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III. A. 5. 1. f Kontext der innerstädtischen Exemplare
ОглавлениеWaren die Mosaiken mit Schiffsbild im innerstädtischen Bereich vorwiegend in Gebäuden mit Wirtschaftsfunktion anzutreffen, womit sich ein meist dezidiert öffentlicher Anbringungsort verbindet, so lässt sich für die Graffiti sowohl topographisch als auch funktional eine andere Zuordnung festhalten. Mit Ausnahme von LA36 aus der Caserma dei Vigili sind zumeist Wände in privaten Wohnhäusern Träger dieser Schiffsbilder. Konkrete Hinweise auf einen beruflichen Konnex der Bewohner zu Schiffen und der Seefahrt existieren zwar nicht, in vielen Fällen halten wir ihn dennoch für wahrscheinlich. Die vorhandenen Darstellungen sind meist großformatig, mit Breiten zwischen 30 und 50 cm, so dass sie größere Abschnitte der Wände einnehmen. Wo sie erscheinen, sind Schiffsbilder entweder Einzelexemplare oder mit Themen außerhalb des nautischen Spektrums kombiniert, wovon allein die beiden Schiffe aus Raum 32 der Casa degli Aurighi eine Ausnahme bilden. Nirgendwo kann die existierende Wandbemalung inhaltlich unmittelbar mit der darauf gezeichneten Schiffsdarstellung in Verbindung gebracht werde, was auch für die kompositorische Verortung der Schiffe an den Wänden gilt: Diese nimmt weder beim Größenverhältnis noch hinsichtlich der szenischen Zusammenhänge Rücksicht auf die bestehende Dekoration. Inwieweit ihre Anbringung den Dekorationsvorstellungen der Hausbesitzer entsprach, ist nicht ganz klar, jedoch ist aus deren Sicht eine intentionale Anbringung nur schwerlich denkbar.
Sämtliche Schiffsmosaiken aus dem inneren Stadtbereich von Ostia sind in situ verblieben und, wo nötig, an der Fundstelle selbst restauriert worden, so dass uns die Untersuchung nicht nur dieser Mosaiken selbst, sondern auch ihres räumlichen und dekorativen Umfeldes problemlos möglich ist.
Das Exemplar LA30 in der Taberna dell’Invidioso bedeckt nahezu die gesamte Bodenfläche des dortigen Hauptraumes. Neben dem Fischerboot waren in der Raummitte zwei Figuren dargestellt, die eine liegend, die andere stehend. Wahrscheinlich auf diese bezieht sich die eponyme Inschrift INBIDIOSOS65. Der optimale Betrachtungswinkel ist derjenige aus Richtung der großen Eingangsöffnung am Südende des Raumes, so dass den Eintretenden das Mosaik und seine Schiffsthematik regelrecht entgegen kam. In dem Raum, der sich östlich anschließt und als südlicher Zugang (Vestibül B) zu einer benachbarten Therme diente, befindet sich das Mosaikbild einer Nereide auf einem Hippokampen. Im Norden grenzt an den Raum ein zweites Vestibül (A), dessen Boden ebenfalls mit Seetieren und einer Nereide bedeckt ist. Das Schiffsmosaik selbst ist somit Bestandteil eines größeren Raum- und Dekorationskomplexes, der aus dem Verkaufsraum und den beiden Zugängen zur Therme besteht. Die enge Verwandtschaft der Darstellungsthemen ist offenkundig und zweifellos beabsichtigt, alle sind im marinen Milieu angesiedelt und mithin dem nassen Element verbunden, wobei das Schiffsmosaik in der Taberna diese mit den Vestibülen in Zusammenhang setzt.
Sowohl im Darstellungsinhalt als auch hinsichtlich der räumlichen Anordnung gleicht dem zuvor genannten Exemplar das Schiffsbild LA31, das wie jenes den Boden eines langrechteckigen Raumes im Westteil der sog. Casa del Mosaico del Porto bedeckte. Zahlreiche Eroten gehen auf Fischerbooten oder an Land ihrem Handwerk nach. In demjenigen Ende des Mosaiks, das zum südlichen Eingang hin gelegen ist, wurde neben einem Leuchtturm eine Statue des dreizackbewehrten Neptun auf einer hohen Säule abgebildet; offenbar sollen wir in dem Bild einen Hafen erkennen. Wie bei LA30 befindet sich ein Brunnen in der Raummitte, der zum Zeitpunkt der Fertigung des Mosaiks bereits existiert haben muss oder aber gleichzeitig mit diesem angelegt wurde. Der Raum an sich wurde im Osten und Westen von zwei ähnlichen Räumen flankiert, wobei sich die Durchgänge aller drei Räume auf eine Portikus im Süden hin öffnen. Weitere Dekorationen sind aus diesen wie auch aus den nördlich anschließenden Gebäudeteilen nicht überliefert, allerdings scheint zumindest für die genannten Räume eine Identifizierung als Tabernae – für den Verkauf von Fisch? – nahezuliegen. Ein geschäftlicher Hintergrund würde das Stück kontextmäßig in die Nähe Mosaiken LA30 und LA28 rücken. Während der Ursprung des Hauses in die Regierungszeit des Commodus datiert wird66, ist die Entstehung des Mosaiks in eine etwas spätere Zeitphase zu setzen, wahrscheinlich wurde es in der ersten Hälfte des 3. Jhs. ausgelegt. Die vermutete Kohärenz zwischen dem Gebäudezweck einerseits und der spezifischen Bildausstattung andererseits würde nicht überraschend, ist sie doch durch die Schiffsmosaiken vom Piazzale (s. unten) bereits einmal nachgewiesen.
Die Mosaiken LA28 am Piazzale delle Corporazioni, die hier schon mehrfach gestreift wurden, fangen den Blick des Betrachters dadurch ein, dass in ihnen die Schiffe häufig zu Gruppen geordnet sind. Die Position der Tessellate im Umgangsbereich der Portiken und vor den Eingängen einzelner Stationen (s. Plan 4, Karte 9) machte sie sowohl den Eintretenden als auch den Vorübergehenden deutlich sichtbar. Sie wirkten gleichsam als Positionsbestimmung, insofern sie mit ihrem Darstellungsinhalt auf den jeweils dahinter liegen Kontor konkret verwiesen. Bis auf wenige Ausnahmen67, die zudem alle auf die Westportikus beschränkt sind, war der günstige Blickwinkel jener von außen, während die Bilder beim Verlassen der Stationen perspektivisch auf den Kopf standen und sich damit einer optimalen Wahrnehmung entzogen. Wie bei der Taberna dell’Invidioso ist auch hier der kommerzielle Hintergrund für die Motivwahl deutlich: Die Stationen am Piazzale waren Handelsvertretungen auswärtiger, in Übersee gelegener Städte in Ostia. Sie dienten weniger der Lagerung von Waren als vielmehr der Anbahnung von Handelsgeschäften in Bezug auf über das Meer importierte Güter68. Nicht weniger bedeutend dürfte für die Schiffe die Chance gewesen sein, Rückfrachten (z.B. Wein, Textilien, verschiedene Luxusgüter) für die Heimreise in ihre Heimatstädte zu gewinnen und damit den wirtschaftlichen Betrieb ihrer Schiffe zu optimieren. Auch solcherlei geschäftliche Abmachungen konnten in den Stationen am Piazzale getroffen werden69.
Aus den in den Mosaiken oder in Marmortafeln erhaltenen Stationsbeschriftungen gehen 13 verschiedene Städtenamen hervor. Es handelt sich um die Küstenstädte Caralis, Turris Libisonis (Porto Torres), Narbo Martius, Arelate, Misua, Muslivium, Sullectum, Hippo-Diarrhytus, Gummi, Curbis, Karthago, Sabratha und Alexandria, die – letztere ausgenommen – allesamt im westlichen Mittelmeerraum liegen. Die Handelsvertretungen dieser Städte am Piazzale sind ausnahmslos mit Bodenmosaiken versehen, wobei die Motive zwar fast ausnahmslos Bezüge zu maritimen Bildthemen aufweisen. Jedoch sind an lediglich sechs Stationen tatsächlich Schiffsbilder vorhanden (vgl. Karte 9), nämlich an denen der Städte Karthago, Sullectum und Misua in Afrika, außerdem auf bei den Stationen von Caralis und Turris Libisonis auf Sardinien sowie bei der Handelsvertretung Narbo Martius‘ im südwestlichen Gallien. Schaut man nach den Seeverbindungslinien dieser Städte, dann ergibt sich ein regelrechter Fächer verschiedener von Süden, Südwesten und Westen an die Küste Latiums und nach Ostia hin gerichteter Seerouten. Leider fehlen bei zwölf mit Schiffsdarstellungen versehenen Stationen die Namensbeischriften beziehungsweise Städtenamen, so dass der Befund leider unvollständig bleibt. Waren hier weitere Städte aus dem westlichen Mittelmeerraum präsent? Hatten etwa, wie Alexandria, weitere Städte des östlichen Mittelmeerraumes Vertretungen am Piazzale und waren diese ebenfalls mit Schiffen dekoriert. Wir wissen es nicht.
Kehren wir zu dem zurück, was nun deutlich aus den Darstellungen hervorgeht. Wir haben oben darauf hingewiesen, dass sich im erhaltenen Material ausschließlich süd-, südwest- oder westwärts gehende Seerouten abzeichnen. Große Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der Streckenlängen über See und in Bezug auf die Segelzeiten vom jeweiligen Starthafen bis nach Ostia an der Tibermündung. Wenige Beispiele sollen hier genügen. Die Schiffer der römischen Kaiserzeit konnten die 398 km lange Seestrecke von Turris Libisonis (Sardinien) nach Ostia selbst unter schlechten Bedingungen in zweieinhalb Tagen bewältigen, während hingegen Segler aus Karthago (603 km) oder Misua (579 km) mindestens vier Tage unterwegs waren70. Die mit Abstand größte Segeldistanz von 913 km hatten jene Navicularii vor sich, die vom gallischen Narbo Martius nach Ostia abfuhren; sie waren selbst unter günstigen Voraussetzungen beinahe sechs Tage unterwegs. Die skizzierten Routen haben hinsichtlich der Segelreviere insgesamt wenig gemeinsam. Ausnahmen betreffen die Schiffer aus Narbo und Turris beziehungsweise jene aus Karthago und Misua, die, aus Richtung Westen oder Süden kommend, teils identische Routen befuhren; erstere die Strecke durch die Straße von Bonifacio und letztere die Strecke vorbei an der Westspitze Siziliens geradewegs nach Norden (Generalkurs 0°). Die Stationen der genannten Städte am ostiensischen Piazzale (19/32 bzw. 10/18) weisen gleichwohl weder räumlich noch bildmotivisch weitere Berührungspunkte auf.
Wie müssen wir uns nun die Entscheidung für bestimmte Bildmotive vorstellen und welche Personen waren involviert? Hier sind zwei potenzielle Entscheidungswege in Betracht zu ziehen. Zwar besteht die Möglichkeit, dass den mit der Einrichtung und Pflege ihrer ostiensischen Handelsvertretungen beauftragten Emissären auswärtiger Städte freie Hand gegeben war, diese Stationen jeweils nach ihrem Gusto zu dekorieren. Dies würde dem individuellen Charakter jeder Stadt am ehesten entsprechen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Auswahl und Zuordnung der Motive nicht von den Betreibern der Station selbst getätigt, sondern gebündelt dem Bauherrn übertragen wurde. Ob dieser vom städtischen Magistrat oder von der Gemeinschaft der Handelsvertreter beauftragt war, ist dabei letztlich unerheblich. Die ausführende Bauhütte mag zwar einerseits auf maritime und insbesondere den Seehandel darstellende Bildmotive festgelegt worden sein. Andererseits war sie im Wesentlichen frei bei der Zuordnung bestimmter Motive zu einzelnen Vertretungen. Es existieren gute Gründe, von diesem Procedere auszugehen. Angesichts starker Ähnlichkeit in Stil und Technik muss ein großer Teil der Mosaiken zeitgleich entstanden sein. Nun ist es aber wenig wahrscheinlich, dass die Handelsdelegierten unterschiedlichster Städte zur selben Zeit Dekorationsaufträge vergeben hätten, die zufällig in puncto Stil und Technik so ähnliche Ergebnisse zeitigten. Das skizzierte Vorgehen mag die in nautischer Hinsicht allenfalls semiprofessionelle Urheberschaft der Schiffsmosaiken erklären, in die sich Perspektiv- und Proportionsfehler ebenso eingeschlichen haben wie technische Irrtümer; Ursache ist der Umstand, dass die eigentlichen Kenner – eben die Seeleute – nicht unmittelbar involviert waren, sondern allenfalls die Mediatoren (städtische Emissäre), die Wissens- und Tätigkeitsbereich eben nicht auf der Seefahrt lag. Gleichwohl konnten die Schiffe ihre Funktion als pars pro toto in Hinsicht auf Seehandel und Warenverkehr ebenso gut erfüllen, wie etwa die Darstellung bestimmter Handelswaren. Mit ihnen rücken die Navicularii und ihr Beitrag zum Geschäft in den Fokus, was diesen und ihrem Metier gewiss zugutekam.
In der Latrine (Raum 2) der Neptunsthermen befindet sich das Schiffsmosaik LA29 mit einem flachen Boot in einer Nillandschaft. Es handelt sich um den Raum südlich des Vestibüls, der von diesem über zwei Eingänge zu erreichen war. Westlich schloss sich der große Raum 4 mit dem namengebenden Mosaik des Meeresgottes an, der auf einer Quadriga steht und von Seekentauren und Nereiden begleitet wird. Die Lage unmittelbar vor den Baderäumen, die sich im Norden anschlossen, lässt an eine Funktion als Apodyterium denken. Auch in Raum 3 südwestlich der Latrine ist das Meer präsent, hier reitet Amphitrite auf einem Hippokampen.
Eine augenscheinliche Diskrepanz ergibt sich für das hier vorhandene Schiffsmosaik im Vergleich zu den zuvor betrachteten Objekten, und zwar sowohl im Hinblick auf das räumliche Umfeld (Wirtschaftsgebäude) als auch dann, wenn man die Vergesellschaftung mit anderen Bildthemen berücksichtigt. Zwar wird auch hier an das marine Landschaftsthema angeknüpft, welches uns bereits in anderen Gebäuden im Zusammenhang mit Schiffsbildern begegnet ist. Eine Inhaltsverbindung zur Funktion des beherbergenden Raumes – einer Latrine – erschließt sich jedoch nicht. Wenn die Existenz des Schiffsbildes in der Therme an sich nicht überrascht, so tut es doch immerhin der Anbringungsort.