Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 34

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Inhaltsverzeichnis

„Wie ich Ihnen sage,“ versicherte der Oberingenieur dem Director, während sie gemeinschaftlich nach ihren beiderseitigen Wohnungen gingen, „jetzt wird’s Ernst! Der Herr Führer scheint die Angriffsparole ausgegeben zu haben, aber wir sollen ihnen den Vorwand dazu liefern. Man fordert uns ja förmlich heraus, und die Insulten sind an der Tagesordnung. Sie haben uns richtig den ganzen Bezirk aufgewiegelt; auf allen Werken ist die Geschichte jetzt erklärt; wir hatten nur die Ehre gehabt, anzufangen. Das ist Wasser auf Hartmann’s Mühle. Er trägt den Kopf noch einmal so hoch wie sonst!“

„Herr Berkow scheint auf Alles gefaßt zu sein,“ meinte der Director. „Er hat schleunigst die gnädige Frau in Sicherheit gebracht; das beweist am besten, was er von seinen eigenen Leuten fürchtet.“

„Bah, unsere Leute!“ fiel der College ein. „Mit denen wollten wir schon fertig werden, wenn nur der Eine nicht wäre! Aber so lange Der befiehlt, ist an Ruhe und Frieden nicht zu denken. Nur acht Tage lang den Hartmann fort von den Werken – und ich wollte für den Ausgleich bürgen!“

„Ich habe schon daran gedacht,“ der Director sah sich vorsichtig um und senkte dann die Stimme, „ich habe schon daran gedacht, ob man nicht den Verdacht gegen ihn benutzen könnte, den ja hier Jeder hegt und mit dem ihm wohl Keiner Unrecht thut. Was meinen Sie dazu?“

„Das geht nicht! Verdacht haben wir genug, aber wo bleiben die Beweise? An der Maschine und den Stricken hat sich nichts weiter finden lassen, als daß sie eben gerissen sind, die Herren vom Gericht haben das eingehend genug untersucht. Wie es kam und was da unten in der Tiefe vorgegangen ist, das kann eben nur Hartmann wissen, und der steht seinen Mann, auch im Leugnen. Man würde ihn ohne Resultat wieder frei geben müssen.“

„Aber eine Criminaluntersuchung würde ihn vorläufig unschädlich machen. Wenn man denuncirte, einige Wochen Haft –“

Der Oberingenieur runzelte die Stirn „Wollen Sie die Wuth unserer Leute auf sich nehmen, wenn man ihren Führer angreift? Ich nicht! Sie stürmen uns das Haus, sage ich Ihnen, wenn sie das Manöver durchschauen, und das geschieht sicher.“

„Das wäre noch die Frage. Er hat nicht mehr die alte Liebe unter ihnen.“

„Aber die alte Furcht noch! Mit der regiert er sie despotischer als je, und dann – Sie thun unserer Knappschaft Unrecht, wenn Sie glauben, sie würde den Cameraden, den Führer auf einen bloßen Verdacht hin im Stiche lassen. Scheuen mögen sie ihn, sich ihm auch entfremden mit der Zeit, aber in dem Momente, wo wir die Hand an ihn legen, da schaart sich Alles um ihn und schützt ihn auf jede Gefahr hin. Nein, nein, das geht nicht! Was wir gerade vermeiden wollen, ein blutiger Conflict, wäre dann unausbleiblich und überdies bin ich überzeugt, Herr Berkow würde dazu die Hand nicht bieten.“

„Ahnt er noch immer nichts von dem Verdachte?“ fragte der Director.

„Nein! Ihm gegenüber wagt natürlich Niemand eine Hindeutung darauf, und ich glaube, es ist besser, wir ersparen es ihm auch ferner. Er hat so schon genug zu tragen.“

„Jawohl, übergenug, und die Hiobsposten der letzten Wochen und Schäffer’s Briefe aus der Residenz scheinen doch nicht ohne Wirkung zu bleiben. Ich glaube, er denkt ernstlich an’s Nachgeben.“

„Warum nicht gar!“ fuhr der Ober-Ingenieur auf, „dazu ist es jetzt zu spät. Vor der Antwort, die er den Leuten gab, da blieb ihm allenfalls noch die Wahl, ab er sein Geld riskiren, oder die Fuchtel auf sich nehmen wallte, die es dem Herrn Hartmann beliebte uns aufzuerlegen; nach der Art, wie er ihm damals gegenübertrat, kann gar keine Rede mehr davon sein. Jede Spur von Autorität ist unwiederbringlich dahin, wenn er nicht fest bleibt. Er muß vorwärts, und vorwärts zu müssen, das ist immer ein Vortheil im Kampfe.“

„Aber wenn es sich um das Vermögen handelt!“

„Aber wenn es sich um die Ehre handelt!“

Die beiden Herren geriethen wieder in eine jener hitzigen und fruchtlosen Debatten, deren Resultat gewöhnlich war, daß ein Jeder bei seiner Meinung blieb, und so geschah es auch diesmal, als sie sich kurz darauf trennten.

„Es ist doch etwas Schönes um die Neutralität,“ grollte der Ober-Ingenieur dem Collegen nach, indem er in sein Haus trat. „Nur immer hübsch ängstlich, immer hübsch vorsichtig, es nur ja mit keiner Partei verderben, weil man nie wissen kann, welche einmal an’s Ruder kommt. Ich wollte, all die Hasenfüße – Wilberg, was zum Kukuk haben Sie denn da mit meiner Tochter zu schaffen?“

Die beiden jungen Leute, denen diese Anrede galt, fuhren erschrocken auseinander, als seien sie auf einem Verbrechen ertappt worden, obgleich es in Wirklichkeit nur ein ganz harmloser Handkuß war, den sich Herr Wilberg erlaubt hatte, aber er sah dabei so gefühlvoll, und Melanie ihrerseits so gerührt aus, daß ihr Vater, durch das vorhergehende Gespräch mit dem Director schon geärgert und gereizt, wie ein Ungewitter dazwischen fuhr.

„Ich bitte ganz außerordentlich um Entschuldigung!“ stammelte der junge Beamte, während Fräulein Melanie, in dem Bewußtsein, daß ein Handkuß unter keinen Umständen etwas Schlimmes sei, ziemlich keck dreinschaute.

„Ich bitte ganz ordentlich um eine Erklärung!“ rief der Ober-Ingenieur zornig. „Was haben Sie hier unten auf dem Hausflur zu thun? Warum gehen Sie nicht, wie es sich gehört, in das Visitenzimmer?“

Die geforderte Erklärung ließ sich nun wirklich nicht in drei Worten geben, obgleich die jungen Leute unschuldig genug an diesem Zusammentreffen waren. Wilberg war in das Haus seines Vorgesetzten gekommen, einen Auftrag Herrn Berkow’s im Kopfe und tiefe Schwermuth im Herzen. Letztere galt natürlich der Abreise der gnädigen Frau, die er bereits am Abende vorher erfahren, aber an dem betreffenden Morgen glücklich verschlafen hatte. Der junge Beamte war kein Frühaufsteher und hätte nie den Leichtsinn begangen, sich der neblig kalten Morgenluft auszusetzen, in der man sich den Rheumatismus holen konnte. Er war es nicht gewesen, der damals beim Tagesgrauen unter den Tannen gestanden, dort, wo die Chaussee in den Wald einbog, geduldig wartend, trotz Nebel und Kälte, um der einen Minute willen, in welcher der Wagen vorüberrollte, um des einen Blickes willen, der im Innern desselben ein Antlitz suchte, das er nicht fand, denn dies Antlitz lag mit geschlossenen Augen in den Polstern vergraben. Als jener Andere heimkehrend unter seinem Fenster vorüberging und in das Haus des Schichtmeisters trat, schlief Herr Wilberg noch in ungestörter Ruhe, was ihn aber nicht hinderte, sich beim Erwachen grenzenlos unglücklich zu fühlen und die ganze Woche hindurch eine so melancholische Miene zur Schau zu tragen, daß Fräulein Melanie, die ihm zufällig im Hausflur begegnete, nicht umhin konnte, theilnehmend zu fragen, was ihm denn fehle.

Der junge Dichter war gerade in der Stimmung, seinen Schmerz irgend einem mitfühlenden Wesen auszuströmen; er seufzte daher verschiedene Male, machte Andeutungen und schüttete zuletzt natürlich sein ganzes Herz aus, um ebenso natürlich ein noch weit größeres Mitleid dafür in Empfang zu nehmen. War die junge Dame vorhin neugierig gewesen, so wurde sie jetzt über alle Maßen gerührt. Sie fand die Sache hochromantisch, den armen Wilberg ihrer tiefsten Theilnahme würdig, und nahm es daher auch ganz unbefangen hin, als er am Ende all dieser Mittheilungen und Tröstungen ihre Hand ergriff, um einen dankbaren Kuß darauf zu drücken; es war ja nicht die geringste Gefahr dabei, da er eine Andere liebte.

In diese rührende Scene nun fuhr der Herr Oberingenieur mit der ganzen Prosa seiner väterlichen Autorität und verlangte zu wissen, warum diese Herzensergießungen hier unten im Hausflur und nicht oben in der Visitenstube vor sich gingen, wo ihnen die Gegenwart der Mama selbstverständlich einige Schranken auferlegt hätte. Herr Wilberg, im Bewußtsein des großen Unrechts, das ihm hier geschah, raffte sich zusammen.

„Ich habe einen Auftrag von Herrn Berkow,“ erklärte er.

„So? Das ist etwas Anderes! Geh’ hinauf, Melanie! Du hörst ja, daß es sich um Geschäftssachen handelt.“

Melanie gehorchte, während ihr Vater am Fuße der Treppe stehen blieb, ohne den jungen Beamten, wie sonst, in seine Wohnung einzuladen, so daß dieser genöthigt war, sich hier seines Auftrages zu entledigen.

„Es ist gut,“ sagte der Oberingenieur ruhig. „Die betreffenden Zeichnungen stehen Herrn Berkow zur Disposition; ich werde sie ihm selbst bringen. Und nun ein Wort zu Ihnen, Wilberg! Ich habe Ihnen trotz einer gewissen gegenseitigen Antipathie doch immer Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ Herr Wilberg verneigte sich. „Ich halte Sie sogar für einen ganz tüchtigen Beamten.“ Herr Wilberg verneigte sich zum zweiten Male. „Aber auch für etwas verrückt.“

Der junge Mann, der soeben im Begriffe war, die dritte Verbeugung zu machen, fuhr in die Höhe und starrte ganz fassungslos seinen Vorgesetzten an, der mit unverwüstlicher Gemüthsruhe fortfuhr:

„Was nämlich Ihre Manie zum Dichten betrifft. Das ginge mich nichts an, meinen Sie? Ich will das auch hoffen. Sie haben nacheinander den Hartmann, die gnädige Frau und Herrn Berkow angesungen. Das können Sie thun, wenn es Ihnen Vergnügen macht, aber lassen Sie sich nicht etwa einfallen, meine Melanie anzusingen – das verbitte ich mir. Ich will nicht, daß dem Kinde dergleichen Unsinn in den Kopf gesetzt wird. Wenn Sie durchaus einen neuen Gegenstand für Ihre poetischen Gefühle brauchen, so nehmen Sie mich oder den Director; wir stehen Ihnen zu Diensten.“

„Ich glaube, ich werde das unterlassen,“ sagte Wilberg im höchsten Grade pikirt.

„Wie es Ihnen beliebt, aber merken Sie sich: meine Tochter bleibt aus dem Spiele. Wenn mir eines Tages einmal ein Gedicht ‚An Melanie‘ unter die Hände kommt, dann fahre ich zwischen Ihre Jamben und Alexandriner, oder wie das Zeug sonst heißt. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Adieu!“

Damit ließ der rücksichtslose Vorgesetzte den in seinen heiligsten Gefühlen gekränkten Dichter stehen und stieg die Treppe hinauf. Oben in der Wohnung kam ihm seine Tochter entgegen.

„O Papa, wie kannst Du so hart und ungerecht gegen den armen Wilberg sein! Er ist so unglücklich!“

Der Oberingenieur lachte laut auf. „Unglücklich? Der? Ein verunglückter Dichter ist er; schauderhafte Verse schreibt er zusammen, aber je mehr man versucht, ihm das begreiflich zu machen, desto toller reimt er darauf los. Was übrigens den Handkuß betrifft –“

„Mein Gott, Papa, da bist Du ganz und gar im Irrthum!“ unterbrach ihn Melanie sehr entschieden. „Es war nur Dankbarkeit. Er liebt ja die gnädige Frau, hat sie vom ersten Momente an geliebt, natürlich hoffnungslos, da sie bereits verheirathet ist, aber es ist doch begreiflich, daß er sich darüber grämt und daß ihre Abreise ihn vollends in Verzweiflung stürzt.“

„Also einzig aus Gram und Verzweiflung hat er Dir die Hand geküßt? Merkwürdig! Uebrigens woher weißt Du denn das Alles, Melanie? Du scheinst mir ja ganz außerordentlich bewandert in den Herzensgeschichten dieses blonden Schäfers!“

Die junge Dame hob mit unverkennbarer Genugthuung den Kopf. „Ich bin seine Vertraute; mir hat er sein ganzes Herz ausgeschüttet. Ich habe ihn auch trösten wollen, aber er mag keinen Trost; er ist zu unglücklich.“

„Das ist ja eine allerliebste Geschichte!“ brach der Oberingenieur zornig los. „Also bis zum Trösten und Herzausschütten seid Ihr schon gekommen? Ich hätte den Wilberg gar nicht für so gescheidt gehalten. Wer bei Euch Frauen erst auf das Mitleid speculirt – aber der Sache wollen wir denn doch bei Zeiten ein Ende machen. Du wirst künftig nicht wieder solche unpassende Vertraulichkeiten entgegennehmen, Melanie, und die Tröstungsgeschichte verbitte ich mir ein- für allemal. Ich werde sorgen, daß er für’s Erste nicht wieder in’s Haus kommt, und damit Punctum!“

Melanie wendete sich schmollend ab, ihr Herr Papa bewies aber keine sehr große Menschenkenntniß, wenn er mit diesem dictatorischen Punctum die Sache nun auch wirklich beendet und das Schreckbild gebannt glaubte, das in Gestalt eines dichtenden und Guitarre spielenden Schwiegersohnes urplötzlich vor ihm aufgetaucht war. Er hätte doch wissen müssen, daß Fräulein Melanie sich erst recht vornahm, den armen, so arg verkannten Wilberg zu trösten, wo und wie es nur anging, und daß Herr Wilberg sich noch denselben Abend hinsetzte, um ein Gedicht „an Melanie“ zu verfassen; dergleichen ließ sich mit einem bloßen Punctum wirklich nicht verbieten.

Der Tag neigte sich zu Ende. Im Sinken brach die Sonne noch einmal roth durch das sie umgebende Gewölk und ließ Wald und Berge aufglühen in kurzer vergänglicher Pracht. Nur wenige Minuten lang, dann sank der rothe Feuerball langsam am Horizonte nieder und mit ihm verschwanden der Glanz und die Farben, die er einen flüchtigen Moment lang der Erde geliehen.

Arthur Berkow hatte soeben das Gitter am Ausgange des Parkes geöffnet und war hinausgetreten; hier blieb er stehen, unwillkürlich gefesselt von dem Schauspiel, und schaute mit einem langen düsteren Blicke dem scheidenden Gestirne nach. Sein Antlitz trug jetzt den Ausdruck vollkommen erstrittener Ruhe, aber es war nicht jene Fassung, mit der ein Mann sich emporrafft, wenn er eine siegreich überwundene Schwäche von sich wirft, um in neue Bahnen einzulenken. Wenn man allein zurückbleibt auf dem sinkenden Schiffe, und sieht in der Ferne das Boot verschwinden, das die besten Güter und Schätze der sicheren Küste zuführt, während das Schiff selbst unaufhaltsam der Klippe entgegentreibt, an der es zerschellen muß, da hält der Mannesmuth wohl auch noch aus, aber freudig ist er nicht mehr. Wenn die letzte Hoffnung gegangen ist, dann kommt die Ruhe, die im Stande und bereit ist, Allem zu trotzen; sie lag jetzt auch auf Arthur’s Zügen; der Traum war ausgeträumt und die nächste Zukunft forderte wahrlich ein volles ganzes Erwachen.

Er schritt über die Wiese hin und schlug die Richtung ein, die nach den Wohnungen seiner Oberbeamten führte. Der breite Wassergraben, der am oberen Ende des Parkes entlang lief, durchschnitt auch hier den Wiesengrund, aber während dort eine zierliche Brücke den Uebergang bildete, mußte hier ein einfaches Brett, derb und sicher, aber so schmal, daß nur Einer es passiren konnte, denselben Dienst leisten. Arthur betrat es rasch, ohne zu bemerken, daß ein Anderer zugleich von drüben herkam, und bereits hatte er einige Schritte gethan, als er plötzlich vor Ulrich Hartmann stand, der ihn gleichfalls erst in diesem Augenblicke zu erkennen schien. Der junge Chef blieb stehen, in der Voraussetzung, daß sein Untersteiger zurückgehen und ihn hinüberlassen werde, aber es mußte doch etwas an dem „Provociren“ sein, das der Oberingenieur bemerkt haben wollte; ob Jener wirklich einen Conflict suchte, oder aber nur seiner eigenen trotzigen Natur gehorchte, genug, er blieb unbeweglich stehen und machte keine Miene zu weichen.

„Nun, Hartmann, wollen wir so stehen bleiben?“ sagte Arthur ruhig, nachdem er einige Secunden lang vergebens gewartet. „Das Brett ist zu schmal für Zwei; Einer muß zurück.“

„Muß ich der Eine sein?“ fragte Ulrich scharf.

„Ich dächte doch wohl!“

Hartmann schien eine herausfordernde Antwort auf den Lippen zu haben; aber auf einmal besann er sich. „Ja so, wir sind auf ihrem Grund und Boden! Das hatte ich vergessen!“

Er ging zurück und ließ Berkow hinüber; als dieser jenseit des Grabens war, hielt er seinen Schritt an.

„Hartmann!“

Der Angeredete, der eben im Begriff war, das Brett zu betreten, wandte sich um.

„Ich hätte Sie in diesen Tagen rufen lassen, hätte ich nicht befürchten müssen, zu Mißdeutungen Anlaß zu geben. Da wir aber einmal hier zusammentreffen – ich möchte Sie sprechen.“

Ein Blick des Triumphes schoß über Ulrich’s Züge hin. Dann nahmen sie wieder ihren gewöhnlichen verschlossenen Ausdruck an.

„Hier auf der Wiese?“

„Der Ort ist gleich; wir sind auch hier allein.“

Ulrich kam langsam näher und stellte sich seinem Chef gegenüber, der an einer der Weiden lehnte, die den Rand des Grabens säumten. Auf der Wiese fingen die Abendnebel an emporzusteigen, und drüben über dem Walde, da wo die Sonne gesunken war, glühte jetzt das Abendroth auf.

Es war ein eigenthümlicher Contrast, die Beiden: – die schlanke, fast zarte Gestalt des vornehm aussehenden jungen Mannes mit dem bleichen Antlitz voll stiller Ruhe, den großen ernsten Augen, aus denen jetzt jenes Leuchten geschwunden war, das sie räthselhaft anziehend machen konnte, und die riesige Figur des Arbeiters, mit dem stolz getragenen blonden Kopfe, mit dem Gesicht, eisern wie seine Muskeln und Sehnen, dem flammenden Blick, der sich mit einer Art wilder Genugthuung in die bleichen Züge seines Gegners bohrte; er ahnte, was dahinter verborgen lag. Der Instinct der Eifersucht hatte ihn sehen und deuten gelehrt, wo sonst Niemand etwas sah, und wenn alle Welt behauptete, daß Arthur Berkow fremd und kalt an seiner schönen Gemahlin vorübergehe und nie das mindeste Interesse für sie gehegt habe, Ulrich wußte, daß man nicht gleichgültig bleiben konnte, wenn man ein Wesen, wie Eugenie Windeg, die Seine nannte, wußte, was es heißt, ein solches Wesen zu verlieren, seit jenem Morgen, wo er unter den Tannen stand und dem davon rollenden Wagen nachsah. Aber mitten durch das Weh der Trennung rang sich in ihm ein stolzer Triumph empor. Eine Frau, die ihren Mann liebt, verläßt ihn nicht in dem Momente, wo Alles um ihn her wankt und bricht, und sie ging von ihm, ging im sicheren Schutze ihres Vaters und Bruders und ließ ihn allein zurück, Allem preisgegeben. Das hatte ihn denn doch getroffen, den stolzen Berkow, der sonst nicht zu treffen war mit Haß und Drohungen, mit der Furcht vor Gewalt und Empörung, vor seinem Ruin selbst, und wenn er seine ganze Umgebung täuschte mit dieser ruhigen Stirn, den Feind konnte er damit nicht täuschen; der Schlag war bis an’s Herz gegangen.

„Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, was in der letzten Zeit vorgegangen ist,“ begann Arthur, „Sie werden ebenso gut und noch besser darüber unterrichtet sein, als ich es bin. Die übrigen Werke sind Ihrem Beispiele gefolgt; wir gehen allem Anschein nach längeren Conflicten entgegen. Sind Sie Ihrer Cameraden sicher?“

Ulrich stutzte bei der letzten Frage. „Wie meinen Sie das, Herr Berkow?“

„Ich meine, ob wir hier unter uns allein fertig werden können, ohne fremde Einmischung. Auf den anderen Werken können sie es nicht. Von den Eisenhütten hat man sich bereits mit der Bitte um Hülfe nach der Stadt gewendet; Sie sind den dortigen Tumulten ja wohl nicht fremd, also werden Sie wohl am besten wissen, wie nothwendig das war. Ich freilich würde nur im Fall der äußersten Nothwehr zu einem solchen Mittel greifen, aber auch der Fall kann eintreten. Bereits sind mehrere meiner Beamten insultirt worden; man war neulich im Walde nahe daran, auch mich zu insultiren; bauen Sie nicht auf meine Geduld oder auf meine Schwäche! So sehr ich das Aeußerste zu vermeiden wünsche, der Gewalt werde ich mit Gewalt antworten.“

Ulrich hatte schon bei den ersten Worten mit finsterer Ueberraschung aufgeblickt. Er mochte wohl etwas Anderes erwartet haben, als eine solche Erklärung, aber die Ruhe, mit der sie gegeben wurde, nahm ihr alles Herausfordernde und zwang auch den Gegner zur Mäßigung; es klang nur ein leiser Hohn in seiner Stimme, als er erwiderte:

„Das ist mir nichts Neues. Gewalt gegen Gewalt! Ich wußte es von vorn herein, daß wir eines Tages dahin kommen würden.“

Arthur sah ihn fest an. „Und wer trägt die Schuld, wenn wir dahin kommen, der Widerstand der Menge oder der Starrsinn eines Einzigen?“

„Der Starrsinn eines Einzigen! ganz recht, Herr Berkow! Sie wissen, daß es Sie nur ein Wort kostet – und morgen arbeiten Ihre Werke wieder.“

„Und Sie wissen, daß ich dieses Wort nicht sprechen kann, weil es Unmögliches einschließt. An Euch ist es jetzt nachzugeben; ich biete Euch noch einmal die Hand dazu.“

„Wirklich?“ rief der junge Bergmann, diesmal mit ausbrechendem Hohne. „Wohl weil es jetzt überall in der ganzen Provinz losbricht und wir einen Schutz und Hinterhalt an unseren Cameraden haben?“

Berkow richtete sich mit einer raschen Bewegung empor, und jetzt flammte auch sein Auge. „Weil man Euch mit den Waffen zu der Ordnung zwingen wird, die Ihr mit Füßen tretet, und weil ich meinen Leuten das Schicksal ersparen möchte. Lassen Sie den Hohn, Hartmann, an den Sie selbst nicht glauben! Was auch zwischen uns geschehen ist und vielleicht noch geschehen wird, von dem Vorwurfe der Feigheit, denke ich, sprechen wir uns wohl gegenseitig frei.“

Es war wieder jener Ton und Blick wie damals im Conferenzzimmer. Ulrich schaute mit einem Gemisch von Groll und Bewunderung auf seinen jungen Chef, der in solcher Stunde so mit ihm zu sprechen wagte, und er mußte es doch von der Scene im Walde her wissen, was bei ähnlichen Begegnungen zu fürchten war; seine Worte bewiesen ja auch, daß er es sehr gut wußte, und dennoch hatte er heute freiwillig dieses Alleinsein gesucht. Der Park war völlig leer, auf der Wiese kein menschliches Wesen zu erblicken, und die Häuser lagen noch eine ganze Strecke weit entfernt. Keiner von den Beamten hätte es gewagt, mit dem gefürchteten Hartmann so unter vier Augen eine Unterredung zu haben, die leicht verfänglich werden konnte, selbst der kecke Oberingenieur nicht; nur der einst so verachtete Weichling wagte es; ja wohl, von dem Verdachte der Feigheit hatte sein Gegner ihn längst schon freigesprochen.

Arthur schien den Eindruck zu fühlen, den seine Haltung hervorbrachte; er trat einen Schritt näher.

„Sehen Sie denn nicht ein, Hartmann, daß Sie sich für die Zukunft unmöglich machen mit diesem Benehmen?“ fragte er ernst. „Sie glauben vielleicht, daß bei dem endlichen Ausgleiche Ihre Cameraden einen Druck auf mich üben werden? Ich lasse mir keinen Zwang anthun, mein Wort darauf; aber ich achte in Ihnen die tüchtige, wenn auch mißleitete Kraft. Sie hat sich bisher nur zu meinem Schaden kundgegeben, und gerade daran habe ich gesehen, was sie wirken kann, wenn sie sich einst nicht mehr feindselig gegen mich wendet. Geben Sie jetzt der Stimme der Vernunft Gehör, begnügen Sie sich mit der Erreichung des Möglichen – und ich biete Ihnen freiwillig das Bleiben auf den Werken und freie Bahn zum Emporsteigen. Ich weiß, was ich damit wage, wenn ich ein Element wie Sie unter meinen Arbeitern behalte; aber ich werde es wagen, wenn meinem Vertrauen das gleiche entgegenkommt.“

Das Anerbieten selbst war vielleicht schon gewagt genug, einem Manne gegenüber, der gewohnt war, jede Mäßigung als Schwäche aufzufassen; aber Berkow schien sich gerade hier nicht verrechnet zu haben. Zwar antwortete Ulrich nicht; er verrieth auch keine Nachgiebigkeit, aber für eine Natur wie die seinige war es schon genug, daß das Gebotene nicht sofort mit finsterm Mißtrauen zurückgestoßen wurde.

„Vertrauen freilich habe ich bisher vergebens von Euch gefordert,“ fuhr Arthur fort. „Ihr habt es mir bis auf diese Stunde verweigert. Ich bin fremd hier eingetreten; wenn auch nicht dem Orte selbst, meinen Werken und Euch war ich ein Fremder. Ihr seid mir mit einer Kriegserklärung entgegengekommen, ohne auch nur zu fragen, was ich freiwillig ändern oder bessern wolle; Ihr habt mich als Feind empfangen und behandelt und wußtet noch nicht einmal, ob ich Euer Feind sein wollte.“

„Wir sind im Kriege!“ sagte Ulrich kurz. „Da gilt jeder Vortheil.“

Arthur hob das vorhin so blasse Antlitz, das jetzt überfluthet war von dem flammenden Purpur des Abendrothes, dessen Wiederschein sie Beide umleuchtete.

Muß denn Krieg sein zwischen uns? Ich meine nicht den jetzigen Streit, der früher oder später sein Ende erreichen wird; ich meine den geheimen erbitterten Krieg, den Härte und Zwang von der einen Seite und Groll und Haß von der andern endlos schüren und endlos fortspinnen. So ist es gewesen all die Jahre lang, ich weiß es, und so wird es wieder sein, wenn der Zwang allein Euch niederwirft. Wir sollten Frieden machen, ehe sich beide Theile daran verbluten; noch können wir es, noch ist nichts geschehen, was den Riß unheilbar erweitert; in wenig Tagen ist es vielleicht zu spät.“

Die Stimme des jungen Chefs hatte in all ihrer Ruhe etwas mächtig Ergreifendes, und man sah an der heftigen Bewegung in Hartmann’s Zügen, daß er nicht unempfindlich dagegen blieb. Der trotzige Bergmann, der, je mehr er gewohnt war, seines Gleichen zu beherrschen, um so tiefer den verletzenden Hochmuth oder die schlecht verhehlte Furcht von Höherstehenden empfand, sah sich hier auf eine Stufe gestellt, die ihm noch Niemand angewiesen. Er wußte sehr gut, daß Arthur mit keinem seiner Untergebenen, vielleicht mit keinem seiner Beamten so gesprochen hätte, daß er diese Art der Verhandlung einzig seiner Persönlichkeit dankte. Der Chef sprach zu ihm wie der Mann zum Manne, in einer Angelegenheit, von der das Wohl und Wehe Beider abhängt, und er hätte wohl auch gesiegt damit, wäre er nur nicht gerade Arthur Berkow gewesen. Ulrich war eine viel zu unbändige, viel zu leidenschaftliche Natur, um da Gerechtigkeit üben zu können, wo er mit ganzer Seele haßte.

„Es ist uns schwer genug gemacht worden mit dem Vertrauen,“ sagte er bitter. „Ihr Vater hat uns so viel davon genommen all die Jahre lang, daß für den Sohn nichts mehr übrig ist. Ich glaube Ihnen, Herr Berkow, daß Ihr Anerbieten nicht von der Furcht herkam; bei einem Andern würde ich das nicht glauben; Ihnen glaube ich es! Aber da wir einmal dabei sind, uns allein zu helfen, so denke ich, wir fechten es auch aus bis zuletzt. So oder so – Einer muß am Ende Recht behalten.“

„Und Ihre Cameraden? Wollen Sie all die Sorge, all den Mangel, all das Unglück vielleicht auf sich nehmen, das dies ‚Ausfechten bis zuletzt‘ mit sich führt?“

„Ich kann’s nicht ändern! Für sie geschieht es.“

„Nein, für sie geschieht es nicht!“ sagte Arthur fest, „sondern einzig für den Ehrgeiz ihres Führers, der die Herrschaft an sich reißen möchte, um ihnen dann ein schlimmerer Despot zu werden, als die gehaßten Herren es je gewesen sind. Wenn Sie noch an Ihre sogenannte Mission glauben, Hartmann, mich täuschen Sie nicht mehr damit, seit ich sehe, daß Sie Alles, wozu ich mich bereit erkläre, um die Lage Ihrer Cameraden zu bessern, als werthlos bei Seite werfen, um des einen Zieles willen, das ich nur zu gut kenne Sie wollen mich und die Beamten künftig machtlos wissen, Beschlüssen und Auflehnungen gegenüber, die Sie allein dictiren würden; Sie wollen, sobald Sie im Namen einer blind gehorchenden Menge sprechen, alle Rechte des Herrn sich anmaßen und mir mit dem Namen nur die Pflichten desselben lassen; Sie wollen nicht Anerkennung Ihrer Partei, sondern Unterdrückung jeder anderen; das ist’s, warum Sie Alles auf’s Spiel setzen – Sie werden es verlieren!“

Die Sprache war kühn genug einem solchen Manne gegenüber, und Ulrich fuhr auch dabei in gereizter Wuth auf.

„Nun, wenn Sie es denn so genau wissen, Herr Berkow, meinetwegen! Sie haben ganz Recht, es handelt sich nicht blos um den höheren Lohn, um das Bischen Sicherheit in den Schachten. Das mag für die genug sein, die sich nur für Weib und Kinder quälen, und nichts weiter kennen ihr Lebelang; die Muthigen unter uns wollen mehr. Die Zügel wollen wir in Händen haben; respectiren soll man uns als Gleichberechtigte! Das mag sich freilich schlecht genug lernen für die unumschränkten Herren, aber jetzt sind wir an der Reihe. Wir haben endlich begriffen, daß unsere Hände es sind, die Euch Alles erringen, wovon Ihr allein die Früchte genießt. Ihr habt unsere Arme lange genug zur Sclavenarbeit gebraucht; jetzt sollt Ihr sie fühlen lernen!“

Die Worte wurden mit einer so furchtbaren Heftigkeit herausgeschleudert, als sei jedes derselben schon eine Waffe, zum Treffen und Tödten bestimmt. Die ganze maßlose Leidenschaftlichkeit Ulrich’s brach wieder hervor, und die Wuth, die einer ganzen Classe galt, wendete sich im Augenblick gegen den Einen, der gerade vor ihm stand. Die Lage dieses Einen war bedenklich genug, diesem Manne gegenüber, der mit geschwollenen Stirnadern und geballten Fäusten bereit schien, seinen Worten die That folgen zu lassen.

Aber Arthur zuckte nicht einmal mit der Wimper und wich auch keinen Schritt aus der gefährlichen Nähe. Er stand wieder da mit jener Haltung kalter, stolzer Ruhe, das große Auge fest auf den Gegner gerichtet, als habe er mit diesem Auge allein die Macht, ihn zu zwingen.

„Ich glaube, Hartmann, Sie werden vorläufig die Zügel noch den Händen lassen müssen, die gewohnt und im Stande sind, sie zu regieren. Auch das will gelernt sein! Mit roher Gewalt stiftet man Empörungen an und reißt Schöpfungen nieder, aber man erbaut keine neuen damit. Versucht es, die Werke hier mit Euern Händen allein zu leiten, wenn das so sehr gehaßte Element fehlt, das diesen Händen die Richtung, das den Maschinen die Triebkraft und der Arbeit den Geist giebt und das für jetzt noch uns gehört. Stellt Euch dem ebenbürtig an die Seite und man wird Euch die Gleichberechtigung nicht länger versagen. Was Ihr jetzt in die Wagschale zu werfen, habt, die Massen allein, das sichert Euch noch nicht die Herrschaft!“

Ulrich wollte antworten, aber noch erstickte die Leidenschaft seine Stimme. Arthur warf einen Blick nach dem Walde hinüber, wo die Röthe jetzt dunkler und dunkler glühte, und wandte sich dann zum Gehen.

„Hätte ich vorher gewußt, daß jedes Wort der Versöhnung vergebens sein würde, ich hätte diese Unterredung nicht gesucht. Ich bot Ihnen den Frieden und das Bleiben auf den Werken; das Opfer hätte vielleicht kein Anderer gebracht und ich habe mich schwer genug dazu zwingen müssen. Auch das wird mit Haß und Hohn zurückgestoßen. Sie wollen mein Feind sein – nun so seien Sie es denn, aber nehmen Sie auch die Verantwortung für Alles, was jetzt geschieht, ich habe umsonst versucht, es zu hemmen! Wie der Streit selbst auch jetzt ausfallen mag – wir Beide sind zu Ende mit einander.“

„Glück auf!“ rief ihm Hartmann dumpf nach. Es klang wie schneidender Hohn, und das war es wohl auch in diesem Augenblick. Der junge Chef schien es nicht mehr zu hören. Er war bereits einige Schritte fort und schlug jetzt die Richtung nach den Häusern ein.

Ulrich blieb zurück; über seinem Haupte schwankten die Weidenzweige im Abendwinde auf und nieder. Auf der Wiese wallte weißer Duft, und drüben über den Tannen glänzte es noch einmal auf, unheimlich und roth wie Blut, um dann langsam zu verblassen. Der junge Bergmann starrte unbeweglich in den flammenden Abendhimmel; der unheimliche Schein lag auch auf seinem Antlitz.

„Wir sind zu Ende? Nicht doch, Herr Arthur Berkow, wir fangen jetzt erst an! Ich habe nur die Feigheit nicht eingestehen wollen, die mich immer noch zurückhielt; ich wagte mich nicht an ihn, so lange sie an seiner Seite war. Jetzt ist die Bahn frei – jetzt wollen wir abrechnen!“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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