Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 30
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ОглавлениеDie junge Frau athmete auf, als Afra’s Schnelligkeit sie der gefährlichen Nähe entriß. So muthvoll sie war, hier hatte sie doch gezittert. Sie hätte kein Weib sein müssen, um nach dieser Scene nicht zu wissen, was sie längst schon geahnt, daß das ihr gegenüber so räthselhafte und widerspruchsvolle Wesen dieses Mannes etwas Anderes, etwas weit Gefährlicheres barg als Haß. Noch beugte er sich ihrer Macht; aber er war nahe daran gewesen, die Kette zu sprengen. Sie hatte jetzt eine Probe davon, daß er der „unbändigen Naturkraft“, mit der sie ihn einst verglichen, an Blindheit und Furchtbarkeit nichts nachgab, wenn er erst einmal entfesselt wie sie seine Schranken brach.
Sie hatte das Thal erreicht und war, der erhaltenen Warnung eingedenk, eben im Begriff, die Fahrstraße zu verlassen, als sie von dort her Hufschlag vernahm und sich umwendend einen Reiter gewahrte, der in vollem Galopp heransprengte und in wenigen Minuten an ihrer Seite war.
„Endlich!“ sagte Arthur athemlos, indem er sein Pferd parirte. „Welche Unvorsichtigkeit, gerade heute allein auszureiten! Du hattest freilich keine Ahnung von dem Wagniß.“
Eugenie blickte überrascht auf ihren Gatten, der tiefathmend und glühend erhitzt vom schnellen Ritte an ihrer Seite hielt. Er war nicht in Reitkleidung, trug auch weder Sporen noch Handschuhe; wie er da war, im Hausanzuge, mußte er sich auf’s Pferd geworfen haben, um ihr nachzusprengen.
„Erst vor einer halben Stunde erfuhr ich von Deinem Einfalle,“ fuhr er seine Erregung bemeisternd fort. „Franz und Anton suchen Dich bereits in verschiedenen Richtungen; ich fand allein die rechte Spur. Man sagte mir im Pachthofe, Du seist vor einiger Zeit vorbeigeritten.“
Die junge Frau fragte nicht nach dem Grunde dieser Sorge; sie kannte ihn hinreichend; aber die Sorge selbst überraschte sie doch. Er hätte ja die Diener allein nach ihr ausschicken können. Freilich, die Möglichkeit, seine Gemahlin von den Bergleuten insultirt zu wissen, war sehr unangenehm für den Chef der Werke, und er handelte jedenfalls nur in dieser Eigenschaft, als er ihr persönlich nacheilte.
„Ich war dort oben,“ erklärte sie nach dem Ziele ihres Spazierrittes hinaufdeutend.
„Auf der Höhe? Wo wir damals vor dem Sturme Zuflucht suchten? Dort warst Du?“
Eugenie wurde dunkelroth; sie sah wieder jenes seltsame Aufleuchten in seinen Augen, das wochenlang verschwunden gewesen war. Und weshalb klang die Frage so stürmisch, so athemlos gepreßt? Hatte er denn nicht längst schon jene Stunde vergessen, die sie so oft noch in der Erinnerung peinigte?
„Ich gerieth zufällig dorthin,“ sagte sie hastig, als gelte es eine Schuld abzuwälzen, und diese Berichtigung hatte denn auch sofort den gewünschten Erfolg. Das Leuchten in seinem Blicke verschwand plötzlich und die Stimme wurde kühl und fest.
„Zufällig! Ach so! Ich hätte wissen können, daß eine solche Bergpartie nicht in Deinem Plane lag; Afra erträgt sie ja stets nur sehr unmuthig. Aber Du hättest ‚zufällig‘ auch auf den Weg nach M. gerathen können, und das war es, was ich fürchtete.“
„Und was war dort zu fürchten?“ fragte Eugenie forschend, während sie gemeinschaftlich den breiten Weg verließen und einen schmaleren einschlugen, der mitten durch den Wald führte.
Arthur suchte ihrem Blicke auszuweichen. „Einige Unannehmlichkeiten, die gerade heute dort hätten passiren können. Unsere Bergleute sind nach den oberen Eisenhütten gezogen, um auch dort Widerstand und Lärm anzustiften. Hartmann hat ihnen mit seinen fulminanten Reden die Köpfe bis auf’s Aeußerste erhitzt; ich habe Nachricht, daß gestern bereits Unordnungen dort oben vorgefallen sind, und ein Menschenhaufe, der im aufgeregten Zustande von dem Schauplatze solcher Unruhen kommt, ist schlechterdings zu Allem fähig. Sie müssen gerade jetzt auf der Rückkehr sein.“
„Ich hätte die Fahrstraße ohnehin vermieden,“ sagte die junge Frau ruhig. „Ich war bereits gewarnt.“
„Gewarnt? Durch wen?“
„Durch Hartmann selbst, den ich vor einer Viertelstunde oben im Walde antraf.“
Diesmal war es Arthur’s Pferd, das sich heftig aufbäumte, erschreckt durch die zuckende Bewegung, mit der sein Reiter die Zügel an sich gerissen hatte.
„Hartmann? Und er wagte es, sich Dir zu nahen, Dich anzureden, nach Allem, was in diesen letzten Tagen vorgefallen ist?“
„Es geschah nur, um mich zu warnen, um mir seine Begleitung und seinen Schutz anzubieten. Ich lehnte Beides ab; ich glaubte das Dir und Deiner Stellung schuldig zu sein.“
„Du glaubtest es mir schuldig zu sein!“ wiederholte Arthur schneidend. „Ich bin Dir unendlich verbunden für diese Rücksicht; aber es war gut, daß Du sie nahmst, denn hättest Du Dich von ihm escortiren lassen – so sehr ich es vermeide, den ersten Anlaß zum Conflict zu geben, in diesem Falle hätte ich ihm doch fühlbar gemacht, daß der Anstifter, der Rädelsführer der ganzen Empörung meiner Gemahlin fernzubleiben hat.“
Eugenie schwieg; sie kannte ihren Gatten doch schon hinreichend, um zu wissen, daß er trotz seiner scheinbaren Kälte jetzt furchtbar gereizt war, kannte dies Zusammenpressen der Lippen, dies Beben der Hand; gerade so hatte er ihr am ersten Abende ihres Hierseins gegenübergestanden, nur daß sie jetzt besser als damals wußte, was diese Gelassenheit barg.
Sie ritten schweigend weiter durch den sonnigen Wald; der Hufschlag der Pferde klang nur gedämpft auf dem weichen Moosboden. Auch hier überall Frühlingsduft und Frühlingsathem, auch hier der klare tiefblaue Himmel, der sich über den Tannenwipfeln wölbte, und auch hier das geheime Weh in ihrem Innern, nur daß es sich noch mächtiger, noch schmerzender regte, als dort oben auf der Höhe. Die Thiere gingen auf dem schmalen Wege Seite an Seite. Die schweren Falten von Eugeniens Reitkleid streiften die Gebüsche, und ihr Schleier flatterte mehr als einmal über Arthur’s Schulter. Bei solcher Nähe mußte sie es nothgedrungen bemerken, daß er jetzt, wo die Erhitzung des schnellen Rittes geschwunden war, unendlich bleich aussah. Freilich, er hatte niemals die frische lebensvolle Farbe der Jugend gehabt, aber das war doch jetzt eine andere Blässe als die des jungen Residenzlöwen, der die Abende in den Salons und die Nächte im Spiel durchschwärmte, um dann den Tag über abgespannt und übersättigt auf seinen Sophas zu liegen, bei geschlossenen Vorhängen, weil die müden verwöhnten Augen das Sonnenlicht nicht ertrugen. Dies bleiche Aussehen stammte wohl aus derselben Quelle, wie die finstere Sorgenfalte auf seiner Stirn, wie der ernste, ja düstere Ausdruck des Gesichtes, das sonst immer nur träge Gleichgültigkeit gezeigt. Aber Arthur Berkow gewann unendlich bei einer Veränderung, die jedem Anderen zum Nachtheil gereicht hätte. Eugenie sah jetzt erst, daß ihr Mann auf Schönheit Anspruch machen konnte; früher hatte sie es nicht sehen wollen; für sie gingen in der schlaffen Theilnahmlosigkeit seines Wesens alle anderen Vorzüge unter, und sie traten wirklich erst jetzt hervor, mit diesem Zuge von Energie, der sich so neu und ungewohnt in seinem Antlitz, in seiner ganzen Haltung zeigte, und der doch wohl längst dagewesen war, nur verwischt und untergegangen in der Blasirtheit, wie so vieles Andere. Ja wohl, die versunkene Welt fing an heraufzusteigen aus ihrer Tiefe, der nahende Sturm hatte sie wachgerufen, der allein – Eugenie fühlte fast mit einer Art von Bitterkeit, daß sie keinen Theil an diesem Erwachen hatte, daß sie das Zauberwort nicht besessen, das den Bann gelöst; er riß sich ja mit eigener Kraft empor, was bedurfte es dazu einer fremden Hand!
„Es tut mir leid, daß ich Deinen Spazierritt abkürzen mußte,“ unterbrach Arthur endlich das Schweigen, aber es geschah in jener höflich kühlen Weise, die er stets ihr gegenüber annahm; „der Tag ist herrlich!“
„Ich fürchte, Dir war ein Ritt in’s Freie nothwendiger als mir!“ In den Ton der jungen Frau mischte sich eine vielleicht unbewußte Besorgniß. „Du siehst so bleich aus, Arthur!“
„Ich bin die Arbeit nicht gewohnt!“ sagte er mit einer Art von herbem Spott. „Das kommt von der Verweichlichung! Ich kann nicht einmal leisten, was jeder meiner Beamten täglich leistet.“
„Mir scheint eher, Du treibst Deine Leistungen bis in’s äußerste Extrem,“ entgegnete Eugenie rasch. „Den Tag über verläßt Du kaum mehr Dein Arbeitszimmer, und des Nachts sehe ich dort bis an den Morgen hin Licht brennen.“
Eine schnelle Röthe flog über die Züge des jungen Mannes.
„Seit wann wendest Du denn den Fenstern meines Zimmers eine solche Aufmerksamkeit zu?“ fragte er mit ruhiger, aber tiefer Bitterkeit. „Ich glaubte nicht, daß sie überhaupt für Dich existirten.“
Jetzt war die Reihe des Erröthens an der jungen Frau; aber sie bemeisterte schnell die aufsteigende Gluth und erwiderte fest: „Seit ich weiß, daß die Gefahr, die Du so entschieden ableugnetest, mit jedem Tage näher kommt. Weshalb täuschtest Du mich über die Tragweite dieses Streites und über seine möglichen Folgen?“
„Ich wollte Dich nicht beunruhigen.“
Sie machte eine ungeduldige Bewegung. „Ich bin kein furchtsames Kind, das man mit so ängstlicher Schonung umgeben muß, und wenn uns irgend etwas droht –“
„Uns?“ unterbrach sie Arthur. „Verzeih, aber die Gefahr droht doch höchstens mir allein. Ich habe nie daran gedacht, Dich als Kind zu behandeln; aber ich habe es für meine Pflicht gehalten, Baroneß Windeg nicht mit Dingen zu behelligen, die ihr wohl so gleichgültig sein müssen und in Kurzem so fremd sein werden, wie der Name, den sie jetzt noch trägt.“
Der Ton der Erwiderung war eiskalt, und es war ihr eigener Ton, den sie oft genug ihm gegenüber angewendet hatte, wenn sie es für nöthig fand, ihre Herkunft und das Gezwungene ihrer Vermählung geltend zu machen. Jetzt gab man ihr selber eine Lehre damit. In den dunkeln Augen der jungen Frau blitzte etwas wie Zorn, als sie dieselben auf ihren Gatten richtete.
„Und darauf hin verweigerst Du mir also jede Auskunft über Deine Angelegenheiten?“
„Wenn Du sie wünschest – nein.“
Eugenie schien einige Secunden lang mit sich zu kämpfen. „Du hast Deinen Bergleuten ihre Forderungen verweigert?“ fragte sie endlich.
„Was davon zu bewilligen war und was die Leute aus sich selbst verlangten, habe ich bewilligt. Mit Hartmann’s extremen Forderungen ist überhaupt nicht zu rechten; sie laufen in ihren nothwendigen Consequenzen auf Zerstörung aller Disciplin, auf Anarchie hinaus und sind geradezu beleidigend. Er hätte schwerlich gewagt, sie zu stellen, wüßte er nicht, was in diesem Kampfe für mich auf dem Spiele steht.“
„Und was steht auf dem Spiele?“ fragte Eugenie in athemloser Spannung. „Dein Vermögen?“
„Mehr noch – die Existenz!“
„Und Du wirst nicht nachgeben?“
„Nein!“
Die junge Frau blickte stumm auf ihren Mann, auf diesen Mann, der vor noch nicht drei Monaten keine „Scene“ mit ihr ertragen konnte, weil sie seine „Nerven“ angriff, und der jetzt mit dieser Ruhe einem Kampfe die Stirn bot, in dem es sich um seine Existenz handelte. War er wirklich noch derselbe? Es hatte einen eisernen Klang, dieses Nein, und sie fühlte, daß er es ebenso eisern auch der wildesten Drohung entgegensetzen würde.
„Ich fürchte, Hartmann treibt den Streit bis zum Aeußersten!“ entgegnete sie. „Er haßt Dich.“
Ein verächtliches Lächeln zuckte um Arthur’s Lippen. „Das weiß ich! Diese Empfindung ist durchaus gegenseitig.“
Eugenie dachte an die wild flammenden Augen oben auf der Höhe, als sie den Namen ihres Gatten nannte, und es überkam sie auf einmal eine jähe Angst.
„Du solltest den Haß dieses Mannes nicht unterschätzen Arthur. Er ist furchtbar in seinen Leidenschaften, wie in seiner Energie.“
Arthur richtete einen langen finsteren Blick auf sie. „Kennst Du ihn so genau? Freilich, Dir ist ja dieser Blousenheld von jeher bewundernswerth erschienen! Eine wohlfeile Energie, die auf Unmöglichkeiten trotzt und eher Hunderte mit sich in’s Unglück reißt, ehe sie ein Wort der Vernunft hört! Aber auch Hartmann könnte eine Mauer finden, an der sein starrer Eisenkopf sich vergebens versucht; von mir wenigstens wird er nichts erzwingen, und müßte ich den Kampf durchfechten bis zum eigenen Untergange.“
Er hielt plötzlich sein Pferd an, und Eugenie that in demselben Moment das Gleiche. Der Waldweg durchschnitt hier eine Windung der Fahrstraße, und in derselben sahen sie gerade das, was sie vermeiden wollten, eine Schaar von Bergleuten, die hier Halt gemacht hatte und auf irgend etwas zu warten schien. Arthur runzelte die Stirn.
„Es scheint, die Begegnung soll uns nun einmal nicht erspart bleiben!“
„Wollen wir umkehren?“ fragte Eugenie leise.
„Zu spät! Sie haben uns bereits bemerkt. Ausweichen läßt sich hier nicht und die Umkehr würde Flucht sein. Es ist schlimm, daß wir gerade zu Pferde sind; das wird sie noch mehr reizen, aber wir dürfen hier keine Schwäche zeigen; wir müssen vorwärts.“
„Und doch hast Du dieses Zusammentreffen gefürchtet?“
Arthur sah sie groß an. „Ich? Nur Du solltest ihnen nicht begegnen. Jetzt läßt es sich freilich nicht vermeiden, aber wenigstens bist Du nicht mehr allein. Halte Afra fest im Zügel und bleibe dicht an meiner Seite! Vielleicht geht es dennoch ohne Conflict ab.“
All diese Worte wurden leise und rasch gewechselt, während sie kaum eine Minute lang still hielten. Jetzt ritten sie im langsamen Schritt wieder vorwärts und hinaus auf die Fahrstraße, wo man sie allerdings schon bemerkt hatte.
Arthur hatte Recht. Die Art der Begegnung konnte nicht schlimmer sein. Die Leute waren in aufgeregtem Zustande, erhitzt und erbittert durch die auf den Hütten vorgefallenen Scenen; sie fingen bereits an, schwer unter den Folgen ihres Widerstandes zu leiden, und jetzt sahen sie ihren Chef, der ihren Forderungen durchaus nicht nachgeben wollte, hoch zu Roß, an der Seite seiner vornehmen Gemahlin und, wie sie meinten, von einem Vergnügungsritt zurückkommend, – ein gefährlicher Anblick für Menschen, die bereits mit dem Mangel kämpften! Ein bedenkliches Murren wurde laut. Schon waren halblaute Drohungen, beleidigende Worte gefallen; sie verstummten zwar, als die Beiden die Chaussee erreichten, aber dafür bildete jetzt die ganze Schaar, wie auf Verabredung, eine fest geschlossene Masse, die bereit schien, den Reitern den Durchgang zu wehren.
Arthur’s Lippen zeigten wieder jenes leise nervöse Beben, das bei ihm das einzige äußere Zeichen der Erregung war, aber seine Hand bebte nicht im Geringsten, als er Afra’s Zügel ergriff, um das Thier auf alle Fälle dicht neben sich zu halten.
„Glück auf!“
Der Gruß blieb unbeantwortet. Nicht ein Einziger aus der ganzen Schaar erwiderte ihn. Statt dessen schossen feindselige Blicke von allen Seiten auf die Beiden, und die zunächst Stehenden drängten noch dichter heran.
„Wollt Ihr uns nicht durchlassen?“ fragte Arthur ernst. „Die Pferde werden unruhig, wenn Ihr so herandrängt. Gebt Raum!“
Trotz der Gefahr der Situation, die sie vollkommen begriff, blickte Eugenie doch überrascht auf ihren Gatten. Es war das erste Mal, daß sie diesen Ton von seinen Lippen hörte; er klang sehr ruhig, aber er hatte nichtsdestoweniger die volle Autorität des Herrn seinen Untergebenen gegenüber. Dieses Benehmen Arthur’s war immerhin ein Wagniß in solchem Moment, aber es wäre unbedingt geglückt, wäre die Schaar ohne Führer gewesen; sie hätte diesem Tone nachgegeben. Jetzt dagegen wendeten sich Aller Augen nach einer einzigen Richtung, als erwarteten sie von dort allein das Signal zur Nachgiebigkeit oder zum Widerstande. Dort drüben stand Ulrich Hartmann, der soeben von der Höhe herabgekommen war und den man wahrscheinlich hier erwartet hatte. Er stand unbeweglich, die Arme über einander geschlagen, die Augen fest auf Berkow und dessen Gattin gerichtet, aber es war nichts Gutes, was in diesen Augen geschrieben stand.
Arthur’s Blicke waren denjenigen der Uebrigen gefolgt. Er wandte sich jetzt vollends um.
„Hartmann, Sie sind auch heute der Führer? Nun, so sorgen Sie auch dafür, daß man uns durchläßt! Wir warten.“
Hätte in diesen Worten nur die leiseste Spur eines Befehls oder einer Bitte gelegen, gleichviel welches von beiden, es wäre der Funke im Pulverfaß gewesen, und Ulrich schien in der That nur auf diesen Funken zu warten. Aber dieses kühle Verlangen, er solle hier Ordnung schaffen, das dies als eine selbstverständliche Pflicht Hartmann’s voraussetzte und zugleich seine Autorität anerkannte, frappirte ihn doch, ohne ihn gleichwohl umzustimmen. Er kam langsam heran.
„Ja so, Sie möchten weiter reiten, Herr Berkow.“
„Gewiß! Sie sehen es ja, daß wir nach der anderen Seite hinüber wollen.“
Ein vernichtender Hohn blitzte in Ulrich’s Zügen auf. „Und dazu rufen Sie mich her? Sie sind ja der ‚Herr‘ Ihrer Werke und Ihrer Arbeiter; befehlen Sie doch, daß man Ihnen Platz macht! Oder“ – hier wurde seine Stimme wieder dumpf und drohend – „glauben Sie vielleicht jetzt, daß ich hier Herr bin und daß ich nur ein Wort zu sagen brauche, um Sie – um es Ihnen zu zeigen?“
Eugenie war bleich geworden, während sie ihr Pferd dichter an das ihres Gatten drängte. Sie wußte freilich, daß jene sprühenden Augen nicht sie bedrohten, aber für sich zitterte sie auch nicht. Jetzt fehlte ihr der Muth, die Macht geltend zu machen, der sich Ulrich vorhin gebeugt. Sie ahnte, daß jene Macht ihre Wirkung versagen würde, so lange er sie an der Seite ihres Mannes sah.
„Hundert sind immer Herr gegen Einen!“ sagte Arthur kalt. „Wenn es sich nämlich um ein Niederschlagen handelt, aber das meinten Sie doch wohl nicht, Hartmann? Oder würden Sie sich nicht sicher fühlen, wenn Sie jetzt zufällig allein unter meine Beamten geriethen? Ich denke, ich bin es hier, so gut wie in meinem Hause.“
Ulrich gab keine Antwort; er blickte finster empor zu dem jungen Manne, der mit so vollkommener Ruhe vor ihm hielt und ihn mit den klaren braunen Augen so fest anschaute wie damals, als der Streit zuerst ausbrach. Freilich damals hatte er in seinem Conferenzzimmer gestanden, umgeben und geschützt von seinen Beamten; jetzt befand er sich allein, inmitten einer aufgeregten Menge, die nur auf das Signal wartete, um mit Beleidigungen, vielleicht mit Gewaltthätigkeiten loszubrechen, und doch zuckte keine Muskel dieses Gesichtes, und doch war die Haltung so stolz und sicher, der Blick so furchtlos, als wisse und fühle er sich selbst hier als Herr.
Diese Ruhe und Sicherheit verfehlte nicht ihren Eindruck auf die an’s Gehorchen gewöhnte Menge. Es kam nur darauf an, wem sie diesmal gehorchte. Zum zweiten Male wendeten sich die Blicke fragend auf Ulrich, der noch immer stumm dastand. Er sah wieder empor, dann seitwärts auf das bleiche Antlitz Eugeniens. Auf einmal trat er zurück.
„Macht Platz, daß die Pferde durch können! Dort nach links hin!“
Dem Befehle wurde sofort Folge geleistet, mit einer Eile, daß es den Eindruck machte, als gehorchten die Leute nicht ungern. In weniger als einer Minute war eine breite Gasse geöffnet, durch die Berkow und seine Gattin ungehindert davonritten. Sie bogen jenseits der Chaussee wieder in den Waldweg ein und verschwanden gleich darauf zwischen den Bäumen.
„Höre, Ulrich!“ – Lorenz trat mit einer Art von gutmüthigem Vorwurf an seinen Cameraden heran – „vorhin hast Du mich angefahren, weil ich oben auf den Hütten zur Ruhe sprach – was hast Du denn jetzt gethan?“
Der Angeredete starrte noch immer nach den Bäumen hinüber; jetzt, wo die Persönlichkeit des jungen Chefs nicht mehr wirkte, schien er seine großmüthige Aufwallung schon wieder zu bereuen.
„‚Hundert gegen Einen!‘“ murmelte er bitter, „und ‚Ich bin sicher in Eurer Mitte!‘ Ja wohl, an schönen Redensarten fehlt’s ihnen nie, wenn sie sich fürchten, und Unsereiner beißt auch immer wieder auf den alten Köder.“
„Der sah nicht aus, als ob er sich fürchtete!“ sagte Lorenz bestimmt. „Er ist überhaupt nicht wie sein Vater. Ulrich, wir sollten doch –“
„Was sollten wir?“ unterbrach ihn Ulrich heftig. „Nachgeben, nicht wahr? Damit Ihr nur wieder Ruhe und Frieden habt, und er es nachher ärger treibt, als es der Vater je getrieben, wenn er erst merkt, daß ihm Alles glückt. Wenn ich ihn heute fortließ, so war es, weil er nicht allein war, weil er seine Frau bei sich hatte und weil –“ er brach plötzlich ab. Der stolze verschlossene Mann hätte sich eher die Zunge abgebissen, als seinen Cameraden gegenüber bekannt, welche Macht ihn hier allein zur Schonung gezwungen.
Arthur und Eugenie waren inzwischen schweigend weiter geritten. Ob die gemeinsam überstandene Gefahr sie näher aneinandergekettet, sie ließen, obgleich der nunmehr breitere Weg hinreichenden Raum gewährte, die Pferde noch immer Seite an Seite gehen und noch immer hielt Arthur Afra’s Zügel in der Hand, obwohl jetzt nichts mehr zu fürchten und die weitere Sorgfalt bei einer so kühnen Reiterin gänzlich überflüssig war.
„Begreifst Du jetzt die Gefahr Deines heutigen Ausfluges?“ fragte er endlich.
„Ja! Aber auch die Gefahr Deiner Lage.“
„Ich muß sie tragen. Du hast selbst gesehen, welchen blinden Gehorsam sich dieser Hartmann zu erzwingen weiß. Ein Wort von ihm, und man ließ uns ungehindert vorüberreiten; auch nicht ein Einziger wagte zu murren, und doch warteten sie allesammt nur auf sein Zeichen, um sich gegen uns zu wenden.“
„Aber er gab dieses Zeichen nicht!“ sagte Eugenie, das letzte Wort schwer betonend.
Arthur richtete wieder den seltsam langen und düstern Blick auf sie. „Nein! Heute nicht! Er wird wohl am besten wissen, was ihn zurückhält. Aber er kann es morgen, übermorgen thun, wenn wir wieder einander begegnen; ich bin vollkommen gefaßt darauf.“
Beim Ausgange des Waldes, der jetzt vor ihnen lag, setzten sie die Pferde in schnelleren Trab und hielten eine Viertelstunde später auf der Terrasse des Landhauses. Arthur schwang sich aus dem Sattel – wie leicht und elastisch im Vergleich mit seinen ehemaligen trägen Bewegungen! Er streckte die Hand aus, um auch seiner Gattin herabzuhelfen; aber auf dem Antlitze der jungen Frau lag noch immer eine tiefe Blässe; sie bebte leise zusammen, als er den Arm um sie legte, und das Beben wurde noch heftiger, als dieser Arm sie eine Secunde länger hielt als sonst, wenn er ihr diesen Dienst leistete.
„Hast Du Dich geängstigt?“ fragte er leise, während er ihren Arm nahm, um sie in’s Haus zu führen.
Eugenie gab keine Antwort. Ja wohl, sie hatte Todesangst ausgestanden bei jener Scene; aber sie wollte es eher ertragen, von ihm für feig gehalten zu werden, als ihn ahnen lassen, daß sie um seinetwillen gezittert, und doch schien eine Ahnung davon in ihm aufzudämmern.
„Hast Du Dich geängstigt, Eugenie?“ wiederholte er. Seine Stimme klang so weich, so verschleiert, und dabei zog er ihren Arm fest und fester an seine Brust. Sie hob das Auge zu ihm empor; da war es wieder, das tiefe mächtige Aufleuchten in dem seinigen, aber heißer, verrätherischer, als sie es je gesehen, und er beugte sich tief herab zu ihr, wie um keinen Laut ihrer Antwort zu verlieren.
„Arthur, ich –“
„Der Herr Baron Windeg und der älteste Herr Sohn sind vor einer halben Stunde angekommen!“ rapportirte ein eilig herantretender Diener, und die Meldung war kaum ausgesprochen, als auch schon der junge Baron, der wahrscheinlich vom Fenster aus die Ankommenden gesehen hatte, erschien und mit dem ganzen Feuer seiner achtzehn Jahre die Treppe herabstürzte, um die Schwester zu begrüßen, die er seit ihrer Vermählung noch nicht wieder gesehen hatte.
„Ah, Curt, Du bist es!“ Die junge Frau fühlte fast einen schmerzenden Stich bei dieser sonst so heiß ersehnten Ankunft des Vaters und Bruders. Arthur hatte ihre Hand in dem Moment fallen lassen, wo der Name Windeg genannt wurde. Sie sah, wie es sich eiskalt über seine Züge legte, und hörte, wie es eiskalt aus seiner Stimme klang, als er jetzt höflich fremd den jungen Schwager begrüßte.
„Du begleitest uns nicht hinauf?“ fragte sie, als er am Fuße der Treppe stehen blieb.
„Entschuldige, wenn ich Dich bitte, Deinen Vater vorläufig allein zu empfangen. Ich hatte etwas – vergessen und bin soeben daran erinnert worden. Ich werde möglichst bald dem Herrn Baron meine Aufwartung machen.“
Er trat zurück, während Eugenie und ihr Bruder allein die Stufen hinaufstiegen. Der Letztere schien etwas befremdet zu sein; aber ein Blick auf die bleichen Wangen seiner Schwester hieß ihn die Frage unterdrücken, die ihm bereits auf den Lippen schwebte. Freilich, er wußte ja, wie hier die Dinge standen. Hatte dieser „Parvenu“ sich vielleicht auf dem Spazierritte neue Kränkungen gegen seine Gemahlin erlaubt? Der junge Baron schickte einen drohenden Blick hinunter und wandte sich dann mit aufflammender Zärtlichkeit zu seiner Schwester.
„Eugenie, ich freue mich so sehr, Dich wiederzusehen, und Du –?“
Die junge Frau zwang sich zu einem Lächeln. „Ich freue mich ja auch, Curt, unendlich freue ich mich!“ Sie blickte gleichfalls hinunter in’s Vestibul, aber es war leer. Arthur mußte es bereits verlassen haben. Im beleidigten Stolze richtete sie sich plötzlich hoch auf. „Laß uns zum Vater gehen! Er wartet!“