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DRITTES KAPITEL Ein teuflisch kluger Vogel

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Reisende machten sich auf den Weg, Reisende, wie man sie sonst im Winter in dem Städtchen Toss nicht sah. Es waren Männer zu Pferde, eilig und ohne allzu viel Gepäck. Männer, die sich in ihre dunklen Umhänge hüllten und ihre Hüte tief ins Gesicht zogen. Der Stallknecht des Gasthauses »Zum fröhlichen Dukaten« kam mit seiner Arbeit kaum nach. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viele eilige Reiter bedient zu haben. Drinnen hörte er die Wirtin schimpfen und den Wirt sie beschwichtigen.

Meister Goldauge saß auf dem Dach gegenüber der Schänke und beobachtete, wie sehr früh am Morgen der erste Reiter sein Ross auf den Hof führte, sich nach allen Seiten umsah, als wollte er sichergehen, nicht beobachtet zu werden, und sich dann in den Sattel schwang, um in schneller Gangart zu entschwinden. Ihm tat es wenig später ein weiterer Reisender gleich und dann noch einer und noch einer, schließlich zwei, die zwar gemeinsam ritten, aber dennoch sehr geheimnisvoll taten. Zu Goldauges Erstaunen führten mehrere von den Männern Hunde mit sich, die der Stallknecht so kundig versorgt hatte wie die Rösser.

Der Rabe begleitete jeden dieser Reisenden unauffällig, bis er wusste, wohin es ihn voraussichtlich zog. Die drei einzelnen Reiter machten sich nacheinander in Richtung Buchberg auf, die beiden, die gemeinsam ritten, schlugen den Weg zur Nebelkuppe ein. Nichts ließ darauf schließen, dass ihr verdächtiges Verhalten irgendetwas mit Marius zu tun haben könnte. Weshalb sollte es auch?

Noch einmal machte Meister Goldauge seine Runde: Er blickte in die Schmiede, wo Meister Gisbert einige Hufeisen formte, blieb einige Zeit über den Dachbalken des Stalls der Schänke und lauschte auf ein Gespräch, das der Knecht mit dem Wirt führte – doch es ging dabei nur um irgendeine Sülze, was Meister Goldauge nicht verstand. Er flog die Gehöfte ab und kreiste sogar über dem Druidenhügel und der uralten Mooseiche, draußen vor der Mauer, bis er im Hof der kleinen Kirche den Kaplan sah, der an Sonntagen von Übelstein herüberkam, um die Messe zu halten. Richtig, dachte Meister Goldauge, es ist Sonntag, bald werden sich die Tosser auf den Weg in den Gottesdienst machen.

An Übelstein hatte er noch gar nicht gedacht! Mit sanftem Flügelschlag flatterte er neben den Kaplan, um den Gottesmann nicht zu erschrecken. Der beachtete ihn zunächst gar nicht. »Verzeiht, wenn ich Euch störe, Herr Pfarrer«, machte Meister Goldauge höflich auf sich aufmerksam. Der Geistliche zuckte zusammen und starrte den Vogel an.

»Ich hätte gerne von Euch gewusst, ob Ihr zufällig in Übelstein oder auf dem Weg von dort hierher meinen alten Freund Marius gesehen habt.«

Der Mann in der schwarzen Kutte glotzte unverändert – und ohne ein Wort zu sagen. Vielleicht hätte ein geübtes Ohr so etwas wie ein gepresstes »Hgnnnä« gehört. Auch die Körperhaltung des Kirchenmannes blieb zunächst eher unbequem: Er stand halb gebückt vor dem Vogel, etwa so, als hätte er starke Blähungen und wollte sich davon befreien. Das zweite »Hgnnnä« kam etwas lauter. Die Gesichtsfarbe des Geistlichen wechselte von blaß zu rot zu blaß, als könne sie sich nicht entscheiden, ob der gute Mann eher in die Luft gehen oder in Ohnmacht fallen solle. »Wie kannst du«, ächzte schließlich der Pfarrer und streckte sinnlos die Arme nach vorn, nur um sie kurz darauf gen Himmel zu strecken und »Herr!« zu rufen, ehe er wieder den Raben anstarrte und tief Luft holte. »Warum suchst du mich?«, brachte er schließlich über seine zitternden Lippen.

Meister Goldauge, von den vielfältigen und aus seiner Sicht sehr unverständlichen Gesten des Pfarrers etwas verunsichert, versuchte zu erklären: »Ich suche Euch nicht.«

»Was willst du dann von mir? Weiche von mir, Satan!« Der Geistliche wedelte wild mit der Hand in der Luft, als wolle er ein böses Gespenst verscheuchen.

»Satan? Ich heiße Goldauge. Und ich suche nicht Euch, sondern ...«

»Ahhh!«, rief der Mann, dem inzwischen die Haare vom Kopf standen, als hätte der Blitz in ihn eingeschlagen.

»Marius«, vollendete der Rabe seinen Satz.

»Marius«, flüsterte der Pfarrer und fiel auf die Knie. »Herr!« – wieder hob er die Hände zum Himmel – »Warum lässt du zu, dass der Teufel Kinder holt?« Er senkte den Kopf und schluchzte.

»Hört, mein Herr«, versuchte es Meister Goldauge und tappte vorsichtig zwei, drei Krallenspitzen näher, doch der Geistliche wich zurück und riss die Arme vors Gesicht.

»Ich möchte nur wissen, ob Ihr meinen Freund Marius gesehen habt. Nichts weiter. Ich mache mir Sorgen um ihn.« »Sorgen?« Der Pfarrer lachte irr.

»Sorgen? Der Teufel macht sich Sorgen um einen Jungen? Hahahahahaha ...«

»Ob sich der Teufel Sorgen um ihn macht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er verschwunden ist, dass es verdammt kalt ist und dass er normalerweise sagt, wohin er geht.«

»Normalerweise? Ach. Und du besprichst das dann mit ihm, was?«

Langsam ging Meister Goldauge ein Licht auf. Der Geistliche hatte es offenbar noch nie mit einem sprechenden Vogel zu tun gehabt. »Ja, das tue ich«, erklärte er. »Und ich bin auch nicht der Teufel oder sonst irgendein Ungeheuer, sondern lediglich der Rabe, der seit zwölf Jahren mit ihm unter einem Dach lebt. Habt Ihr denn noch nie gehört, dass man Vögeln Sprechen beibringen kann?«

»Sprechen beibringen?« Der Pfarrer rappelte sich auf. »Sprechen beibringen. Ja, natürlich. Das habe ich schon gehört. Sie sagen Guten Tag oder Schönes Wetter oder Gottbehütedich ...«

»Na seht Ihr – und so ein Vogel bin ich eben auch.«

»Ah.« Die Farbe kehrte wieder in das Gesicht des frommen Mannes zurück. »So ist das. Er hat dir das Sprechen beigebracht. Das hat er aber wirklich ganz fabelhaft gemacht ...« Jetzt beäugte er den Vogel, als wäre nicht nur sein Auge aus Gold, sondern auch der ganze Rest. »Es ist natürlich nicht das, was Gott gefällt«, machte sich der Geistliche seine Gedanken. »Sonst hätte er ja den Tieren von vornherein Sprechen beigebracht.«

»Seid Ihr Euch da sicher, Herr Pfarrer? Auch das Korn, die Rüben und andere Pflanzen und auch Tiere wurden doch erst von den Menschen gezüchtet.«

»Da hast du natürlich Recht ...« Wieder blickte er voll Verwunderung auf den Vogel. »Aber dass du so gut sprechen kannst ...«

»Dann wollt Ihr vielleicht meine Frage beantworten?«

»Deine Frage?«

»Ob Ihr irgendwo meinen Freund Marius gesehen habt.«

»Marius! Das ist doch der Junge, der dort oben in der Hütte wohnt, nicht wahr?«

»Genau der.«

»So einer mit einer blauen Mütze?«

»Richtig.«

»Und mit blonden Haaren?«

»Ihr sagt es.«

»Der immer als Bote unterwegs ist, richtig?«

»Stimmt haargenau.«

»Nein«, sagte der Pfarrer. »Den habe ich nicht gesehen.«

Die Stunde des Narren

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