Читать книгу Ich träum von dir... - Ellen Sommer - Страница 11
ОглавлениеChris
Jetzt hatte ich ein RIESENPROBLEM! Lilles Oma lag bewusstlos vor dem Teppich, an dem sie gewebt hatte, Lille hielt sich erschrocken die Hände vors Gesicht und schrie aus Leibeskräften. Mir brach der Schweiß aus. Was tun und in welcher Reihenfolge? Als erstes tastete ich nach Omas Puls, stellte fest, dass er zwar schwach, aber regelmäßig war und damit hatte sich für mich erübrigt, zu schauen, ob sie atmete. Ich drehte sie in die stabile Seitenlage und hoffte, dass sie durchhielt, bis der Krankenwagen kam. Als nächstes rannte ich in den Flur und schloss die Tür zum Arbeitszimmer. Mit der im Hintergrund hysterisch kreischenden Lille hätte mich in der Rettungszentrale sonst niemand gehört. Gut, der Krankenwagen war also angeleiert. Sicherheitshalber machte ich auch die Haustür auf und ging zurück ins Arbeitszimmer, um mich um Lille zu kümmern. Diese schrie derweil nicht mehr, sondern lag in sich zusammengesackt neben Oma. Na bravo, jetzt war sie auch noch ohnmächtig geworden! Ich hob sie hoch und legte sie aufs Sofa. Ich strich ihre Haare aus dem Gesicht und ging nach nebenan in die Küche, um ein Geschirrhandtuch nass zu machen. Dieses legte ich auf ihre Stirn und streichelte ihre Wangen. „Lille, wach auf, alles wird gut!“, wiederholte ich gebetsmühlenartig und hoffte, dass tatsächlich alles gut würde. So ein Pech, dass Oma ausgerechnet heute schlappmachte, wo ich sie endlich zu meinem Unfall und dem Mädchen im Koma befragen wollte. Ich hätte am liebsten geschrien vor Wut. Noch viel lieber hätte ich jetzt gerne etwas kurz und klein geschlagen. Stattdessen saß ich neben Lille, versuchte sie zu wecken und wartete wieder auf einen Krankenwagen. Diesmal kamen sie deutlich schneller als neulich bei meiner Tante. Es war zum Glück nicht das gleiche Team und ich atmete erst einmal erleichtert auf, als sie mich zu der Situation hier befragten. „Lille und ich kamen nach der Schule hier an und haben ihre Oma vor dem Webstuhl bewusstlos aufgefunden“, erklärte ich einigermaßen schlicht und gefasst. „Dann hat Lille einen hysterischen Anfall bekommen und ist selber aus den Latschen gekippt.“ OK, das war jetzt nicht besonders sachlich, aber wer konnte mir das verübeln? Meine Freundin lag hier ohnmächtig auf der Couch und ich machte mir langsam richtig Sorgen. Die Sanitäter kümmerten sich als Erstes um Oma, die ja schon länger dalag und baten mich, Lille zur Seite zu rollen, sodass sie auch in einer stabilen Seitenlage lag, bis sie sich auch um sie kümmern konnten. Oma war schnell auf eine Liege verfrachtet – sie war ja relativ klein und zierlich. Bei Lille wurde der Blutdruck gemessen und sie verzog schmerzvoll ihr Gesicht. Ich war heilfroh, dass sie reagierte und ihre Augen aufschlug und mich ansah. „Chris“, flüsterte sie. Ich nahm ihre Hand und drückte sie. „Ich bin da, Lille.“ „Was machen wir mit Oma?“, fragte sie als nächstes. Der Sanitäter drängte sich zwischen uns. „Hallo Lille, ihre Oma nehmen wir mit ins Krankenhaus und lassen sie dort durchchecken. Ich bin aber sicher, dass es nichts Ernstes ist, das EKG ist nämlich völlig in Ordnung. Also ein Herzinfarkt scheidet schon einmal aus, aber sicher ist sicher.“ Lille nickte und versuchte, sich aufzusetzen. Dabei schien es ihr aber schwindelig zu werden und sie ließ sich wieder aufs Sofa fallen. „Chris, könntest du mir bitte was zu trinken bringen?“, fragte sie tonlos. Ich sprang auf und holte ihr ein Glas Leitungswasser. Der Sanitäter war mit Lilles Blutdruck ganz zufrieden und half ihr beim Aufsetzen. Diesmal klappte es gleich besser und sie trank etwas. „Ich würde gerne mit Oma ins Krankenhaus fahren. Nehmen Sie mich mit?“ „Das lässt sich einrichten“, erwiderte der Rettungsassistent und wollte Lille aufhelfen. Das passte mir aber gar nicht. Ich legte meinen Arm um sie und half ihr beim Aufstehen. Zusammen gingen wir zum Rettungswagen und ich wollte mit ihr einsteigen. „Es tut mir leid, Herr Berg, aber wir können nur eine Begleitperson mitnehmen“, sagte der Rettungsassistent und schob mich zur Seite. Das gefiel mir jetzt gar nicht und ich merkte, wie Lille sich anspannte, weil sie dachte, ich würde jetzt überreagieren. Ich wollte nicht, dass sie Stress hatte und nickte ihr kurz zu: „Dann fahr ich hinter euch her und wir treffen uns im Krankenhaus. Fahren Sie ins Bethesda?“ Der Rettungsassistent nickte und ging an die Hecktür. Ich drückte ihr noch kurz einen Kuss auf den Mund, bevor ich mich umdrehte und zur Suzi ging. Sollte der Typ sehen, dass sie meine Freundin und nicht nur irgendeine Schulkameradin war, damit der Gute gar nicht auf blöde Gedanken kam. Obwohl ich wusste, dass das jetzt kindisch war, gab es mir ein Gefühl der Genugtuung, weil ich ja nicht mitfahren durfte. Ich versuchte gar nicht erst, hinter ihnen herzufahren, mit Blaulicht und Martinshorn hatten sie ja auf jeden Fall Vorfahrt und waren schneller. Von Unfällen hatte ich schlichtweg für die nächsten Jahre die Nase voll! Stattdessen sah ich zu, dass ich den kürzesten Weg zum Bethesda nahm und lief gleich durch zur Notaufnahme, wo ich Lille im Wartezimmer auf und abgehen sah. „Zum Glück muss ich jetzt nicht auch durchgecheckt werden“, rief sie mir entgegen. Sie sah deutlich fitter aus, als vorhin auf der Couch. „Chris, meinst du, es wird wirklich alles gut?“ Ich nickte, auch wenn ich mir nicht so sicher war, aber ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen machte als sowieso schon. „Du hast bestimmt gedacht, ich wäre total hysterisch wegen Oma, oder?“, fragte Lille als sie kurz mit dem Gerenne aufhörte. Ich fragte mich, wieso sie sich nicht einfach nur hinsetzen konnte und die Blicke, die die anderen im Wartezimmer uns zuwarfen, zeigten dieselbe Frage. „Ich bin viel zu hibbelig, Chris, denn ich frage mich die ganze Zeit, was Oma da für einen komischen Teppich daheim hat.“ Ich horchte auf. „Wieso „komischer Teppich“?“, wollte ich von ihr wissen. Ich verstand nur Bahnhof. Sie blieb kurz vor mir stehen und sagte dann: „Das kann ich dir hier nicht erklären, Chris.“ Na toll, jetzt wurde ich auch ganz hibbelig. „Lille Dechamps, wer ist Lille Dechamps?“, hörten wir da eine Stimme von der Empfangstheke. „Hier, das bin ich“, sagte Lille schüchtern und wurde kurz ganz blass. „Ihre Oma ist wieder wach und möchte Sie sehen. Kommen Sie bitte mit.“ Es war klar, dass ich nicht gefragt war und ich blieb im Wartezimmer zurück. Ich warf mich auf einen der Hartschalensitze und wartete eine gefühlte Ewigkeit bis Lille wieder zurückkam. Wie oft ich hier wegen meiner Tante gesessen hatte, wollte ich jetzt gar nicht genau wissen. Das letzte Mal war gerade mal drei Wochen her, als ihr brutaler Lover sie krankenhausreif geschlagen hatte. DARAN wollte ich jetzt aber nicht denken, ich hatte jetzt eh schon genug am Hals und lenkte meine Gedanken bewusst auf Lille. „Lass uns hier verschwinden!“, rief sie mir schon von der Schwingtür zu und ich sprang auf. Ich war mehr als froh, diesem trostlosen Ort zu entkommen. Wir gingen raus in den Regen und Lille guckte an ihrer Daunenjacke runter. „Na toll, die krieg ich bis morgen nie trocken…“ Ich zuckte mit den Schultern. Meine Lederjacke wäre auch nicht besser dran, aber was soll´s? „Fahren wir zu mir oder zu dir?“, fragte ich sie mit einem Augenzwinkern. Lille wurde rot und lächelte mich dann kurz an: „Heute lieber zu mir, denn ich muss noch ein paar Sachen für Oma holen und ihr ins Krankenhaus zurückbringen.“ Ich fuhr sie heim und wartete, bis sie alles für Oma zusammen hatte. Sie war so schlau, die Kleidung in eine Plastiktüte zu wickeln und sie dann erst in den Rucksack zu tun. Mittlerweile waren wir beide mehr als nass und ich hatte einen Mordshunger. Wir blieben nicht lang bei ihr, ich konnte verstehen, dass sie den Kram so schnell wie möglich zu ihrer Oma ins Krankenhaus bringen wollte. „Wie wäre es, wenn du dich umziehst und wir rufen Jack an, ob der dich ins Krankenhaus zurückfahren kann? Du holst dir ja sonst was, wenn du so nass hin- und herfahren musst.“ Lille guckte mich an, als hätte ich spanisch gesprochen: „Und du? Du bist ja auch klatschnass.“ „Aber nur meine Hose und ich bin hart im Nehmen.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und ein Lächeln umspielte ihr Gesicht. „Ich werde nachher einfach ein heißes Bad nehmen und einen Tee trinken“, klärte sie mich auf. Im nächsten Moment hatte ich ein ziemlich heißes Bild vor mir: Lille in einem Berg von Schaum und ich mit ihr in der Wanne… Ich merkte, wie mir so richtig warm wurde und trat einen Schritt auf sie zu. „Gegen ein heißes Bad hätte ich rein gar nichts einzuwenden“, raunte ich ihr mit belegter Stimme zu. Wieso musste ich jetzt plötzlich so einen trockenen Hals haben? Lille schaute zu mir hoch und ich sah, wie in ihr das Bild entstand, an das ich gerade gedacht habe. Lille wurde ganz rot und räusperte sich „Ähm, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre…Oma würde im Dreieck springen, wenn sie wüsste, dass du jetzt hier mit mir alleine in ihrem Haus stehst und mir so einen Vorschlag machst…“ „Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, sag ich mir!“ und ich ging noch einen Schritt auf sie zu. Sie ließ sich von mir in den Arm nehmen und ich hatte die Hoffnung, dass sie sich auf meinen Vorschlag einlassen würde. Ich küsste sie und merkte, wie mich die nassen Sachen jetzt auf einen Schlag ziemlich nervten und versuchte, ihr beim Ausziehen zu helfen. „Chris, Stopp! Das geht nicht!“, rief sie mir im nächsten Moment zu und ich sah meine Felle davon schwimmen. Ach, ja, die vergessene Pille stand immer noch zwischen uns. So ein Pech aber auch. Ich küsste sie noch mal kurz und zog mich dann zurück. „Hab ich ganz vergessen…“ Sie schaute ganz schuldbewusst und nickte: „Sorry!“ Und dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen ganz sanften Kuss. Ich merkte, dass ich immer noch ganz scharf auf sie war und versuchte den Kuss etwas zu verlängern. Aber Lille trat jetzt einen Schritt zurück und griff nach ihrem Rucksack: „Chris, ich muss zurück ins Krankenhaus. Oma hat gesagt, ich darf mit einem Taxi fahren, also müssen wir Jack nicht bemühen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das kann Jack ruhig mal für dich tun. Immerhin ist er der Einzige in der Clique mit eigenem Auto und so wie er mit dem Teil immer angibt, kann er ruhig mal vorbeikommen und dich ins Krankenhaus fahren. Ist ja nicht so, dass er nach Köln oder sonst wohin muss. Dann sparst du dir das Taxigeld. Wobei ich dich eigentlich viel lieber selbst fahren würde.“ Und damit hatte ich sie. Sie wollte nicht, dass ich, so nass, wie ich war, noch zweimal durch den Regen fahren musste und schickte mich heim. Ich wartete aber natürlich noch mit ihr auf Jack, der keine fünf Minuten später vor dem Haus hielt. Sie hatte sich noch kurz umgezogen, allerdings hatte sie mich nicht mit ins Bad gelassen. Das fand ich sehr bedauerlich. Jack brummte nur kurz, als ich mich bei ihm bedankte, dass er Lille hin und her kutschierte und ich schwang mich auf die Suzi. Der Nachmittag ging schon in den Abend über, als ich zu Hause ankam und mich dann doch noch an die Hausaufgaben machte. Viel zu gerne wäre ich noch mal zu Lille gefahren, zumal wir jetzt ja auch bei ihr sturmfrei hatten, aber draußen goss es wie aus Eimern und ich war mir sicher, dass sie als die „Vorzeigeenkelin“ sowieso nicht so erpicht darauf war, dass ich noch mal vorbeikam…