Читать книгу Ich träum von dir... - Ellen Sommer - Страница 10

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Lille

Chris und ich stiegen von seinem Motorrad. Er hatte die Suzi extra etwas weiter die Straße runter geparkt, damit Oma nicht mitbekam, dass ich bei ihm mitgefahren war. Ich gab ihm den Zweithelm und drehte mich zu Omas Haus um. Es war nicht so ganz klar, ob sie ihn reinlassen würde, immerhin waren die Zusammentreffen der beiden bisher nicht besonders prickelnd verlaufen. Chris sagte nichts, als ich meinen Schlüssel aus der Jackentasche zog und die Haustür aufschloss: „Hallo Oma, ich bin wieder da!“, rief ich. Keine Reaktion. Komisch, es roch auch nicht nach Mittagessen. War sie ausgerechnet heute nicht da, wo Chris dabei war? Sie war doch sonst immer da, wenn ich mittags aus der Schule kam. Wir gingen in die Küche. Dort sah alles noch so aus wie heute Morgen. Nur der Frühstückstisch war abgedeckt. „Seltsam“, murmelte ich und suchte nach einer Nachricht auf dem Küchentresen. Wenn sie weggefahren wäre, hätte sie mir doch einen Zettel hinterlassen. „Sie scheint nicht da zu sein“, stellte Chris fest und zog mich kurz an sich, um mir einen Kuss zu geben. Für einen Moment lenkte er mich damit ab, aber irgendwie hatte ich eine komische Vorahnung. „Chris, ich habe so ein mulmiges Gefühl…“, flüsterte ich. Ich weiß nicht, warum mir plötzlich die Stimme wegblieb. Ich zog ihn ins Wohnzimmer, auch dort war sie nicht. Als nächstes schaute ich in ihrem Schlafzimmer nach. Chris blieb derweil im Flur stehen. Dort hing auch noch ihre Jacke. „Vielleicht ist sie im Garten?“ Wir gingen durch die Hintertür raus. „Oma?“ – es kam keine Antwort. „Ihr wird doch nichts passiert sein?“ Chris zuckte mit den Schultern und legte seinen Arm um mich: „Hat sie ein Büro, oder so?“ Ja, hatte sie, aber sie hatte mir beim Einzug strengstens verboten, hineinzugehen, wenn sie nicht da war. Tja, jetzt war sie offensichtlich nicht zu Hause oder sie war genau dort und hatte uns nicht gehört. „Ja, dort können wir noch nach ihr suchen.“ Wir gingen wieder rein. Auf der Kommode im Flur sah ich jetzt ihr Handy, es war mir vorhin gar nicht aufgefallen. Anrufen fiel also auch flach. Ich ging mit ihm den Flur runter. Gleich neben der Küche war Omas Arbeitszimmer und ich klopfte vorsichtig an. Keine Antwort. Ich drückte die Klinke herunter und war froh, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Wir traten leise in den Raum und schauten uns um. Er schien leer zu sein. Durchs Fenster kam wenig Licht rein, die Vorhänge waren fast zugezogen. Ich ging durch das Zimmer und zog erst einmal die Vorhänge komplett auf. Jetzt war es schon mal deutlich heller. „Oma?“, rief ich fragend. Auch jetzt kam keine Antwort. Ich ging um das Sofa herum, weil ich dachte, sie schläft vielleicht und hört uns nicht. Doch auch auf dem Sofa lag sie nicht – mein Blick fiel zum Webstuhl in der Nische und dort, vor dem Webstuhl lag Oma auf dem Boden, das Schiffchen noch in der Hand. Ich keuchte erschrocken auf. Chris und ich kamen gleichzeitig bei ihr an und stießen fast zusammen, als wir auf die Knie gingen und nach ihrem Puls fühlen wollten. Dabei berührte ich das Schiffchen. Ein plötzlicher Lichtflash ließ mich zurücktaumeln und auf einmal flackerten Bilder vor meinen Augen auf, ruckartig, wie bei alten schwarz-weiß Filmen aber in grellbunten Farben. Ich schloss die Augen und ließ das Schiffchen fallen. Trotzdem hörte die Bilderflut nicht auf. Da waren Bilder von Oma, mir, meiner Mutter und ganz vielen unbekannten Frauen, die webten und alles Mögliche machten. Und zwischendrin flackerten immer wieder Bilder von Chris auf. Chris, wie er lachte, wie er ernst schaute und wie er mit Motorradkluft auf dem Boden lag. Daneben seine komplett zerstörte Suzi. Ich war entsetzt – wie konnte ich Bilder von Chris Motorradunfall sehen, der vor meinem Einzug bei Oma gewesen war? Ich schrie auf, hoffte, dass die Bilder aufhörten, aber es ging weiter. Ich sah MICH, blass, kalt und mit Verband um den Kopf in einem Krankenhausbett. Die Augen geschlossen, verschiedene Maschinen und Schläuche um mich rum und in meinem Gesicht. Ich schrie noch einmal auf und dann merkte ich, wie plötzlich alles ganz schwarz um mich herum wurde…

Ich träum von dir...

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