Читать книгу Game on! - Elmar Paulke - Страница 12
Präzision vs. Party
ОглавлениеFür den Zuschauer ist die Faszination Darts ein Mix aus verschiedenen Komponenten: Sport, Party, Fußballgesänge, Genauigkeit, Verkleidung und ein nicht unwesentlicher Teil Ausgelassenheit und Selbstironie. Das macht übrigens auch den Reiz aus, solch einen Wettkampf im Fernsehen zu kommentieren. Auch wenn an allererster Stelle immer der Sport stehen muss: Du kannst und darfst den Rhythmus dieser Veranstaltung leben. Diesen Kontrast zwischen Präzision und Ausgelassenheit, zwischen Historie und Hype, zwischen kleinstem Ziel und großer Kulisse, zwischen Konzentration und Karneval. Darts ist bunt. Darts kommt ohne Hightech aus. Die Pfeile von heute sind letztlich immer noch mit den Holzpfeilen von vor 100 Jahren vergleichbar. Darts bietet so viele Geschichten auch abseits des Boards. Und es hat außergewöhnliche, extrem lautstarke Zuschauer, die ein wichtiger, aktiver Teil der Show sind. Das ist mit Sicherheit ein Geheimnis des Erfolgs von Dartsevents. Die PDC, der Profi-Dartsverband, hat das früh erkannt. Sie bietet dem Zuschauer bewusst eine Bühne und baut dadurch eine besondere Verbindung zwischen Fan und Event auf. Ich habe mich in den letzten Jahren nach einem langen Turniertag oft mit Zuschauern unterhalten, die nicht nur von Taylor, MVG und Co. erzählten, sondern auch von sich selbst, ihren Kostümen und wie die Idee zum Kostüm entstand. Dartsfans sorgen nicht nur für den Jubel, den Applaus, die Buhrufe und die Gesänge, sie werden gekürt für besonders gelungene Outfits oder die witzigste Zeile auf dem 180er-Pappschild. Vielleicht fühlt sich der Zuschauer dadurch auch irgendwie in der Pflicht, für gute Stimmung zu sorgen, und womöglich herrscht deshalb auf Dartsevents diese einzigartige Atmosphäre, die mit keiner anderen Veranstaltung vergleichbar ist, auch mit keiner anderen Sportveranstaltung.
Es beginnt mit den Walk-on-Liedern der Spieler, die gerade von Topstars wie Phil Taylor, Michael van Gerwen, Gary Anderson, Raymond van Barneveld oder Peter Wright perfekt inszeniert sind, mit aufwendiger Lichtshow, einprägsamen Melodien und einem Master of Ceremonies, der stimmgewaltig die Spieler auf die Bühne holt. Und später wird jede einzelne 180 gefeiert, als wäre es die Erste, vielleicht auch die Letzte. Sollte es wegen fehlender Genauigkeit am Oche ein bisschen zäh werden, starten Dartsfans ihr eigenes Fest: „Stand up if you love the darts“ – das ist für jeden unter den paar Tausend Fans die Verpflichtung, sich zu erheben und mitzusingen. Ganze Zuschauerblöcke beginnen plötzlich in Richtung anderer Tribünen zu rufen. Oder sie grölen wie so oft im Taylor-Wonderland: „There’s only one Phil Taylor ...“ Es gab Matches vom 16-maligen Weltmeister Phil „The Power“ Taylor, bei denen pausenlos dieses Lied gesungen wurde. Vor ein paar Jahren in Düsseldorf zum Beispiel: 20, 25 Minuten lang, immer wieder in Schleife „There’s only one Phil Taylor ...“ auf die Melodie von „Winter Wonderland“.
Interessanterweise nehmen Spieler diese Gesänge vor allem dann wahr, wenn es im Match nicht wie gewünscht läuft. Wenn es ihnen schwerfällt, sich nur auf sich und das eigene Spiel zu konzentrieren. Die ausgelassene Party von kostümierten, alkoholisierten, singenden Fans mitten in einer Präzisionssport-Veranstaltung ist verrückt und einzigartig. Für einen Golf- oder Tennisspieler wäre es absolut undenkbar, bei dieser Geräuschkulisse eine Topleistung abzurufen. Für einen Schützen oder Snookerspieler ebenfalls. Beim Darts funktioniert das. Da wird das Verhalten der Fans nicht nur geduldet, sondern ist sogar erwünscht. Zwar bitten Schiedsrichter immer mal wieder um Ruhe, aber meistens ohne Erfolg. Und den größten Fehler, den du als Spieler begehen kannst, ist dich mit den Fans anzulegen. Wenn eine Gruppe von 10.000 Menschen plötzlich gegen dich ist, dich ausbuht oder, noch schlimmer, auspfeift, dann ist die Gefahr ziemlich groß, dass du auf der Bühne mental einbrichst. Irgendwann nimmt die Publikumsreaktion Einfluss auf dein Spiel und leitet damit die Niederlage ein.