Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 25
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ОглавлениеDie sehr umfangreichen Berkow’schen Gruben und Bergwerke lagen ziemlich weit von der Residenz, in einer der entfernteren Provinzen. Die Gegend dort bot nicht viel Anziehendes dar. Waldberge und immer nur Waldberge, auf Meilen in der Runde nichts als das einförmige dunkle Grün der Tannen, das gleichmäßig Höhen und Thäler umzog, dazwischen Dörfer und Weiler und hin und wieder einmal ein Pachthof oder ein ländliches Besitzthum. Aber der Boden hier oben vermochte nicht viel zu geben; seine Schätze lagen unter der Erde verborgen, und deshalb drängte sich auch alles Leben und alle Thätigkeit der Umgegend auf den Berkow’schen Besitzungen zusammen, wo diese Schätze in wahrhaft großartigem Maßstabe zu Tage gefördert wurden.
Diese Besitzungen lagen ziemlich einsam und abgeschnitten von dem größeren Verkehre, denn selbst die nächste Stadt war einige Stunden weit entfernt; aber er bildete fast eine Stadt für sich, dieser riesige Complex von Betriebs- und Wohngebäuden, der sich da inmitten der Waldthäler mit all’ seinem bewegten Leben und Treiben erhob. Alle die Hülfsmittel, die Industrie und Wissenschaft nur zu geben vermochten, Alles, was Maschinenkraft und Menschenhände nur leisten konnten, wurde hier aufgeboten, um dem widerstrebenden Erdgeiste seine Schätze abzuringen. Ein ganzes Heer von Verwaltungsbeamten, Technikern, Inspectoren und Oberaufsehern stand unter der Leitung des Directors und bildete eine Colonie für sich, während die nach mehreren Tausenden zählenden Arbeiter, die nur zum kleinsten Theile in der Colonie selbst hatten untergebracht werden können, in den nahegelegenen Dörfern wohnten. Das Unternehmen, das erst der jetzige Besitzer aus seinen sehr unbedeutenden Anfängen zu der Höhe erhoben hatte, auf der es augenblicklich stand, schien fast zu groß für die Mittel eines Privatmannes und wurde in der That auch nur mit den riesigsten Mitteln in Betrieb erhalten. Es war weitaus das bedeutendste in der ganzen Provinz und beherrschte demgemäß auch in seinem Industriezweige die Provinz und die sämmtlichen gleichartigen Unternehmungen derselben, von denen sich keins an Großartigkeit mit ihm messen konnte. Diese Colonie mit ihrem unbegrenzten Aufwande an Maschinen- und Arbeitskräften, mit ihren Bauten und Wohnhäusern, ihren Beamten und Arbeitern war gewissermaßen ein Staat für sich, und der Herr desselben ebenso souverain wie nur irgend der Beherrscher eines kleinen Fürstenthums.
Es mußte jedenfalls befremden, daß man einem Manne, der an der Spitze eines solchen Unternehmens stand, immer noch eine Auszeichnung versagte, die er doch so sehr erstrebte und die so Manchem zu Theil wurde, der weniger für die Industrie des Landes gethan hatte; aber hier, wie überall, wo die Entscheidung direct von höchster Stelle ausging, kam der Charakter und die Persönlichkeit des Betreffenden in Frage, und Berkow erfreute sich nun einmal keiner Sympathie in den maßgebenden Kreisen. Es gab doch so manchen dunklen Punkt in seiner Vergangenheit, den sein Reichthum wohl verwischen, aber nie ganz auslöschen konnte. Er war zwar noch niemals mit den Gesetzen in Conflict gekommen; aber oft genug war er bis hart an die Grenze gegangen, wo die Gesetze einzuschreiten pflegen. Auch seine Schöpfungen in der Provinz, so großartig sie waren, wollte man von vielen Seiten doch keineswegs als mustergültig anerkennen. Es wurde Manches von einem gewissenlosen Ausbeutungssysteme geredet, das, nur darauf berechnet, den Reichthum des Besitzers zu mehren, nicht die mindeste Rücksicht auf das Wohl und Wehe der Menschenkräfte nahm, die es sich dabei dienstbar machte, von willkürlichen Uebergriffen der Beamten, von gährender Unzufriedenheit der Arbeiter – indessen, das war und blieb mehr oder weniger Gerücht, da die Colonie selbst ja zu fern lag. Thatsache war und blieb dagegen, daß sie eine nahezu unerschöpfliche Quelle des Reichthums für ihren Eigenthümer bildete.
Freilich mußte ein Jeder zugestehen, daß die Ausdauer, die Zähigkeit und das industrielle Genie dieses Mannes mindestens ebenso groß waren wie seine Gewissenlosigkeit. Aus den ärmlichsten Verhältnissen hervorgegangen, von der Woge des Lebens emporgehoben und wieder herabgeschleudert, war es ihm schließlich doch gelungen, sich auf der Höhe zu behaupten, und jetzt nahm er dort schon seit Jahren die unbestrittene Stellung eines Millionärs ein. Freilich schien sich auch während dieser letzten Jahre das Glück unwandelbar an seine Ferse zu heften; so oft er es auch auf die Probe stellte, es blieb ihm treu, und wo es sich um das bedenklichste Unternehmen, um die gewagteste Speculation handelte, sie glückten, sobald seine Hand die Leitung übernahm.
Berkow war früh Wittwer geworden und zu keiner zweiten Ehe geschritten; sein rastloser, immer nur auf Speculation und Erwerb gerichteter Charakter empfand die Häuslichkeit eher als eine Fessel, denn als eine Erholung. Sein einziger Sohn und Erbe wurde in der Residenz erzogen, und es war denn auch, was Hofmeister, Lehrer in allen Fächern, Universitätsbesuch und Reisen betraf, nichts in seiner Erziehung gespart worden. Von einer eigentlichen Vorbildung für seinen Beruf als künftiger Chef und Leiter so großartiger industrieller Unternehmungen verlautete dagegen nichts. Herr Arthur zeigte eine entschiedene Unlust, irgend etwas zu lernen, was nicht zur fashionablen Ausbildung gehörte, und der Vater war viel zu schwach und viel zu eitel auf die von seinem Sohne zu spielende glänzende Rolle, zu deren Ermöglichung und Behauptung er mit Freuden Tausende hergab – um ernstlich auf eine tiefere Ausbildung desselben zu dringen. Im schlimmsten Falle gab es ja immer noch fähige Beamte genug, deren technische und mercantilische Kenntnisse man sich für hohes Gehalt dienstbar machen konnte. So kam denn der junge Erbe kaum einmal des Jahres nach den Besitzungen in der Provinz, wo er sich jedesmal tödtlich langweilte, während der Vater, der allerdings auch zeitweise in der Residenz lebte, sich doch die Oberleitung des Ganzen vorbehielt.
Das Wetter hatte den Landaufenthalt des jungen Ehepaares bisher noch nicht besonders begünstigt. Die Sonne machte sich selten in diesem Frühjahre; heute endlich schien sie nach langen Regentagen einmal wieder klar und warm herab, als wolle sie auch ihrerseits den Sonntag begrüßen. Die Schachte waren leer und die Werke feierten, aber trotz der Sonntagsruhe und trotz des lachenden Sonnenscheins schien doch etwas von dem düster einförmigen Charakter der Gegend auf der ganzen Colonie zu liegen. In all’ diesen zahlreichen, allein nach dem starren Princip der Nützlichkeit aufgeführten Bauten und Wohnhäusern gab sich auch nicht der leiseste Sinn für Verschönerung oder für Bequemlichkeit der Betheiligten kund. Daß dieser Sinn dem Besitzer nicht überhaupt mangelte, davon legte dessen eigenes Landhaus Zeugniß ab, das man absichtlich eine Strecke von den Werken entfernt, mit der vollen Aussicht auf die Waldberge gebaut hatte, und das, außen und innen mit einem wahrhaft fürstlichen Luxus ausgestattet, mit seinen Balcons, Terrassen und Blumenanlagen wie eine Oase voll Duft und Poesie inmitten dieser Stätte der Industrie lag.
Das in unmittelbarer Nähe der Schachte gelegene Häuschen des Schichtmeisters Hartmann verrieth schon durch sein Aussehen, daß sich der Eigenthümer desselben einer besonders bevorzugten Stellung erfreute, und so war es auch in der That. Hartmann hatte, noch als junger rüstiger Bergmann, ein Mädchen geheirathet, das im Dienste der verstorbenen Frau Berkow stand und sich der ganz besonderen Vorliebe ihrer Herrin erfreute. Die junge Frau blieb selbst nach ihrer Verheirathung noch mehr oder weniger in Beziehung zu der ehemaligen Herrschaft, und in Folge dessen wurde auch ihr Mann in jeder Weise begünstigt und bevorzugt, von Posten zu Posten geschoben und endlich sogar zum Schichtmeister befördert. Freilich hörten diese Beziehungen und Begünstigungen auf, als Frau Berkow starb; ihr Gatte war nicht der Mann, sich um ehemalige Angehörige seines Haushalts viel zu kümmern, und als Hartmann’s Gattin bald darauf gleichfalls mit Tode abging, war vollends nicht mehr die Rede davon. Indessen der Schichtmeister hegte von jener Zeit her noch immer eine große Anhänglichkeit an die Berkow’sche Familie, der er seine jetzige sorgenfreie Stellung verdankte, während er sonst wahrscheinlich, wie so viele seiner Cameraden, nie über die mühselige, kärglich lohnende Schachtarbeit hinausgekommen wäre. Er hatte bereits vor mehreren Jahren seine verwaiste Schwestertochter, Martha Ewers, in’s Haus genommen, die ihm die Hausfrau reichlich ersetzte; zur Erfüllung seines geheimen Wunsches aber, daß aus ihr und seinem Sohne einmal ein Paar werden möchte, hatte sich bisher noch wenig Aussicht geboten.
An diesem Sonntag-Morgen war das sonst so friedliche Häuschen der Schauplatz einer ziemlich erregten Scene, wie sie jetzt leider zwischen Vater und Sohn nicht mehr zu den Seltenheiten gehörten. Der Schichtmeister, in der Mitte der kleinen Stube stehend, sprach mit vollster Heftigkeit auf Ulrich ein, der, soeben aus der Wohnung des Directors zurückgekehrt, stumm und finster an der Thür lehnte, während Martha, die etwas seitwärts stand, mit unverhehlter Besorgniß die Streitenden beobachtete.
„Hat man je so etwas erlebt!“ eiferte der Schichtmeister. „Hast Du noch nicht genug Feinde unter den Herren drüben, daß Du sie Dir mit Gewalt auf den Hals hetzen mußt? Wird dem Patron da eine Summe angeboten, groß genug, um einen ganzen Hausstand damit anzufangen, und er setzt seinen Starrkopf auf und sagt ohne Weiteres Nein! Aber freilich, was kümmerst Du Dich auch um Hausstand oder dergleichen! wie denkst Du daran, eine Frau zu nehmen! Den Kopf in die Zeitungen stecken, wenn Du von der Arbeit kommst, noch die halbe Nacht über den Büchern sitzen und Dich mit all dem neumodischen Zeug vollpfropfen, von dem ein rechtschaffener Bergmann sein Lebtag nichts zu wissen braucht, bei den Cameraden den Herrn und Meister spielen, so daß man nächstens nicht mehr den Herrn Director, sondern den Herrn Ulrich Hartmann wird fragen müssen, was eigentlich auf den Werken geschehen soll – das ist so Dein Vergnügen. Und wenn man dann zufällig einmal daran erinnert wird, daß man vorläufig noch Untersteiger ist, dann redet man von ‚Bezahlung‘ und wirft der Herrschaft die ganze Geschichte vor die Füße. Ich sollte meinen, wenn irgend Jemand das Geld redlich verdient hätte, dann wärst Du es!“
Ulrich, der bisher schweigend zugehört hatte, stampfte bei den letzten Worten zornig mit dem Fuße.
„Ich will aber nun einmal nichts von der ganzen Sippschaft da oben! Ich habe ihnen gesagt, daß ich für meine sogenannte ‚Heldenthat‘, von der sie so viel Wesens machen, keine Bezahlung brauche und auch keine nehme, und damit ist’s gut!“
Der Alte wollte von Neuem auffahren und war im Begriff, eine noch derbere Strafpredigt zu halten, als auf einmal Martha dazwischen trat. „Laß ihn, Ohm,“ sagte sie kurz, „er hat Recht!“
Der Schichtmeister, gänzlich aus dem Concepte gebracht durch diese unerwartete Einrede, sah sie mit offenem Munde an. „So? Er hat Recht?“ wiederholte er ärgerlich. „Das konnte ich mir denken, daß Du wieder seine Partie nimmst!“
„Ulrich kann es nicht vertragen, daß sie die Sache so ohne Weiteres durch den Director abthun lassen,“ fuhr das Mädchen bestimmt fort, „und es schickt sich auch nicht. Hätte Herr Berkow selbst mit ihm gesprochen und ihm ein Wort von Dank oder so etwas gesagt – aber freilich, der kümmert sich ja um nichts in der Welt! Er sieht immer aus, als ob er eben erst aus dem Schlafe käme, und als ob es ihm die schrecklichste Mühe machte, Jemand auch nur anzusehen, und wenn er wirklich einmal nicht schläft, dann liegt er den ganzen Tag auf seinem Sopha und schaut sich die Decke an –“
„Laß mir den jungen Herrn in Ruhe!“ unterbrach sie der Schichtmeister heftig. „Den hat sein Vater auf dem Gewissen! Von Kindheit an hat er ihm ja allen Willen gethan und sich alle Unarten gefallen lassen, hat ihm täglich vorerzählt, wie reich er einmal werden würde, und Hofmeister und Bedienten fortgejagt, wenn sie dem Jungen nicht pariren wollten. Später, als er größer wurde, da durfte er ja nur noch mit Grafen und Baronen umgehen; das Geld wurde ihm haufenweise zugesteckt, und je toller er es trieb, desto mehr freute sich der Vater. Da soll das bischen Herzensgüte nicht darauf gehen bei solch einem jungen Menschen! denn gut war der Arthur, das laß ich mir nicht nehmen, der ich ihn so oft habe auf den Knieen reiten lassen, und ein Herz hat er auch gehabt. Ich weiß noch, als er damals nach dem Tode der Mutter in die Stadt sollte, wie er mir da um den Hals fiel und seine bittersten Thränen weinte, und nicht fortzubringen war, trotzdem Herr Berkow bat und streichelte und versprach, was es nur in der Welt gab; ich mußte ihn selbst in den Wagen tragen. Freilich, als er erst in der Stadt war bei den Bonnen und Hofmeistern, da war’s aus, das nächste Mal gab er mir nur noch die Hand, dann ist er immer vornehmer, immer kühler geworden, und jetzt –“ es zuckte ein beinahe schmerzlicher Ausdruck über die Züge des Alten, aber er schüttelte rasch die Weichheit ab. „Nun, mir kann’s am Ende gleich sein, aber ich mag es nicht leiden, wenn Ihr bei jeder Gelegenheit so über ihn herfahrt, zumal der Ulrich, der einen förmlichen Haß auf ihn hat. Wenn man dem Eisenkopf auch so viel Willen gelassen und noch ein paar Hunderttausend dazu gegeben hätte, dann möchte ich wohl wissen, was aus ihm geworden wäre! Was Gutes sicher nicht!“
„Vielleicht was schlimmeres, Vater!“ sagte Ulrich herb, „aber solch ein Weichling gewiß nicht, darauf kannst Du Dich verlassen!“
Dem Gespräche, das schon wieder eine bedenkliche Wendung zu nehmen drohte, wurde jetzt zum Glück ein Ende gemacht. Es klopfte draußen an der Thür, gleich darauf trat ein Diener in der reichen, etwas überladenen Livrée des Berkow’schen Hauses ein und bot dem Schichtmeister einen Guten Tag.
„Die gnädige Frau schickt mich her; ich soll Ihren Ulrich – Ah, da sind Sie ja, Hartmann! Die gnädige Frau wünscht Sie zu sprechen, ich soll Sie auf heut Abend punkt sieben Uhr hinüber bestellen.“
„Mich?“
„Den Ulrich?“
Die beiden Ausrufe kamen mit gleicher Verwunderung von den Lippen des Schichtmeisters und seines Sohnes, während Martha ebenfalls erstaunt den Diener ansah, der gleichmüthig fortfuhr:
„Sie müssen doch irgend etwas mit dem Director vorgehabt haben, Hartmann! Er war heut schon in aller Frühe bei der gnädigen Frau, die sich sonst nie um die Geschäftssachen der Herren kümmert, und gleich darauf wurde ich Hals über Kopf zu Ihnen geschickt, obgleich wir wahrhaftig heut genug drüben zu thun haben. Die sämmtlichen Herren Beamten sind zu Tische geladen und aus der Stadt kommen auch, ich weiß nicht was alles für Respectspersonen – aber ich habe keinen Augenblick Zeit. Seien Sie ja pünktlich! Um sieben Uhr nach dem Diner!“
Der Mann schien es wirklich eilig zu haben; er nickte den Anwesenden noch einen kurzen Gruß zu und ging.
„Da haben wir’s!“ brach der Schichtmeister los. „Jetzt wissen sie schon drüben bei der Herrschaft von Deinem unsinnigen Abschlag. Nun sieh Du zu, wie Du mit ihnen fertig wirst.“
„Wirst Du gehen, Ulrich?“ fragte Martha, die bisher stillgeschwiegen, plötzlich rasch und mit gespanntem Ausdruck.
„Was fällt Dir denn ein, Mädchen?“ schalt der Oheim. „Meinst Du etwa, er könnte wieder Nein sagen, wenn die gnädige Frau ihn ausdrücklich rufen läßt? Freilich Du und er, Ihr wäret im Stande dazu.“
Martha achtete nicht auf die Zwischenrede, sie näherte sich ihrem Vetter und legte die Hand auf seinen Arm. „Wirst Du gehen?“ wiederholte sie leise.
Ulrich stand da und blickte finster zu Boden, wie im Kampfe mit sich selber; auf einmal aber warf er heftig den Kopf zurück.
„Gewiß werde ich! Ich möchte doch wissen, was es der gnädigen Frau denn eigentlich beliebt, von mir zu wollen, nachdem sie sich acht Tage lang nicht einmal die Mühe gegeben hat, nach mir –“
Er hielt plötzlich inne, als habe er bereits zu viel gesagt. Martha’s Hand war von seinem Arme herabgeglitten und sie trat zurück, der Schichtmeister aber sagte mit einem Seufzer:
„Nun gnade uns Gott, wenn Du drüben so auftrittst. Zu allem Unglück ist nun auch noch der alte Berkow gestern Abend angekommen! Wenn Ihr beide aneinander gerathet, dann bist Du die längste Zeit hier Steiger gewesen, und ich bin nicht mehr lange Schichtmeister. Ich kenne den Herrn!“
Ein verächtlicher Ausdruck spielte um die Lippen des jungen Mannes. „Sei ruhig, Vater! Sie wissen zu gut, wie sehr Du an der ‚Herrschaft‘ hängst und welche Noth Dir der ungerathene Sohn macht, der nun einmal vor dieser Herrschaft sich nicht ducken will. Dir wird Keiner etwas anhaben, und ich –“ hier richtete sich Ulrich voll trotzigen Selbstbewußtseins zu seiner vollen Höhe empor, „ich werde wohl für’s Erste auch noch hierbleiben. Mich fortzuschicken wagen sie gar nicht, dazu fürchten sie mich viel zu sehr!“
Er kehrte seinem Vater den Rücken, stieß die Thür auf und trat in’s Freie. Der Schichtmeister schlug die Hände zusammen und schien sehr geneigt, seinem rebellischen Sohne noch eine donnernde Strafrede nachzuschicken, aber er wurde daran von Martha verhindert, die auf’s Neue, und diesmal noch viel entschiedener, Ulrich’s Partei nahm. Des Streitens müde, griff der Alte endlich nach seiner Pfeife und schickte sich an, gleichfalls hinauszugehen.
„Höre, Martha,“ sagte er, sich schon in der Thür noch einmal umwendend, „an Dir sehe ich’s, kein Trotzkopf ist so groß, es giebt doch noch einen, der ihn übertrotzt. Du hast richtig an dem Ulrich Deinen Meister gefunden, und der wird auch noch seinen Meister finden, so wahr ich Gotthold Hartmann heiße!“ –
Drüben im Landhause war man inzwischen mit den Vorbereitungen zu dem heute stattfindenden großen Diner beschäftigt. Die Diener liefen treppauf und treppab, in den Wirthschaftsräumen hantierten Köche und Mägde umher, überall gab es noch zu ändern und zu ordnen und das ganze Haus bot jenes Bild der geschäftigen Unruhe dar, die gewöhnlich einer Festlichkeit vorauszugehen pflegt.
Eine um so größere Stille herrschte in den Zimmern des jungen Berkow: die Vorhänge waren hier tief herabgelassen, die Portièren geschlossen und im Nebengemach glitt der Diener mit unhörbaren Schritten über den dicken Teppich hin, dies und jenes ordnend. Sein Herr liebte es nun einmal, den größten Theil des Tages träge auf seinem Sopha zu verträumen, und wollte auch nicht durch den allergeringsten Laut darin gestört sein.
Der junge Erbe lag mit halbgeschlossenen Augen auf der Ottomane ausgestreckt und hielt ein Buch in der Hand, in dem er las oder doch wenigstens gelesen zu haben schien, denn bereits seit geraumer Zeit lag genau dieselbe Seite vor ihm aufgeschlagen. Wahrscheinlich kostete es ihm zu viel Mühe, die Blätter umzuwenden, und jetzt glitt das nachlässig gehaltene Buch vollends aus den schmalen schlanken Händen auf den Teppich nieder. Es wäre eine leichte Mühe gewesen, sich danach zu bücken und es aufzuheben, eine noch leichtere, den nebenan beschäftigten Diener zu diesem Zwecke herzurufen, aber keins von beiden geschah. Das Buch blieb auf dem Teppich liegen, und Arthur machte während der nächsten Viertelstunde auch nicht die geringste Bewegung; sein Antlitz verrieth aber dabei zur Genüge, daß er weder über das Gelesene nachdachte, noch in Träumerei versunken war; er langweilte sich einfach.
Ein ziemlich rücksichtsloses Oeffnen der Thür, die vom Corridor aus in das Nebenzimmer führte, und eine laute, herrische Stimme drinnen machten dieser interessanten Beschäftigung vorläufig ein Ende. Der alte Berkow fragte eintretend, ob sein Sohn sich noch hier befinde, und auf die bejahende Antwort schickte er den Diener fort, schob die Portière zurück und trat zu seinem Sohn in’s Zimmer. Sein Antlitz war geröthet, wie im Aerger oder Zorn, und die Wolke, die bereits auf seiner Stirn lag, wurde noch finsterer, als er Arthur’s ansichtig ward.
„Also hier liegst Du wirklich noch auf dem Sopha, genau so, wie Du vor drei Stunden lagst!“
Arthur schien durchaus nicht daran gewöhnt zu sein, seinem Vater auch nur die äußere Form der Ehrerbietung zu erweisen. Er hatte von dem Eintritt desselben nicht die mindeste Notiz genommen, und auch jetzt fiel es ihm nicht ein, seine nachlässige Stellung nur im Geringsten zu verändern.
Die Stirn des Vaters furchte sich noch tiefer. „Deine Apathie und Trägheit fängt jetzt wirklich an, alle Begriffe zu übersteigen! Das ist ja ärger hier als in der Residenz. Ich hoffte, Du würdest Dich doch wenigstens in etwas meinen Wünschen fügen, wenigstens einigen Antheil an dem Gedeihen von Schöpfungen nehmen, die ich nur um Deinetwillen in’s Leben rief, aber –“
„Mein Gott, Papa,“ unterbrach ihn der junge Mann, „Du verlangst doch nicht etwa, daß ich mich um Arbeiter, um Maschinen und dergleichen kümmern soll? Ich habe das ja nie gethan, und begreife überhaupt nicht, wie Du uns gerade hierher dirigiren konntest. Ich langweile mich zu Tode in dieser Einöde.“
Die Worte klangen in der That sehr gelangweilt, aber sie hatten nichtsdestoweniger den vollen Ton des verzogenen Lieblingssohnes, der gewohnt ist, seinen Launen überall und unter allen Umständen Rechnung getragen zu sehen, und der schon die bloße Zumuthung von etwas Unbequemem als eine Beleidigung auffaßt. Aber irgend etwas Vorhergegangenes mußte den Vater zu sehr gereizt haben, um diesmal wie gewöhnlich sofort nachzugeben. Er zuckte die Achseln.
„Ich bin es nun nachgerade gewohnt, daß Du Dich an jedem Orte und unter jeder Umgebung langweilst, während ich allein alle Sorge und alle Last zu tragen habe. Zumal jetzt stürmt es von allen Seiten auf mich ein. Deine Verschwendung in der Residenz fing zuletzt an, selbst meine Mittel zu übersteigen; die Windegs von ihren Verpflichtungen loszumachen, hat auch Opfer genug gekostet, und hier finde ich vollende nichts als Aerger und Unannehmlichkeiten ohne Ende. Da habe ich heut Morgen eine Conferenz mit dem Director und den Oberbeamten gehabt und nur Klagen und nichts als Klagen hören müssen. Umfassende Reparaturen in den Schachten – Verbesserung der Arbeitslöhne – neue Wetterführung – Unsinn! Als ob ich jetzt Zeit und Geld dazu hätte!“
Arthur hörte vollständig theilnahmlos zu; wenn sich in seinem Gesichte überhaupt etwas kund gab, so war es der Wunsch nach Entfernung des Vaters; aber dieser that ihm nicht den Gefallen, er begann heftig im Zimmer auf- und abzuschreiten.
„Verlasse sich Einer auf die Beamten und ihre Berichte! Ein halbes Jahr lang bin ich nicht persönlich hier gewesen und Alles geht darunter und darüber! Da reden sie von dumpfer Gährung unter den Leuten, von bedenklichen Symptomen, drohender Gefahr, als ob sie nicht Vollmacht hätten, den Zügel so straff als nur möglich anzuziehen. Vor allem wird mir da ein gewisser Hartmann als der Haupt-Aufwiegler bezeichnet, der bei seinen Cameraden als eine neue Art von Messias gilt und mir dabei in der Stille die gesammten Werke insurgirt, und als ich frage, warum in Kukuks Namen sie denn den Menschen nicht längst fortgejagt haben, was bekomme ich zur Antwort? Das wagte man nicht! Er hätte sich bisher in seinem Arbeitsverhältniß noch nicht das Geringste zu schulden kommen lassen, und seine Cameraden hingen mit blinder Vergötterung an ihm. Es gäbe eine Revolution auf den Werken, wenn man ihn ohne hinreichenden Grund entließe. Ich habe mir die Freiheit genommen, den Herren zu erklären, daß sie allesammt Hasenfüße wären, und daß ich jetzt die Sache in die Hand nehmen würde. Die Schachte bleiben wie sie sind, und an den Lohnverhältnissen wird auch nicht ein Jota geändert. Gegen die geringste Auflehnung wird mit vollster Strenge vorgegangen und dem Herrn Rädelsführer werde ich selbst den Abschied geben und das noch heute.“
„Das kannst Du nicht, Papa!“ sagte Arthur plötzlich, sich zur Hälfte aufrichtend.
Berkow blieb überrascht stehen. „Weshalb nicht?“
„Weil eben dieser Hartmann es war, der die Pferde vor unserem Wagen aufhielt und uns dadurch vom sicheren Tode rettete.“
Berkow ließ einen unterdrückten Ausruf des Zornes hören. „Fatal! Mußte es auch grade dieser Mensch sein! Ja freilich, da kann man ihn nicht so ohne Weiteres fortschicken; man wird eine Gelegenheit abwarten müssen. Uebrigens, Arthur,“ er blickte finster auf seinen Sohn hin, „es war auch arg, daß ich erst durch Fremde von jenem Unfall erfahren mußte; Du hieltest es nicht der Mühe werth, mir auch nur ein Wort darüber zu schreiben.“
„Wozu?“ Der junge Mann stützte müde den Kopf in die Hand. „Die Sache ging ja glücklich vorüber, und überdies hat man uns hier nahezu umgebracht mit Beileidsbezeigungen, Glückwünschen, Fragen und Redereien darüber. Ich finde, das Leben ist gar nicht so viel werth, um von seiner Rettung ein solches Aufheben zu machen.“
„Findest Du das?“ fragte der Vater ihn fixirend. „Ich dächte, Du wärest am Tage vorher getraut worden.“
Arthur antwortete nicht; er zuckte nur die Achseln. Berkow’s Auge heftete sich noch forschender auf seine Züge.
„Da wir einmal bei dem Punkte angekommen sind – was ist das zwischen Dir und Deiner Frau?“ fragte er plötzlich rasch und ohne allen Uebergang.
„Zwischen mir und meiner Frau?“ wiederholte Arthur, als müsse er sich erst besinnen, von wem eigentlich die Rede sei.
„Ja, zwischen Euch Beiden. Ich denke ein junges Ehepaar in seinen Flitterwochen zu überraschen und finde hier Dinge, von denen ich mir in der Residenz wahrhaftig nichts träumen ließ. Du reitest allein und sie fährt allein; Keiner von Euch betritt je des Anderen Zimmer. Ihr vermeidet einander absichtlich und wenn Ihr Euch einmal trefft, so werden keine sechs Worte gesprochen – was soll das alles heißen?“
Der junge Mann hatte sich vollends erhoben und stand jetzt seinem Vater gegenüber, aber ohne seine schläfrige Haltung aufzugeben. „Du verräthst ja eine merkwürdige Detailkenntniß, Papa, die Du doch unmöglich aus unserem halbstündigen Zusammensein gestern Abend schöpfen konntest. Hast Du die Bedienten ausgefragt?“
„Arthur!“ Berkow wollte auffahren, aber die gewohnte Nachgiebigkeit gegen seinen Sohn ließ ihn auch diese Unart übersehen; er zwang sich zur Ruhe.
„Man ist hier, wie es scheint, noch nicht an die vornehme Art zu leben gewöhnt,“ fuhr Arthur unbekümmert fort. „Wir sind in dem Punkte nun einmal durchaus aristokratisch. Du liebst das Aristokratische ja so sehr, Papa.“
„Laß die Spöttereien!“ sagte Berkow ungeduldig. „Geschieht es etwa auch mit Deiner Bewilligung, daß Deine Frau Gemahlin sich erlaubt, Dich in einer Weise zu ignoriren, die bereits das Gespräch der ganzen Colonie bildet?“
„Wenigstens lasse ich ihr die Freiheit, genau dasselbe zu thun, was ich mir herausnehme.“
Berkow fuhr heftig von seinem Stühle auf. „Das geht denn doch allzu weit! Arthur, Du bist –“
„Nicht wie Du, Papa!“ unterbrach ihn der Sohn kalt. „Ich wenigstens hätte kein Mädchen mit der Schuldverschreibung ihres Vaters in der Hand zum Jawort gezwungen.“
Die Röthe in dem Antlitze Berkow’s verblich plötzlich, und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er unsicher fragte: „Was – was soll das heißen?“
Arthur richtete sich aus seiner schlaffen Haltung empor, und das Auge gewann einiges Leben, als er es fest auf den Vater richtete.
„Baron Windeg war ruinirt, das wußte alle Welt. Wer hat ihn ruinirt?“
„Weiß ich’s?“ fragte Berkow höhnisch. „Seine Verschwendungssucht, die Last, den großen Standesherrn zu spielen, während er schon über und über verschuldet war! Er wäre verloren gewesen ohne meine Hülfe.“
„Wirklich? Also man verfolgte keinen Plan bei dieser Hülfe? Dem Baron wurde nicht die Bedingung gestellt, seine Tochter herzugeben oder des Aeußersten gewärtig zu sein? Er entschied sich freiwillig für diese Verbindung?“
Berkow lachte gezwungen auf. „Natürlich! Wer hat Dir denn erzählt, daß es anders war?“ Aber trotz des zuversichtlichen Tones sank sein Blick scheu zu Boden; der Mann hatte vielleicht noch niemals im Leben die Augen niedergeschlagen, wenn ihm eine Gewissenlosigkeit vorgehalten wurde; hier vor seinem Sohne that er es. Ein Ausdruck leiser Bitterkeit flog über die matten Züge des jungen Mannes; wenn er bisher noch irgend einen Zweifel gehegt, jetzt wußte er genug.
Nach einer secundenlangen Pause nahm Arthur das Gespräch wieder auf. „Du weißt, daß ich niemals Neigung zum Heirathen hegte, daß ich nur Deinem unaufhörlichen Drängen nachgab. Eugenie Windeg war mir so gleichgültig wie jede Andere; ich kannte sie ja nicht einmal, aber sie wäre nicht die Erste gewesen, die dem Reichthume freiwillig ihren alten Namen geopfert hätte; so wenigstens faßte ich ihr und ihres Vaters Jawort auf. Es hat Dir nicht beliebt, mich über das zu unterrichten, was meiner Bewerbung voranging und was ihr folgte; erst aus Eugeniens Munde mußte ich von dem Handel hören, den Du mit uns Beiden getrieben hast. Wir wollen das ruhen lassen; die Sache ist nun einmal geschehen und kann nicht ungeschehen gemacht werden; aber Du wirst es jetzt auch wohl begreiflich finden, daß ich es vermeide, mich erneuten Demüthigungen auszusetzen. Ich habe keine Lust, zum zweiten Male so vor meiner Frau dazustehen, wie an jenem Abende, wo mir die volle Verachtung gegen mich und meinen Vater entgegengeschleudert wurde und ich – schweigen mußte.“
Berkow, der bisher stumm und zur Hälfte abgewendet dastand, drehte sich bei den letzten Worten plötzlich um und maß seinen Sohn mit einem erstaunten Blicke.
„Ich hätte nicht geglaubt, daß Dich irgend etwas noch in solchem Grade reizen könnte,“ sagte er langsam.
„Reizen? Mich? Da irrst Du! Bis zum Gereiztwerden sind wir überhaupt gar nicht gekommen. Meine Frau Gemahlin geruhte gleich anfangs, sich so hoch auf das Piedestal ihrer erhabenen Tugenden und ihres aristokratischen Bewußtseins zu stellen, daß ich, der ich in beiden Dingen gleich unwürdig vor ihr stehe, es vorzog, sie nur aus der Ferne zu bewundern. Ich rathe Dir ernstlich, es ebenso zu machen, wenn Du überhaupt dahin gelangen solltest, bisweilen das Glück ihrer Gegenwart zu genießen.“
Er warf sich mit verächtlicher Gleichgültigkeit wieder auf das Sopha; aber mitten durch den Spott klang doch etwas von jener tiefen Gereiztheit, die der Vater an ihm bemerkt haben wollte. Berkow schüttelte den Kopf; aber die Rolle, die er bei diesem verfänglichen Thema dem Sohne gegenüber spielte, war doch zu peinlich, als daß er nicht möglichst schnell davon hätte ablenken sollen.
„Wir sprechen noch einmal zu gelegener Zeit darüber!“ erklärte er, heftig die Uhr hervorziehend. „Für heute laß uns abbrechen. Es sind noch zwei Stunden bis zum Eintreffen der Gäste; ich fahre nach den oberen Werken hinaus. Du begleitest mich also?“
„Nein!“ sagte Arthur, wieder in seine volle Trägheit zurücksinkend.
Berkow machte diesmal keinen Versuch, seine Autorität zu gebrauchen; vielleicht war ihm nach diesem Gespräche die Weigerung nicht unlieb. Er wandte sich zum Gehen und ließ den jungen Mann allein, den mit der nun eintretenden Stille wieder die ganze frühere Apathie zu überkommen schien.
Und während draußen der erste klare Frühlingstag auf die Erde herniederlächelte, während die Berge dufteten und die Wälder im Sonnenglanze funkelten, lag Arthur Berkow drinnen im halbdunklen Gemach bei herabgelassenen Vorhängen und geschlossenen Portièren, als sei er allein nicht geschaffen für freie Bergesluft und goldenen Sonnenschein. Die Luft war ihm zu rauh, die Sonne zu hell; die Aussicht blendete ihn, und er selbst kam sich über alle Beschreibung nervös und angegriffen vor. Der junge Erbe, dem Alles zu Gebote stand, was die Welt und das Leben nur zu geben vermochten, fand, was er schon so unendlich oft gefunden, daß diese Welt und dieses Leben doch eigentlich entsetzlich leer und öde seien, gar nicht der Mühe werth, geboren zu werden.