Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 26
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ОглавлениеDas glänzende, mit verschwenderischer Pracht und Ueppigkeit hergerichtete Diner war zu Ende. Es hatte außer den zahlreich erschienenen Gästen noch einen besonderen Triumph für Berkow gebracht. Der Adel der benachbarten Stadt war im höchsten Grade exclusiv, zumal in seinen tonangebenden Persönlichkeiten, und er hatte sich bisher noch nie herbeigelassen, das Haus eines Emporkömmlings zu betreten, den seine zweideutige Vergangenheit noch immer von der vornehmen Gesellschaft ausschloß. Die Einladungen aber, auf denen Eugenie Berkow, geborene Baroneß Windeg, unterzeichnet stand, waren allseitig angenommen worden. Sie war und blieb doch nun einmal der Sproß einer der ältesten Adelsgeschlechter; man konnte und wollte sie nicht durch eine Ablehnung verletzen, wollte dies um so weniger, als es kein Geheimniß geblieben war, was sie zu dieser Verbindung gezwungen hatte. Wenn man aber der jungen Frau mit vollster Achtung und Sympathie entgegenkam, so konnte man gegen ihren Schwiegervater, in dessen Hause das Fest ja stattfand, unmöglich anders als höflich sein, und das geschah denn auch. Berkow triumphirte, er wußte sehr wohl, daß dies hier nur das Vorspiel dessen war, was sich im Winter in der Residenz wiederholen mußte. Man werde die Baroneß Windeg in ihren Kreisen sicher nicht fallen lassen, weil sie sich aus Kindesliebe für ihren Vater geopfert, man werde sie dort nach wie vor als ebenbürtig betrachten trotz des bürgerlichen Namens, den sie jetzt trug. Was aber diesen Namen selbst betraf, so lag das so sehnlich erstrebte Ziel ja nun hoffentlich auch nicht mehr in allzuweiter Ferne.
Wenn sich der ehrgeizige Millionär nun einerseits seiner Schwiegertochter zu neuem Danke verpflichtet fühlte, trotzdem sie heut mehr als je die Airs einer Fürstin angenommen hatte und ihm und seinem ganzen Kreise völlig unnahbar geblieben war, so hatte ihn andererseits das Benehmen seines Sohnes ebenso sehr überrascht als geärgert. Arthur, der sonst ausschließlich in adeligen Kreisen verkehrte, schien jetzt auf einmal den Geschmack an dieser Art des Umganges verloren zu haben. Er war den vornehmen Gästen gegenüber von einer so kühlen Artigkeit gewesen, hatte selbst gegen die Officiere der Garnison, mit denen er doch sonst bei seinem Hiersein auf sehr intimem Fuße stand, eine so geflissentliche Zurückhaltung beobachtet, daß er mehr als einmal bis an die Grenze dessen ging, was ein Wirth sich erlauben darf, ohne zu verletzen. Berkow begriff diese ganz neue Laune nicht; was fiel denn seinem Sohne auf einmal ein? Wollte er vielleicht seiner Gemahlin damit Opposition machen, wenn er ihre Gäste so beinahe absichtlich vermied?
Diejenigen Herren aus der Stadt, welche sich in Begleitung ihrer Damen befanden, waren bereits aufgebrochen, weil bei den vom langen Regen grundlosen Wegen eine mehrstündige Fahrt in der Dunkelheit nicht rathsam erschien, und hatten dadurch der Frau vom Hause die Freiheit gegeben, sich zurückzuziehen, eine Freiheit, die sie auch sofort benutzte. Eugenie verließ die Gesellschaftsräume und begab sich in ihre Zimmer, während ihr Gemahl und ihr Schwiegervater bei den Gästen zurückblieben.
Inzwischen war zur festgesetzten Stunde auch Ulrich Hartmann erschienen. Seit seinen frühesten Knabenjahren, seit mit dem Tode der Frau Berkow die Beziehungen seiner Eltern zum Hause derselben aufgehört, hatte er es nicht wieder betreten, wie denn überhaupt für die gesammte Arbeiterbevölkerung das Landhaus des Chefs mit seiner Umgebung von Terrassen und Gärten ein verschlossenes Eldorado war, das nur hin und wieder den Beamten einmal zugänglich wurde, wenn irgend eine besonders wichtige Angelegenheit oder eine Einladung sie dorthin rief. Der junge Mann schritt durch das hohe, reich mit blühenden Gewächsen geschmückte Vestibül, die teppichbelegten Stufen hinauf und durch die hellerleuchteten Corridore, bis ihn in einem der letzteren der Diener von heute Morgen in Empfang nahm und in eins der Zimmer wies. „Die gnädige Frau werde bald erscheinen –“ mit dieser Bemerkung schloß er die Thür hinter ihm und ließ ihn allein.
Es war ein großes, reich decorirtes Vorgemach, in das Ulrich eintrat, der Anfang einer ganzen Flucht von Staatszimmern, die aber in diesem Augenblicke völlig leer waren. Die Gesellschaft befand sich noch drüben in dem nach dem Garten, gelegenen Speisesaal, aber gerade die Oede und Stille. die in diesen Räumen herrschte, ließ ihre Pracht noch mehr zur Geltung kommen. Durch die überall weit zurückgeschlagenen Portièren überschaute Ulrich ungehindert die lange Reihe glänzender Zimmer, deren eins das andere an Pracht zu überbieten schien. Die schweren dunklen Sammettapeten schienen das Licht einzufangen, aber desto heller spielte es auf den reich vergoldeten Verzierungen der Wände und Thüren, auf den Seiden- und Atlasbezügen der Möbel, in den deckenhohen Spiegeln, die es in blitzenden Strahlen zurückwarfen, ja selbst auf dem spiegelglatten Parquetboden, desto voller beleuchtete es all diese Gemälde, Statuen und Vasen, die in verschwenderischer Menge und Kostbarkeit die Salons schmückten. Alles, was Reichthum und Luxus nur irgend zu geben vermögen, war hier zusammengehäuft, eine Fülle von Schönheit, Pracht und Glanz, die wohl ein Auge blenden konnte, das bisher nur gewohnt war, in den dunkeln Gängen des Schachtes seine Heimath zu finden.
Aber dieser Anblick, der sicher jeden seiner Cameraden verwirrt hätte, schien auf Ulrich nicht den mindesten Eindruck zu machen. Wohl glitt sein Auge finster durch die strahlenden Räume; aber keine Bewunderung sprach sich darin aus. Als wollte er mit jedem einzelnen der kostbaren Dinge rechten, so schaute er darauf hin, und plötzlich kehrte er, wie in aufflammendem Haß, der ganzen Zimmerreihe den Rücken und schlug leise, aber heftig mit seinem Fuß den Boden, als sich noch immer Niemand blicken ließ; Ulrich Hartmann war augenscheinlich wenig gemacht, geduldig im Vorzimmer zu warten, bis man sich herabließ, ihn zu empfangen.
Endlich rauschte etwas hinter ihm. Er wandte sich um und trat unwillkürlich zurück, denn einige Schritte von ihm entfernt, gerade unter dem Kronleuchter, stand Eugenie Berkow. Er hatte sie bisher nur ein einziges Mal gesehen, als er sie aus dem Wagen trug, im einfachen Reisekleide von dunkler Seide, während ihr Antlitz von Reisehut und Schleier zur Hälfte beschattet war, und er hatte von jener Begegnung nur die Erinnerung an Eins mit sich genommen, an die großen dunklen Augen, die sich damals so fest auf sein Antlitz geheftet; jetzt – ja freilich, das war eine andere Erscheinung als jene, die bisher in den Gesichtskreis des jungen Bergmanns getreten waren. Zarte weiße Spitzen flossen über das weiße Seidengewand und umwogten wie eine Wolke die schlanke hohe Gestalt; wie hingehaucht lagen einzelne Rosen in diesem Spitzenduft, und das gleiche Rosengewinde schlang sich durch das reiche blonde Haar, dessen matter Glanz zu wetteifern schien mit dein Glanz der Perlen, die Hals und Arme schmückten. Das volle Licht der Kerzen floß blendend nieder auf die schöne Erscheinung, die wie geschaffen schien für den glänzenden Rahmen dieser Umgebung, und die da vor ihm stand, als könne und dürfe ihr nichts nahen, was mit dem gemeinen Tagewerk des Alltagslebens nur irgend in Berührung kam. Aber so sehr Eugeniens ganzes Wesen die vornehme Salondame zeigte, die sie den ganzen Abend über ausschließlich gewesen war, ihr Auge verrieth doch, daß sie wohl noch etwas Anderes sein konnte, zumal jetzt, wo es in unverkennbarer Befriedigung aufleuchtete beim Anblick des jungen Mannes, dem sie sich mit ruhiger Freundlichkeit näherte.
„Es freut mich, daß Sie meinem Rufe nachgekommen sind! Ich wünschte Sie zu sprechen, um ein Mißverständniß zu lösen. Bitte, folgen Sie mir!“
Sie öffnete eine der Seitenthüren und trat in das Nebengemach, wohin Ulrich ihr folgte. Es war der Salon der jungen Frau, der zwischen ihren eigenen Zimmern und den Gesellschaftsräumen lag – aber welch einen Contrast bildete er zu jenen! Hier floß das matte Licht der Ampel nur gedämpft über das zarte Blau der Wände und der Seidenpolster; weiche Teppiche fingen den trotzigen Schritt auf, der sie berührte, und Blumendüfte zogen leise und süß durch die milde und warme Luft und umwehten schmeichelnd Stirn und Schläfe. Ulrich war wie gebannt an der Schwelle stehen geblieben, trotzdem er doch sonst keine Schüchternheit kannte, aber es war so anders hier als in den blendenden Staatsgemächern, so viel schöner, so traumhaft still. Er konnte den Haß nicht wiederfinden, mit dem er auf die Pracht da draußen geschaut hatte; statt dessen regte sich etwas Anderes in ihm, das er noch nie empfunden, dem er keinen Namen zu geben wußte, aber es war dieser Umgebung verwandt, die ihn so seltsam umfing. Und doch wallte in dem gleichen Augenblick ein heißer Zorn darüber in ihm auf, er wich instinctmäßig zurück, wie vor einer nur dunkel geahnten Gefahr, und sein ganzes Wesen erhob sich im starren feindlichen Widerstande gegen diese Atmosphäre von Schönheit und Duft, mit ihrem schmeichelnden Zauber. Eugenie war stehen geblieben, als sie mit einiger Befremdung bemerke, daß der junge Bergmann ihr nicht folgte; sie ließ sich jetzt auf einen Sessel in der Nähe der Thür nieder, während ihr Auge prüfend sein Gesicht überflog. Das krause blonde Haar deckte völlig die noch frische Narbe, aber die Wunde, die für jeden Andern gefährlich gewesen wäre, hatte diese kräftige Natur kaum erschüttern können; Eugenie suchte vergebens in seinen Zügen nach einer Spur überstandenen Leidens. Dennoch galt ihre erste Frage jener Verletzung.
„Sie sind also völlig wiederhergestellt? Macht Ihnen die Wunde auch wirklich keine Schmerzen mehr?“
„Nein, gnädige Frau! Es war nicht der Rede werth!“
Eugenie schien den kurzen herben Ton der Antwort zu überhören; sie fuhr mit gleicher Güte fort:
„Ich erfuhr allerdings schon am nächsten Tage aus dem Munde des Arztes, daß nichts zu befürchten stünde, sonst hätten wir Ihnen auch eine eingehendere Fürsorge gewidmet. Der Herr Doctor versicherte mir wiederholt nach dem zweimaligen Besuch, den er Ihnen noch abstattete, es sei von Gefahr nicht die Rede, und auch Herr Wilberg, den ich noch am Abend des verhängnißvollen Tages zu Ihnen sandte, brachte mir die gleiche Nachricht.“
Ulrich hatte schon bei den ersten Worten das Auge gehoben und sie starr angesehen; seine finstere Stirn hellte sich langsam auf, und die Stimme hatte einen weit milderen Klang, als er endlich antwortete:
„Ich wußte nicht, daß Sie sich überhaupt so viel darum kümmerten, gnädige Frau. Herr Wilberg hat mir nicht gesagt, daß er von Ihnen kam, sonst –“
„Sonst wären Sie freundlicher gegen ihn gewesen!“ ergänzte Eugenie mit leisem Vorwurf. „Er beklagte sich über die Schroffheit, die Sie ihm an jenem Abend zeigten, und doch war er voll Theilnahme für Sie und erbot sich mit so freundlicher Gefälligkeit, mir die gewünschte Nachricht zu verschaffen. Was haben Sie gegen Herrn Wilberg?“
„Nichts! Aber er spielt Guitarre und macht Gedichte.“
Eugenie lächelte unwillkürlich bei dieser etwas seltsamen und doch erschöpfenden Charakteristik des blonden jungen Beamten.
„Das scheinen in Ihren Augen keine besonderen Vorzüge zu sein!“ sagte sie halb scherzend, „und ich glaube auch schwerlich, daß Sie sich dessen schuldig machen würden, wenn Sie die Lebensstellung des Herrn Wilberg einnähmen. Aber lassen wir das! Es war ja etwas Anderes, weßwegen ich Sie rufen ließ. Wie ich höre,“ die junge Frau spielte in leichter Verlegenheit mit ihrem Fächer, „wie ich von dem Herrn Director höre, haben Sie ein Zeichen unseres Dankes ausgeschlagen, das er beauftragt war, Ihnen zu übermitteln.“
„Ja!“ erklärte Ulrich finster, ohne die Härte dieses Ja durch ein einziges Wort zu mildern.
„Ich bedaure, wenn das Anerbieten oder die Art desselben Sie verletzt hat. Herr Berkow“ – Eugeniens Antlitz überzog eine leise Röthe, als sie die Lüge aussprach – „Herr Berkow hatte allerdings die Absicht, Ihnen persönlich seinen und meinen Dank auszusprechen; er wurde indessen verhindert und ersuchte den Herrn Director, ihn zu vertreten. Es würde mir sehr leid thun, wenn Sie darin eine Undankbarkeit oder Gleichgültigkeit unsererseits gegen unseren Lebensretter sehen wollten; wir wissen Beide, wie tief wir in seiner Schuld sind, und Sie dürfen es mir nicht auch abschlagen, wenn ich Sie jetzt bitte, aus meinen Händen –“
Ulrich fuhr auf; was die ersten Worte gemildert hatten, das verdarb der Schluß völlig wieder. Sein Antlitz war bleich geworden, als er errieth, um was es sich handelte, und in rücksichtsloser Heftigkeit brach er los:
„Lassen Sie das, gnädige Frau! Wenn Sie mir das anbieten, auch Sie, dann wollte ich, ich hätte den Wagen stürzen lassen mit Allem, was darinnen war!“
Eugenie wich zurück bei diesem plötzlichen Ausbruche jener unbändigen Wildheit, wegen deren Ulrich Hartmann auf den ganzen Werken gefürchtet war. Der Tochter des Baron Windeg mochte solch ein Ton und Blick wohl noch niemals nahe gekommen sein, wie sie denn überhaupt selbst jenen Kreisen noch nie genahet war. Sie erhob sich verletzt.
„Aufdrängen wollte ich Ihnen meinen Dank nicht! Wenn Ihnen der Ausdruck desselben so unangenehm ist, so bedaure ich, Sie hergerufen zu haben.
Sie wandte sich um und machte Miene, das Zimmer zu verlassen, aber diese Bewegung brachte Ulrich zur Besinnung. Er that ihr heftig einen Schritt nach.
„Gnädige Frau – ich – verzeihen Sie mir! Ihnen wollte ich nicht wehe thun!“
Es lag eine so leidenschaftlich aufflammende Reue in dem Ausrufe, daß Eugenie betroffen stehen blieb und ihn anblickte, als suche sie in seinem Gesichte den Schlüssel zu diesem räthselhaften Wesen, aber die stürmische Abbitte hatte ihren Zorn entwaffnet.
„Mir nicht?“ wiederholte sie. „Ist es Ihnen denn gleichgültig, wenn Sie Andere mit Ihrer Schroffheit verletzen? Den Director zum Beispiel und Herrn Wilberg?“
„Ja!“ entgegnete Ulrich finster, „wie es umgekehrt auch ihnen gleich sein würde. Die Beamten und wir – da ist von keiner Freundschaft die Rede!“
„Nicht?“ fragte Eugenie betreten. „Ich wußte in der That nicht, daß das Verhältniß zwischen Beamten und Arbeitern hier ein so gespanntes ist, und auch Herr Berkow scheint keine Ahnung davon zu haben, sonst würde er wohl irgendwie vermittelnd eingetreten sein.“
„Herr Berkow“ – sagte Ulrich schneidend – „hat sich seit zwanzig Jahren um alles Mögliche auf den Werken gekümmert, nur nicht um die Arbeiter, und das wird so lange fortgehen, bis wir einmal anfangen, uns um ihn zu kümmern, und dann – ja so, gnädige Frau, ich vergesse ganz, daß Sie die Frau seines Sohnes sind. Entschuldigen Sie!“
Die junge Frau schwieg, fast bestürzt über diese harte und rücksichtslose Offenheit. Was sie hier vernahm, war freilich nichts Anderes, als was sie schon hin und wieder, wenn auch nur andeutungsweise, über ihren Schwiegervater gehört hatte, aber die furchtbare Bitterkeit in jenen Worten zeigte ihr mit einem Blick die ganze Tiefe der Kluft, die er zwischen sich und seinen Untergebenen aufgerissen. Wer Berkow anklagte, konnte im voraus der Sympathie seiner Schwiegertochter gewiß sein; sie hatte selbst den bittersten Beweis von der Gewissenlosigkeit dieses Mannes erhalten, aber freilich, die Gattin seines Sohnes durfte das mit keiner Miene verrathen; sie mußte die Bemerkung zum Mindesten nicht gehört haben, wenn sie dieselbe nicht rügen wollte, und Eugenie zog das Erstere vor.
„Also sie wollen durchaus kein Zeichen der Erkenntlichkeit, auch aus meinen Händen nicht?“ nahm sie, rasch von dem gefährlichen Thema ablenkend, das frühere Gespräch wieder auf. „Nun denn, so bleibt mir nur übrig, dem Manne, dessen Hand mich dem sichern Tode entriß, meinen Dank zu sagen. Werden Sie auch das zurückweisen? Ich danke Ihnen, Hartmann!“
Sie reichte ihm die Hand. Es waren nur wenige Secunden, während welcher diese Hand, weiß und zart wie ein Blumenblatt, in der rauhen, hartgearbeiteten Faust des jungen Bergmanns lag, aber die leichte Berührung schien ihn seltsam zu durchzucken. Die ganze Bitterkeit verschwand aus seinen Zügen, die Düsterheit aus dem Blicke; das trotzige Haupt beugte sich, mit ihm der starre Nacken, und er neigte sich über die dargebotene Hand mit einem Ausdrucke von Milde und Nachgiebigkeit, wie kein über ihm Stehender sich rühmen konnte, sie jemals an Ulrich Hartmann gesehen zu haben.
„Ah, Sie geben hier Audienz, Eugenie, und noch dazu einem unserer Leute?“ tönte Berkow’s Stimme hinter ihnen, der in diesem Augenblicke die Thür öffnete und in Begleitung seines Sohnes eintrat. Eugenie zog die Hand zurück, und Ulrich richtete sich rasch empor, es hatte nur dieser Stimme bedurft, um seiner Haltung wieder ganz die stumme Feindseligkeit zu geben, die sie sonst so bedeutsam charakterisirte und die noch mehr hervortrat, als Arthur mit einer Schärfe, die eigenthümlich mit seinem sonstigen matten Tone contrastirte, auf einmal fragte:
„Hartmann, wie kommen Sie hierher?“
„Hartmann?“ wiederholte Berkow, aufmerksam gemacht durch den Namen, und trat einen Schritt näher. „Ah, da haben wir ja den Herrn Agitator, der –“
„Der unsere scheu gewordenen Pferde bändigte und dabei selbst eine Wunde davontrug, während er uns das Leben rettete!“ unterbrach ihn Eugenie ruhig, aber mit vollster Entschiedenheit.
„Ja so!“ sagte Berkow, ebenso sehr aus der Fassung gebracht durch diese Erinnerung, wie durch den sehr bestimmten Ton seiner Schwiegertochter. „Ja freilich! Ich hörte bereits davon und der Director sagte mir auch, daß sie und Arthur bereits erkenntlich dafür gewesen wären. Der junge Mann ist jedenfalls hier, um seinen Dank für das Geschenk auszusprechen. Sie waren also zufrieden, Hartmann?“
Die Wolke auf Ulrich’s Stirn ballte sich wieder drohend zusammen und die Entgegnung, welche auf seinen Lippen schwebte, hätte diesmal wahrscheinlich die schwersten Folgen auf ihn herabgezogen, aber Eugenie war ihrem Schützlinge beschwichtigend näher getreten und berührte leise warnend mit dem Fächer seinen Arm. Er verstand die Warnung; er sah sie an, sah den Ausdruck unverhehlter Besorgniß in ihrem Auge, und Trotz und Haß sanken wieder machtlos nieder, als er ruhig, fast kalt entgegnete: „Gewiß, Herr Berkow! Ich bin zufrieden mit dem Danke der gnädigen Frau.“
„Das freut mich!“ sagte Berkow kurz abbrechend. Ulrich wandte sich zu Eugenie.
„Ich darf jetzt wohl gehen, gnädige Frau?“
Sie neigte in stummer Einwilligung das Haupt. Sie sah es nur zu gut, mit welcher Gewalt sich der trotzige Mann hier zur Ruhe zwang; noch ein Gruß gegen den Chef und seinen Sohn hin, ein Gruß, dem man das widerwillig Gezwungene ansah, und er verließ das Gemach.
„Nun, das muß man gestehen, Eugenie, viel Lebensart besitzt Ihr Schützling nicht!“ bemerkte Berkow höhnisch. „Er verabschiedet sich sans façon, ohne zu warten, bis man ihn beurlaubt. Freilich, wo sollen solche Leute auch Manier lernen! – Arthur, Du scheinst diesen Hartmann für eine ganz besondere Merkwürdigkeit zu halten! Hast Du ihm nun lange genug nachgesehen?“
Arthur hatte in der That dem sich Entfernenden unverwandt nachgeblickt und sah noch jetzt ebenso unverwandt auf die Thür, die sich hinter Jenem geschlossen. Die Augenbrauen des jungen Mannes waren leicht zusammengezogen, die Lippen fest auf einander gepreßt. Erst auf die Frage des Vaters hin wendete er sich um.
Dieser näherte sich mit großer Artigkeit seiner Schwiegertochter. „Ich bedaure, Eugenie, daß Ihre völlige Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse sie in der Herablassung zu weit gehen ließ. Sie konnten natürlich keine Ahnung davon haben, welche Rolle grade dieser Mensch unter seinen Cameraden spielt, aber er durfte auf keinen Fall in’s Haus kommen, am wenigsten Ihren Salon betreten, selbst unter dem Vorwande eines Dankes für empfangene Geschenke nicht.“
Die junge Frau hatte sich niedergelassen, aber ihr Antlitz trug wieder völlig jenen Ausdruck, der es ihrem Schwiegervater rathsam erscheinen ließ, nicht, wie er anfangs beabsichtigte, an ihrer Seite Platz zu nehmen, sondern ihr gegenüber zu bleiben; sie schien ihn in der That zu zwingen, sie gleichfalls nur „aus der Ferne zu bewundern“.
„Man hat Ihnen, wie ich sehe, nur die Hälfte der fraglichen Angelegenheit mitgetheilt,“ erwiderte sie kühl. „Darf ich fragen, wann sie den Herrn Director zuletzt gesprochen haben?“
„Heute Morgen, wo ich von ihm erfuhr, daß er beauftragt sei, noch im Laufe des Vormittags dem Hartmann eine Summe zu übermitteln, die ich, beiläufig gesagt, viel zu groß finde. Das ist ja ein Vermögen für solche Leute! Indessen ich mochte Ihnen und Arthur darüber keine Vorschriften machen, wenn Sie nun einmal glauben, in dieser übertriebenen Art erkenntlich sein zu müssen.“
„Also wissen Sie noch nicht, daß der junge Mann die ganze Summe ausgeschlagen hat?“
„Aus – ausgeschlagen?“ rief Berkow zurückprallend.
„Ausgeschlagen?“ wiederholte auch Arthur, „weshalb?“
„Vermuthlich weil es ihn beleidigte, durch einen Dritten mit einer Geldsumme abgefunden zu werden, während die, welche er rettete, es nicht der Mühe werth hielten, auch nur ein Wort des Dankes hinzuzufügen. Ich habe die letztere Versäumniß allerdings wieder gut zu machen gesucht, konnte ihn aber nicht bewegen, auch nur das Geringste anzunehmen. Es scheint doch nicht, als ob der Director das so ‚ausgezeichnet arrangirt hätte‘!“
Arthur biß sich auf die Lippen. Er wußte, an welche Adresse die Worte gerichtet waren, obgleich sie zu seinem Vater gesprochen wurden.
„Es scheint also, Du hast ihn eigens herrufen lassen?“ fragte er.
„Allerdings!“
„Ich wollte, sie hätten das unterlassen!“ sagte Berkow etwas gereizt. „Gerade dieser Hartmann wird mir von allen Seiten als das eigentlich revolutionäre Element unter den Arbeitern bezeichnet, gegen das ich eben im Begriffe bin, mit vollster Strenge vorzugehen. Daß man mir nicht zuviel gesagt hat, sehe ich jetzt deutlich! Untersteht sich dieser Mensch, eine solche Summe auszuschlagen, nur weil man bei der Auszahlung nicht mit all der übertriebenen Umständlichkeit zu Werke geht, die sein Hochmuth verlangt! Ja freilich, der ist zu allem fähig. Ich muß sie doch daran erinnern, Eugenie, daß meine Schwiegertochter gewisse Rücksichten zu nehmen hat, selbst da, wo es sich um einen Beweis ihrer Güte handelt.“
Um Eugeniens stolze Lippen legte sich wieder jener verächtliche Ausdruck, mit dem sie ihrem Schwiegervater schon öfter entgegengetreten war. Die Erinnerung an das, wozu er sie gezwungen, war freilich am wenigsten geeignet, sie seinen Wünschen geneigt zu machen, und die bei dieser Erinnerung neu aufflammende Bitterkeit ließ sie sogar das ursprünglich Gerechte in seiner Forderung übersehen.
„Ich bedaure, Herr Berkow, daß mir denn doch noch einige andere Rücksichten maßgebend sind, als nur die, Ihre Schwiegertochter zu heißen!“ entgegnete sie eisig. „Es lag hier ein Ausnahmefall vor und Sie werden mir erlauben, auch künftig in solchen Fällen mein eigenes Urtheil zur alleinigen Richtschnur meines Handelns zu machen.
Es war wieder Baroneß Windeg in jedem Zoll, die den bürgerlichen Millionär in seine Schranken zurückwies, aber, ob der Anlaß des Streites diesen zu sehr gereizt hatte, oder ob der beim Diner reichlich geflossene Wein nicht ganz ohne Wirkung geblieben war, er zeigte diesmal nicht den sonst unbedingt beobachteten Respect, sondern erwiderte ziemlich erregt:
„Wirklich? Nun, dann möchte ich Sie doch bitten zu bedenken –“ Weiter kam er nicht, denn Arthur, der sich bisher theilnahmlos im Hintergrunde gehalten, stand auf einmal an der Seite seiner Frau und sagte ruhig:
„Vor allen Dingen möchte ich Dich bitten, Papa, diesen unerquicklichen Streit ruhen zu lassen. Ich habe Eugenien bisher die vollste Freiheit des Handelns gelassen, und ich wünsche nicht, daß sie von irgend Jemand darin beschränkt wird.“
Berkow sah seinen Sohn an, als habe er nicht recht gehört; er war gewohnt, daß Arthur alle wichtigen und unwichtigen Scenen mit derselben passiven Gleichgültigkeit an sich vorübergehen ließ, und die plötzliche Einmischung desselben befremdete ihn daher ebenso sehr, wie seine offene Parteinahme.
„Du scheinst ja heute ganz und gar in der Oppositionslaune zu sein!“ spottete er. „Vor diesem vereinten Widerstande werde ich wohl die Flucht nehmen müssen, umsomehr, da ich noch einiges Geschäftliche zu erledigen habe. Ich hoffe, Sie morgen etwas weniger streitsüchtig zu finden, Eugenie, und meinen Herrn Sohn etwas lenksamer, als er den ganzen Tag über gewesen ist. Ich wünsche Euch einen guten Abend!“ –
Berkow hatte, als er mit unterdrücktem Aerger den Salon verließ, wohl keine Ahnung davon, daß er durch seinen plötzlichen und heftigen Aufbruch die beiden Zurückbleibenden in eine Verlegenheit brachte, in welche sie seit dem Abende ihrer Ankunft noch nicht wieder gekommen waren, in die Verlegenheit nämlich, allein mit einander zu sein. Sie hatten sich seitdem nur immer im Beisein Fremder oder bei Tische in Gegenwart der Dienerschaft gesehen, und dieses unerwartete tête-à-tête schien Beiden gleich unwillkommen. Arthur mochte doch wohl fühlen, daß er seinem Vater nicht so auf dem Fuße folgen konnte, ohne vorher wenigstens einige Worte an seine Gattin zu richten, aber es vergingen mehrere Secunden, ehe er sich dazu entschloß, und als es endlich geschah, kam Eugenie ihm zuvor.
„Es war nicht nöthig, daß Du mir zu Hülfe kamst!“ sagte sie kalt. „Ich hätte meine Selbstständigkeit Deinem Vater gegenüber wohl auch allein behauptet.“
„Ich zweifle nicht im Geringsten an Deiner Selbstständigkeit!“ gab Arthur in dem gleichen kühlen Tone zurück, „aber ich zweifle an dem Zartgefühl meines Vaters, gewissen Dingen gegenüber. Er stand im Begriff eine Erinnerung auszusprechen, die ich Dir und mir denn doch zu ersparen wünschte. Das war der alleinige Grund meiner Einmischung.“
Die junge Frau schwieg und lehnte sich in ihren Sessel zurück, während ihr Gatte, der am Tische stand, den dort liegenden Fächer ergriff und mit anscheinender Aufmerksamkeit die Arabesken desselben studirte. Es trat eine zweite noch unbehaglichere Pause ein, bis er endlich wieder das Wort nahm.
„Was übrigens die Angelegenheit des Hartmann betrifft, so bewundere ich aufrichtig die Selbstverleugnung, die Du dabei entwickelst. Dir grade müssen doch solche Kreise und solche Persönlichkeiten im höchsten Grade antipathisch sein.“
Eugenie schlug das große Auge voll und finster auf. „Mir ist nur die Schwäche und die Gemeinheit antipathisch, sonst nichts! Ich achte Jeden, der voll und energisch seinen Platz im Leben ausfüllt, gleichviel ob es oben auf der Höhe oder unten im Thale geschieht!“
Es war ein harter Klang in ihrer Stimme. Arthur’s Hand spielte noch immer achtlos mit dem Fächer, aber es lag etwas Nervöses in diesem Spiel und in dem leichten Zittern seiner Lippen. Er war leise zusammengezuckt, als sie von der „Schwäche“ und der „Gemeinheit“ sprach, obgleich sein Antlitz noch immer die vollkommenste Gleichgültigkeit zeigte.
„Eine sehr erhabene Anschauung!“ sagte er nachlässig. „Nur würde sie, fürchte ich, einige Aenderung erleiden, wenn Du in näherer Berührung mit dem wilden rohen Wesen kämst, das gewöhnlich unten im Thale herrscht.“
„Dieser junge Bergmann gehört aber nicht zu den blos Gewöhnlichen!“ erklärte Eugenie sehr entschieden. „Er mag wild und unbändig sein, wie eine Naturkraft, die zur Gefahr werden kann, wenn sie nicht in die rechte Bahn gelenkt wird – roh habe ich ihn nicht gefunden.“
Ihr Ton hatte unwillkürlich einige Wärme angenommen. In Arthur’s Auge zeigte sich wieder das eigenthümliche, halb verschleierte Aufglimmen, als er es jetzt auf sie richtete.
„Du scheinst ja bereits eine ganz wunderbare Macht über diese ‚wilde ungebändigte Naturkraft‘ auszuüben! Sie war im Begriff meinem Vater gegenüber in etwas ungeziemender Weise hervorzubrechen. Du hobst nur den Fächer, und der gereizte Löwe wurde sanft wie ein Lamm.“ Die schlanke weiße Hand des jungen Mannes drückte hier selbst den besprochenen Fächer so heftig zusammen, daß das kostbare Spielzeug in ernstliche Gefahr gerieth, während er spottend fortfuhr: „Und wie ritterlich er sich über Deine Hand hinneigte. Wären wir nicht dazu gekommen, ich glaube, er hätte, trotz des besten Cavaliers, einen Handkuß versucht!“
Mit einer heftigen Bewegung erhob sich Eugenie. „Ich fürchte, Arthur, dieser Mann wird Dir und Deinem Vater noch einmal etwas Anderes abzwingen, als bloßen Spott, und ich weiß nicht, ob der Letztere gerade wohl daran thut, seine Untergebenen in eine immer schärfere Opposition hineinzutreiben; die Folgen könnten einst auf ihn selbst zurückfallen.“
Ihr Gatte sah sie noch immer unverwandt an, während sie so vor ihm stand, und ihm waren doch dieses rauschende Seidengewand, dieser Spitzenduft mit den eingestreuten Rosen und dieser Perlenglanz nichts Neues mehr, so wenig wie das schöne blonde Haupt, mit den stolzen Zügen und den dunklen, jetzt in Entrüstung funkelnden Augen. Vielleicht war ihm die lebhafte Parteinahme neu, die sie für ihren Schützling zeigte. Er behielt noch den nachlässig-höhnischen Ton bei, den er während des ganzen Gespräches festgehalten, aber es barg sich dahinter etwas wie wühlende Gereiztheit, und der Fächer hatte entschiedenes Unglück in seinen Händen; das zarte, kunstvoll geschnitzte Elfenbein war zerbrochen, als er es auf den Fauteuil mehr schleuderte als warf.
„Unser ‚Lebensretter‘ hat Dir wohl eine sociale Vorlesung gehalten? Ich bedaure, derselben verlustig gegangen zu sein, aber eine Merkwürdigkeit ist dieser Hartmann jedenfalls. Er brachte zu Stande, was bisher noch keinem anderen Gegenstande möglich war, er veranlaßte uns zu einer lebhaften Unterhaltung. Aber das Interesse an diesem Thema dürfte sich nun auch wohl erschöpft haben. Meinst Du nicht?“
Das Erscheinen des Dieners, der mit einer Meldung eintrat, machte jetzt dem Gespräche ein Ende. Arthur benutzte sofort diesen Vorwand zu seiner Entfernung; er verabschiedete sich von seiner Gattin so kalt und ceremoniös, wie gewöhnlich der Verkehr zwischen ihnen war. Eugenie sah sich, nachdem auch der Diener gegangen, kaum allein, als sie in mühsam unterdrückter Erregung im Zimmer auf und ab zu schreiten begann. Sie war empört über die Kälte und Herzlosigkeit, die man gegen Ulrich’s That zeigte, aber das war es nicht allein, was ihren Schritt so heftig machte und ihr die Röthe des Zornes in die Wangen trieb.
Warum konnte sie ihrem Gatten nie mit der vollen Verachtung entgegentreten, die ihr doch seinem Vater gegenüber so leicht wurde? War er etwa Besseres werth? Es lag in dieser grenzenlosen Indolenz Arthur’s Etwas, das jeden Schlag parirte und ihm in manchen Augenblicken sogar ein geheimes Uebergewicht über die stolze, leidenschaftliche Frau gab, die sich nur zu oft von ihrem Temperamente hinreißen ließ. Er war der tief Gedemüthigte gewesen an jenem Abende, wo sie ihm mit so vernichtender Offenheit die Wahrheit enthüllte; er war der im schwersten Unrecht Befindliche heute, wo sie ihm zeigte, wie falsch er seinen und ihren Retter beurtheilt, und beide Male hatte er ihr in einer Art gegenübergestanden, die sich nicht ohne Weiteres mit Verachtung abthun und niederschmettern ließ. Sie wollte das nicht anerkennen und sie wollte es sich auch nicht eingestehen, wie es sie verletzte, daß er seit jener Erklärung zwischen ihnen nicht den leisesten Versuch mehr gemacht hatte, das wahrhaft eisige Verhältniß auch nur mit einem Worte zu mildern. Freilich hätte sie jeden solchen Versuch mit dem verächtlichsten Stolze zurückgewiesen, der ihr nur zu Gebote stand, aber daß sie gar nicht in den Fall kam, dies zu thun, daß er sich nie die Mühe nahm, auch nur einen Schritt über das hinauszugehen, was die Convenienz verlangte, das reizte sie wider ihren Willen. Eugenie pflegte sonst schnell fertig zu sein mit ihrer Liebe wie mit ihrem Haß, und dem Gatten gegenüber war ihre Empfindung entschieden, noch ehe sie ihm die Hand reichte – aber es ließ sich auf ihn nun einmal nicht aus so unerreichbarer Höhe niedersehen, wie auf seinen Vater. Die junge Frau fühlte das dunkel, wenn sie sich auch keine Rechenschaft darüber geben konnte, wodurch er dieses Gefühl erzwang.
Arthur war eben im Begriff, den Corridor zu durchschreiten, als er dem Director und dem Ober-Ingenieur begegnete, die beide, noch durch eine Besprechung mit Berkow zurückgehalten, erst jetzt im Begriff standen, das Haus zu verlassen; der junge Berkow blieb plötzlich stehen.
„Darf ich fragen, Herr Director, weshalb die Weigerung Hartmann’s, die ihm ausgesetzte Summe anzunehmen, zuerst und allein der gnädigen Frau gemeldet wurde, während ich kein Wort davon erfuhr?“ fragte er scharf.
„Mein Gott!“ sagte der Director etwas verlegen, „ich wußte nicht, daß Sie irgend welchen Werth darauf legten, Herr Berkow. Sie lehnten jedes persönliche Eingehen in diese Angelegenheit so entschieden ab, während die gnädige Frau von Anfang an ein so großes Interesse dafür kund gab, daß ich mich verpflichtet glaubte –“
„So?“ unterbrach ihn Arthur, wieder mit dem leichten, nervösen Zucken seiner Lippen, „nun, die Wünsche der gnädigen Frau müssen allerdings befolgt werden, aber ich möchte Sie denn doch ersuchen, mich bei dergleichen Geschäftsangelegenheiten,“ er legte einen Nachdruck auf das letzte Wort, „nicht so völlig zu übergehen, wie es diesmal der Fall war. Ich wünsche in Zukunft gleichfalls und zuerst davon unterrichtet zu werden, ich bitte Sie ganz entschieden darum.“
Damit ließ er den verblüfften Beamten stehen und ging in seine Zimmer hinüber. Der Director sah seinen Collegen an. „Was sagen Sie dazu?“
Der Ober-Ingenieur lachte: „Es geschehen Zeichen und Wunder! Herr Arthur fängt an, sich um Geschäftssachen zu kümmern! Herr Arthur verlangt ‚ganz entschieden‘ etwas! Das ist allerdings noch nicht dagewesen, so lange ich ihn kenne.“
„Aber dies ist ja ganz und gar keine Geschäftsangelegenheit!“ rief der Director ärgerlich. „Es ist eine reine Privatsache, und ich kann mir auch denken, wie die Geschichte zusammenhängt. Hartmann wird sich der gnädigen Frau gegenüber wohl wieder in seiner bekannten liebenswürdigen Art benommen haben. Ich fand es gleich bedenklich, daß sie ihn rufen lassen wollte – der mit seiner Unbändigkeit und Rücksichtslosigkeit im Salon! Er ist im Stande gewesen, ihr in’s Gesicht zu sagen, was er mir heut Morgen auf dem Bureau sagte: er brauche keine Bezahlung und habe sein Leben nicht für Geld in die Schanze geschlagen. gnädige Frau wird empört darüber sein und der junge Herr gleichfalls, und von Herrn Berkow werde ich auch wohl Artigkeiten anzuhören bekommen, weil ich diese Audienz überhaupt zugelassen habe.“
„Nun, es wäre das erste Mal, daß Herr Arthur über etwas empört ist, was seine junge Frau angeht,“ meinte der College gleichmüthig, während sie zusammen die Treppe hinunterstiegen. „Ich finde, daß die Gletscher-Atmosphäre, die in dieser Ehe herrscht, allmählich anfängt, sich auf die ganze Umgebung auszudehnen. Man spürt die Eisregion, sobald man nur in ihre Nähe kommt. Meinen Sie das nicht auch?“
„Ich fand, daß Frau Berkow heut hinreißend schön aussah! Sie war allerdings etwas sehr kühl, etwas sehr vornehm, aber doch ganz hinreißend schön!“
Der Ober-Ingenieur machte eine komische Geberde des Entsetzens.
„Um des Himmels willen! Sie fallen ja ganz in den Styl Wilberg’s; gut, daß Sie bereits in den Fünfzigen stehen! Apropos Wilberg! Der schwimmt bereits ganz und gar in romantischer Anbetung, aber ich glaube nicht, daß diese und seine unvermeidlichen Verse höheren Ortes Eifersucht erwecken. Herr Arthur scheint so wenig geneigt, seiner schönen Frau Anbetung zu widmen, als sie, solche anzunehmen. Ich kann mir nicht helfen, es werden ja täglich Convenienzehen geschlossen, aber ich habe bei dieser immer das Gefühl, als könnte sie nicht den gewöhnlichen Verlauf nehmen, als läge unter all dem Gletschereis so etwas wie ein Vulcan verborgen, der eines schönen Tages mit Donner und Blitz losbricht und uns ein Stückchen Erdbeben und ein Stückchen Weltuntergang erleben läßt. Freilich, ‚das wäre doch etwas Poesie in dieser öden Steppe des Alltagslebens!‘ würde Wilberg sagen, vorausgesetzt nämlich, daß die Eruption ihn und seine Guitarre verschont! Aber da sind wir unten. Glück auf, Herr College!“