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Besuche im Gefängnis

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Der nächste Tag brachte gleich zwei Besuche. Vormittags, um zehn Uhr, kam der Botschaftsangestellte, Herr Kellermann.

Er erklärte Gerhard, welche Probleme er gehabt habe, ihn doch wieder hier im Gefängnis zu finden. Aber nun habe es endlich geklappt, und er habe auch mehr Zeit mitgebracht.

Er überreichte Gerhard das ‘Survival Kit’, wie er es nannte.

Es enthielt eine Zahnbürste und Zahnpasta, zwei Stück Seife, ein Handtuch, eine Bibel, fünf Päckchen Marlboro, einen Taschenkalender und einen Filzschreiber. Gerhard war angenehm überrascht; Kellermann erklärte, das stehe jedem Deutschen in einem thailändischen Gefängnis zu.

Dann wurde er ernst: „Eine ganz üble Sache, in die sie da hineingeschlittert sind. Selbst wenn ich ihnen ihre Story abnehme, tut das nichts zur Sache. Bei Drogenvergehen ist hier immer die Hölle los, und bei der Menge, die bei ihnen beschlagnahmt wurde, ist die Todesstrafe zwangsweise vorgeschrieben. Aber ganz so schlimm wird es nicht werden: in Thailand ist noch kein Europäer wegen Drogenvergehens hingerichtet worden. Nach acht Jahren werden Deutsche in der Regel nach Deutschland abgeschoben.“

Gerhard lachte bitter. „Ein schwacher Trost. So lange würde ich hier nicht überleben“

„Ach Herr Frings, wissen sie, da haben schon ganz andere überlebt. Nun werden sie erst einmal einen Rechtsanwalt und einen Dolmetscher erhalten. Die Honorare legen wir vor, wenn sie oder ihre Familie nicht bezahlen können. Sie haben doch Familie?“

„Niemanden, der für mich bezahlen würde.“

„Na, das sollte jetzt ihre geringste Sorge sein. Gut wäre natürlich, wenn man ihre Unschuld beweisen könnte! Aber darüber sollten sie mit dem Anwalt reden. Und bis zur Verhandlung werden sie weiterhin eine Einzelzelle behalten dürfen, oder höchstens noch einen Weissen als Zellengenossen bekommen. Ihre Vorzugsbehandlung wird ihnen auch weiterhin gewährt werden“

„Welche Vorzugsbehandlung?, wollte Gerhard wissen.

„Zum Beispiel das Survival Kit, regelmässiges Essen und wöchentliche Besuche. Sie sollten natürlich versuchen, sich mit den Wärtern gut zu stellen, dann kann ihnen zusätzlich Verpflegung gebracht werden. Allerdings wird davon in der Regel die Hälfte vom Gefängnispersonal selbst gegessen.“

Nach einer knappen Stunde stand er auf und verabschiedete sich. „Wir werden sie im Auge behalten. Allerdings sind sie nicht der einzige Deutsche, der in Thailand in Gewahrsam gehalten wird. Im Durchschnitt betreuen wir bis zu 200 Gefangene, und unsere zuständige Konsularabteilung umfasst nur fünf Planstellen. Seit Jahren bitten wir um mehr Mitarbeiter, aber es wird überall an den 170 Auslandsvertretungen eher gespart. Übrigens, wollen sie geistlichen Beistand, Herr Frings?“

„Selbstverständlich. Jede Abwechselung ist mir willkommen!“.

„Wir tun, was wir können“ sagte er im Hinausgehen.

Da sass er nun wieder alleine. Er starrte die Decke an.

Jetzt wird sich hoffentlich bald was tun!

***

Inzwischen hatte Gerhard den Überblick über die Wochentage völlig verloren, nur seine Uhr ging noch. Aber die zeigte leider keinen Tag an.

Gegen 14 Uhr kamen gleichzeitig zwei Besucher

Der erste stellte sich vor als Herr Kittysak, Anwalt aus Trat. Freundlich, aber mit stechendem Blick.

Der zweite, Herr Lung, meinte direkt: “Welcome to Thailand!“

Ob das als Scherz gemeint ist?

Er rümpfte die Nase.

Gerhard hatte immer noch seine Privatklamotten an, und die stanken. Einmal durfte er bisher duschen, aber ohne Seife – er hatte ja noch keine! Kein Wunder, hier war keine Waschmöglichkeit, und Seife hatte er erst durch Herrn Kellermann bekommen.

Aber, ob ich tatsächlich schlimmer stinke als der Grundgeruch hier im Gebäude?

Aber das war im Moment auch nebensächlich, hier stanken alle irgendwie.

Mit Hilfe des Dolmetschers begann der Anwalt die erste Unterredung.: „Hier habe ich das Protokoll ihres Verhörs. Eine schlimme Sache“

Er zog ein DIN A4 Blatt aus einem Köfferchen.

„An sich ist alles klar – sie hatten das Rauschgift in ihrem Weissen Koffer, und da hat es die Polizei gefunden. Sie kamen aus Kambodscha, das erschwert die ganze Sache ungemein. Es gibt keine Zusammenarbeit mit der Polizei dort – die Verhältnisse zwischen unseren beiden Ländern sind sehr schlecht. Nicht mal ich darf über die Grenze und dort Leute befragen.

In ihrem Fall Entlastungsmaterial aus Kambodscha zu besorgen, ist für mich unmöglich. Am besten geben sie alles zu, sagen, dass sie nicht zurechnungsfähig waren und dass sie ihr Verbrechen bereuen. Waren sie früher schon mal wegen Drogen in Schwierigkeiten? Herr Kellermann kann uns Bescheinigungen von ihrer deutschen Polizei besorgen, hat er uns gesagt, aber nur, wenn sie wirklich noch nie etwas mit Drogen zu tun hatten. Allerdings dürfen sie wirklich noch nie…“

Gerhard unterbrach ihn: „Ich habe noch nie etwas damit zu tun gehabt, auch nicht als Jugendlicher. Nicht mal Haschisch geraucht! Bier hat mir immer gereicht“

„Sind sie sonst irgendwann mal bestraft worden? Wegen etwas anderem?“

„Nein, nicht mal wegen einem Verkehrsvergehen“

„Das ist gut, dann wird man sie vielleicht doch nicht zur Höchststrafe verurteilen, wenn der Richter gut gelaunt ist und ihnen glaubt. Herr Kellermann hat gesagt, bis solch ein Brief von der deutschen Polizei kommt, dauert es vier Wochen. Das wäre gut, solch ein Brief“.

Er meinte offenbar ein polizeiliches Führungszeugnis.

„Aber ich will keinen gutgelaunten Richter, ich war kein Drogenkurier. Das Zeug wurde mir untergeschoben. Und an der Grenze war es noch wenig, und dann, hier in Trat, ist es ganz viel geworden“.

„Aber wir können das nicht beweisen, und vor Gericht zählen auch hier in Thailand nur Beweise!“

„Aber es sind falsche Beweise“

„Wenn sie an der Grenze das Zeug der Polizei gegeben hätten, hätten sie keine Probleme bekommen. Aber jetzt…!“

„Ich habe das Zeug doch dem Immigration Mann an der Grenze gezeigt, und wollte nur, dass die Hintermänner in Thailand verhaftet werden. Der Immigration Mann hat gesagt, ich solle ruhig nach Trat fahren, die Polizei würde sich dort darum kümmern.

Dem habe ich das geglaubt, und dann bin ich verhaftet worden. Wer hat denn den Polizisten in Trat gesagt, dass ich das Rauschgift habe. Das müssen die vom Immigration Office gewesen sein. Der Officer dort hat das Zeug gesehen, weil ich es ihm gezeigt hatte.“

„Gut, ich werde nachfragen, aber der Richter wird den Polizisten eher glauben, als einem Fremden. Und die Fremden behaupten auch immer, dass sie unschuldig sind. Jetzt muss ich aber gehen; bald werde ich die Polizisten befragen, das verspreche ich ihnen!“

Dolmetscher und Anwalt standen auf, und verabschiedeten sich mit einem Kopfnicken.

Offensichtlich wollten sie möglichst schnell aus diesem Stinkerloch hier heraus.

Gerhard roch auch nicht gerade nach Eau de Cologne.

Die Beiden wechseln mit Sicherheit zuerst mal ihre Kleider!

Er liess das Gespräch in Gedanken Revue passieren.

Ich habe wohl tatsächlich schlechte Karten. Aber schuldig bekennen werde ich mich nie. Das steht fest. Und wenn ich hier kaputt gehe!

Jetzt mischte sich sein Frust wieder mit ungeheurem Zorn.

Hätte ich das Zeug, als ich es noch vor der Grenze gefunden hatte, einfach weggeworfen! Und ich wollte der Polizei helfen, ich Dussel, Blödmann, Schwachkopf; wie kann man nur so beschissen doof sein!

***

Zwei oder drei Tage später: Freude! Nachmittags gegen 16 Uhr:

Der Neffe Christoph erschien!

Er grinste, als er seinen Onkel sah.

“Jeder Wackenberger fährt mal ein. Gehört zum guten Ton!”

Er reichte ihm die Hand.

„Tach Onkel“

Aber dann blickte er ihn nachdenklich an.

“Du hast schon mal besser ausgesehen“

Das bezog sich sicher nicht auf den Haarschnitt, den man Gerhard verpasst hatte. Es war auch kaum Haarschnitt zu nennen, man hatte ihn einfach kahl geschoren.

„Schlank bist du geworden!“

„Scherzkeks! Aber vielen Dank für deine Mühe! Dass du gekommen bist! Vorhin war ein Anwalt da, und davor einer von der Botschaft.

Die meinten alle, ich sitze ganz schön in der Klemme. Wie geht es dir denn eigentlich? “

„Ich nehme mal an, besser als dir.“

„Dazu gehört nicht viel“

„Ich habe auch das Schweizer Ehepaar getroffen, und deine Freundin. John vom Hotel, auch die Schweizer und deine Freundin lassen dir schöne Grüsse ausrichten. Du sollst nur durchhalten, so schlimm kann es nicht werden, sagen sie alle“

„Sie haben alle Glück, dass sie nicht in meiner Haut stecken. Aber es sieht wirklich beschissen aus“.

Gerhard erzählte noch mal so genau wie möglich die Story – zum wievielten Mal eigentlich?

„Besonders schlimm ist, dass der Anwalt und eventuell die Polizei von hier nicht nach Kambodscha dürfen. Dort liesse sich ja schon mit etwas gutem Willen vielleicht fast alles aufklären. Denn da hat der Schlamassel begonnen, mit der abgezockten zahnlosen Fuckoma in der Bar.“

„Warum können die denn nicht die Leute in Kambodscha verhören?“

„Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind zerrüttet. Sie hatten vor zwei Monaten sogar einen kleinen Krieg, wegen irgend so eines alten Trümmertempels. Der Grenzverlauf ist dort umstritten, und vor zwei Jahren hatten sie auch beinahe einen richtigen Krieg, weil irgendeine thailändische Schauspielerin behauptet hat, Angkor Wat, der Riesentempel im Dschungel, sei von Thailändern gebaut worden – so ein Quatsch, wegen so etwas einen Krieg anzufangen.

Die spinnen hier alle!“

***

Darauf meinte der Neffe: „Na ja, dann gehe ich halt selbst mal nach Kambodscha, mal sehen, ob man da was machen kann – vielleicht mit Kohle; die sollen ja alle sehr arm sein, diese Cambos.“

Er versuchte Gerhard zu beruhigen.

„Der von der Botschaft hat gesagt, hier in Thailand ist noch kein Weisser hingerichtet worden“

„Na toll, nur in diesem Rattenloch würde ich auch nicht überleben.“

„Jetzt bleib mal cool“, sagte Christoph, „Gene Banig, Baul“.

Er wollte seinen Onkel aufheitern.

„Ich hole dich schon hier raus, irgendwie, und wenn ich diesen ganzen Knast hier in die Luft sprenge!

Ich fahre auf jeden Fall nicht zurück, solange du noch hier drin bist, und wenn du hier raus bist, dann gehen wir einen ziehen wie in alten Zeiten!“

Gerhard erklärte ihm, was in seinen Augen das Sinnvollste sein könnte: Man müsste zu der Dame von der Bar in Ko Kong gehen, und sie zum Reden bringen. Nur die Thailänder dürfen nicht rüber!

Chris allerdings, war noch nie in Kambodscha gewesen.

Aber er war mutig, und das machte Gerhard wiederum etwas Mut. Und er hatte Kohle, mehr als er. Nur hatte er weniger Zeit, denn er arbeitete in einem Verlag als Geschäftsführer. Wenn die zweieinhalb Wochen, die er hier sein wollte, vorüber waren, musste er zurück zu seinem Job. Da war er unabkömmlich.

Als hätte Chris die Gedanken seines Onkels erraten, sagte er: „Wenn ich zurück müsste, und du bist noch hier drin, dann bleibe ich halt hier. Ich fahre nur mit dir zusammen zurück nach Deutschland, darauf gebe ich dir mein Wort. Und wenn die mich feuern, dann sollen’ se halt. Alle oder keiner!“

Gerhard war gerührt, sagte aber: „Lass mal, irgendwie geht immer!“

Ich will nicht, dass er auch noch wegen mir Probleme bekommt, und gute Jobs sind zu Hause schwer zu finden.

Er verabschiedete sich, da der Wärter energisch an die Gitter schlug, umarmte ihn, und murmelte: „Halt’ durch, Onkel!“

Gerhard drehte sich schnell um, damit Chris nicht die Tränen sehen konnte, die ihm in den Augen standen.

Von aussen rief Chris noch einmal ganz laut: „Halt‘ durch, Onkel!“

Er dachte den ganzen Abend nach, auch später, als er auf des Onkels Wohl ein paar Bierchen zog…

Und dann, am nächsten Tag, tat er das wahrscheinlich Vernünftigste in dieser verfahrenen Situation.

Ein weisser Koffer

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