Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 37
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ОглавлениеDer Tag, der für die Berkow’sche Colonie so stürmisch begonnen hatte, ging verhältnißmäßig ruhiger zu Ende, als man es nach den Scenen vom Morgen hätte erwarten sollen. Ein mit den Verhältnissen Unbekannter hätte vielleicht die Ruhe, die gegen Abend über den Werken lag, für den tiefsten Frieden halten können, und doch war es nur die Ruhe des Sturmes, der einen Augenblick inne hält, um dann mit erneuter Wuth wieder loszubrechen.
Auch in der Wohnung des Schichtmeisters herrschte jene dumpfe, drückende Stille, die so viel Unheil in ihrem Schoße barg. Der Schichtmeister saß stumm in seinem Lehnstuhl am Ofen; Martha machte sich hier und da in der Stube zu schaffen und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf Ulrich, der mit verschränkten Armen schweigend, aber unaufhörlich in dem kleinen Raume auf und nieder ging. Niemand sprach zu ihm und er zu Niemand; das ehemalige Vertrautsein, das bei dem unbändigen Charakter des jungen Steigers zwar oft genug zu heftigen Scenen und Auftritten, aber ebenso oft auch wieder zur Versöhnung geführt hatte, war längst geschwunden. Ulrich herrschte jetzt im Hause so unbedingt, wie draußen bei seinen Cameraden; selbst der Vater wagte es nicht mehr, sich gegen seine Beschlüsse und Unternehmungen aufzulehnen; aber hier wie dort war es nur die Furcht noch, die ihm das erzwang; von Liebe und Vertrauen war nicht die Rede mehr.
Das Schweigen dauerte bereits eine geraume Zeit und hätte vielleicht noch länger gewährt, wäre nicht Lorenz eingetreten; Martha, die durch’s Fenster ihn kommen sah, ging ihm entgegen und öffnete die Thür. Es war doch ein eigenthümlich kaltes Verhältniß zwischen den Brautleuten; trotz des Ernstes dieser Tage, die wenig zu Zärtlichkeiten herausforderten, hätte der Gruß des Mädchens wärmer sein können, hätte vielleicht grade deswegen wärmer sein müssen, und der junge Bergmann schien das zu fühlen, denn seine Miene nahm den Ausdruck der Kränkung an, und er hielt mitten in seiner herzlichen Begrüßung inne, aber Martha bemerke beides nicht einmal, und mit einer raschen Bewegung wandte er sich zu Ulrich.
„Nun?“ fragte dieser, in seinem Gange innehaltend.
Lorenz zuckte die Achseln. „Wie ich’s Dir vorher gesagt habe! Morgen werden sich vierhundert zur Arbeit melden, ebenso viele zögern und schwanken noch. Du bist kaum mehr der Hälfte sicher.“
Diesmal fuhr Ulrich nicht auf, wie wohl sonst bei einer ähnlichen Gelegenheit; die wilde Gereiztheit, die er heute Morgen gezeigt, wo es sich doch um einen verhältnißmäßig viel geringeren Abfall seiner Cameraden gehandelt, stach seltsam ab gegen die fast unnatürliche Ruhe, mit der er jetzt wiederholte:
„Kaum mehr die Hälfte! Und wie lange wird die noch aushalten?“
Lorenz umging die Antwort. „Es ist die ganze jüngere Knappschaft! Die hat von Anfang an zu Dir gestanden und die hält auch bei Dir aus, selbst wenn es morgen wieder etwas an den Schachten geben sollte. Ulrich, willst Du es denn wirklich dahin treiben?“
„Er wird es so lange treiben,“ sagte der Schichtmeister aufstehend, „bis sie alle von ihm abfallen, einer nach dem anderen, bis er zuletzt ganz allein bleibt. Ich hab’s Euch gesagt, Ihr kommt nicht durch mit Euren unsinnigen Forderungen und Eurem unsinnigen Hasse, der bei dem Vater am Platze gewesen wäre, den aber der Sohn wahrhaftig nicht verdient hat. Es war genug, was er Euch bot, das weiß ich, der ich doch am Ende auch in den Schachten gearbeitet habe, und auch ein Herz habe für meines Gleichen, und die Meisten hätten es gern genommen, was ihnen geboten wurde, aber sie wurden ja niedergeschrieen und niedergedroht, bis sich Keiner mehr zu rühren wagte, weil sich der Ulrich in den Kopf gesetzt hatte, Unmögliches zu verlangen. Jetzt ist’s wochenlang gegangen, all das Elend, all die Sorge und die Noth, und ist doch, umsonst gewesen. Es kommt doch endlich auch einmal der Tag, wo Weib und Kinder mit ihrem Hunger allem vorangehen, und so weit sind wir jetzt. Du hast’s dahin gebracht, Ulrich, Du allein; jetzt mach’ auch ein Ende damit!“
Der alte Mann war aufgestanden und blickte seinen Sohn beinahe drohend an, aber Ulrich blieb selbst diesem stummen Vorwurf gegenüber, der zu einer anderen Zeit wohl seinen ganzen Trotz herausgefordert hätte, in seiner düsteren Gelassenheit.
„Mit Dir ist nicht zu streiten, Vater,“ entgegnete er kalt, „das weiß ich längst! Du bist zufrieden, wenn Du Dein hartes Brod in Ruhe essen kannst, und was darüber hinausliegt, heißt Dir Thorheit oder Verbrechen. Ich habe Alles an Alles gesetzt! Ich dachte es durchzuführen und hätte es auch gethan, wäre dieser Berkow nicht auf einmal aufgestanden und hätte uns eine Stirn gezeigt wie von Eisen. Wenn’s jetzt mißglückt – nun, ich bin ja noch der Hälfte meiner Cameraden sicher, wie Karl sagt, und mit der werde ich es ihm zeigen, was es heißt, wenn wir unterliegen. Er soll den Sieg theuer genug bezahlen!“
Der Schichtmeister sah auf Lorenz, der mit gesenktem Kopfe dastand, ohne sich an dem Gespräche zu betheiligen, und dann wieder auf seinen Sohn.
„Sieh erst zu, ob die Hälfte Dir treu bleibt, wenn der Herr wieder so dazwischen tritt, wie heut Mittag! Das hat Dir die andere Hälfte gekostet, Ulrich. Meinst Du, es hat nicht gewirkt, wie er sich benahm, vom ersten Tage an, als Ihr anfinget, ihm zu drohen? Meinst Du, sie fühlten nicht Alle, daß er Dir und ihnen gewachsen ist und sie jetzt zur Noth allein zügeln kann, wenn Du einmal aufhörst, ihr Herr zu sein? Heut Morgen haben die Ersten die Arbeit wieder aufgenommen; schon vor drei Wochen hätten sie es gethan, wenn sie es nur gewagt hätten. Jetzt ist einmal der Anfang gemacht, jetzt ist auch kein Haltens mehr!“
„Da magst Recht haben, Vater,“ sagte Ulrich tonlos; „es ist kein Haltens mehr! Ich habe auf sie gebaut wie auf Felsen, und nun ist’s elender Sand, der mir unter den Händen zerrinnt. Berkow hat es gelernt, wie er die Feiglinge an sich zieht, mit seinen Reden, mit seiner verdammten Manier, mitten unter sie zu treten, als ob es gar keine Steine gäbe, die ihm an die Stirn fliegen könnten, gar keine Schlägel, die zur Noth auch einmal den hochgeehrten Herrn Chef treffen, und darum eben wagt sich Keiner an ihn. Ich weiß es, warum er heut auf einmal den Kopf so hoch trug, warum er mitten in das Toben hineinfuhr mit einer Miene, als könnte ihm der Sieg und das Glück jetzt gar nicht mehr fehlen, und ich weiß auch, daß es ihm jetzt zurückkommt – habe ich’s ihm doch selbst in die Arme geführt heut Morgen!“
Die letzten Worte verhallten in dem Zuwerfen der Thür, die er inzwischen geöffnet hatte, es verstand sie Keiner von den Anwesenden. Ulrich trat hinaus in’s Freie und warf sich auf die Bank nieder; es war eine unnatürliche und unheimliche Ruhe, die heut auf seinem ganzen Wesen lag; sie erschien fast beängstigend bei einem Manne, der sonst immer gewohnt war, seiner wilden Leidenschaftlichkeit den Zügel schießen zu lassen. Ob der Abfall seiner Cameraden ihn so tief getroffen, ob es etwas Anderes war, was seit dem heutigen Morgen in ihm wühlte, die stolze Siegesgewißheit, die er noch in jenen Stunden gezeigt, schien jetzt gelähmt, wenn nicht gebrochen.
An dem Gärtchen vorüber floß der breite Bach, der weiter unten die Räderwerke trieb, die freilich jetzt stille standen. Es war ein wildes heimtückisches Gewässer, dieser Bach; er hatte nichts von dem murmelnden silberhellen Blinken seiner Genossen oben im Gebirge, und doch kam auch er aus der Tiefe der Berge, gerade dort, wo die Schachte lagen. Wie oft schon hatte er versucht, harmlos spielende Kinder in seinen Strudel zu ziehen und wenigstens zu schrecken und zu quälen, wo er nicht verletzen und tödten durfte, um sich dafür zu rächen, daß man ihn dem Menschenwerke und Menschenantriebe dienstbar gemacht! Die trüben, reißenden Fluthen erschienen so unheimlich, wie sie im letzten Abendschein dahinschossen, und noch unheimlicher klang ihr Rauschen. Es zischte und murmelte darin, so höhnisch und schadenfroh, als hätten sie dort in der Tiefe dem Erdgeiste all die Tücken und Ränke abgelernt, mit denen er die Menschen umspann, die es immer wieder versuchten, ihm seine Schätze zu entreißen, mit denen er schon so manches junge warme Leben eingefordert und da unten begraben hatte in ewiger Nacht. Es war nichts Gutes, was in diesem Murmeln und Rauschen klang, und es war auch keine gute Stunde, in der es zu dem Ohr des jungen Bergmannes heraufdrang, der unbeweglich hinabstarrte, als lausche er einer geheimnißvollen Stimme.
Eine ganze Weile mochte er so gesessen haben, als ein Schritt dicht hinter ihm ertönte, und gleich darauf stand Martha vor ihm.
„Was willst Du?“ fragte Ulrich, ohne den Blick von der Fluth abzuwenden.
„Ich wollte sehen, wo Du bliebst, Ulrich!“ Es klang wie verhaltene Angst aus der Stimme des Mädchens; er zuckte die Achseln.
„Wo ich blieb? Dort drinnen ist Dein Bräutigam; um den kannst Du Dich sorgen. Mich laß’, wo ich bin!“
„Karl ist schon wieder fort!“ sagte Martha hastig, „und er weiß am besten, daß ihm nichts zu nahe geschieht, wenn ich mit Dir rede.“
Ulrich wandte sich um und sah sie an; es war, als wolle er sich losreißen von den Gedanken, die das Rauschen da unten in ihm aufweckte.
„Höre, Martha, was sich Karl von Dir bieten läßt, das läßt sich so leicht kein Anderer bieten. Ich litte es nicht, daß Du mir so begegnetest. Du hättest nicht Ja sagen sollen, wenn Du nun einmal kein Herz für ihn hast.“
Das junge Mädchen wandte sich mit einer beinahe trotzigen Bewegung ab. „Er weiß, daß ich keins für ihn habe; ich habe es ihm gesagt damals, als wir uns miteinander versprachen. Er bestand doch darauf; ich kann’s nicht ändern, wenigstens jetzt noch nicht; vielleicht lerne ich’s nach der Hochzeit.“
„Vielleicht!“ sagte Ulrich mit einer Bitterkeit, die zu tief und schneidend war, um nur diesen Worten zu gelten. „Es lernt sich ja so Manches nach der Hochzeit, bei Anderen wenigstens, warum nicht auch bei Dir!“
Er schaute wieder hinab in das dunkle reißende Wasser, als könne er sich nicht davon losreißen. Da unten klang und rauschte es wieder, als flüstere es ihm böse, böse Gedanken zu. Martha stand noch immer einige Schritte von ihm entfernt; die scheue Furcht, die seit dem „Schachtunglück“ seine ganze Umgebung bannte, hielt auch sie gefesselt. Wochenlang hatte sie jedes Alleinsein, jede Annäherung vermieden; aber heute war die alte Neigung mächtig wieder aufgewacht und zog sie fast gewaltsam in seine Nähe; diese seltsame Ruhe täuschte sie nicht; sie ahnte, was sich dahinter barg.
„Du kannst den Abfall der Cameraden nicht verwinden?“ fragte sie leise. „Noch steht die Hälfte ja zu Dir, und Karl hält bei Dir aus bis zur letzten Minute.“
Ulrich lächelte verächtlich. „Heute ist’s noch die Hälfte; morgen wird’s ein Viertheil sein, und übermorgen – laß gut sein, Martha! Und was den Lorenz betrifft, der ist von jeher nur mit halbem Herzen dabei gewesen. Er hat zu mir gestanden und nicht zu der Sache, weil ich sein Freund war, und mit der Freundschaft wird es auch bald zu Ende sein. Dazu hat er Dich viel zu tief im Herzen, um mich jetzt noch ehrlich zu lieben.“
Das Mädchen machte eine heftige Bewegung. „Ulrich!“
„Nun, das kann Dich doch nicht mehr kränken! Du hast ja nicht gewollt, als ich Dich bat, meine Frau zu werden. Hättest Du es gethan, es wäre Vieles besser geworden.“
„Es wäre nicht besser geworden!“ sagte Martha entschieden. „Ich bin nicht dazu gemacht, auszuhalten, was Karl Tag für Tag so geduldig trägt, und so wie zwischen ihm und mir wäre es auch zwischen uns Beiden gegangen; nur wäre ich’s da gewesen, die es tragen mußte. Ich hatte ja nicht einmal ein Stück von Deinem Herzen; Deine Liebe war ganz wo anders.“
Es lag ein bitterer Vorwurf in den Worten; aber selbst diese Hindeutung vermochte Ulrich heute nicht zu reizen. Er war aufgestanden und blickte nach dem dämmernden Parke hinüber, als suche er dort etwas zwischen den Bäumen.
„Du meinst, ich hätte das näher und besser haben können, wenn ich’s nur gesucht hätte, und da hast Du Recht. Aber so etwas sucht man nicht, Martha; es packt Einen plötzlich und läßt dann nicht wieder los, so lange noch ein Athemzug in der Brust ist. Ich hab’s erfahren! – Ich habe Dir wehe gethan, Mädchen, wie wehe, das weiß ich jetzt erst; aber glaube mir, es ist kein Segen bei solch einer Liebe; man trägt oft schwerer daran als an dem bittersten Hasse!“
Sie klang seltsam, diese halbe Bitte um Verzeihung in dem Munde Ulrich Hartmann’s, der sonst wenig danach fragte, ob er Jemandem wehe that oder nicht, und es war überhaupt etwas in den Worten, das seinem Charakter sonst unendlich fern lag, eine dumpfe Resignation, ein Schmerz, der nichts Wildes und Leidenschaftliches mehr hatte, aber eben deshalb um so erschütternder wirkte. Martha vergaß Scheu und Furcht; sie trat dicht an seine Seite.
„Was hast Du, Ulrich? Du bist so seltsam heut, wie ich Dich noch nie gesehen habe. Was fehlt Dir?“
Er strich mit der Hand das blonde Haar von den Schläfen und stützte sich auf das Holzgitter.
„Ich weiß nicht! Es liegt etwas auf mir, schon den ganzen Tag lang, was ich nicht los werden kann, was mir alle Kraft nimmt. Ich brauche sie doch wahrhaftig zu morgen, aber sobald ich daran denken will, ist Alles schwarz und finster, als gäbe es gar nichts mehr, was über dieses ‚morgen‘ hinaus läge, als wäre mit diesem ‚morgen‘ Alles zu Ende, Alles!“ Ulrich fuhr plötzlich mit einem Anfluge seines alten Trotzes in die Höhe. „Alberne Gedanken! Ich glaube, das Wasser da unten hat es mir angethan mit seinem verwünschten Rauschen. Ich habe auch gerade Zeit, darauf zu hören. Leb’ wohl!“
Er wollte gehen, das Mädchen hielt ihn angstvoll zurück. „Wohin willst Du? Zu den Cameraden?“
„Nein, ich muß noch einen Gang allein thun. Leb’ wohl!“
„Ulrich, ich bitte Dich, bleib!“
Die kurze Weichheit des jungen Bergmanns war schon wieder vorüber; er riß sich ungeduldig los.
„Laß mich! Ich habe nicht Zeit zum Reden – ein andermal!“ Er stieß die Gartenthür auf und verschwand kurz darauf in der Dämmerung nach der Richtung des Parkes hin.
Martha stand mit gefalteten Händen da und sah ihm nach. Kränkung und bitterer Schmerz stritten sich in ihren Zügen, aber der Schmerz behielt doch die Oberhand. „Es ist kein Segen bei einer solchen Liebe!“ die Worte hallten noch in ihrem Herzen wieder – sie fühlte, es war auch kein Segen bei der ihrigen. –
Inzwischen befand sich Eugenie Berkow allein im Arbeitszimmer ihres Mannes. Es blieb den beiden Gatten nicht viel Zeit, sich dem neu errungenen Liebes- und Lebensglück hinzugeben. Schon zweimal hatte Arthur von ihrer Seite fortgemußt, heut Mittag, wo er sich mitten in die Empörung geworfen und sie für den Augenblick auch bewältigt hatte, und jetzt wieder, wo eine Conferenz mit den Beamten ihn abrief. Aber trotz der Angst um ihn und trotz der Sorge um die noch so finster drohende Gegenwart strahlte das Antlitz der jungen Frau doch von dem Widerschein eines tief innerlichen Glückes, das, nach so langen Kämpfen endlich errungen, vor keinen äußeren Stürmen mehr bebte. Sie war bei ihrem Manne, an seiner Seite, in seinem Schutze, und Arthur schien es nur zu gut zu verstehen, sein Weib alles Andere vergessen zu machen außer diesem Einen.
Da wurde eine Thür geöffnet, und Schritte ertönten im Nebengemach. Eugenie erhob sich, um dem Kommenden entgegen zu eilen, den sie natürlich für ihren Gatten hielt, aber ihr anfängliches Erstaunen beim Anblick der fremden Gestalt wich dem Schrecken, als sie in dem Eintretenden Ulrich Hartmann erkannte. Auch er stutzte und blieb betroffen stehen, als er sie gewahrte.
„Sie sind es, gnädige Frau? Ich suchte Herrn Berkow.“
„Er ist nicht hier. Ich erwarte ihn soeben,“ entgegnete Eugenie rasch, aber mit bebender Stimme. Sie wußte, welch’ eine Gefahr dieser Mann für Arthur war, welche Rolle er hier auf den Werken spielte; dennoch hatte sie nicht gezögert, sich seinem Schutze anzuvertrauen, als ihr heut Morgen keine andere Wahl blieb; aber zwischen diesem Morgen und dem Abend lag jene Stunde, in der sie Zeuge der Beschuldigungen geworden war, die der Oberingenieur ausgesprochen. Es war nur ein Verdacht; aber selbst der Verdacht eines feigen hinterlistigen Meuchelmordes, an einem Wehrlosen begangen, ist etwas Furchtbares; es hatte die junge Frau im vollsten Entsetzen dabei durchschauert. Dem offenen rücksichtslosen Feinde ihres Gatten hatte sie sich noch anvertraut; aber sie bebte zurück vor der Hand, die vielleicht von dem Blute seines Vaters geröthet war.
Ulrich bemerkte die Bewegung nur zu gut. Er blieb auf der Schwelle stehen, aber seine Stimme klang in unverkennbarem Hohne.
„Ich habe Sie wohl erschreckt mit meinem Kommen? Es war nicht meine Schuld, dast ich mich nicht anmelden lassen konnte. Sie sind schlecht bedient, gnädige Frau. Weder auf der Treppe noch auf den Corridoren fand ich einen von Ihren Lakaien. Ich hätte sie zwar sehr wahrscheinlich zur Seite geworfen, wenn sie mir den Eingang gewehrt hätten; aber der Lärm dabei wäre doch immer eine Art von Anmeldung gewesen.“
Eugenie wußte, daß er ungehindert hatte eintreten können; die beiden Diener befanden sich auf Arthur’s ausdrücklichen Befehl im Vorzimmer ihrer eigenen Wohnung. Jetzt, wo alle Gemüther in Aufregung, alle Bande der Ordnung gelöst waren, konnte man ja nicht wissen, ob die Zügellosigkeit Einzelner sich nicht bis zu Angriffen oder wenigstens bis zum Eindringen in’s Haus verstieg. Unruhe und Sorge hatte die junge Frau hinübergetrieben in die Zimmer ihres Mannes, die auf dem anderen Flügel lagen und von dessen Fenstern sie ihn kommen sah; hier freilich war der Eingang unbewacht und sie ganz allein in diesen Räumen.
„Was wollen Sie hier, Hartmann?“ fragte sie, ihren Muth zusammenraffend. „Ich glaubte nicht, daß Sie nach Allem, was vorgefallen ist, es noch versuchen würden, unser Haus zu betreten und bis in die Zimmer Ihres Chefs zu dringen. Sie wissen doch, daß er Sie nicht mehr empfangen kann.“
„Eben deshalb suchte ich ihn, um ein paar Worte mit ihm zu sprechen! Ich dachte ihn allein zu finden. Sie suchte ich nicht, gnädige Frau!“
Er war ihr bei den letzten Worten näher getreten. Eugenie wich unwillkürlich in die Tiefe des Zimmers zurück; er lachte bitter auf.
„Was doch ein paar Stunden nicht alles ändern können! Heut Morgen forderten Sie meinen Schutz und stützten sich auf meinen Arm, als ich Sie mitten durch den Lärm führte; jetzt flüchten Sie sich vor mir, als ob Sie in meiner Nahe Ihres Lebens nicht sicher wären. Herr Berkow hat die Zeit wohl gut benutzt, um mich Ihnen als einen Räuber und Mörder hinzustellen, nicht wahr?“
Die feinen Augenbrauen der jungen Frau zogen sich zusammen, als sie ihre Furcht bemeisternd, kurz und herb entgegnete: „Verlassen Sie mich! Mein Gemahl ist nicht hier. Sie sehen es ja, und auch wenn er jetzt käme, würde ich Sie schwerlich mit ihm allein lassen.“
„Warum nicht?“ fragte Ulrich langsam, aber mit einem finsteren Aufblick. „Warum nicht?“ wiederholte er heftiger, als sie schwieg.
Eugeniens furchtloser Charakter hatte sie schon oft zu Unvorsichtigkeiten verleitet, und auch jetzt dachte sie nicht an die möglichen Folgen ihrer Worte, als sie, seinen Blick fest erwidernd, sich zu der gefährlichen Antwort hinreißen ließ:
„Weil Ihre Nähe schon einmal einem Berkow verderblich geworden ist!“
Hartmann zuckte erbleichend zusammen. Einen Augenblick schien es, als wolle er auffahren in seiner ganzen alten Wildheit, aber es kam nicht dazu. Die starre Ruhe blieb auf seinen Zügen, und seine Stimme behielt den dumpfen verschleierten Ton, den sie während der ganzen Unterredung gehabt hatte.
„Das also war’s!“ sagte er halblaut. „Freilich, ich hätte denken können, daß das zuletzt auch bis zu Ihnen den Weg gefunden hat!“
Die junge Frau sah mit Befremden diese Ruhe, die sie hier nicht erwartet hatte und die ihr trotzdem unheimlich war; aber gerade das reizte sie zu einem noch größeren Wagniß. Der heutige Morgen hatte ihr gezeigt, wie unbeschränkt ihre Macht war, und sie wollte schon um Arthur’s willen Gewißheit darüber, wer ihm im Kampfe gegenüber stand. Sie ahnte, daß die Wahrheit, wenn auch sonst aller Weit, doch ihr hier nicht verweigert werden würde.
„Sie wissen also, was ich meine?“ begann sie von Neuem. „Sie verstehen meine Hindeutung? Hartmann, können Sie die Gerüchte Lügen strafen, die sich an jene unglückselige Stunde knüpfen?“
Er schlug die Arme übereinander und sah finster zu Boden. „Und wenn ich’s nun thäte, würden Sie mir glauben?“
Eugenie schwieg.
„Würden Sie mir glauben?“ fragte er noch einmal, aber mit einem Tone, als hinge an der Antwort für ihn Tod und Leben.
Sie ließ den Blick über sein Antlitz gleiten, das dieselbe qualvolle Spannung verrieth wie seine Stimme; es war noch immer leichenblaß, dieses Antlitz, aber es war ihr jetzt wieder voll und ganz zugewandt.
„Ich halte Sie eines Verbrechens fähig, wenn Ihre Leidenschaftlichkeit gereizt wird – einer Lüge nicht!“
Die mächtige Brust Ulrich’s hob sich unter einem tiefen Athemzuge, und er trat, wie um ihr jede Furcht zu benehmen, noch einen Schritt zurück. „So fragen sie, gnädige Frau! Ich werde Ihnen antworten.“
Die junge Frau zitterte leise, als sie sich auf die Lehne des Divans stützte; sie fühlte die Gefahr einer solchen Unterredung mit einem solchen Manne, aber sie that dennoch die verhängnißvolle Frage.
„Man behauptete meinem Gatten gegenüber, es sei mehr als bloßer Zufall gewesen, daß die Seile rissen an jenem Unglückstage. Was war es, Hartmann?“
„Es war Zufall, oder noch etwas Besseres, wenn Sie wollen – Gerechtigkeit war’s. Unser Chef hatte eine Aenderung an dem Hebewerke anbringen lassen, wie Alles, was er that, nur für die Nothwendigkeit, nicht für die Sicherheit. Was that es denn auch, wenn ein paar Hundert Bergleute, die damit ein- und ausfahren mußten, Tag für Tag dabei in Gefahr kamen? Es wurde ja das Doppelte und Dreifache gefordert, die unsinnigsten Lasten wurden damit gehoben, und die Lasten thaten denn auch endlich ihre Schuldigkeit, nur traf es diesmal keinen von der Knappschaft, sondern den Herrn selber. Eine Menschenhand war es nicht, gnädige Frau, die die Seile gerade in dem Augenblicke reißen ließ, wo sie ihn tragen mußten, und die meinige war’s am wenigsten. Ich sah die Gefahr kommen; wir waren gerade bei der vorletzten Bühne. Ich wagte den Sprung hinauf, und ihn –“
„Ihn stürzten Sie hinab?“ fiel Eugenie athemlos ein, als er inne hielt.
„Nein! Ich ließ ihn nur stürzen. Ich hätte ihn retten können, wenn ich gewollt hätte. Eine halbe Minute war noch Zeit dazu. Freilich galt es mein eigenes Leben; er konnte mich mit hinunterrreißen, wenn ich ihm zu Hülfe kam, aber für jeden der Cameraden, für jeden der Beamten hätte ich das riskirt – für den Mann konnte ich’s nicht. Es schoß mir in dem Augenblick heiß durch den Kopf, was er uns Alles angethan hatte, und daß ihm nur geschah, was er uns täglich zugemuthet, um Geld zu sparen, und daß ich dem Himmel nicht in’s Handwerk greifen dürfe, wenn er ausnahmsweise einmal gerecht sein wollte. Ich rührte die Hand nicht trotz seines Geschreis, und in der Minute darauf war es auch zu spät – die Förderschale stürzte und er mit ihr!“
Hartmann schwieg. Eugenie blickte mit einem Gemisch von Grauen und Mitleid auf ihn hin. Sie wußte nur zu gut, daß die Anklagen gerecht waren, die er gegen den Todten schleuderte, und wenn auch sie im Augenblick der Gefahr selbst dem gehaßten Berkow die Hand zur Rettung geboten hätte, der Mann ihr gegenüber hatte kein Verzeihen und kein Vergessen gelernt; er ließ den Feind ruhig vor seinen Augen verderben.
„Sie haben mir die volle Wahrheit gesagt, Hartmann? Auf Ihr Wort und Ihre Ehre?“
„Auf mein Wort und meine Ehre, gnädige Frau!“
Sein Auge begegnete finster aber fest dem ihrigen; die junge Frau hegte keinen Zweifel mehr, als sie vorwurfsvoll entgegnete: „Und warum lösten Sie den Irrthum nicht? Warum sprachen Sie nicht zu den Anderen, wie jetzt eben zu mir?“
Ein Ausdruck herber Verachtung überflog seine Züge. „Weil es mir Keiner geglaubt hätte! Nicht ein Einziger, auch mein Vater nicht. Er hat ganz recht: ich bin maßlos wild und unbändig gewesen mein Lebenlang, habe Alles niedergeworfen, was mir im Wege stand, und mich nie darum gekümmert, was Andere von mir sagten; das habe ich jetzt büßen müssen. Sie wußten Alle, daß ich den Todten haßte, und nun das Unglück passirte, als ich dabei war, nun mußte ich es auch angerichtet haben. Da war gar kein Zweifel. Der eigene Vater hat es mir in’s Gesicht gesagt, und als ich nicht Ja sagen konnte, als er mich fragte, ob ich ganz unschuldig wäre an jenem Tode – ich brauchte ja blos den Arm auszustrecken, um ihn zu retten, und ich hatte es doch nicht gethan – als ich nicht Ja sagen konnte, da wollte er mich gar nicht weiter anhören. Er hätte mir auch nicht geglaubt, und wenn ich es ihm zugeschworen hätte. Dann habe ich es noch hier und da versucht bei den Cameraden, und wenn sie mir auch nicht widersprachen, so sah ich es doch an ihren Gesichtern, daß sie mich nun noch dazu für einen Lügner hielten. Betteln um ihren Glauben mochte ich nicht; so ließ ich es denn gehen, wie es gehen wollte; ich hatte ohnedies genug von ihrer Freundschaft und Cameradschaft. Wäre man mir mit den Gerichten zu Leibe gegangen, dann freilich hätte ich gesprochen; aber es wäre noch die Frage gewesen, ob mir auch da Einer geglaubt hätte.“
Eugenie schüttelte leise den Kopf. „Sie mußten sich den Glauben erzwingen, Hartmann, und Sie hätten es auch gekonnt, wenn Sie nur ernstlich gewollt hätten; aber Ihr Stolz und Trotz litten das nicht. Sie begegneten dem Argwohn mit Verachtung, und gerade das hat ihn bestärkt. Jetzt sind Sie verfehmt auf den ganzen Werken, bei den Beamten, bei meinem Gatten –“
„Was frage ich nach Herrn Berkow!“ fiel er rauh ein, „was nach all den Uebrigen! Ob sie mich verdammen oder nicht, mir gilt’s gleich. Von Ihnen, gnädige Frau, habe ich es nicht ertragen können, daß Sie sich mit Furcht, mit Verachtung von mir wandten, von Ihnen allein nicht, und Sie glauben mir jetzt, ich sehe es an Ihren Augen – das Uebrige ist mir Alles Eins!“
„Ich glaube Ihnen!“ sagte Eugenie ernst. „Und ich werde Sie meinem Gatten gegenüber wenigstens von dem schlimmsten Verdachte reinigen. Daß Sie nicht retteten, wo Sie retten konnten und mußten, darüber dürfen wir nicht mit Ihnen rechten. Das verantworten Sie vor Ihrem eigenen Gewissen! Aber Arthur soll nicht mehr glauben, daß der Mörder seines Vaters ihm gegenübersteht. Zur Versöhnung ist es freilich zu spät. Sie haben es zu weit getrieben. Ich weiß erst seit wenigen Stunden, was Alles geschehen ist und was vielleicht noch geschehen wird, wenn sich morgen der Angriff gegen die Schachte erneuert. Hartmann“ – die junge Frau beging die Unvorsichtigkeit, ganz nahe an ihn heranzutreten und bittend die Hand auf seinen Arm zu legen – „Hartmann, wir stehen an einer furchtbaren Katastrophe. Sie haben meinen Gemahl gezwungen, sich und die Seinigen auf jede Gefahr hin zu schützen, und er ist entschlossen, es zu thun. Wenn morgen Blut fließt, fließen muß, bedenken Sie, auf wen es fällt!“
Ihre Nähe, die Hand, die auf seinem Arme lag, verfehlten ihre Wirkung nicht auf Ulrich; aber die Wirkung war diesmal keine heilbringende. Seine Stimme verlor mehr und mehr die dumpfe Ruhe, indem er antwortete:
„Auf mich, meinen Sie? Nehmen Sie sich in Acht, gnädige Frau! Es könnte auch auf Sie fallen, wenn es zum Beispiel Jemanden träfe, den Sie lieben. Herr Berkow bleibt sicher nicht hier im Hause, wenn draußen gekämpft wird; das weiß ich, und ich weiß auch, wen ich mir zuerst suche, wenn der Kampf einmal los ist!“
Eugeniens Hand war schon längst zurückgezuckt, als sie selbst von ihm zurückwich. Sie hörte diesen Ton und sah zugleich einen Blick, der sie warnte; es war immer nur der gebändigte Tiger, der in der einen Minute noch ihrer Stimme gehorchte, um sich vielleicht in der nächsten schon mit seiner ganzen fürchterlichen Wildheit gegen sie zu erheben, und die Minute schien jetzt gekommen zu sein; der Blick drohte auch ihr.
„Hartmann, Sie sprechen mit der Gattin Ihres Chefs,“ rief sie mit einem vergeblichen Versuche, ihn zur Besinnung zu bringen; „wenn Sie ihn hassen –“
„Den Chef?“ unterbrach er sie mit wildem Hohne. „Dem gilt’s hier nicht; mit dem habe ich nur zu thun an der Spitze meiner Cameraden. Arthur Berkow ist’s, den ich hasse, weil Sie seine Frau sind, weil Sie ihn lieben, und ich, ich liebe Sie, Eugenie, mehr als sonst Jemand auf der ganzen weiten Welt. Entsetzen Sie sich doch nicht so davor! Sie mußten es ja längst wissen; ich konnte ja nicht Herr darüber bleiben, sobald ich Ihnen nur nahe kam. Ich habe es niedertreten und niederzwingen wollen mit Gewalt – es ging nicht; es geht auch heute nicht, wenn ich auch erst heute wieder die alte Geschichte erlebt habe, daß nur Gleich und Gleich sich zusammenfindet und daß für Unsereins nur ein vornehmes Achselzucken übrigbleibt, wenn man sein Leben auch in die Schanze geschlagen hat. Aber wenn jetzt wieder ein Leben zu verlieren ist, dann bin ich es nicht, der sich wieder so unsinnig opfert wie damals bei Ihrer Hochzeitsfahrt unter den Hufen Ihrer Pferde; dann gilt es ein anderes als das meinige. Ich habe schon einmal einen Berkow gehaßt bis auf’s Blut; ich glaubte damals, ich könnte keinen Menschen ärger hassen auf Erden. Jetzt freilich weiß ich das besser. Zum Mörder bin ich doch nicht an ihm geworden; aber Einen giebt’s, an dem ich das werden könnte, einen Einzigen! Der Vater war es nicht; aber wenn ich einmal so an den Sohn gerathe, dann heißt es: er oder ich, oder – wir Beide!“
Er war furchtbar, der Augenblick, wo die fast bis zum Wahnsinn gesteigerte Leidenschaft dieses Mannes ihre Schranken durchbrach, ein losgelassener verheerender Strom, den nichts mehr dämmen oder aufhalten konnte. Eugenie sah, daß hier jedes Wort, jeder Ruf zu spät kam, und begriff, daß ihre Macht zu Ende war. Sie konnte nicht fliehen; er hatte ihr den Weg zur Thür vertreten, aber sie eilte zum Klingelzuge und riß mit aller Gewalt daran. Die Diener befanden sich freilich drüben auf der andern Seite, aber es war doch immerhin möglich, daß die Glocke ihr Ohr erreichte.
Hartmann war ihr gefolgt. Er wollte ihre Hand wegreißen von der Klingelschnur, aber in dem gleichen Moment wurde er selbst zurückgerissen von einem Arme, dem die Empörung jetzt Kraft genug lieh, die riesenhafte Gestalt wie ein Kind zur Seite zu schleudern. Arthur war es, der zwischen ihnen stand, und mit einem Aufschrei der Freude, aber auch zugleich der Todesangst flüchtete Eugenie zu ihrem Gatten; sie wußte, was jetzt kam.
Ulrich hatte sich aufgerafft, ohne einen Laut von sich zu geben, aber mit einem von der Wuth bis zur Unkenntlichkeit entstellten Antlitze. Was da in seinem Auge aufflammte, als er den Gegner erkannte, das verhieß unabwendbares Verderben; aber Arthur hatte bereits mit schneller Geistesgegenwart eine der Pistolen herabgerissen, die über seinem Schreibtische hingen, und den linken Arm um seine Frau legend, hielt er mit der Rechten dem Eindringlinge die tödtliche Waffe entgegen.
„Zurück, Hartmann! Wagen Sie es nicht, sich noch einmal zu nahen! Noch einen Schritt gegen meine Gattin, einen einzigen, und Sie liegen am Boden!“
Der Bedrohte hielt inne; trotz der Wuth, mit der er sich vorwärts stürzen wollte, sah er doch, daß die Mündung des Geschosses fest und sicher auf ihn gerichtet war und daß die Hand nicht bebte, die ihm diese Richtung gab; schon beim zweiten Schritte mußte die Kugel ihn treffen, und der Gegner blieb Sieger; er ballte die Faust, der die gleiche Waffe fehlte.
„Ich habe keine Pistolen,“ sagte er knirschend, „hätte ich sie, dann ständen wir gleich auf gleich, Herr Chef, aber freilich, so standen wir ja nie. Sie haben sich besser vorgesehen als ich; ich habe nur meine Fäuste gegen Ihre Kugel zu setzen, und da freilich ist’s kein Zweifel, wer den Kürzern zieht.“
Arthur ließ ihn nicht aus den Augen. „Sie haben dafür gesorgt, Hartmann, daß man jetzt die geladenen Waffen immer zur Hand hat. Mein Haus und mein Weib wenigstens werde ich vor Ihnen schützen, und wenn es auch eine Kugel kostet. Zurück, sage ich noch einmal!“
Es war wieder jenes secundenlange athemlose Anschauen der Beiden, wie damals bei der ersten verhängnißvollen Begegnung, wo sie ihre Kräfte zu messen schienen, und wie damals blieb der junge Chef Sieger, wenn es auch jetzt so weit gekommen war, daß er einer andern Waffe bedurfte, als blos seines Auges. Er stand noch immer unbeweglich da, den Finger am gespannten Hahne der Pistole und mit dem Blicke jeder Bewegung seines Gegners folgend, bis dieser zurückwich.
„Ich habe mein Leben nie viel geachtet,“ entgegnete Ulrich trotzig, „ich dächte, das hättet Ihr Beide hinreichend erfahren, aber ich mag mich doch nicht auf Eurer Schwelle niederschießen lassen; ich habe noch abzurechnen mit Euch. Zittern Sie doch nicht so, gnädige Frau! Sie sind ja in seinen Armen, und er ist ja sicher; jetzt ist er’s noch, aber wir sind noch nicht am Ende. Und wenn Ihr auch Beide dasteht, als könnte Euch nichts mehr auseinanderreißen, als wäret Ihr Eins in’s Andere gekettet für alle Ewigkeit, es wird auch einmal die Stunde für mich kommen, und dann, dann sollt Ihr an mich denken!“
Er ging. Der schwere Schritt tönte erst im Nebengemach, dann im Vorzimmer; zuletzt verhallte er draußen. Die junge Frau schmiegte sich fester in die Arme ihres Mannes; sie hatte es jetzt erprobt, wie sie zu schützen wußten.
„Du kamst zu rechter Zeit, Arthur,“ sagte sie, noch bebend von dem Schrecken jener Scene. „Ich hatte meine Zimmer verlassen, trotz Deiner Warnung; es war eine Unvorsichtigkeit, ich weiß es; aber ich wollte Dich hier erwarten, und im Hause wenigstens glaubte ich noch sicher zu sein.“
Arthur ließ die Waffe sinken und zog sie näher an sich. „Du warst es aber nicht, das haben wir soeben erfahren! Was wollte Hartmann hier in meinem Arbeitszimmer?“
„Ich weiß es nicht. Er suchte Dich, jedenfalls in keiner guten Absicht.“
„Ich bin von dieser Seite her auf Alles gefaßt,“ entgegnete er ruhig, die Pistole auf den Schreibtisch legend. „Du siehst, ich hatte mich bereits für ähnliche Fälle vorgesehen, aber ich fürchte, das war nur ein Vorspiel zu morgen, wo erst das eigentliche Drama beginnt. Zitterst Du davor, Eugenie? Die erbetene Hülfe kann erst gegen Abend hier sein; wir haben noch den ganzen Tag allein mit den Empörern auszuhalten.“
„An Deiner Seite zittere ich vor nichts mehr! Nur, Arthur,“ ihre Stimme nahm den Ausdruck flehender Angst an, „nur gehe mir nicht wieder allein hinaus in das Toben, wie heut Mittag! Er ist dort, und er hat Dir den Tod geschworen.“
Arthur richtete sanft das Haupt seiner jungen Gattin empor und sah ihr tief und fest in’s Auge. „Leben und Tod steht doch wohl nicht in Hartmann’s Hand allein; darüber hat doch noch ein Anderer zu entscheiden. Sei ruhig, Eugenie! Ich werde meine Pflicht thun, aber ich thue sie anders, als all die Tage vorher; weiß ich doch jetzt, daß mein Weib sich um mich ängstigt; das vergißt sich nicht so leicht!“
Draußen auf der Terrasse stand Ulrich Hartmann. Die Dämmerung war tiefer hereingebrochen; man konnte nicht mehr unterscheiden, was seine Züge aussprachen, als er zu den Fenstern des Hauses hinaufblickte, das er soeben verlassen; aber die Stimme verrieth es, mit der er halblaut, wie zum Schwur, die Drohung wiederholte, die er vorhin gegen Arthur Berkow geschleudert: „Er oder ich, oder, wenn’s sein muß – wir Beide!“