Bewußtsein des entscheidenden Momentes kommen läßt, weil all das frühere Kämpfen und Ringen untergeht in einem dumpfen Wehgefühl, durch das nur hin und wieder ein jäher stechender Schmerz zuckt, bei dem man sich erst besinnen muß, warum man denn eigentlich leidet. Am Arme ihres Mannes schritt Eugenie die Treppen hinunter, ohne eigentlich zu wissen, daß und wohin sie gingen. Wie im Traume sah sie die teppichbelegten Stufen, auf denen ihr Kleid rauschte; die hohen Oleanderbäume, mit denen das Vestibül geschmückt war, die Gesichter der Diener, die sich vor der gnädigen Frau verneigten, das Alles glitt undeutlich, schattenhaft vorüber – dann plötzlich berührte etwas scharf und beinahe schmerzend ihre Stirn; es war die kalte Morgenluft, in der sie zusammenschauerte, und vor sich sah sie den Wagen, der sie fortführen sollte, ihn allein, denn Terrasse, Blumenanlagen und Fontainen, das Alles verschwand in Dämmerung und Nebelgeriesel. Noch einmal begegneten sich die Augen der beiden Gatten, aber sie sagten einander nichts. Der Schleier lag schwer und dicht auch zwischen ihnen. Dann fühlte die junge Frau, wie eine Hand sich feucht und eiskalt in die ihrige legte, und hörte einige fremd und höflich klingende Abschiedsworte, die sie nicht verstand, aber es war doch Arthur’s Stimme, die sie sprach, und dabei fuhr wieder der stechende Schmerz heiß durch den dumpfen Traum – dann Hufestampfen und Räderrollen, und vorwärts ging es, hinein in das Nebelgrauen, das ringsum wallte und wogte, wie damals, als die Trennung beschlossen ward, oben auf der Waldhöhe in jener Frühlingsstunde – und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!