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ERSTES KAPITEL Ein seltsamer Reisender

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Es war ein wundervoller Wintertag in dem kleinen Örtchen Toss. Wie Schwärme von weißen Faltern wehten die Schneeflocken um die Häuser und wirbelten dann über den Wegen in der Luft, ehe sie lautlos zu Boden schwebten. Rotbackige Kinder bewarfen einander mit Schneebällen, dick eingepackte Männer beluden Wagen oder standen lachend beieinander und verabredeten sich für den Abend, rundliche Hausfrauen erledigten ihre Einkäufe und trugen schwere Körbe mit feinsten Leckereien nach Hause. Ein Reiter lenkte seinen Apfelschimmel zur Schänke: ein Fremder, dessen Mantel aus feinem Tuch man ansah, dass er ein hoher Herr sein musste. Gleichwohl war das Tier über und über mit Paketen beladen, die zu beiden Seiten an seinen Flanken hingen, so dass der Mann fast aussah wie ein fliegender Händler. Er saß ab und übergab sein Tier dem Stallknecht, der es sogleich hinters Haus führte. Der Mann kniff die Augen zusammen und ließ den Blick über den Dorfplatz schweifen, während er sich den Schnee von den Schultern klopfte. Er zog den Hut vom Haupt, schüttelte ihn aus und trat dann ein in das Gasthaus »Zum fröhlichen Dukaten«, die einzige Wirtschaft am Ort, über deren Schild stolz eine Elster saß und auf den Ankömmling herabblickte.

»Halunke!«, scholl es ihm entgegen und er konnte gerade noch den Kopf einziehen, ehe ihn ein durch die Luft fliegender Krug an der Stirn traf.

»Aber Lieschen ...«

»Hör auf mit Lieschen, du Ungetüm!« Diesmal flog ein Teller durch die Gegend. »Ein Barbar bist du – und du wirst es bleiben!« Der Fremde brachte seinen mächtigen Körper hinter einem Tisch in Deckung und schaute vorsichtig über die Kante, um zu sehen, wer die Frau war, die sich so aufregte.

»Hör mal, Lieschen ...«, fing der Mann wieder an, offenbar der Wirt. Er trug eine Schürze und darunter nur ein leichtes weißes Hemd, das wohl schon länger kein Waschwasser mehr gesehen hatte. »Ich dachte, du hättest mir die Sülze hingestellt ...«

»Dir hingestellt? Ha!« Hinter der Theke rumpelte eine unglaublich dicke Frau hervor, die Arme in die Seiten gestemmt, das Gesicht rot wie ein Radieschen. »Dir hingestellt? Du weißt genau, dass die Sülze für ...« Sie sah den Gast, der hinter dem Tisch hervorschaute, und brach ab. »Hektor, wir haben Gäste«, sagte sie wie ausgewechselt und kam mit ihrer wogenden Gestalt zu dem Fremden, um ihn mit dem fröhlichsten Lächeln zu fragen: »Mein Herr, was kann ich für Euch tun?«

Der Fremde krabbelte hinter dem Tisch hervor, strich sich über den Mantel, legte den Hut beiseite und räusperte sich. »Gute Frau, habt Ihr ein Zimmer für die Nacht?«

»Gewiss, mein Herr. Ein schönes, ruhiges Zimmer.«

»Ruhig, ja«, sagte der Mann. »Das glaube ich wohl.« Doch sein Blick sprach etwas anderes. Die Wirtin lächelte unbeirrt munter. »Habt Ihr Gepäck? Soll mein Mann es gleich nach oben schaffen?«

»Nein, nein«, entgegnete der Fremde. »Ich habe nur wenig bei mir, das ich lieber selbst auf mein Zimmer trage. Den Gaul habe ich eurem Stallknecht anvertraut.« Er sagte das, als wäre er angesichts der Szene von eben besorgt um das Wohlergehen seines Reittiers.

»Gut«, sagte die Frau unbekümmert. »Dann richte ich schon einmal das Nachtlager für Euch. Wenn Ihr sonst etwas wünscht ...?«

»Einen Krug Wein hätte ich gerne.« Er blickte zu Boden, wo die Scherben des zerbrochenen Kruges lagen. »Falls Ihr noch einen habt.«

»Ach das«, lachte die Wirtin und bückte sich, um mit flinker Hand die Überreste des Gefäßes aufzusammeln. »Das war nur ein kleines Missgeschick. Hektor wird Euch gleich einen Krug von unserem besten Wein bringen.«

»Ein einfacher Tropfen tut es auch«, sagte der Gast und nahm an dem Tisch Platz, der ihm eben noch Schutz gewährt hatte.

»Das bleibt sich gleich«, erwiderte die Frau und lachte. »Wir haben bloß eine Sorte.« Damit verschwand sie auf der Treppe nach oben.

»Ihr seid noch nie in Toss gewesen?«, fragte der Wirt, als er wenig später mit dem Wein und einem Becher an den Tisch kam. Er musterte den Fremden mit Neugier. Der hatte inzwischen den Mantel aufgeknöpft. Darunter trug er eine weitere Jacke, eine bunte Weste, von Goldfäden durchwirkt und ein Hemd mit Kragen. Mehrere fein gearbeitete Ketten spannten sich über seinen Bauch, an einem Lederband hing ein merkwürdig anmutender Knochen.

»Der Zahn eines Riesenhais«, sagte der Gast, der des Wirtes Blick bemerkt hatte. »Nein. Ich bin zum ersten Mal hier. Nehmt Euch doch auch einen Becher und setzt Euch zu mir.«

Das ließ sich der Wirt nicht zweimal sagen. »Was führt Euch nach Toss, mein Herr?«, wollte er wissen, als er ihm eingeschenkt hatte.

»Nichts Besonderes«, sagte der Fremde. »Geschäfte. Besuche. – Erzählt mir doch ein wenig von dem Örtchen! Ich sammle Wissen.«

Der Wirt schenkte sich den Becher voll. »Na ja«, sagte er. »Toss ist keine große Stadt wie Buchberg oder Grübeln. Da gibt es nicht allzu viel zu erzählen. Die Stadtmauer habt Ihr gesehen ...«

»Sie schien mir nicht sehr wehrhaft«, erwiderte der Fremde.

»Ja, leider. Sie ist nie fertig geworden, weil das Geld ausgegangen ist.« Der Wirt setzte eine etwas betretene Miene auf. »Ihr könntet Euch vielleicht die kleine Kapelle ansehen oder die uralte Mooseiche. Oder Ihr könntet auf den Druidenhügel steigen. Von da aus kann man bis zum Meer sehen. Aber wenn ich ehrlich bin, hier gibt es nichts Besonderes.«

»Verstehe.« Der Gast hob seinen Becher und prostete dem Wirt zu. »Einen sehr begabten Schmied habt Ihr aber am Ort.«

»Richtig!«, rief der Wirt aus, offensichtlich erfreut, dass es doch etwas Gutes über Toss zu berichten gab. »Woher wisst Ihr ... ?« »Nun, wenn man das kunstvolle Schild über Eurer Tür sieht ...« Der Wirt fühlte sich sichtlich geschmeichelt. »Ehrlich gesagt, Ihr seid der erste Gast, dem das auffällt.«

»Vermutlich habt Ihr noch eine ganze Reihe anderer besonders begabter Mitbewohner hier am Ort.«

»Nun ja«, versuchte sich der Wirt an einer eindrucksvollen Aufzählung. »Da wäre einmal der ...« In diesem Moment ging die Tür auf, einige Schneeflocken tanzten herein und jemand streckte den Kopf in den Schankraum, um ihn sogleich wieder zurückzuziehen. Die Tür klappte zu, als wäre nichts geschehen. Es ging so schnell, dass beinahe nichts zu erkennen gewesen war. Auch hatte die Gestalt einen großen Hut ins Gesicht gezogen gehabt, so dass man sie nicht hatte erkennen können. »Äh ...«, sagte der Wirt.

»Das ist ja alles höchst spannend«, fiel ihm der Gast ins Wort und rückte nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Ihr habt nicht zufällig auch einen jungen Burschen, der mich auf meiner Reise begleiten könnte? Eine Art Reiseführer?«

»Einen Reiseführer? Nein. Das eigentlich nicht. Ich wüsste gar nicht ... Einen Boten hätten wir. Der kennt sich in der Umgebung aus. Vielleicht mögt Ihr den ja mal fragen.«

»Einen Boten. Ja, warum nicht? Wo finde ich ihn?«

»Er lebt mit seinem ...«

»Hektor«, polterte von der Treppe her die Wirtin. »Belästigst du unseren Gast?«

»Lieschen! Nein, nein, der Herr war so freundlich, mich auf einen Krug Wein einzuladen.«

»Er lebt mit seinem ...«, versuchte der Gast den Wirt zum Weiterreden zu bewegen.

»Ach so, ja. Er lebt mit seinem Raben ...«

»Hektor, du solltest den Herrn jetzt in Ruhe lassen.« Und zu dem Gast sagte die beleibte Frau mit den glänzenden Wangen: »Ihr müsst verzeihen, mein Herr. Hektor lädt sich nur zu gerne selbst auf einen Becher Wein ein.« Sie sah zu ihrem Mann hin. »Oder auf zwei oder drei.« Sie drehte sich um, ging die Treppe wieder hoch und murmelte: »Oder auf eine Sülze ...«

»Mit seinem Raben ...«, fing der Gast wieder an. Unruhig blickte er zur Tür hin. Doch der Wirt hatte sich bereits erhoben und schlurfte wieder zur Theke. »Wo lebt er denn, Euer Bote?«, versuchte es der Gast noch einmal. Auf seiner Stirn hatten sich einige Schweißtropfen gebildet. Doch der Wirt winkte ab. »Mein Weib hat Recht, ich sollte Euch nicht die Zeit stehlen, Herr.«

»So!«, rief die Wirtin von oben. »Das Zimmer ist fertig.«

Wieder ging die Tür auf und eine dunkle Gestalt hob sich vor dem blendenden Weiß des Schnees draußen ab. »Seid gegrüßt!«, sagte eine männliche Stimme. »Keine Gäste heute?«

»Nur der Herr dort drüben«, entgegnete der Wirt – doch der Platz, auf dem eben noch der unbekannte Reisende gesessen hatte, war leer.

Die Stunde des Narren

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