Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 29

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Inhaltsverzeichnis

Die erste Woche mit ihrer düsteren Feierlichkeit war vorüber, aber der dumpfe Druck, der auf jedem Trauerhause liegt, war nicht gewichen und gab sich nur schwerer kund jetzt, wo die Unruhe all dieser Anordnungen, Beileidsbezeigungen und Besuche vorüber war. An Zeichen äußerer Theilnahme hatte es nicht gefehlt. Berkow’s Stellung, seine Bekanntschaft und Verbindungen in den verschiedenen Kreisen machten seinen Tod zu einem Ereigniß. Das Gefolge, dem sich natürlich die sämmtlichen Beamten und Arbeiter der Werke anschlossen, war ein endloses gewesen. Karten und Briefe bedeckten in unendlicher Anzahl den Schreibtisch des jungen Erben, dessen Gemahlin die Besuche der ganzen Umgegend empfing. Man bewies beiden alle möglichen Rücksichten, und dies um so mehr, als man ihnen gegenüber keine „Vorurtheile“ zu überwinden hatte, wie Baron Windeg es diplomatisch nannte. Zu Herzen ging dieser Verlust wohl Keinem, vielleicht nicht einmal dem einzigen Sohne des Verstorbenen, für den er doch so viel gethan; denn es ist schwer da zu lieben, wo auch nicht eine Spur von Achtung vorhanden ist. Uebrigens ließ es sich schwer entscheiden, ob Arthur Berkow durch den Tod seines Vaters wirklich tief oder nur oberflächlich berührt wurde. Wer die Fassung sah, die er Anderen gegenüber zeigte, mußte wohl das Letztere glauben, und doch war er furchtbar ernst geworden seit jener Katastrophe und fast unzugänglich für Jeden, mit dem er nicht nothgedrungen verkehren mußte. Eugeniens Ruhe konnte Niemanden befremden, der die näheren Verhältnisse kannte. Für sie, wie für ihren Vater hörte mit dem Tode des alten Berkow allerdings der Haß gegen ihn auf; von einer anderen Regung war hier nie die Rede gewesen – und dieser Standpunkt wurde leider von Vielen getheilt; denn nur zu Viele hatten Grund dazu.

Die Beamten waren zu oft durch das brutale, hochmüthige Wesen des Emporkömmlings verletzt worden, der ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nur als eine Waare betrachtete, die ihm gegen Bezahlung des Gehaltes zur unbedingten Verfügung stand, um einen Chef zu betrauern, bei dem weder Charakter, noch Persönlichkeit, noch Tüchtigkeit galt, sondern nur die möglichst vortheilbringende Verwendbarkeit in der betreffenden Stellung. Noch Schlimmeres aber gab sich bei den Arbeitern kund, eine vollständige Fühllosigkeit, die keine Regung des Mitleides, der Theilnahme aufkommen ließ. Berkow war, was man ihm auch sonst vorwerfen mochte, doch unleugbar ein industrielles Genie ersten Ranges gewesen. Er hatte sich aus Armuth und Niedrigkeit zu einer bedeutenden Höhe emporgeschwungen, hatte Schöpfungen in’s Leben gerufen, die, was die Großartigkeit betraf, sich den ersten des Landes an die Seite stellen durften; er hatte eine Stellung errungen, in der er Tausenden hätte zum Segen werden können. Er war es ihnen nicht geworden, hatte es nicht werden wollen. Da mußte denn wohl sein Andenken die Verurtheilung über sich ergehen lassen, die in diesem Aufathmen nach seinem plötzlichen Tode lag, das durch seine ganze Umgebung, durch all seine Schöpfungen ging, in diesem unausgesprochenen und doch von Allen gefühlten „Gott sei Dank!“

Ob die Erbschaft eines solchen Lebens und dessen, was es seit Jahrzehnten gesäet, wirklich so beneidenswerth war, als es den äußeren Anschein hatte, mochte dahingestellt bleiben. Jedenfalls wälzte schon diese Erbschaft an sich eine Last von Geschäften auf die Schultern des jungen Erben, der er nach dem allgemeinen Urtheil am wenigsten gewachsen war. Er hatte freilich Beamte aller Fächer, Vertreter und Bevollmächtigte genug; aber je mehr sein Vater es verstanden hatte, sie sämmtlich in Abhängigkeit von sich zu erhalten und an seine unbedingte Oberleitung zu gewöhnen, desto mehr fehlte ihnen jetzt die Hand und das Auge des Herrn, fehlte dieser Herr selber. Jetzt sollte der Sohn die Zügel in die Hand nehmen und noch ehe dies geschehen war, mußte auch er das Urtheil oder vielmehr die Verurtheilung über sich ergehen lassen, die in dem Achselzucken seiner sämmtlichen Untergebenen lag. Sie waren bereits einig darüber, daß auf ihn so gut wie gar nicht zu rechnen sei.

In dem Conferenzzimmer war das ganze Beamtenpersonal versammelt, um den nunmehrigen Chef zu erwarten, der sie für diese Stunde herbeschieden hatte. Aber wer die rathlosen, verstörten und zum Theil selbst angstvollen Gesichter der Herren sah, der mußte wohl auf die Idee gerathen, daß hier mehr verhandelt werden sollte, als eine blos formelle Begrüßung und Vorstellung, jetzt, nachdem die ersten Tage der Trauer vorüber waren.

„Das war ein Schlag!“ sagte der Director eben zu Herrn Schäffer, der gleichfalls aus der Residenz eingetroffen war. „Der schlimmste, der uns überhaupt treffen konnte! Wir wußten ja längst, was sie unter einander verabredeten und planten, und das geschieht ja auch überall auf den benachbarten Werken. Man sah es kommen; man hätte seine Maßregeln danach genommen, aber jetzt schon, grade in diesem Augenblick! Das liefert uns auf Gnade und Ungnade in ihre Hände.“

„Hartmann hat seine Zeit gut gewählt!“ fiel der Oberingenieur bitter ein. „Er weiß sehr wohl, was er thut, wenn er allein vorgeht, ohne die anderen Werke. Der Chef todt, sämmtliche Geschäfte in Stockung und Verwirrung, der Erbe unfähig zu jedem energischen Eingreifen – da kommt er mit seinen Forderungen! Ich habe es Ihnen immer gesagt, dieser Hartmann ist uns ein Pfahl im Fleische. Die Leute sind gut und man kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie endlich einmal Sicherung ihres Lebens in den Schachten und das Nothwendige für dieses Leben verlangen. Sie haben lange genug unter drückenden Umständen ausgehalten, wie keine der Anderen, und sie hätten auch vernünftige Forderungen gestellt, die man bewilligen könnte. Was sie uns aber unter diesem Führer zudictiren, das übersteigt ja alle Begriffe, das ist ja eine offene Empörung gegen alles Bestehende!“

„Was wird nur der junge Herr thun?“ fragte Wilberg, der unter all den Rathlosen und Aengstlichen der Rathloseste und Aengstlichste war, ziemlich kleinlaut.

„Was er unter den augenblicklichen Umständen thun muß,“ entgegnete Herr Schäffer ernst, „die Forderungen bewilligen.“

„Erlauben Sie, das kann er nicht!“ fuhr der Oberingenieur auf. Das zerreißt alle Disciplin und macht ihn in Jahr und Tag zum ruinirten Mann. Ich wenigstens bleibe nicht auf den Werken, wo das durchgeht.“

Schäffer zuckte die Achseln. „Und doch wird ihm kaum etwas Anderes übrig bleiben. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß die Dinge bei uns keineswegs so glänzend stehen, als es den Anschein hat. Wir haben Verluste in der letzten Zeit gehabt, sehr bedeutende Verluste; wir haben nach allen Seiten hin Ausfälle decken, Opfer bringen müssen; dann war noch so manche andere Verpflichtung – genug, wir sind einzig auf den augenblicklichen Ertrag der Werke angewiesen. Feiern uns die einige Monate und können wir die für dies Jahr abgeschlossenen Contracte nicht zur Ausführung bringen, dann sind wir – am Ende.“

„Die Leute müssen irgend etwas davon in Erfahrung gebracht haben,“ meinte der Oberingenieur finster, „sonst würden sie es gar nicht wagen, so aufzutreten; aber sie wissen nur zu gut, daß das einmal Bewilligte nicht wieder zurückgenommen werden kann. Hartmann wird Alles aufbieten, es durchzusetzen, und wenn er es unter dem zwingenden Druck der Verhältnisse wirklich durchsetzt – was sagte denn Herr Arthur, als Sie ihm von diesem Stande seiner Angelegenheiten Mittheilung machten?“

Es war eigenthümlich, daß die sämmtlichen Beamten nie von „Herrn Berkow“ oder ihrem Chef sprachen, als sei es ihnen unmöglich, die Person des jungen Herrn mit diesen Bezeichnungen in Verbindung zu bringen; sie nannten ihn noch immer „Herr Arthur“ oder „der junge Herr“, wie sie ihn stets genannt hatten. Bei der letzten Frage richteten sich Aller Augen auf Schäffer.

„Gar nichts hat er gesagt,“ erwiderte Schäffer. „‚Ich danke Ihnen, Schäffer!‘ das war Alles. Er hat nur die Papiere dabehalten, die ich zur besseren Orientirung für ihn mitgenommen hatte, und sich eingeschlossen. Seitdem habe ich ihn noch nicht wieder gesprochen.“

„Ich sprach ihn gestern Abend, als ich ihm die Forderungen unserer Bergleute vorlegte,“ sagte der Director. „Er wurde freilich todtenblaß, als die Hiobspost zum Vorschein kam; dann aber hörte er stumm zu, ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, und als ich einige Rathschläge und Tröstungen laut werden ließ, in der sicheren Voraussetzung, daß es nun zu einer Besprechung kommen würde, schickte er mich fort. Er wollte das erst allein überlegen. Ich bitte Sie, Herr Arthur und überlegen! Heute Morgen erhielt ich denn die Weisung, Sie sämmtlich zur Conferenz herzuberufen.“

Um Herrn Schäffer’s Mund legte sich wieder der alte sarkastische Zug. „Ich fürchte, ich kann Ihnen das Resultat dieser Conferenz vorher sagen: Bewilligen Sie Alles, meine Herren, geben Sie unbedingt nach, machen Sie was Sie wollen, nur sichern Sie mir für den Augenblick den Betrieb der Werke! Und dann wird er Ihnen ankündigen, daß er mit der gnädigen Frau nach der Residenz zurückkehrt und die Sachen hier gehen läßt, wie es dem Himmel und Ihrem Hartmann gefällt.“

„Es trifft ihn aber auch jetzt Schlag auf Schlag!“ mischte sich Wilberg ein, der in ritterlicher Aufwallung für den Abwesenden Partei nahm; „da könnte ein Stärkerer unterliegen.“

„Ja, Sie haben immer Sympathie für die Schwäche!“ spottete der Oberingenieur. „Nur in den letzten Wochen hatten Sie entschieden Sympathie für das Gegentheil. Herr Hartmann erfreute sich ja Ihrer ganz besonderen Freundschaft. Schwärmen Sie etwa noch für ihn?“

„Um Gotteswillen, nein!“ rief Wilberg mit einem fast entsetzten Ausdruck. „Ich habe ein Grauen vor dem Manne seit – seit der Todesstunde des Herrn Berkow!“

„Ich auch!“ sagte der Oberingenieur kurz, „und ich glaube, wir Alle. Es ist furchtbar, daß wir gerade mit ihm unterhandeln müssen; aber freilich, wo keine Beweise sind, thut man am besten zu schweigen.“

„Glauben Sie denn wirklich an die Möglichkeit eines Verbrechens?“ fragte Schäffer die Stimme senkend.

Der Director zuckte die Achseln. „Die Untersuchung hat nur die Thatsache ergeben, daß die Seile gerissen sind. Sie können von selber gerissen sein; ob das wirklich geschehen ist, kann allein Hartmann wissen. Wie gesagt, die Untersuchung fördert da nichts zu Tage, und bei jeder anderen Begleitung wäre der Verdacht auch ausgeschlossen. Der ist zu Allem fähig!“

„Aber bedenken Sie doch, er brachte sich ja selbst in die größte Lebensgefahr dadurch. Der Sprung, mit dem er sich rettete, war ein tollkühnes Wagestück, das der Zehnte nicht unternommen hätte, und das dem Zehnten nicht geglückt wäre. Er mußte gewärtig sein, mit in die Tiefe hinabzustürzen und sich zu zerschmettern.“

Der Oberingenieur schüttelte den Kopf. „Sie kennen Ulrich Hartmann schlecht, wenn Sie glauben, der besänne sich auch nur einen Augenblick, sein Leben in die Schanze zu schlagen, wenn er irgend etwas unternehmen will, wobei dieses Leben in Frage kommt. Sie waren ja dabei, als er sich den Pferden in den Weg warf. Damals hatte er gerade die Laune, retten zu wollen; wenn er verderben will, kümmert er sich wenig darum, ob auch sein eigenes Verderben droht. Das ist ja eben das Gefährliche an diesem Manne, daß er keine Rücksichten kennt gegen sich und Andere, daß er sich im Nothfall selbst opfern würde, wenn –“

Er verstummte plötzlich, da in diesem Augenblick der junge Chef eintrat. Arthur war sehr verändert, die tiefe Trauerkleidung ließ sein ohnehin schon bleiches Gesicht noch bleicher erscheinen, und Stirn und Augen trugen ein Gepräge, als hätten sie während der letzten Nächte nicht den Schlaf gekannt; dennoch erwiderte er ruhig den Gruß der Beamten und trat in ihre Mitte.

„Ich habe Sie herrufen lassen, meine Herren, um mit Ihnen Rücksprache über die Angelegenheiten zu nehmen, die nach dem Tode meines Vaters in meine Hände übergegangen sind. Es ist da Vieles zu ordnen und zu ändern, mehr vielleicht, als wir anfangs glaubten. Ich habe, wie Sie wissen, diesem ganzen Geschäftskreise bisher fern gestanden und werde mich nicht sofort darin orientiren können, obgleich ich es in den letzten Tagen versucht habe. Ich rechne daher im vollsten Maße auf Ihren guten Willen und Ihre Bereitwilligkeit, mich zu unterstützen. Ich werde beides sehr in Anspruch nehmen müssen und versichere Sie im Voraus meines Dankes.“

Die Herren verneigten sich, und die Mehrzahl zeigte etwas verwunderte Gesichter, während der Oberingenieur dem Director einen Blick zuwarf, der zu sagen schien: „Das war ja soweit ganz vernünftig!“

„Die übrigen Angelegenheiten,“ fuhr Arthur fort, „müssen vorläufig zurücktreten vor der augenblicklichen Calamität, vor der Gefahr, mit der uns die Forderungen der Bergleute und die Einstellung ihrer Arbeit im Falle der Nichtbewilligung bedrohen. Es kann hier freilich nur von einer Entscheidung die Rede sein.“

Diesmal war es Herr Schäffer, der dem Oberingenieur einen Blick zuwarf, der ebenso deutlich sprach, wie vorhin der seinige: „Sagte ich es nicht, er giebt unbedingt nach! Jetzt wird er Ihnen die Abreise ankündigen.“

Der junge Chef schien jedoch damit keine Eile zu haben; er meinte im Gegentheil: „Vor allen Dingen ist es nöthig, sich darüber zu unterrichten, wie die Leute organisirt sind und wer sie leitet.“

Es trat ein secundenlanges Schweigen ein, jeder von den Beamten scheute sich, einen Namen auszusprechen, den sie eben noch in so furchtbare Verbindung mit dem geschehenen Unglück gebracht hatten, endlich sagte der Oberingenieur:

„Hartmann leitet sie, und es ist daher kein Zweifel, daß sie gut geleitet sind und daß die Organisation nichts zu wünschen übrig läßt.“

Arthur blickte nachdenkend vor sich hin. „Das fürchte ich auch, und dann wird es einen Kampf geben, denn von einer vollständigen Bewilligung kann natürlich nicht die Rede sein.“

„Kann natürlich nicht die Rede sein!“ wiederholte der Oberingenieur triumphirend, und gab damit das Signal zu einer höchst lebhaften Debatte, in der er mit vollster Entschiedenheit seine vorhin geäußerten Ansichten verfocht. Herr Schäffer, der das Gegentheil vertrat, war nicht minder lebhaft bemüht, mit allerlei Winken und Andeutungen, die der junge Chef nur zu gut verstand, ihm die Nothwendigkeit des Nachgebens klar zu machen. Der Director hielt sich dagegen mehr neutral, rieth zum Abwarten, zum Unterhandeln. Die übrigen Beamten endlich ließen ihre Vorgesetzten sprechen und wagten sich nur hin und wieder mit einer eingestreuten Bemerkung oder unmaßgeblichen Ansicht hervor.

Arthur hörte das Alles schweigend und scheinbar aufmerksam mit an, ohne sich der einen oder der andern Partei zuzuneigen; als aber Schäffer eine längere Rede mit einem unumwundenen „wir müssen“ schloß, hob er plötzlich das Haupt mit einer solchen Entschiedenheit, daß all die Meinungen um ihn her verstummten.

„Wir müssen nicht, Herr Schäffer! Es giebt hier denn doch noch eine andere Rücksicht als blos den Geldpunkt, die Rücksicht auf meine Stellung den Leuten gegenüber, die für immer erschüttert wäre, wenn ich mich ihnen so auf Gnade und Ungnade ergäbe. Wie wenig ich auch noch mit diesen Dingen vertraut bin, so sehe ich doch, daß diese Forderungen über das Maß des Möglichen hinausgehen, und Sie geben mir das Alle einstimmig zu. Es mögen sich Mißstände eingeschlichen, die Arbeiter mögen Grund zur Klage haben –“

„Das haben sie, Herr Berkow!“ unterbrach ihn der Oberingenieur fest. „Sie haben Recht, wenn sie eine Untersuchung und Verbesserung der Schachte, wenn sie eine Erhöhung des Arbeitslohnes verlangen, und über gewisse Erleichterungen und Eintheilungen der Schichten wird sich auch reden lassen. Das Weitere ist eine übermüthige Herausforderung, die einzig und allein ihr Führer Hartmann veranlaßt hat. Er ist die Seele des Ganzen.“

„Dann wollen wir ihn zuerst selbst hören! Ich habe ihn bereits benachrichtigen lassen, daß seine und der übrigen Abgesandten Anwesenheit wohl hier nothwendig sein dürfte; sie sind jedenfalls schon da. Herr Wilberg, wollen Sie sie rufen!“

Herr Wilberg entfernte sich, aber mit offenem Munde und einer Miene, die in ihrem Ausdrucke grenzenloser Verwunderung fast dumm erschien. Herr Schäffer zog die Augenbrauen in die Höhe und sah den Director an; dieser nahm eine Prise und sah die übrigen Herren an, und dann blickten sie Alle zusammen wieder auf ihren jungen Chef, der auf einmal Anordnungen traf und Befehle ertheilte und dabei einen Ton entwickelte, in den sie sich nicht finden konnten, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Oberingenieurs, der seinen Collegen den Rücken gewendet und sich an Arthur’s Seite gestellt hatte, als wisse er nun, wohin er eigentlich gehöre.

Indessen kehrte Wilberg zurück, und unmittelbar hinter ihm traten Ulrich Hartmann, Lorenz und noch einer der Bergleute ein, aber die beiden Letzteren blieben, als ob sich das von selbst verstände, einige Schritte zurück und ließen den jungen Steiger allein vertreten.

„Glück auf!“ grüßte dieser, und „Glück auf!“ auch seine beiden Cameraden, aber der Ton des alten frohen Bergmannsgrußes schien hier seinem Inhalte zu widersprechen. In dem Wesen Ulrich’s hatte freilich von jeher etwas Herrisches, Trotziges gelegen, aber es hatte sich nie so herausfordernd, so geradezu verletzend kundgegeben, wie heute, wo er zum ersten Male dem Chef und dem Beamtenkreise in dieser Weise gegenüber trat, nicht mehr als ein Untergebener, der Weisungen und Befehle zu empfangen hatte, sondern als ein Abgesandter, der ihnen seine Forderungen nicht vorlegte, nein, der sie ihnen dictirte. Freilich war es kein gemeiner Hochmuth, der aus dieser Haltung sprach, aber doch die trotzige Ueberhebung, die in dem Bewußtsein eigener Kraft und fremder Schwäche wurzelt. Er ließ die finsteren blauen Augen langsam durch den ganzen Kreis schweifen, bis sie zuletzt auf dem jungen Chef haften blieben, und seine Lippen warfen sich wieder verächtlich auf, während er schweigend die Anrede erwartete.

Arthur hatte sich während der ganzen vorhergehenden Verhandlungen nicht gesetzt; er war auch jetzt stehen geblieben und stand ernst dem Manne gegenüber, der, wie man von allen Seiten behauptete, die Hauptschuld an dem Schlage trug, welcher ihm jetzt drohte. Von der viel schwereren Schuld, mit der man die letzten Augenblicke seines Vaters in Verbindung brachte, hatte der Sohn zum Glück keine Ahnung, denn er trat mit vollkommenster Ruhe in die Verhandlungen ein.

„Untersteiger Hartmann, Sie haben mir gestern durch den Herrn Director die Forderungen der sämmtlichen Bergleute meiner Werke vorlegen lassen, und im Falle der Nichtbewilligung mit allgemeiner Niederlegung der Arbeit gedroht.“

„So ist’s, Herr Berkow!“ lautete die kurze, sehr entschieden klingende Antwort.

Arthur stützte die Hand auf den Tisch, aber sein Ton war kühl, geschäftsmäßig; er verrieth nicht die mindeste Erregung.

„Vor allen Dingen möchte ich wissen, was Sie eigentlich mit diesem Vorgehen beabsichtigen. Das sind keine Forderungen, das ist eine Kriegserklärung! Sie werden sich selber sagen, daß ich dergleichen nicht bewilligen kann und nicht bewilligen werde.“

„Ob Sie es bewilligen können, weiß ich nicht, Herr Berkow,“ sagte Ulrich kalt, „ich glaube aber, Sie werden es bewilligen, denn wir sind entschlossen, die Werke so lange feiern zu lassen, bis Sie unseren Forderungen nachgekommen, und einen Ersatz finden Sie nicht in der ganzen Provinz.“

Das Argument war so schlagend, daß sich nicht viel dagegen einwenden ließ, aber der Ton, in dem es hervorgehoben wurde, zugleich so hohnvoll, daß Arthur die Stirn runzelte.

„Es ist keineswegs meine Absicht, Ihnen Alles zu verweigern!“ erklärte er fest. „Es sind unter diesen Forderungen einzelne, deren Gerechtigkeit ich anerkenne und denen ich also auch nachkommen werde. Die Untersuchung und Aenderung der Schachte, die Sie verlangen, wird geschehen; der Arbeitslohn wird, wenigstens theilweise, erhöht werden. Ich werde schwere Opfer deswegen bringen müssen, mehr vielleicht, als ich gerade jetzt in geschäftlicher Hinsicht verantworten kann, aber es wird geschehen. Dagegen müssen die anderen Punkte fallen, die einzig und allein darauf abzielen, mir und meinen Beamten die Herrschaft aus den Händen zu winden und die Disciplin zu lockern, die für ein Unternehmen wie das unserige eine Lebensfrage ist.“

Der verächtliche Zug um Ulrich’s Lippen verschwand und machte einem Ausdrucke der Befremdung und des Argwohns Platz, mit dem er erst die Beamten und dann den jungen Chef anblickte, als habe er diesen in Verdacht, er sage etwas ihm Eingelerntes her.

„Es thut mir leid, Herr Berkow, aber die Punkte fallen nicht!“ entgegnete er trotzig.

„Ich glaube wohl, daß sie gerade Ihnen eine Hauptsache sind,“ sagte Arthur, den Blick fest auf Ulrich gerichtet, „dennoch wiederhole ich Ihnen, daß sie fallen müssen. Ich werde in meinen Bewilligungen bis an die Grenze des Möglichen gehen; da aber bleibe ich stehen und thue keinen Schritt darüber hinaus. Was ich gewähre, soll und muß Jeden befriedigen, der ehrliche, lohnende Arbeit sucht. Wen es nicht befriedigt, der sucht eben etwas Anderes, und mit dem ist keine Einigung zu hoffen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß das Nothwendige zur Sicherung der Arbeiter in den Schachten und zur Erhöhung ihres Verdienstes geschehen soll, und fordere nun auch meinerseits von Ihnen das Vertrauen in meine Worte. Ehe wir aber diese Angelegenheit besprechen, müssen Sie auf den zweiten Theil Ihrer Forderungen verzichten. Die Erfüllung ist unmöglich, und ich gehe unter keiner Bedingung darauf ein.“

Er hatte noch immer den ruhigen, geschäftsmäßigen Ton beibehalten, aber dennoch wich die ganze Rede viel zu sehr ab von der sonstigen Art und Weise des jungen Erben, als daß sie Ulrich nicht hätte auffallen sollen. Dieser trauete seinen eigenen Ohren nicht, aber je unerwarteter ihm der Widerstand kam an einer Stelle, wo er mit Sicherheit auf scheues, zaghaftes Ausweichen gerechnet hatte, das die Brücke zur unbedingten Ergebung schlagen sollte, desto mehr reizte ihn der Widerstand, und seine unbändige Natur brach nur zu bald die ungewohnten Schranken.

„Sie sollten das lieber nicht so von sich weisen, Herr Berkow,“ sagte er drohend. „Wir sind unser Zweitausend und die Werke so gut wie in unserer Hand. Die Zeit ist vorbei, wo wir uns knechten und treten ließen, wie es Ihnen gerade gefiel. Wir fordern jetzt unser Recht, und wenn es uns im Guten nicht wird, dann nehmen wir es uns mit Gewalt!“

Eine halb zornige, halb angstvolle Bewegung ging durch den Kreis der Beamten. Sie sahen eine Scene herankommen, die bei der bekannten Wildheit Hartmann’s mit Gewaltthätigkeiten endigen konnte. Arthur war dunkelroth geworden; er that einige Schritte vorwärts und stand jetzt dicht vor Ulrich.

„Vor allen Dingen ändern Sie den Ton, Hartmann, in dem Sie mit Ihrem Chef sprechen! Wenn Sie hier als Abgesandter empfangen sein wollen und als solcher eine Art von Gleichstellung beanspruchen, so benehmen Sie sich auch, wie es bei solchen Verhandlungen Sitte ist, und schleudern Sie uns nicht gleich Drohungen von Gewalt und Empörung in’s Antlitz! Sie verlangen Disciplin von Ihren Leuten, und ich verlange sie von Ihnen. Werfen Sie sich draußen bei Ihren Cameraden zum Herrn auf, wenn es Ihnen sonst beliebt! So lange ich vor Ihnen stehe, bin ich der Herr dieser Werke und denke es zu bleiben. Richten Sie sich danach!“

Wäre der Blitz in das Conferenzzimmer niedergefahren, er hätte keine größere Wirkung hervorbringen können, als diese mit vollster Energie und gebieterischem Stolze herausgeschleuderten Worte. Die Beamten wichen zuerst zurück und machten dann Miene, wie zum Schutze, einen Kreis um ihren jungen Chef zu schließen, der sie mit einer ruhigen Handbewegung zurückwies. Die beiden Bergleute blickten wie betäubt auf ihn hin, aber Keinen traf dies jähe Aufflammen so furchtbar, wie Ulrich. Er war leichenblaß geworden. Weit vorgebeugt stand er da, mit bebenden Lippen und weit offenen starren Augen, als könne und wolle er nicht begreifen, was er doch sah und hörte. Dann auf einmal schien ihm sein verhängnißvoller Irrthum über Den klar zu werden, von dem er noch vor wenigen Tagen mit verächtlichem Achselzucken behauptet, er zähle überhaupt nicht, und nun blitzte es furchtbar auf in seinen Zügen. Wie ein gereizter Löwe war er im Begriff sich vorwärts zu stürzen. Aber wie diesen zwang ihn ein furchtbarer Blick, der klar, fest und ruhig dem seinigen begegnete. Arthur war unbeweglich stehen geblieben, nur das Auge hatte er groß und voll aufgeschlagen und mit diesem Auge wies er die hervorbrechende Wildheit gebieterisch in ihre Schranken zurück. Nur einige Secunden lang dauerte dieses Anschauen der Beiden; dann war es entschieden zwischen ihnen. Langsam löste sich die geballte Rechte Ulrich’s; langsam wich die wilde Drohung aus seinen Zügen, und der Blick sank zu Boden. Er hatte in dem jungen Chef das ihm Ebenbürtige, vielleicht das ihm Ueberlegene erkannt, und – beugte sich ihm.

Arthur trat zurück. Seine Stimme klang wieder kalt und ruhig, als er fortfuhr: „Und nun theilen Sie Ihren Cameraden mit, was ich Ihnen bewilligen kann und was nicht! Fügen Sie hinzu, daß ich kein Wort von dem Gesagten zurücknehmen werde! Damit sind wir für jetzt zu Ende.“

„Wir sind’s!“ Ulrich’s Ton klang dumpf, fast erstickt von innerer Leidenschaft. „So erkläre ich Ihnen denn im Namen der gesammten Knappschaft Ihrer Werke, daß diese Werke von morgen an feiern werden!“

„Es ist gut. Ich war darauf vorbereitet. Und nun warne ich Sie noch einmal, Hartmann, vor allen extremen Schritten. Man sagt, Sie übten eine unbedingte Herrschaft über Ihre Cameraden aus. So sorgen Sie auch, daß Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten bleibt, und hoffen Sie nicht etwa, mich durch lärmende Scenen einzuschüchtern! Ich und meine Beamten werden das Aeußerste thun, um jeden Conflict zu vermeiden; wird er uns dennoch aufgezwungen, so müssen wir Stellung dagegen nehmen, und im äußersten Falle werde ich mein Hausrecht brauchen. Ersparen Sie das mir und sich selber!“

Ulrich wandte sich zum Gehen; aber in dem Abschiedsblick mischten sich Haß und Wuth mit noch etwas Anderem, Tieferem, was freilich Niemand ahnte, was aber die Brust des wilden, leidenschaftlichen Mannes wie im Krampfe zusammenzog. Er hatte den „Weichling“ so lange verachtet und triumphirt in dem Gedanken, daß er auch – anderswo verachtet werden müsse. Wenn er sich dort jetzt auch so zeigte, wie eben hier, dann war es zu Ende mit der Verachtung und dieses große braune Auge, das ihn gezwungen, konnte wohl noch etwas Anderes erzwingen, als Haß und Abneigung. Die fahle Blässe, die das Antlitz des jungen Bergmannes seit jener Zurechtweisung bedeckte, war noch tiefer geworden, als er sich abwandte.

„Wir wollen sehen, wer’s am längsten aushält! Glück auf!“

Er ging, begleitet von seinen beiden Cameraden, aber man sah es an den Gesichtern der Leute, daß die eben beendigte Scene auf sie ganz anders gewirkt hatte, als auf ihren Führer. Es war ein halb scheuer, halb ehrerbietiger Blick, mit dem sie zu dem jungen Chef zurückblickten, und es lag etwas Zögerndes, Unsicheres in ihrem Wesen, als sie sich entfernten.

Arthur hatte ihnen forschend nachgeblickt und wendete sich nun zu den Beamten. „Da sind schon zwei, die ihm nur mit halbem Herzen folgen! Ich hoffe, die Mehrzahl kommt zur Besinnung, wenn man ihr Zeit läßt; für jetzt, meine Herren, müssen wir uns in die Nothwendigkeit ergeben und die Werke feiern lassen. Ich verkenne keineswegs die Gefahr, die uns hier in der Abgeschiedenheit droht von zweitausend aufgeregten Menschen, mit einem Führer wie Hartmann an der Spitze; aber ich bin entschlossen, ihr Stand zu halten und nicht eher zu weichen, bis Alles entschieden ist. Es hängt natürlich von Ihrem freien Willen ab, ob Sie mir hierin folgen werden. Da Sie fast Alle gegen meine Entscheidung waren, so werde ich Ihnen die Folgen derselben natürlich nicht aufzwingen und bereitwillig Jedem Urlaub ertheilen, der jetzt etwa eine zeitweilige Entfernung von den Werken für nothwendig hält.“

Eine allgemeine entrüstete Verneinung beantwortete diesen Vorschlag. Die sämmtlichen Beamten drängten sich mit einem fast leidenschaftlichen Eifer um ihren jungen Chef, um ihm zu versichern, daß keiner von ihnen von seinem Platze weichen würde; selbst der schüchterne Herr Wilberg schien auf einmal Löwenmuth gewonnen zu haben; so energisch stimmte er ein. Arthur athmete tief auf.

„Ich danke Ihnen, meine Herren! Am Nachmittage wollen wir das Weitere besprechen und uns über die zu nehmenden Maßregeln verständigen; für jetzt muß ich Sie verlassen. Herr Schäffer, ich erwarte Sie in einer Stunde drüben in meinem Arbeitszimmer – noch einmal meinen Dank Ihnen Allen!“

Erst als er gegangen war und die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, brachen all die Regungen des Erstaunens, des Beifalls und der Besorgniß hervor, die seine Gegenwart bisher zurückgehalten hatte.

„Mir zittern alle Glieder!“ sagte Herr Wilberg, indem er sich, ohne an die Gegenwart seiner Vorgesetzten zu denken, auf einen Stuhl niederließ, aber der vorhergehende Auftritt schien alle Etiquettenrücksichten aufgehoben zu haben. „Gott im Himmel, war das eine Scene! Ich dachte, der wilde Mensch, der Hartmann, würde sich auf ihn stürzen, aber dieser Blick, diese Art zu reden – wer hätte das in dem Herrn gesucht!“

„Er war zu scharf, viel zu scharf!“ tadelte Schäffer, aber selbst in diesem Tadel und in seinem bedenklichen Kopfschütteln lag ein ganz anderer Ausdruck, als der war, mit dem er vorhin von Arthur gesprochen. „Er sprach, als hätte er noch immer über Millionen zu gebieten und als wäre der Betrieb der Werke nicht eine Lebensfrage für ihn. Sein Vater hätte trotz seines Hochmuthes hier unbedingt nachgegeben, denn es wäre geschäftlich seine einzige Rettung gewesen, und Rücksichten auf seine Stellung und Würde kannte er nicht. Der Sohn scheint freilich anders geartet, aber diese Sprache, die noch vor einem Jahre am Platz gewesen wäre, ist es jetzt nicht mehr. Er hätte vorsichtiger, unbestimmter in seinen Ausdrücken sein müssen, damit ihm die Möglichkeit eines Rückzuges offen geblieben wäre, für den Fall, daß –“

„Zum Kukuk mit Ihren Rücksichten und Bedenklichkeiten!“ fiel der Oberingenieur heftig ein. „Entschuldigen Sie, Herr Schäffer, daß ich grob werde, aber man sieht es, daß Ihre Thätigkeit nur in den Bureaux lag, und Sie niemals Arbeitermassen geleitet haben. Gerade das Richtige hat er getroffen, imponirt hat er ihnen, und das ist in solchem Falle Alles. Ein gütliches Zureden hätte ihnen für Schwäche, eine vornehme Ruhe für Hochmuth gegolten. Ihre eigene Sprache des Entweder – Oder muß man mit ihnen reden, und unser Herr versteht es wie Keiner; das haben Sie an Hartmann gesehen.“

„Ich fürchte nur, er unterschätzt trotz alledem den Kampf, der uns bevorsteht,“ sagte der Director ernst. „Unsere Leute allein hätten sich mit diesen Zugeständnissen zufrieden gegeben, mit diesem Führer an der Spitze thun sie es nicht. Er wird keinen Ausgleich zulassen, und sie folgen ihm blindlings. Aber der Herr hat Recht, er ist bis an die Grenze des Möglichen gegangen, weiter gehen hieße, sich selbst, seine Stellung und uns Alle preisgeben!“

Sie sprachen jetzt auf einmal Alle von ‚dem Herrn‘, als ob sich das von selbst verstände. In einer einzigen Stunde hatte sich Arthur den Titel erobert; jetzt schien gar keine andere Bezeichnung für den jungen Chef zu existiren. Er mußte sich doch wohl als Herr gezeigt haben. –

Die drei Abgesandten hatten das Haus verlassen und schritten nach den Werken hinüber. Ulrich sprach kein Wort, aber Lorenz sagte halblaut:

„Du meintest neulich, wenn uns Einer zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, dann – höre Ulrich, ich glaube, der da oben versteht’s!“

Ulrich antwortete nicht, er warf einen Blick nach den Fenstern hinauf, und es lagerte auf seiner Stirn wie eine Wetterwolke.

Das also war hinter den Augen, die immer so schläfrig aussahen, als taugten sie zu nichts auf der Welt als zum Schlafen!“ murmelte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen. ‚So lange ich hier stehe, bin ich der Herr dieser Werke!‘ Ich glaube wahrhaftig, er hat das Zeug dazu!“

Sie begegneten jetzt einer Gruppe von Bergleuten, speciell Ulrich’s Leuten, die nicht mit angefahren waren und die drei Abgesandten mit stürmischen Fragen umringten.

„Laßt’s Euch von Ulrich erzählen!“ meinte Lorenz trocken. „Ich glaube, wir sind da an den Unrechten gekommen; er denkt nicht an Nachgeben.“

„Nicht?“ Die Bergleute schienen sämmtlich enttäuscht. Sie hatten wohl auf einen andern Bescheid gerechnet. Es wurden einzelne Rufe und Drohungen gegen den jungen Chef laut, dessen Name dabei mehrere Male mit offenbarer Verachtung genannt wurde.

„Schweigt still!“ herrschte ihnen Ulrich zu. „Ihr kennt ihn nicht, so wie wir ihn eben sahen. Ich glaubte, wir würden leichtes Spiel haben, nun der Vater aus dem Wege ist. In dem Sohne haben wir uns Alle geirrt. Der hat etwas, was kein Mensch dem Weichling zugetraut, einen Willen! Ich sage Euch, der wird uns noch zu schaffen machen!“

Es war noch ziemlich früh am Vormittage, noch dufteten und funkelten Berge und Wälder in der thauigen Frische des Frühlingsmorgens, als Eugenie Berkow allein, ohne jede Begleitung, den Waldweg entlang ritt. Sie war eine vorzügliche Reiterin und liebte dies Vergnügen leidenschaftlich, und dennoch hatte sie sich ihm hier auf dem Lande weit seltener als sonst hingegeben. Anfangs verbot das Wetter jeden Ausflug in’s Freie, später fehlte ihr die Lust dazu, der Hauptgrund aber war wohl der, daß ihr schönes Reitpferd ein Geschenk ihres Gemahls noch aus seiner Bräutigamszeit her war, und daß sie nun einmal gewohnt war, ihre Abneigung gegen den Geber auf Alles zu übertragen, was direct von ihm kam. Nur mit Widerwillen hatte sie bei der Trauung die kostbaren Diamanten ihres Brautschmuckes angelegt, die seitdem nicht wieder ihre Etuis verließen; nur halb gezwungen bewegte sie sich in der verschwenderischen Pracht, die sie seit ihrer Vermählung umgab, und auch das herrliche Thier, das eine fabelhafte Summe gekostet hatte, und das, als sie das erste Mal an der Seite ihres Verlobten darauf erschien, die Bewunderung der ganzen Residenz herausforderte, wurde von seiner Herrin auffallend vernachlässigt und gänzlich der Sorge der Dienerschaft überlassen.

Um so überraschter war diese daher, als die gnädige Frau heute Morgen befahl, Afra zu einem Spazierritte zu satteln, und den Diener, der sich fertig machte, sie wie gewöhnlich zu begleiten, bedeutete, daß sie diesmal allein reiten wolle. Ihrem Befehl wurde natürlich, wenn auch mit einiger Befremdung, Folge geleistet, und sie ritt wirklich ohne alle Begleitung fort. Arthur wußte selbstverständlich nichts davon, sie bekam ihn jetzt womöglich noch seltener als sonst zu Gesichte, da er sich häufig auch bei Tische entschuldigen ließ, und das Leben der beiden Gatten war ja überhaupt ein so getrenntes, daß nur in den seltensten Fällen der Eine wußte, was der Andere an diesem oder jenem Tage vornahm.

Eugenie ritt in raschem Trabe durch den Wald, ohne irgend einem menschlichen Wesen zu begegnen, es war in der That sehr einsam hier, und diese Einsamkeit, die Frische und Schönheit des Morgens verfehlten keineswegs ihren belebenden Einfluß auf die junge Frau, die mehrere Tage lang nicht über den Umkreis des Parkes hinausgekommen war. Die Werke feierten, und eine unheimliche Ruhe und Stille lag über der ganzen, sonst so rastlos thätigen Colonie; desto lebhafter ging es dagegen in dem Arbeitszimmer des jungen Chefs zu, das dieser kaum mehr verließ. Die Beamten kamen und gingen; Conferenzen wurden gehalten, Bücher und Papiere geprüft; Schäffer war fortwährend auf dem Wege zwischen der Residenz und den Gütern; dabei flogen Briefe und Depeschen hin und her, aber diese ganz angestrengte Thätigkeit hatte ein so ernstes, so düsteres Gepräge, als schwebe irgend ein Unheil in der Luft, dem man zuvorkommen oder gegen das man sich wenigstens rüsten wollte. Eugenie wußte allerdings, daß eine Differenz mit den Arbeitern bestand. Arthur selbst hatte es ihr mitgetheilt und hinzugefügt, daß die Sache von gar keiner Bedeutung sei und in Kurzem beigelegt sein werde. Sehr ruhig, sehr kühl hatte er ihr das gesagt und sie nur gebeten, auf ihren etwaigen Spazierfahrten möglichst die Dörfer zu vermeiden, in denen die Bergleute wohnten, da für den Augenblick doch eine etwas gereizte Stimmung herrsche. Die Beamten mußten jedenfalls Winke erhalten haben, die gnädige Frau nicht zu beunruhigen, denn Eugeniens Versuche, von dieser Seite irgend etwas Näheres zu erfahren, scheiterten an höflichem Ausweichen oder beruhigenden Versicherungen. Sie hatten ihr gesagt, daß durchaus nichts zu besorgen, daß die Sache überhaupt von gar keiner Tragweite sei und der Ausgleich jeden Tag zu erwarten stände, – und doch fühlte Eugenie deutlich die geleugnete Gefahr, wie sie die Veränderung fühlte, die seit dem Tode des alten Berkow mit ihrem Gatten vorgegangen war, obgleich er gerade ihr gegenüber sein Benehmen nicht geändert hatte.

Die junge Frau war eine zu furchtlose, zu stolze Natur, um dies Ausschließen, diese sichtbare Schonung nicht als eine Art von Beleidigung zu empfinden. Freilich, sie hatte kein Recht auf Offenheit, auf Theilnahme an den Sorgen und vielleicht Gefahren ihres Mannes; was andere Frauen beanspruchen durften, lag ihr unendlich fern. Wenn das Trennungswort bereits ausgesprochen ist und man nur noch „anstandshalber“ einige Monate mit einander aushält, um der Welt möglichst wenig Stoff zum Gerede zu geben, so ist man ja auch den gegenseitigen Interessen fremd. Das sah sie ein, und hätte sie es nicht eingesehen, so würde Arthur es ihr fühlbar gemacht haben, der sich in dem Maße, wie er sich täglich kräftiger aus seiner früheren Trägheit aufraffte und sich energischer in die angestrengteste Thätigkeit warf, immer fremder und kälter von ihr zurückzog; sie dankte es ihm wahrlich, daß er ihr das Peinliche des bevorstehenden Schrittes dadurch zu erleichtern suchte, daß er sie jetzt schon als eine völlig Fremde behandelte.

Eugenie verhehlte sich nicht, daß der Tod Berkow’s ein großes Hinderniß ihrer Wünsche aus dem Wege geräumt hatte. Er hätte schwerlich je in die Aufhebung einer Verbindung gewilligt, die sein Ehrgeiz so sehr erstrebt und die er theuer genug erkauft hatte. Sein Sohn dachte anders darin. Ihm war jene Verbindung ebenso gleichgültig, wie die Gemahlin, die er sich in seiner ehemaligen passiven Nachgiebigkeit hatte aufzwingen lassen. Er hatte ihr freiwillig die Trennung zugestanden, noch ehe sie selbst einen Versuch gemacht, dieselbe von ihm zu erreichen, und ein Schritt, der fast überall so unendlich viel Kämpfe, Thränen und Bitterkeiten kostet, der nicht selten alle Leidenschaften des Menschenherzens in ihrer ganzen Tiefe aufwühlt, vollzog sich hier so ruhig und leidenschaftslos, in einem so vollkommenen gegenseitigen Einverständniß, und mit einer solchen Kälte, Höflichkeit und Herzlosigkeit, daß es wirklich ganz bewundernswerth war.

Afra bäumte sich plötzlich in die Höhe. Das Thier war nicht gewohnt, mit der Reitgerte angetrieben zu werden, und noch dazu so heftig, als es eben geschah; es hatte überhaupt heute viel von der Ungeduld seiner Herrin zu leiden, und wäre diese nicht eine so vollendete Meisterin in der Reitkunst gewesen, das feurige, leicht gereizte Pferd würde ihr Mühe genug gemacht haben. So zügelte sie es nach kurzer Anstrengung, aber die feinen Augenbrauen der jungen Frau blieben zusammengezogen und die Lippen fest aufeinandergepreßt, wie in innerem Zorne, ob über den Widerstand Afra’s oder über den Mangel an Widerstand von einer anderen Seite, das ließ sich nicht entscheiden.

Sie hatte inzwischen den Pachthof erreicht, der eine halbe Stunde entfernt im Thale lag, und nun ging es bergaufwärts, freilich nicht den steilen Fußpfad hinauf, den sie damals mit Arthur hinabstieg und der reitend überhaupt nicht zu passiren war; nicht weit davon führte ein Fahrweg in langen, aber bequemen Windungen auf die ohnehin nur mäßige Höhe. Dennoch ertrug ihr Pferd, des Bergaufsteigens ungewohnt, nur unwillig die Anstrengung, und sie mußte, oben angelangt, Halt machen, um ihm die nöthige Erholung zu gönnen.

Jetzt freilich waren die Nebelschleier verschwunden, die damals über dem Gebirge flatterten, und der helle Sonnenschein floß so leuchtend warm auf die Erde nieder, als habe es nie eine Zeit gegeben, wo sich Regen und Sturm hier um die Herrschaft stritten und die Landschaft ringsum einem grauen, gestaltlosen Nebelbilde glich. Noch lagen die Thäler duftig blau im kühlen Morgenschatten. Desto klarer standen die Berge da, all die zahllosen Kuppen, von denen eine die andere überragte, eine die andere zurückdrängte, nur ein einziges grünes Waldmeer, bis hin zu den fernen blauen Höhenzügen. Die dunklen Tannen hatten sich geschmückt mit lichtem, frischem Grün, und drinnen auf dem Waldboden, draußen auf dem felsigen Grunde, zwischen Wurzeln und Gestein, wo nur eine Ranke Platz finden oder ein Pflänzchen Wurzel fassen konnte, da blühte und duftete es auch in tausend Formen und Farben. Und dazu schäumten die Bäche in’s Thal hinab, und die Quellen rieselten, und darüber wölbte sich ein wolkenloser tiefblauer Frühlingshimmel. Das Alles war so goldig klar, so frei und groß, als müsse in diesem neu erwachten Leben der Natur nun auch jede Wunde heilen, jede Kette brechen, als könne nichts dort athmen, was nicht der Freiheit, dem Glücke verwandt war.

Und doch war der Blick der jungen Frau so seltsam ernst; ihre Züge waren so schmerzlich gespannt, als läge für sie eine verborgene Qual in all dieser Schönheit ringsum. Sie hätte doch aufathmen müssen bei dem Gedanken an die auch ihr verheißene Freiheit, die ihr zu Theil werden sollte, noch ehe der nächste Frühling die Erde wieder grüßte. Warum konnte sie es denn nicht, warum zuckte bei dieser Vorstellung eine Empfindung durch ihre Seele, die selbst dem Schmerze verwandt war? Wirkte vielleicht die Pein jener Stunde noch nach, in welcher zuerst das Trennungswort gesprochen und angenommen wurde? Sie sehnte sich ja so heiß nach dieser Trennung, nach der Rückkehr zu den Ihrigen; sie litt so schwer unter den Ketten, die sie kaum mehr ertragen konnte; seit jenem Beisammensein hier oben konnte sie es nicht mehr! Bis dahin war sie fest und sicher gewesen in ihrer Aufopferung für den Vater, in der Resignation des aufgezwungenen Schicksals, im Haß gegen die, welche es ihr aufgezwungen, aber mit jener Stunde schien sich die ganze Natur ihrer Empfindungen geändert zu haben. Mit ihr hatte der geheime Widerstreit in ihrem Innern begonnen, der Kampf gegen ein Etwas, das dunkel und unausgesprochen im tiefsten Grunde ihrer Seele lag, und das sie nicht Herr über sich werden lassen wollte, um keinen Preis, und doch hatte nur dies Etwas sie heute Morgen hinausgetrieben und sie fast wider ihren Willen fortgezogen bis an diesen Ort, und doch war es allein schuld daran, daß die Tochter des Baron Windeg die Etiquette soweit vergaß, den Diener zurückzulassen, der sie sonst immer auf ihren Ausflügen begleitete. Sie konnte und mochte heut’ keinen Zeugen haben – und es war gut, daß sie keinen hatte, denn als sie einsam droben auf der Höhe hielt, da überkam es sie mitten in all der sonnigen Frühlingspracht wie eine leise Sehnsucht nach dem geheimnißvollen Reiz jener Stunde, wo Nebel und Wolken um sie her wogten, wo die Tannenwipfel über ihnen rauschten und der Sturm in den Schluchten und Thälern brauste, wo jene großen braunen Augen, die sich zum ersten Mal entschleiert zeigten, ihr auch die erste Ahnung davon gaben, daß aus diesem Mann vielleicht viel, vielleicht Alles hätte werden können, wenn er geliebt worden wäre und geliebt hätte, ehe die Hand des eigenen Vaters ihn in den Strudel riß, in dem schon so manche Kraft zu Grunde gegangen ist. Und mit dieser Erinnerung wachte etwas auf, was Eugenie Windeg nie gekannt hatte und was erst der Gattin Berkow’s zu lernen aufbehalten war, ein Weh, viel ruhiger, aber auch viel tiefer als Alles, was sie bisher erlitten, und sie legte die Hand über die Augen, aus denen ein heißer Thränenstrom unaufhaltsam hervorstürzte.

„Gnädige Frau!“

Eugenie fuhr zusammen und zugleich machte Afra, erschreckt durch die fremde Stimme, einen Sprung seitwärts, aber in demselben Augenblick hatte auch schon eine kräftige Hand den Zügel ergriffen und zwang das Thier zur Ruhe. Ulrich Hartmann stand dicht neben demselben.

„Ich wußte nicht, daß das Pferd so schreckhaft ist, aber ich hatte es auch schnell genug am Zügel!“ sagte er im Tone der Entschuldigung, während ein Blick halb der Besorgniß und halb der Bewunderung über die junge Reiterin hinglitt, die trotz der Ueberraschung fest im Sattel geblieben war

Eugenie fuhr rasch mit der Hand über das Antlitz, um die Thränenspuren schnell zu verwischen, freilich zu spät; ihr Weinen mußte nothwendig gesehen worden sein, und der Gedanke daran jagte eine tiefe Röthe auf ihre Wangen und gab ihrer Stimme einen Ausdruck von Unwillen, als sie rasch und etwas befehlend sagte:

„Lassen Sie den Zügel los!“ Afra ist nicht gewohnt, von Unbekannten gehalten zu werden, und scheut leicht bei jeder fremden Berührung. Sie bringen mich und sich in Gefahr mit Ihrer Nähe!“

Ulrich gehorchte und trat zurück. Eugenie legte mit schmeichelnder Liebkosung ihre Hand auf den Hals des Thieres, das in der That nur schnaubend und ungeduldig die fremde Hand am Zügel ertragen hatte, deren Macht es gleichwohl im ersten Moment erkannte. Allein Afra ließ sich durch die Liebkosung der Herrin in wenigen Secunden beruhigen.

Während dessen hingen Hartmann’s Blicke unverwandt an der jungen Frau, die sich freilich zu Pferde so vortheilhaft ausnahm, wie nur wenige ihres Geschlechts. Das dunkle Reitkleid, das Hütchen mit dem Schleier auf den blonden Flechten und über dem schönen, noch vom Weinen gerötheten Antlitz, die leichte und sichere Haltung, die sie trotz der Unruhe Afra’s keinen Augenblick verlor, zeigten das Ebenmaß der hohen schlanken Gestalt im vollsten Lichte. Die ganze Erscheinung, wie sie, vom hellen Sonnenlicht umflossen, auf dem Rücken des schönen Thieres saß, war ein vollendetes Bild von Kraft und Anmuth.

„Sie waren hier oben, Hartmann?“ fragte Eugenie, in der leisen Hoffnung, er könne die Höhe erst im Moment seiner Anrede erreicht und ihre Thränen nicht gesehen haben. „Ich bemerkte Sie vorhin nicht.“

„Ich stand dort drüben!“ Er deutete nach dem Ausgange des Waldes hinüber, den sie allerdings nicht beachtet hatte. „Ich sah Sie heraufreiten und blieb, um auf Sie zu warten.“

Die junge Frau, die im Begriff war, an ihm vorüber in den Wald zu reiten, hielt befremdet inne.

„Auf mich zu warten?“ wiederholte sie. „Und weshalb?“

Ulrich umging die Antwort. „Sie sind allein, gnädige Frau? Ganz allein? Sie haben nicht einmal, wie sonst, den Diener mit sich?“

„Nein, Sie sehen ja, daß ich ohne jede Begleitung bin.“

Ulrich trat rasch, aber diesmal vorsichtiger als vorhin, wieder an die Seite des Pferdes.

„Dann müssen Sie umkehren! Auf der Stelle! Ich werde mit Ihnen gehen, wenigstens so lange, bis wir die Werke in Sicht haben.“

„Aber warum denn dies Alles?“ fragte Eugenie, immer mehr betroffen über das Anerbieten und die finster gerunzelte Stirn des jungen Bergmanns. „Giebt es denn irgend eine Gefahr hier im Walde oder ist sonst etwas zu fürchten?“

Ulrich warf einen forschenden Blick auf den unteren Waldweg, dessen Windungen man von hier aus zum Theil übersah.

„Wir waren auf den Eisenhütten oben im Gebirge!“ sagte er endlich langsam. „Ich und ein Theil meiner Cameraden. Ich ging allein den näheren Weg, weil ich früher zurück sein wollte. Die Anderen nahmen die Fahrstraße. Sie könnten ihnen am Ende begegnen, gnädige Frau, und da möchte ich doch lieber bei Ihnen sein – auf alle Fälle.“

„Ich bin nicht furchtsam!“ erklärte Eugenie entschieden, „und bis zu Beleidigungen gegen mich wird man sich doch hoffentlich nicht versteigen. Ich weiß, daß eine Differenz mit den Arbeitern besteht, aber man sagt mir, daß sie nicht von Bedeutung ist und in Kurzem ausgeglichen sein wird.“

„Dann hat man Sie belogen!“ fiel ihr Ulrich rauh in’s Wort. „Von Ausgleich und von Kleinigkeiten ist hier nicht die Rede. Herr Berkow hat uns den Krieg erklärt, oder wir ihm, das kommt auf Eins heraus; genug, wir sind jetzt im Kriege, und er wird nicht eher ein Ende nehmen, bis einer von uns am Boden liegt. Das sage ich Ihnen, gnädige Frau, und ich muß die Sache wohl am besten wissen.“

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz der jungen Frau, als sie diese Bestätigung ihrer längst gehegten Befürchtungen vernahm, aber zugleich verletzte sie die rücksichtslose, hochfahrende Art der Enthüllung, und gab ihr eine etwas sehr vornehme Haltung, als sie kalt erwiderte:

„Nun, wenn die Sache so steht, so kann ich unmöglich die Begleitung und noch viel weniger den Schutz eines Mannes annehmen, der sich so offen und rücksichtslos zum Feinde meines Gemahls bekennt – ich werde allein reiten.“

Sie wollte dem Pferde die Zügel geben, aber Ulrich fuhr auf bei der Bewegung und vertrat ihr heftig und gebieterisch den Weg.

„Bleiben Sie, gnädige Frau! Sie müssen mich mitnehmen.“

„Ich muß?“ Eugenie hob stolz das Haupt. „Und wenn ich nun nicht will?“

„Dann – bitte ich Sie darum.“

Es war wieder jener jähe Uebergang von rücksichtslosester Drohung zu beinahe flehender Bitte, der schon einmal den Zorn Eugeniens entwaffnet hatte, und auch jetzt dämpfte er ihren Unwillen. Sie blickte auf den jungen Bergmann nieder, der finster, gereizt, und doch mit dem Ausdruck unverkennbarer Sorge zu ihr emporschaute.

„Ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, Hartmann!“ sagte sie ernst. „Wenn Ihre Cameraden wirklich so weit gebracht sind, daß ich bei einer Begegnung vor Beleidigungen nicht sicher bin, so fürchte ich, ist das allein Ihr Werk, und von einem Manne, der uns einen so unversöhnlichen Haß entgegenträgt –“

„Uns!“ unterbrach sie Ulrich ungestüm. „Sie hasse ich nicht, gnädige Frau, und Sie sollen auch nicht beleidigt werden, Sie gewiß nicht! Es wagt Keiner auch nur ein Wort gegen Sie laut werden zu lassen, wenn ich bei Ihnen bin, und wagte er’s, er thäte es nicht zum zweiten Male. Nehmen Sie mich mit!“

Eugenie zögerte einige Secunden lang; aber ihre Furchtlosigkeit und seine feindseligen Aeußerungen von vorhin gaben den Ausschlag.

„Ich werde umkehren und die Fahrstraße vermeiden!“ sagte sie rasch. „Bleiben Sie zurück, Hartmann! die Rücksicht auf Herrn Berkow verlangt es.“

Als entfesselte dieser Name eine lang zurückgehaltene Gereiztheit, so flammten seine Augen plötzlich auf, als sie ihn aussprach, und ein Strahl wilden tödtlichen Hasses blitzte daraus hervor. „Auf Herrn Berkow!“ brach er los; „Herr Berkow, der Sie so liebevoll allein reiten läßt, während er doch wußte, daß wir oben auf den Hütten waren und jetzt im Walde sein müssen! Freilich, der hat sich ja niemals um Sie gekümmert; dem ist’s gleich, ob Sie unglücklich sind oder nicht, und doch hat er’s ganz allein zu verantworten!“

„Hartmann, was wagen Sie!“ rief Eugenie, glühend vor Zorn und Entrüstung, aber sie versuchte vergebens, ihm Einhalt zu thun; er fiel ihr in die Rede und fuhr in immer wachsender Erregung fort:

„Nun ja, es ist wohl ein großes Verbrechen, Sie weinen zu sehen, wenn Sie glauben, daß kein Mensch in Ihrer Nähe ist, aber ich glaube, Sie weinen sehr oft, gnädige Frau, haben sehr oft geweint, seit Sie hier sind, nur daß es Niemand sieht, wie ich jetzt eben. Ich weiß, wer allein schuld daran ist, und ich werde es ihm –“

Er hielt plötzlich inne, denn die junge Frau hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet, und jetzt traf auch ihn jener Blick niederschmetternden Stolzes, mit dem sie sich so unnahbar zu machen verstand. Ihre Stimme klang eisig scharf, und schlimmer noch; es war der volle Ton der Herrin gegen den Untergebenen, mit dem sie ihm jetzt zuherrschte:

„Sie schweigen, Hartmann! Noch ein Wort, ein einziges gegen meinen Gemahl, und ich vergesse, daß Sie ihm und mir das Leben retteten, und antworte auf Ihren Ausfall, so wie er es verdient!“

Sie warf ihr Pferd herum und wollte an ihm vorüber, aber Ulrich’s riesige Gestalt stand mitten im Wege, ohne auch nur einen Schritt zu weichen. Er war todtenbleich geworden bei diesem Gebieterton, den er zum ersten Mal von ihren Lippen hörte, und der Haß, der in seinem Auge flammte, schien jetzt auch ihr zu gelten.

„Geben Sie den Weg frei!“ befahl Eugenie, noch gebieterischer als vorhin. „Ich will fort!“

Aber sie befand sich einem Manne gegenüber, bei dem mit Befehlen nichts auszurichten war, und den ein Befehl aus ihrem Munde vollends zur Wuth reizte. Anstatt zu gehorchen, war er mit einem einzigen Schritte dicht an ihrer Seite und faßte zum zweiten Male, diesmal mit eisernem Griff, die Zügel des Pferdes, ohne sich jetzt an sein Bäumen und an die Gefahr der Reiterin zu kehren.

„Sie sollten nicht so zu mir sprechen, gnädige Frau!“ sagte er dumpf. „Ich kann viel ertragen, von Ihnen kann ich’s, wenn auch sonst von Keinem; aber den Ton vertrage ich nicht! Treiben Sie das Pferd nicht an,“ fuhr er außer sich fort, als Eugenie Miene machte, es mit der Reitgerte zum Losreißen und Davonsprengen zu zwingen. „Sie werden mich nicht niederreiten, aber ich, bei Gott, ich reiße das Thier nieder, wie ich es damals mit den beiden anderen gethan habe!“

Es lag eine furchtbare Drohung in seinen Worten, und noch furchtbarer drohte sein Blick. Eugenie sah die von Allen gefürchtete Wildheit sich zum ersten Male gegen sie kehren und begriff plötzlich die ganze Gefahr ihrer Lage; aber in demselben Moment ergriff sie auch mit schneller Geistesgegenwart das einzige Rettungsmittel.

„Hartmann,“ sagte sie vorwurfsvoll, aber ihre Stimme war auf einmal mild, beinahe weich geworden. „Soeben noch boten Sie mir Ihren Schutz an, und jetzt bedrohen Sie mich selbst? Nun freilich sehe ich, was von Ihren Cameraden zu fürchten ist, wenn Sie mir so gegenüber treten! Ich wäre nicht in den Wald geritten, hätte ich eine Ahnung davon gehabt.“

Der Vorwurf und mehr noch die Stimme schien Ulrich zur Besinnung zu bringen; seine wilde Gereiztheit schwand, als er den Ton nicht mehr hörte, der sie herausgefordert. Noch hatte er die Rechte fest am Zügel, aber die geballte Linke löste sich jetzt allmählich, und der drohende Ausdruck verschwand aus seinen Zügen.

„Ich habe Sie bisher nie gefürchtet,“ fuhr Eugenie leise fort, „trotz all dem Schlimmen, was man mir von Ihnen sagte. Wollen Sie mich jetzt die Furcht lehren? Wir sind dicht am Abhange; wenn Sie fortfahren, das Thier so zu reizen, oder Ihre Drohung ausführen, so giebt es ein Unglück. Will der Mann, der sich einst unter die Hufe meiner Pferde warf, um eine Unbekannte zu retten, mich jetzt selbst in Gefahr bringen? Lassen Sie mich fort, Hartmann!“

Ulrich zuckte leise zusammen und warf einen Blick auf den Abhang, dem sie allerdings nahe genug waren; langsam ließ er den Zügel los und langsam, wie einer unabweisbaren Gewalt nachgebend, trat er zur Seite, um sie vorüber zu lassen. Eugenie sah unwillkürlich zurück; er stand stumm da, das trotzige Auge am Boden, ohne eine Silbe der Erwiderung oder des Abschiedes, und ließ sie ungehindert davon reiten.

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