Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 28

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Inhaltsverzeichnis

Herr Berkow war bereits am Nachmittage desselben Tages eingetroffen, an dem Arthur und dessen Gattin sich im Walde befanden, und hatte sie schon bei ihrer Rückkehr empfangen; aber er schien diesmal nicht die ausgezeichnete Laune aus der Residenz mitgebracht zu haben, welche ihn bei seinem früheren Besuche beherrschte, als er in dem ersten Triumphe schwelgte, den die neue vornehme Verwandtschaft ihm in seinem eigenen Hause bereitete. Zwar war er auch jetzt wie gewöhnlich voll Artigkeit gegen seine Schwiegertochter, von unbegrenzter Nachsicht seinem Sohne gegenüber; aber sein ganzes Wesen zeigte doch etwas Hastiges, Unruhiges und Zerstreutes, das sich schon im Laufe des ersten Abends verrieth und sich noch deutlicher kund gab am nächsten Morgen, als Arthur zu ihm in’s Zimmer trat und eine Unterredung mit dem Vater verlangte.

„Später, Arthur, später!“ sagte er abwehrend. „Quäle mich nur jetzt nicht mit Bagatellen, wo ich den Kopf voll der ernstesten Dinge habe! Die Geld- und Geschäftsangelegenheiten in der Residenz haben mir endlose Verdrießlichkeiten bereitet; alles stockt, alles bringt Verluste statt Gewinne und – doch davon verstehst Du ja nichts, interessirst Dich auch schwerlich dafür! Ich werde die Sachen schon selbst wieder in’s Geleise bringen, aber ich bitte Dich, verschone mich nur jetzt mit Deinen Privatangelegenheiten!“

„Es ist keine Privatangelegenheit; die Sache ist auch für Dich von Wichtigkeit, Papa! Es thut mir leid, daß ich gerade jetzt, wo Du so mit Geschäften überhäuft bist, eine Stunde für mich beanspruchen muß, aber es geht nicht anders.“

„Nun denn, nach Tische!“ erklärte Berkow ungeduldig. „So lange wirst Du doch wohl warten können. Jetzt habe ich keine Zeit. Die Beamten warten bereits drüben im Conferenzzimmer, und ich habe den Oberingenieur benachrichtigen lassen, daß ich gleich nach der Conferenz mit ihm einfahren werde.“

„Einfahren?“ fragte der junge Mann aufmerksam werdend. „Du willst die Schachte besichtigen?“

„Nein! Die Aenderung an dem Hebewerk will ich besichtigen, die während meiner Abwesenheit vorgenommen worden ist. Was sollte ich in den Schachten thun?“

„Ich glaubte, Du wolltest Dich einmal persönlich überzeugen, ob es wirklich dort unten so schlimm aussieht, wie man behauptet.“

Berkow, der bereits im Begriff war zu gehen, kehrte plötzlich um und sah seinen Sohn mit einem höchst erstaunten Blicke an. „Was weißt Du denn davon, wie es in den Schachten aussieht? Wer hat Dir denn dergleichen in den Kopf gesetzt? Mir scheint, der Director hat sich, da seine vorigen Geldforderungen für Verbesserungen bei mir kein Gehör finden, an meinen Herrn Sohn gewandt. Da ist er freilich an den Rechten gekommen!“

Er lachte laut auf, ohne den Zug von Unwillen zu bemerken, der in Arthur’s Gesicht stand, als er mit einiger Schärfe entgegnete:

„Es müßte aber doch untersucht werden, in wie weit diese Verbesserungen nothwendig sind, und da Du einmal mit den Ingenieuren einfährst, so könntest Du auch wohl bei der Gelegenheit die Schachte einer eingehenden Besichtigung unterwerfen.“

„Ich werde mich hüten!“ sagte Berkow kurz. „Glaubst Du, daß ich Lust habe, mein Leben zu riskiren? Die Dinger sind gefährlich in ihrem jetzigen Zustand, das ist kein Zweifel.“

„Und doch schickst Du täglich Hunderte von Arbeitern hinunter?“

Der Ton der Frage war sehr eigenthümlich, so eigenthümlich, daß der Vater die Stirn runzelte.

„Willst Du mir etwa Moralpredigten halten, Arthur? Ich dächte, die nähmen sich in Deinem Munde etwas seltsam aus! Du scheinst Dich in der Langeweile Deines Landaufenthaltes auf die Philanthropie geworfen zu haben. Laß das lieber bleiben; es ist eine höchst kostspielige Leidenschaft, zumal in unseren Verhältnissen. Uebrigens sorge ich schon selbst dafür, daß mir nicht durch irgend ein Unglück ein Verlust erwächst, der mir gerade jetzt sehr ungelegen käme. Was nothwendig ist, wird erhalten und ausgebessert; zu umfassenden Einrichtungen habe ich für’s Erste kein Geld, und ebensowenig kann ich den Betrieb auch nur für die kürzeste Zeit aussetzen lassen; dazu hättest Du weniger brauchen müssen, als es in der letzten Zeit vor Deiner Heirath der Fall war. Ich begreife aber überhaupt nicht, weshalb Du Dich auf einmal um Dinge kümmerst, die Du sonst völlig ignorirt hast. Kümmere Dich lieber um Deine Saloneinrichtungen und Deine Wintersoiréen in der Residenz und laß mir die Sorge und die Verantwortung für Etwas, wovon Du nicht das Geringste verstehst!“

„Nein, Papa, nicht das Geringste!“ bekräftigte der junge Mann mit aufquellender Bitterkeit. „Dafür hast Du redlich gesorgt.“

„Ich glaube gar, Du willst mir Vorwürfe machen!“ fuhr Berkow auf. „Hast Du nicht alle Freuden des Lebens ausgekostet? Habe ich je ein Opfer gescheut, sie Dir im vollsten Maße zu gewähren? Hinterlasse ich Dir nicht Reichthümer, ich, der ich ohne einen Pfennig in der Tasche meine Laufbahn begann? Habe ich Dich nicht durch die Heirath mit der Baroneß Windeg in den Kreisen des Adels heimisch gemacht, dem Du früher oder später selbst angehören wirst? Ich möchte den Vater sehen, der so viel für seinen Sohn gethan hat wie ich!“

Arthur hatte während der ganzen Rede schweigend durchs Fenster geblickt; jetzt wandte er sich zum Gehen.

„Du hast vollkommen Recht, Papa, aber ich sehe, daß Dir jetzt sowohl die Zeit als die Geduld fehlt, Das anzuhören, was ich mir vorgenommen, Dir zu sagen. Nach Tische also!“

Er ging, während Berkow ihm kopfschüttelnd nachblickte. Sein Sohn kam ihm jetzt bisweilen ganz unbegreiflich vor; indessen er schien in der That wenig Zeit übrig zu haben, er verschloß hastig seinen Schreibtisch, nahm den Hut vom Tische und ging nach dem Conferenzzimmer hinüber – mit einer Miene, die den dort harrenden Beamten gerade keinen Sonnenschein verkündete. –

Im Schachte waren inzwischen die sämmtlichen Bergleute versammelt, die eben zur zweiten Schicht anfahren wollten; sie warteten auf den Obersteiger, der sich noch nicht blicken ließ. Es waren Männer jedes Alters und jedes Arbeitszweiges darunter, den die Thätigkeit in den Schachten nothwendig macht, auch die sämmtlichen Steiger dieser Abtheilung, aber sie hatten allesammt doch nur einen Mittelpunkt, Ulrich Hartmann, der inmitten der Gruppe stand, den Fuß auf die Stufen gesetzt, die Arme übereinander geschlagen, und der, obgleich er im Augenblicke nicht sprach, doch unbedingt als die Hauptperson zu gelten schien.

Eine eigentliche Besprechung konnte wohl nicht stattgefunden haben; dazu waren Zeit und Ort zu wenig geeignet, aber selbst bei diesem kurzen und zufälligen Zusammenfinden schien die Rede von Dingen gewesen zu sein, die nun einmal jetzt das Hauptthema unter den Arbeitern der Werke bildeten.

„Verlaß Dich darauf, Ulrich, sie kommen uns nicht nach auf den anderen Werken,“ sagte der junge Bergmann Lorenz, der neben Hartmann stand. „Sie meinen, es wäre ihnen noch zu früh, sie wären nicht vorbereitet genug, kurz sie haben keine Lust und wollen die Sache erst noch abwarten.“

Ulrich warf trotzig den Kopf zurück. „Meinetwegen! So gehen wir allein vor. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“

Eine Bewegung der Ueberraschung gab sich unter den Bergleuten kund. „Allein?“ fragten Einige. „Ohne unsere Cameraden?“ setzten die Anderen hinzu, und die Mehrzahl wiederholte mit dem Ausdrucke der Besorgniß: „Schon jetzt?“

„Jetzt, sage ich,“ bekräftigte Ulrich herrisch, indem er einen herausfordernden Blick umherwarf. „Ist etwa Einer von Euch anderer Meinung, so sage er’s!“

Es schien ein nicht unbedeutender Theil der Anwesenden anderer Meinung zu sein, gleichwohl wagte sich Keiner mit einem bestimmten Widerspruch hervor, nur Lorenz sagte in bedenklichem Tone:

„Aber Du meintest ja selbst, es wäre besser, wenn alle Werke der Umgegend auf einmal aufhörten zu arbeiten.“

„Kann ich dafür, wenn sie zaudern und zaudern, bis uns die Geduld reißt?“ fragte der junge Steiger heftig. „Wenn sie durchaus warten wollen, wir können es nicht; das wissen sie recht gut. Aber sie wollen uns voran in’s Feuer schicken, um erst zu sehen, wie uns die Geschichte ausschlägt. Echt cameradschaftlich! Nun, wir werden auch ohne sie fertig werden!“

„Und glaubst Du denn wirklich, daß er“ – Lorenz warf einen Blick nach der Richtung hin, wo das Landhaus des Chefs lag, – „daß er nachgeben wird?“

„Er muß!“ sagte Ulrich bestimmt, „oder er ruinirt sich! Grade jetzt sind ihm ein paar Speculationen verunglückt; dazu hat er alle Schulden seines Herrn Sohnes decken müssen, und das neue Haus in der Stadt wird auch wohl so an die Hunderttausend kosten; wenn ihm nun auch die Werke ein paar Monate lang still stehen, grade jetzt, wo die großen Contracte abgeschlossen sind, so ist es zu Ende mit der ganzen Herrlichkeit. Vor zwei Jahren hätte er das vielleicht noch ausgehalten, jetzt hält er es nicht mehr aus. Wir setzen alles durch, wenn mir ihm damit drohen.“

„Gebe Gott, daß wir’s nur auch wirklich durchsetzen!“ seufzte einer der Bergleute, ein schon bejahrter Mann mit einem blassen eingefallenen Gesicht und bekümmerter Miene. „Es wäre doch schrecklich, wenn wir umsonst all die Noth und Sorge auf uns nähmen, und wochenlang mit Frau und Kindern darbten, damit zuletzt alles beim Alten bleibt. Wenn wir doch lieber noch warten wollten, bis die Cameraden –“

„Ja wohl, wenn wir auf die Anderen warteten –“ ließen sich hier und da einzelne Stimmen vernehmen.

„Schwätzereien und kein Ende!“ brauste Ulrich wild auf. „Ich sage Euch, daß jetzt grade die beste Zeit ist und daß wir vorgehen. Wollt Ihr mit mir gehen oder wollt Ihr nicht? Antwort!“

„So fahre doch nicht gleich so auf!“ beschwichtigte Lorenz. „Du weißt ja, daß sie alle mit Dir gehen, wenn’s einmal so weit ist. Laß sie auf den anderen Werken machen, was sie wollen! Wir sind einig, – da läßt Dich Keiner im Stich!“

„Ich wollte es auch Keinem rathen, zurück zu bleiben, wenn’s erst Ernst wird!“ sagte Ulrich, einen finster drohenden Blick nach der Ecke hinüber schleudernd, von wo der Widerspruch ausgegangen war. „Da können wir keine Feigheit gebrauchen, da muß Jeder für den Anderen einstehen, und wehe dem, der es nicht thut!“

Der junge Führer schien gerade in seiner despotischen Art den Cameraden gegenüber das rechte Mittel zu besitzen, um jeden etwa aufkeimenden Widerspruch zu ersticken. Die wenigen Opponenten, ausschließlich ältere Männer, schwiegen, während die Uebrigen, besonders die Jüngeren, sich mit lauter Zustimmung um Hartmann drängten, der jetzt ruhiger fortfuhr:

„Uebrigens ist jetzt keine Zeit, das alles zu besprechen, heut Abend wollen wir –“

„Der Obersteiger!“ unterbrachen ihn einige Stimmen, während sich Aller Blicke nach der Thür wandten.

„Auseinander!“ befahl Ulrich, und gehorsam dem Commando stob die Schaar auseinander. Jeder bemächtigte sich wieder seiner Blende, die er vorhin bei Seite gestellt hatte.

Der Obersteiger, der rasch und ziemlich unvermuthet eintrat, hatte wahrscheinlich noch die schnell gelöste Gruppe gesehen, vielleicht auch den Befehl gehört, denn er sah forschend im Kreise umher.

„Sie scheinen Ihre Cameraden ja ganz ausgezeichnet in Zucht zu haben, Hartmann!“ sagte er kalt.

„So ziemlich, Herr Obersteiger!“ gab dieser in gleichem Tone zurück.

Dem Obersteiger mochte es wohl wie den übrigen Beamten auch kein großes Geheimniß mehr sein, was die Arbeiter jetzt meist unter sich verhandelten; er zog es jedoch vor, nichts gehört und gesehen zu haben, sondern fuhr gleichgültig fort:

„Herr Berkow will mit den Ingenieuren das Hebewerk besichtigen. Sie sollen mit Lorenz im Fahrschachte bleiben, Hartmann, bis die Herren wieder zu Tage gefahren sind. Steiger Wilm kann vorläufig Ihre Leute mit zur Schicht führen, bis Sie nachkommen.“

Ulrich fügte sich schweigend der Anordnung und blieb mit Lorenz zurück, während die Uebrigen unter Leitung des Obersteigers anfuhren. Als der letzte seiner Cameraden verschwunden war, kehrte sich der junge Bergmann grollend ab.

„Feiglinge sind sie doch allesammt!“ murmelte er ingrimmig. „Das ist nicht vom Flecke zu bringen, mit seiner Unentschlossenheit und Furchtsamkeit. Sie wissen so gut wie ich, daß wir grade jetzt die Zeit benutzen müssen, und doch wollen sie nicht vorwärts, weil sie allein bleiben, weil die Anderen nicht hinter ihnen stehen. Ein Glück, daß wir gerade Berkow gegen uns haben und keinen Anderen. Wär’s ein tüchtiger Mann, der ihnen zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, sie brächten es nicht zu Stande.“

„Meinst Du denn, er wird das nicht auch thun?“ fragte Lorenz etwas mißtrauisch.

„Nein! Er ist feig, wie alle Tyrannen! Er prahlt und peinigt nur, so lange er obenauf ist, und wenn es an seine Haut oder seinen Geldsack geht, kriecht er zum Kreuze. Er hat sich so gründlich verhaßt gemacht und wird sie so in’s Aeußerste hineinhetzen, daß zuletzt Keiner zurückbleibt, und dann ist’s gut, dann haben wir ihn in der Hand.“

„Und der junge Herr? Glaubst Du, daß er sich gar nicht einmischt, wenn die Sache losgeht?“

Ein Ausdruck unverstellten Hohnes schwebte um Ulrich’s Mund, als er verächtlich entgegnete: „Der zählt nicht! Der läuft beim ersten Lärm, den es giebt, in die Stadt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Wenn wir mit dem zu thun hätten, wären wir freilich schneller fertig; er sagt zu Allem Ja, wenn man ihm droht, ihn nicht ausschlafen zu lassen. Der Vater wird uns doch mehr zu schaffen machen.“

„Er will das Hebewerk besichtigen,“ meinte Lorenz nachdenkend. „Ob er auch in die Schachte geht?“

Ulrich lachte bitter auf. „Was fällt Dir ein! Unsereins muß freilich täglich da unten sein Leben riskiren; dazu sind wir gut genug – aber der Herr Chef bleibt im sicheren Fahrschacht. Ich wollte, ich hätte ihn einmal so allein neben mir, Auge in Auge, er sollte mir das Zittern lernen, das wir unten so oft durchmachen müssen.“

Blick und Ton des jungen Mannes waren so wild, so erfüllt von tiefstem Hasse, daß sein viel gemäßigterer Gefährte es vorzog, zu schweigen und damit für den Augenblick wenigstens dies Gespräch zu beendigen. Es trat eine längere Pause ein; Hartmann war zum Fenster getreten und blickte ungeduldig hinaus, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte und Lorenz dicht neben sich stehen sah.

„Ich wollte Dich etwas fragen, Ulrich,“ begann er stockend. „Nun, Du wirst es mir ja auch sagen, wenn ich Dich darum bitte. – Wie stehst Du mit der Martha?“

Es vergingen einige Secunden, ehe Ulrich antwortete. „Ich mit Martha! Mußt Du das wissen?“

Der junge Bergmann sah zu Boden. „Du weißt es ja, ich bin dem Mädchen schon so lange nachgegangen, sie hat mich immer noch nicht gewollt, weil sie – wohl einen Anderen wollte. Nun freilich, verdenken kann ich’s ihr nicht!“ sein Blick glitt mit einer Art von schmerzlicher Bewunderung an seinem Freunde nieder, „und wenn es wirklich wahr ist, daß Du mir im Wege stehst, dann muß ich mir die Sache wohl aus dem Kopfe schlagen. Also sage mir gerade heraus, seid Ihr einig?“

„Nein, Karl!“ sagte Ulrich dumpf. „Wir sind nicht einig, und wir werden’s auch nicht, das wissen wir jetzt beide. Ich stehe Dir nicht mehr im Wege bei dem Mädchen, und wenn Du Dein Glück noch einmal versuchen willst, ich glaube, jetzt nimmt sie Dich.“

Ein Freudenblitz schoß über die Züge des jungen Mannes hin, als er sich tief aufathmend emporrichtete.

„Meinst Du das wirklich? Nun freilich, wenn Du es sagst, muß es ja wohl wahr sein, und dann will ich’s auch versuchen, gleich heut Abend.“

Ulrich runzelte finster die Stirn. „Heut Abend? Denkst Du denn gar nicht daran, daß wir heut Abend eine Besprechung haben, und daß Du dahin gehörst und nicht auf die Freierschaft? Aber Du bist auch nicht besser als die Anderen. Jetzt, wo wir hinein wollen in den Kampf, gehen Dir Deine Liebesgeschichten im Kopfe herum, jetzt, wo Jeder froh sein sollte, der nicht Frau und Kind hat, denkst Du an’s Heirathen! Es ist nicht auszuhalten mit Euch Allen!“

„Nun, ich werde doch immer bei der Martha anfragen dürfen,“ vertheidigte sich Lorenz gekränkt. „Und wenn sie auch wirklich Ja sagt, so ist’s noch immer eine gute Weile bis zur Heirath. Freilich, Du weißt nicht, wie so Einem zu Muthe ist, der was Liebes hat, das er nicht bekommen kann, wie sich einem das Herz umkehrt, wenn man sehen muß, daß ein Anderer da ist, Tag für Tag mit ihr zusammen, der nur nach dem zu greifen braucht, wofür man sein Leben lassen möchte, und doch nicht danach greift; Du –“

„Hör’ auf, Karl!“ unterbrach ihn Ulrich mit zuckenden Lippen, indem er die geballte Hand so heftig niederfallen ließ, daß das Holzwerk dröhnte. „Geh’ zu der Martha, heirathe sie, mach’ was Du willst, aber rede mir nicht länger von solchen Geschichten! ich will, ich kann das nicht hören!“

Der junge Bergmann sah seinen Freund erstaunt an; er konnte sich diese wilde Zurückweisung nicht erklären; es war doch kein Zweifel, daß Jener das Mädchen freiwillig aufgab; es blieb ihm aber keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn in diesem Augenblick wurde draußen die scharfe Stimme Berkow’s laut, die in sehr ungnädigem Tone zu den ihn begleitenden Beamten sagte:

„Und nun bitte ich wirklich, meine Herren, davon aufzuhören! Die alte Wetterführung hat so lange vorgehalten, ohne daß ein Unglück geschehen ist, und wird es auch ferner thun. Wir brauchen keine kostspieligen Neuerungen, die Sie für nothwendig zu erklären belieben, weil es nicht aus Ihrer Tasche geht. Denken Sie, daß ich hier eine philanthropische Musteranstalt will? Die Betriebsfähigkeit will ich erhöht wissen, und die Ausgaben, die Sie dafür ansetzen, werden bewilligt werden. Das Uebrige wird gestrichen. Wenn die Bergleute in Gefahr sind, so kann ich das nicht ändern; das bringt ihr Brod eben so mit sich. Ich kann nicht Tausende fortwerfen, um ein paar Häuer und Förderleute vor einem Unglück zu sichern, das möglicher Weise einmal kommen könnte und bis jetzt noch nicht gekommen ist. Die Arbeiten in den Schachten werden auf das Allernothwendigste beschränkt, um sie betriebsfähig zu erhalten, und damit Punctum!“

Er stieß die Thür des Schachthauses auf und schien unangenehm überrascht zu sein, als er die beiden Bergleute gewahrte, die er hier wohl nicht vermuthet hatte und die seine letzten Worte gehört haben mußten. Noch unangenehmer als ihm schien ihre Gegenwart dem Oberingenieur zu sein.

„Hartmann, was thun Sie noch hier oben?“ fragte er betreten.

„Der Obersteiger sagte uns, wir müßten die Herren in den Fahrschacht begleiten,“ antwortete Ulrich, ohne das dunkelglühende Auge von Berkow abzuwenden.

Der Oberingenieur zuckte leicht die Achseln und wandte sich zu seinem Chef mit einer Miene, in der deutlich genug zu lesen war: „dazu hätte er auch einen Andern aussuchen können“ – indessen äußerte er nichts.

„Schon gut!“ sagte Berkow kurz. „Fahrt immer an, wir kommen nach. Glück auf!“

Die beiden Bergleute gehorchten; als sie den Herren aus dem Gesichte waren, hielt Lorenz einen Augenblick inne.

„Ulrich!“

„Was willst Du?“

„Hast Du gehört?“

„Daß er nicht Tausende wegwerfen kann, um ein paar Häuer und Förderer zu sichern? Aber der Betrieb soll auf Hunderttausende erhöht werden! Nun, sicher ist am Ende Niemand hier in der Tiefe, und er fährt ja heute auch ein. Wir wollen abwarten, an wen zuerst die Reihe kommt. Mach’ fort, Karl!“ –

Es schien in der That, als ob mit dem Unwetter des gestrigen Tages sich der so lange ersehnte Frühling sein Reich erstritten habe; mit einer solchen Zauberschnelle hatte sich die Witterung über Nacht geändert. Wie spurlos verschwunden waren Nebel und Wolken, mit ihnen Wind und Kälte; die Berge lagen jetzt so klar da, umleuchtet von dem hellen Sonnenschein, umweht von der milden warmen Luft, daß man sich nun endlich der Hoffnung hingeben durfte, es sei vorbei mit dem ewigen Regen und Sturm der letzten Wochen, vorbei für eine lange sonnenhelle Frühlings- und Sommerzeit.

Eugenie war auf ihren Balcon getreten und blickte hinaus in die nun endlich entschleierte Landschaft. Ihr Auge haftete nachdenklich und träumerisch auf den Bergen drüben. Vielleicht dachte sie an die gestrige Nebelstunde dort oben auf der Höhe; vielleicht tönte noch in ihren Ohren das Rauschen und Wehen der grünen Tannenarme; aber die Erinnerungen wurden rasch und gewaltsam durch den Klang eines Posthorns unterbrochen, das in ihrer unmittelbaren Nähe ertönte; gleich darauf fuhr eine Extrapostchaise unten an der Terrasse vor, und mit einem Schrei der Freude und Ueberraschung flog die junge Frau vom Balcon zurück.

„Mein Vater!“

Es war in der That Baron Windeg, der rasch aus dem Wagen stieg und in’s Haus trat, wo ihn seine Tochter schon oben an der Treppe empfing. Es war das erste Wiedersehen zwischen ihnen seit ihrer Vermählung, und trotz der Gegenwart der beiden Diener, die herbeigestürzt kamen, den vornehmen Gast zu empfangen, schloß der Vater sein Kind so leidenschaftlich fest in die Arme wie damals am Abende ihres Hochzeittages, als sie im Reisekleide von ihm Abschied nahm. Die junge Frau machte sich endlich sanft los und zog ihn mit sich in ihr Lieblingszimmer, den kleinen blauen Salon.

„Welche Ueberraschung, Papa!“ sagte Eugenie noch strahlend vor Freude und Aufregung. „Ich hatte keine Ahnung von diesem unerwarteten Besuche.“

Der Baron ließ sich, den Arm noch immer um sie geschlungen, mit ihr auf das Sopha nieder.

„Er war auch nicht beabsichtigt, mein Kind. Eine Reise führte mich in diese Gegend, und da konnte und wollte ich nicht den Umweg von einigen Stunden scheuen, um Dich wiederzusehen.“

„Eine Reise?“ Eugenie blickte fragend in das Antlitz ihres Vaters, dessen Auge so forschend auf ihren Zügen ruhte, als wolle es darin die Geschichte dieser ganzen Wochen lesen, die sie von ihm getrennt gewesen war; aber als ihr Blick jetzt zufällig niederglitt auf seinen Hut, den er noch in der Linken hielt, schreckte sie erbleichend zusammen.

„Um Gottes willen, Papa, was soll der Trauerflor? Meine Brüder –?“

„Sie sind wohl und grüßen Dich herzlich,“ beschwichtigte der Baron. „Erschrick nicht, Eugenie!“ Für das, was Dir lieb ist, brauchst Du nicht zu zittern. Ein Trauerfall, der allerdings unsere Familie betroffen hat, geht leider, muß ich wohl sagen, Keinem von uns zu Herzen. Doch ich werde Dir das später ausführlich mittheilen, jetzt sage mir –“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn die junge Frau unruhig, „ich muß erst wissen, wem dieser Flor gilt. Wen haben wir zu betrauern?“

Windeg stellte den umflorten Hut bei Seite und legte den Arm fester um seine Tochter; es war etwas Schmerzliches, Krampfhaftes in der Zärtlichkeit, mit der er sie an sich drückte.

„Ich bin auf der Reise, um unserm Vetter Rabenau die letzte Ehre zu erweisen. Seine Güter liegen in dieser Provinz.“

Eugenie fuhr auf. „Graf Rabenau? Der Majoratsherr –“

„Ist todt!“ vollendete der Baron schwer. „In der Fülle des Lebens und der Gesundheit, wenige Wochen vor seiner beabsichtigten Vermählung – das konnte allerdings Niemand vorhersehen.“

Eugenie war todtenbleich geworden; man sah es, die Nachricht ging auch ihr nicht zu Herzen, und dennoch erregte dieselbe sie auf’s Furchtbarste; sie sagte kein Wort, aber der Vater schien ihre Erregung zu begreifen.

„Du weißt, daß wir einander schon seit langer Zeit entfremdet waren,“ fuhr er düster fort. „Mit Rabenau’s rohem, wildem Wesen war nicht auszukommen, und nie vergesse ich die bittere Abweisung, die ich vor einem halben Jahre von ihm erfahren mußte. Er hätte uns retten können, wenn er gewollt; ihm wäre es ein Leichtes gewesen; er wies mich rauh und hart zurück. Nun ist er todt, gestorben ohne Erben; ich trete das Majorat an, jetzt, wo es zu spät ist, wo ich mein Kind geopfert habe!“

Es lag ein erschütternder Schmerz in diesen Worten. Eugenie strebte sichtbar sich zu fassen, und das gelang ihr auch im Laufe der nächsten Minuten.

„O Papa, Du darfst jetzt nicht an mich denken! Ich – ich athme ja auf bei dem Gedanken, daß Dir ein so reicher Ersatz wird für all die Demüthigungen, die Du erlitten; mich überraschte nur das Unerwartete, Plötzliche dieser Nachricht. Wir konnten uns ja nie Hoffnung auf das Majorat machen.“

„Nie!“ sagte der Baron düster. „Rabenau war jung und kräftig; er stand im Begriff, sich zu vermählen. Wer konnte da ahnen, daß eine dreitägige Krankheit ihn niederwerfen würde! Aber wenn sein Tod nun einmal beschlossen war, warum, warum konnte diese Fügung nicht eher eintreten? Vor vier Wochen noch hätte uns die Hälfte, hätte uns ein Viertheil des Reichthums gerettet, der mir jetzt zuströmt. Ich hätte dem – Schurken der mich in’s Unglück stürzte, das Geld hinwerfen können, das er mit hundertfachen Wucherzinsen forderte, und meine einzige Tochter brauchte nicht der Preis zu werden. Ich habe Dein Opfer angenommen, Eugenie. Gott weiß es, nicht um meinetwillen; es geschah für meinen Namen, für die Zukunft meiner Söhne. Aber daß dieses ganze bittere Opfer jetzt umsonst gebracht sein soll, daß eine kurze zufällige Zögerung von einigen Wochen es Dir und mir erspart hätte, diesen Hohn des Schicksals ertrage ich nicht!“

Er preßte heftig ihre Hand in der seinigen; aber die junge Frau hatte bereits ihren ganzen Stolz, ihre ganze Fassung wieder gewonnen; wie furchtbar sie auch dieses „zu spät“ berührt haben mochte, man sah es ihr nicht mehr an.

„Du darfst nicht so sprechen, Papa!“ entgegnete sie fest. „Es wäre eine Ungerechtigkeit gegen Deine anderen Kinder. Dieser Tod, den wir freilich, wie Graf Rabenau nun einmal war, nur formell betrauern können, macht Dich frei von Vielem. Meine Vermählung wendete nur das Drohendste ab; es blieb noch immer genug, was schwer auf uns lastete, was Dich vielleicht später auf’s Neue in erniedrigende Abhängigkeit von jenem Manne gebracht hätte. Diese Gefahr ist nun abgewendet für immer; Du kannst ihm das Empfangene zurückzahlen. Wir schulden ihm nichts mehr!“

„Aber er schuldet Dich uns.“ unterbrach sie Windeg bitter, „und er wird sich hüten, diese Schuld je einzulösen. Das ist’s, was mir die Rettung vergällt, die ich vor Kurzem noch aufathmend begrüßt hätte und die mich jetzt zur Verzweiflung treibt um Deinetwillen.“

Eugenie wendete sich ab und beugte sich tief über die Blumen, die neben ihr in einer Vase dufteten.

„Ich bin nicht so unglücklich, wie Du und meine Brüder es vielleicht glauben,“ sagte sie leise.

„Nicht? Meinst Du, ich hätte mich durch Deine Briefe täuschen lassen? Ich wußte es im Voraus, daß Du uns schonen würdest; aber wenn mir noch ein Zweifel geblieben wäre, Deine Blässe spricht deutlich genug. Du bist unglücklich, Eugenie, mußt unglücklich sein an der Seite dieses Menschen, der –“

„Papa, Du sprichst von meinem Gatten!“

Die junge Frau erhob sich so heftig und leidenschaftlich bei diesen Worten, daß ihr Vater zurücktrat und sie betroffen ansah, ebenso erstaunt über diesen Ton wie über die dunkle Purpurgluth, die auf einmal ihr Antlitz bedeckte.

„Verzeih’!“ sagte er sich fassend, „ich kann mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnen, daß meine Tochter einem Arthur Berkow angehört, und daß ich mich in seinem Hause befinde, aber sie zwingen mich ja, es zu betreten, wenn ich mein Kind sehen will. Du hast Recht, ich muß Dich in dem Manne schonen, dem Du nun einmal angetraut bist, wenn ich es auch deutlich genug sehe, wie sehr Du durch ihn gelitten hast und noch leidest.“

Die tiefe Gluth war langsam wieder von Eugeniens Antlitz gewichen, aber noch blieb ein heller Schein davon zurück, als sie gepreßt erwiderte:

„Du irrst, ich habe keine Klage über Arthur. Er hat sich von Anfang an in einer Entfernung gehalten, die ich ihm nur danken kann.“

Das Auge des Barons flammte auf. „Ich wollte ihm und seinem Vater auch nicht rathen, die schuldige Rücksicht gegen Dich zu vergessen; sie verdienten am wenigsten die Ehre, die Du in ihr Haus brachtest, wo bis dahin nicht viel Ehre zu finden war. – Aber eine Genugthuung wenigstens kann ich Dir geben, Eugenie! Du wirst nicht lange mehr den Namen tragen, an dem so viel Gemeinheit, so viel Schändlichkeit gegen uns und Andere haftet, nicht minder schändlich deshalb, weil das Gesetz sie nicht strafen kann. Ich habe dafür gesorgt, daß wenigstens das ein Ende nimmt.“

Die junge Frau sah ihn überrascht an. „Was meinst Du damit?“

„Ich habe die nöthigen Schritte gethan, damit Deinem –“ der Baron schien sich schwer überwinden zu müssen, als er das Wort aussprach – „Deinem Gatten die Erhebung in den Adelstand zu Theil wird. Nur ihm, nicht seinem Vater, dem leiste ich keinen Dienst und den will ich nicht, wenn auch nur formell, in unsern Reihen wissen. Es ist nicht ungewöhnlich, daß mit einer solchen Standeserhöhung auch eine Namensänderung verbunden wird, und das soll auch hier geschehen. Ihr könnt selbst unter den Namen Eurer Güter wählen, welcher Euch am passendsten für das neue Adelsgeschlecht erscheint. Eure Wünsche werden Berücksichtigung finden.“

„Für das neue Adelsgeschlecht?“ wiederholte Eugenie tonlos. „Du bist im Irrthum, Papa, und wenn Du diese Standeserhöhung nur meinetwegen wünschest – doch Du hast Recht, es ist in jedem Fall das Beste! Mir ist der Gedanke schrecklich gewesen, von Arthur’s Großmuth bedingungslos zurücknehmen zu müssen, was er theuer genug gekauft und bezahlt hat. So bieten wir ihm doch etwas dafür! Das Adelsdiplom wird ihm reichlich Ersatz sein für das, was er aufgiebt.“

Es war ein Ausbruch überwallender Bitterkeit in diesen Worten, und doch zuckte mitten durch die Bitterkeit ein verhaltener Schmerz; für Windeg war eins so unverständlich wie das andere. Die Rede seiner Tochter blieb ihm völlig räthselhaft, und er war eben im Begriff, eine Erklärung darüber zu verlangen, als der Diener Herrn Berkow meldete, der den Herrn Baron zu begrüßen wünsche.

Arthur trat ein und näherte sich dem Baron, dem er einige Artigkeiten über sein unerwartetes Eintreffen sagte. Der junge Mann war wieder sehr gleichgültig, sehr blasirt. Man sah es ihm deutlich genug an, daß er nur eine Pflicht der Höflichkeit erfüllte, die ihm gebot, seinen Schwiegervater zu bewillkommnen, der seinerseits die Nothwendigkeit dieser Bewillkommnung über sich ergehen ließ. Da diesmal keine fremden Zeugen zugegen waren, so unterblieb auch die Form des Händedrucks, man ließ es bei einer gegenseitigen kühlen Verneigung bewenden; dann nahm der ältere Herr wieder neben seiner Tochter Platz und der jüngere blieb an seinem Sessel stehen, in der offenbaren Absicht, diesen gezwungenen Besuch im Salon seiner Gemahlin so viel als möglich abzukürzen.

Windeg hätte nicht der vollendete Weltmann sein müssen, um nicht, trotz des aufregenden Gespräches, das er soeben mit Eugenien geführt hatte, sofort den Gesellschaftston wieder zu finden. Es folgten die üblichen Fragen und Erkundigungen nach den verschiedenen Familiengliedern; der Tod des Grafen Rabenau wurde als Veranlassung der Reise erwähnt und sehr förmlich von Arthur bedauert, der jedenfalls keine Ahnung von der Veränderung hatte, die dieser Tod in den Verhältnissen seiner neuen Verwandten hervorrief. Endlich ging der Baron auf ein anderes Thema über.

„Uebrigens bringe ich eine Nachricht aus der Residenz mit, die auch für Sie, Herr Berkow, vom höchsten Interesse ist,“ sagte er artig. „Ich darf wohl annehmen, daß Ihnen die Wünsche Ihres Herrn Vaters in Bezug auf eine Standeserhöhung kein Geheimniß geblieben sind, und kann Ihnen die Versicherung geben, daß ihre Erfüllung nahe bevorsteht. In einem Punkte freilich fand ich unübersteigliche Hindernisse; man hegt gewisse – Vorurtheile gegen Herrn Berkow persönlich, die kaum zu überwinden sein dürften, dagegen ist man sehr gern bereit, einen unserer ersten Industriellen dadurch auszuzeichnen, daß man seinem Sohne den Adel ertheilt. Ich hoffe Ihnen in Kurzem dazu gratuliren zu können.“

Arthur hatte zugehört, ohne eine Miene zu verändern. Jetzt hob er das Auge empor, und sofort richtete sich Eugeniens Blick mit einem ihr selbst unerklärlichen Interesse auf diese Augen, obgleich augenblicklich darin nicht das Geringste zu lesen war.

„Darf ich fragen, Herr Baron, ob in dieser Angelegenheit allein die Wünsche meines Vaters oder auch Rücksichten auf Ihre Tochter vorwaltend waren?“

Windeg bekämpfte eine leichte Verlegenheit. Er hatte sicher auf einen Dank gerechnet und nun kam statt dessen diese seltsame Frage. „Unsere beiderseitigen Wünsche kamen sich wohl entgegen, nachdem die Verbindung einmal geschlossen war,“ erwiderte er etwas gezwungen. „Uebrigens verhehlte ich schon damals Herrn Berkow nicht meine Bedenken wegen einer persönlichen Standeserhöhung und erhielt von ihm die Versicherung, daß er im Nothfall darauf verzichten würde, zu Gunsten seines einzigen Sohnes und Erben, dem er ja damit allein eine glänzende Zukunft schaffen wollte.“

„Dann bedaure ich, daß mein Vater mich nicht von dem Fortschreiten einer Sache unterrichtet hat, die ich nur als unbestimmten Plan kannte,“ sagte Arthur kühl. „Und ich bedaure noch mehr, Herr Baron, daß Sie Ihren Einfluß für eine Ehre verwandt haben, die ich leider ablehnen muß.“

Der Baron fuhr auf und sah seinen Schwiegersohn mit starren Augen an.

„Verzeihen Sie, Herr Berkow! Ich hörte wohl nicht recht? Mir däucht, Sie sprechen von Ablehnung?“

„Von der Ablehnung des Adels, wenn er mir angeboten würde – ja, Herr Baron.“

Windeg war vollständig aus der Fassung gebracht, was ihm sicher nicht oft passirte. „Nun, dann muß ich Sie doch bitten, mir den Grund dieser, gelinde gesagt, seltsamen Weigerung zu nennen. Ich bin höchst begierig darauf.“

Arthur sah zu seiner Frau hinüber. Sie war zusammengezuckt bei seinen Worten, und die dunkle Röthe ergoß sich wieder heiß über ihre Wangen. Beider Augen begegneten sich und ruhten einige Secunden lang ineinander, aber es schien nicht, als habe der junge Mann viel Nachgiebigkeit geschöpft aus diesem Blicke, denn seine Stimme hatte einen entschiedenen Anflug von Trotz, als er erwiderte:

„Die Seltsamkeit liegt wohl weniger in meiner Ablehnung, als in der Art des Anerbietens. Wäre meinem Vater der Adel wegen der Verdienste ertheilt worden, die er doch unleugbar um die Industrie hat, so hätte ich als sein Erbe ihn gleichfalls angenommen. Es ist eine Auszeichnung wie jede andere, und als solche ehrenvoll. Man hat nicht für gut gefunden, sie ihm zu gewähren, und ich bin natürlich nicht Richter über die ‚Vorurtheile‘, die dem entgegenstehen mögen, aber ich meinestheils habe nicht den mindesten Anspruch auf eine solche Auszeichnung und deshalb halte ich es für besser, wir lassen die Residenz nicht behaupten, daß eine Verschwägerung mit der Windeg’schen Familie nothwendig ein Adelsdiplom im Gefolge haben müsse.“

Er hatte die letzten Worte sehr gleichgültig hingeworfen, und doch preßte Eugenie zornig die Lippen zusammen; sie wußte, daß sie einzig ihr galten. Wollte er sich denn durchaus von Allem frei machen, was ihr noch das Recht gab, ihn verachten zu dürfen? und sie fühlte doch jetzt mehr als je den Wunsch, es zu thun.

„Ich scheine in der That im Irrthum über die Gründe gewesen zu sein, die Sie diese Verschwägerung wünschen ließen,“ sagte der Baron langsam, „aber ich muß gestehen, bei Ihnen war ich am wenigsten auf solche Ansichten gefaßt, die auch wohl neueren Datums sind, denn vor Ihrer Vermählung schienen Sie eher dem Gegentheil zu huldigen.“

Vor meiner Vermählung!“ Ein unendlich bitteres Lächeln spielte um Arthur’s Lippen. „Da war ich allerdings noch nicht darüber orientirt, wie man in Ihren Kreisen, Herr Baron, mich selbst und mein Verhältniß zu diesen Kreisen zu beurtheilen pflegte. Seitdem ist mir das in ziemlich schonungsloser Weise klar gemacht worden, und es kann Sie daher nicht befremden, wenn ich darauf verzichte, dort nach wie vor für einen unberufenen Eindringling zu gelten.“

Eugeniens Finger preßten sich hier so heftig um die Rose, die sie vorhin aus der Vase gezogen und noch in der Hand hielt, daß die zarte Blume dasselbe Schicksal hatte, wie neulich ihr Fächer in Arthur’s Händen; zerdrückt fiel sie auf den Teppich nieder. Arthur merkte das nicht. Er drehte ihr fast den Rücken und wendete sich ganz ihrem Vater zu, der ihn mit einem Ausdruck ansah, als zweifle er durchaus und vollständig daran, daß es wirklich sein Schwiegersohn sei, der da vor ihm stehe.

„Ich habe begreiflicher Weise keine Ahnung, wer Ihnen diese jedenfalls sehr übertriebenen Eröffnungen gemacht hat,“ entgegnete er ernst, „aber ich muß Sie doch bitten, in diesem Punkte Rücksicht auf Eugenie zu nehmen. Bei der Rolle, die sie voraussichtlich im Winter in der Residenz spielen wird, kann sie – verzeihen Sie, Herr Berkow! nicht den bürgerlichen Namen tragen: das lag weder in der Absicht Ihres Vaters noch in der meinigen.“

Ein langer düsterer Blick Arthur’s streifte seine Gattin, die sich noch immer mit keinem Worte an dem Gespräche betheiligte, so sehr sie sonst ihre Ansicht und ihren Willen geltend zu machen wußte.

„Bis zum Winter könnten sich die Verhältnisse ganz anders gestalten, als es jetzt den Anschein hat. Ueberlassen Sie das Eugenien und mir! Für jetzt bedaure ich, bei meinem Nein bleiben zu müssen. Da mir allein diese Erhebung angeboten wird, so habe ich ja auch wohl allein das Recht, anzunehmen oder abzulehnen, und ich lehne ab, was ich – verzeihen Sie, Herr Baron – dem aristokratischen Namen meiner Frau nicht danken will.

Windeg erhob sich verletzt. „Dann bleibt mir allerdings nichts übrig, als die schon gethanen Schritte in dieser Angelegenheit schleunigst wieder rückgängig zu machen, damit ich nicht noch mehr compromittirt werde, als es bereits der Fall ist. – Eugenie, Du schweigst ja vollständig zu dem Allen. Was sagst Du denn zu diesen eben gehörten Ansichten Deines Herrn Gemahls?“

Die Antwort sollte der jungen Frau erspart werden, denn in diesem Augenblicke wurde die Thür nicht wie sonst von dem Diener geräuschlos geöffnet, sondern hastig aufgerissen, und herein stürzte, ohne Anmeldung, mit aschbleichem Gesicht und vollständiger Hintansetzung aller Formen, die er sonst so zierlich zu beobachten wußte, Herr Wilberg.

„Ist Herr Berkow hier? Verzeihen Sie, gnädige Frau! Ich muß Herrn Berkow augenblicklich sprechen!“

„Was ist geschehen?“ fragte Arthur, dem jungen Manne entgegentretend, dessen verstörtes Gesicht eine Unglücksbotschaft verrieth.

„Ein Unfall!“ sagte Wilberg athemlos. „Unten im Fahrschacht – Ihr Herr Vater ist schwer verletzt, sehr schwer – der Director schickt mich!“

Er kam nicht weiter in seinem Berichte, denn Arthur war bereits an ihm vorüber zur Thür hinausgeeilt. Der junge Beamte stand im Begriff ihm zu folgen, als er sich draußen im Corridor von dem Baron zurückgehalten sah.

„Haben Sie dem Sohne die volle Wahrheit gesagt?“ fragte dieser ernst. „Mir brauchen Sie nichts zu verschweigen. Ist Herr Berkow todt?“

„Ja!“ stieß Wilberg hervor „Er fuhr mit dem Steiger Hartmann zu Tage – die Seile sind gerissen – Hartmann rettete sich durch einen Sprung auf die vorletzte Bühne. Herr Berkow stürzte in die Tiefe. Kein Mensch weiß, wie das Unglück eigentlich geschehen ist, aber verheimlichen läßt es sich nicht. Bereiten Sie die gnädige Frau vor, Herr Baron! Ich muß fort!“

Er eilte Arthur nach, während Windeg in den Salon zurückkehrte, wo seine Tochter ihm bereits in heftiger Erregung entgegenkam.

„Was hast Du erfahren, Papa? Das Gesicht des Unglücksboten sprach von mehr als einer bloßen Verletzung! Was ist geschehen?“

„Das Schlimmste!“ sagte der Baron erschüttert. „Wir haben den Mann eben noch so bitter angeklagt, Eugenie; jetzt ist es zu Ende mit dem Haß und der Feindschaft zwischen uns und ihm – der Tod hat sie geschlichtet!“

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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