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Hexerei

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In der Schänke »Zum fröhlichen Dukaten« rieb sich der Wirt die müden Augen. So spät es letzte Nacht geworden war, so früh hatten sich die Reisenden wieder auf den Weg gemacht. Seltsam, dachte er, sonst kommt kaum ein Fremder um diese Jahreszeit nach Toss – und diesmal wären ihnen beinahe die Unterkünfte ausgegangen. Und dann hatte man sich schließlich auf einen Haufen Gäste eingerichtet – und schon waren sie wieder verschwunden, so schnell und unerwartet, wie sie gekommen waren. Er kratzte sich die langen Bartstoppeln. In der Küche hörte er Lieschen fuhrwerken. Sie hatte schon in der Nacht begonnen, ihre weithin berühmten Kirschkuchen zu backen, und ihn mit ihrem Geschimpfe aus dem Bett gejagt, nur weil er angeblich ein oder zwei Töpfe ihrer eingelegten Kirschen geleert hatte ...

Die Küchentür flog auf und die Wirtin polterte heraus: »Hier!«, herrschte sie ihren Mann an. »Stell den Kuchen draußen auf die Fensterbank, damit er abkühlt.« Sie knallte ihm einen prächtigen, runden Kuchen auf die Theke und fuchtelte mit dem Finger unter seiner Nase: »Aber untersteh dich, auch nur eine Kirsche anzurühren!«

Hektor nickte müde und nahm den Kuchen vorsichtig in beide Hände, um ihn nach draußen zu tragen. Eine Kirsche, dachte er. Na ja, dann eben nicht eine ... Er musste innerlich grinsen. Aber dann überlegte er es sich doch anders und beschloss, diesmal die Finger von dem Kuchen zu lassen. Er würde noch genügend Kuchen bekommen in den nächsten Tagen. Schließlich hatte Lieschen schon im Morgengrauen angefangen, jede Menge Teig zu kneten, als noch niemand ahnen konnte, dass die Gäste die Schänke so bald verlassen würden. Diesen Teig musste sie nun natürlich verbacken – und irgendwer musste ihn schließlich essen. Mit breitem Grinsen stellte der Wirt den prächtigen Kuchen zum Abkühlen auf die Fensterbank und betrachtete liebevoll die glänzenden Kirschen darauf. Ob er vielleicht doch ... In diesem Augenblick fiel hinter ihm ein Stück Holz auf den Boden.

Verwundert bückte sich Hektor und hob es auf. Er blickte nach oben, doch dort war nichts zu erkennen. War das Dach schon so schadhaft? Er trat einen Schritt vom Haus weg und besah sich das Dach. Aber es schien alles in Ordnung.

Als er wieder hineingehen wollte und noch einmal einen Blick auf den Kuchen warf, hielt er inne: Fehlte da in der Mitte nicht eine Kirsche? Ja, tatsächlich, dort war der Abdruck einer Kirsche zu sehen – aber nicht die Kirsche. Der Wirt kratzte sich am Kopf und sah sich um. War eine Kirsche heruntergefallen? Er suchte den Boden ab. Doch da war nichts. Als er sich aber aufrichtete, traute er seinen Augen nicht: Jetzt fehlten bereits zwei! Er schaute sich um: niemand zu sehen, der hätte lange Finger machen können. »Hektor!«, hörte er die Stimme seiner Frau. »Hektor! Der nächste Kuchen!«

»Jaja!«, rief er zurück. »Ich komme schon.« Als er sich noch einmal umdrehte, stellte er fest, dass auf einmal eine dritte Kirsche fehlte! Hexerei, dachte er. Das muss Hexerei sein. Er blickte sich um, als könne sich jemand hinter seiner Schulter versteckt haben. Und dann entschied er sich dafür, den Kuchen lieber nicht allein hier draußen stehen zu lassen, sondern ihn wieder mitzunehmen, wenn er den nächsten Kuchen holte.

Vorsichtig den nun schon etwas gefledderten Kirschkuchen in der Hand haltend, tappte er zur Theke zurück, wo der nächste Kuchen auf seine Abholung wartete. Weil er nun in der einen Hand bereits etwas hielt, versuchte er, den Kuchen mit dem Kinn auf die freie Hand zu schieben. In dem Augenblick jedoch ging die Tür auf und die Wirtin streckte den Kopf heraus. »Hektor!«, rief sie. »Wo bleibst ...« Erschrocken schrie sie auf, als sie ihren Mann mit dem Kinn am Kuchen sah. »Was machst du da, du verfressener Kerl! Wenn auch nur eine Kirsche auf diesem Kuchen fehlt ...«

»Lieschen«, erwiderte zaghaft der Wirt. »Hör mal ...«

Doch seine Frau ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nein! Ich höre nicht. Bring den Kuchen gefälligst nach draußen. Die müssen abkühlen – und du solltest am besten auch ein wenig an die frische Luft. Wenn du hier herumstehst, kommst du doch nur auf dumme Gedanken.« Sie packte den zweiten Kuchen, drückte ihn Hektor in die freie Hand und verschwand wieder in der Küche. Bestimmt würde sie bald mit dem dritten Kuchen auftauchen, dachte Hektor, während er wieder auf den Hof trat. Und was sollte er dann machen? Einen auf dem Kopf balancieren?

Vorsichtig schob er die beiden Kuchen auf die Fensterbank und beobachtete sie, als hätte er sie im Verdacht, die Kirschen selbst weggefuttert zu haben. Er lauschte aufmerksam. Doch nichts war zu hören, es war völlig ruhig. Bis auf einmal ein knappes »Pling« hinter ihm ertönte. Er wandte sich um und sah zum Stall hin. Ob etwa der Stallknecht ...? Ein plötzlicher Luftzug hinter ihm ließ ihn herumfahren. Doch da war nichts. Er wagte kaum, die Kuchen anzuschauen. Wenn jetzt bloß nicht auch noch auf dem zweiten Kuchen eine Kirsche fehlte ...

Die Stunde des Narren

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