Читать книгу Wenn es gegen den Satan Hitler geht ... - Georg von Witzleben - Страница 18
Auseinandersetzung mit der Politik
ОглавлениеBis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gibt es von Witzleben keine Äußerung zu politischen Themen. Auch nach dem Zeugnis seiner Kameraden aus späteren Jahren lässt sich annehmen, dass er sich in dieser Zeit nicht mit Politik befasst hat.296 Als Heranwachsender lebte er in einem Staatsgefüge, das er bejahte und dessen politische Verhältnisse in dieser Zeit er nicht reflektierte.297
Im Ersten Weltkrieg entwickelte er aber eigene politische Vorstellungen. Schon zu Beginn des Krieges zeigte er ein erstes Interesse an Politik, wobei er als Soldat an der Front die Auswirkungen von Politik unmittelbar zu spüren bekam. Sein Interesse bezog sich zunächst auf Bündnisse und Bündnisfragen; so setzte er sich beispielsweise mit Italiens Rolle auseinander und dem schrittweisen Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Krieg.298 Ein möglicher Friedensschluss beschäftigte ihn schon früh: Bereits im Winter 1914/1915 wünschte er sich ein baldiges Kriegsende.299 Das hing direkt mit dem Wunsch nach Veränderung seiner eigenen Umgebung zusammen: dem entbehrungsreichen Leben in Todesgefahr und fern seiner Familie. In seinen Aufzeichnungen ist spürbar, dass er Frieden zunächst mit Sieg gleichsetzt. Nach und nach rückte aber der Frieden an die erste Stelle.300 Allerdings wünschte er sich den Frieden nicht um jeden Preis, so wenig wie zuvor den Sieg um jeden Preis.
Die Überlegungen, wie der Krieg beendet werden könnte, führten dazu, dass Witzleben Fragen zu den Bedingungen für einen Frieden aufwarf.301 Das Friedensangebot des Kaisers vom Dezember 1916 hatte er als geschickt angesehen und war damals über die Ablehnung enttäuscht.302 Er traf im Krieg Politiker, die als Reserveoffiziere ins Feld gezogen waren303 und nutzte die Gelegenheit für politische Gespräche.304 Im Sommer 1918 wurden seine politischen Gedanken konkreter: So beschäftigte er sich jetzt mit der Zukunft des preußischen Wahlrechtes, der zukünftigen Zusammensetzung des Offizierskorps und dessen Geisteshaltung. Witzleben stellte bei sich selbst eine konservative Haltung fest, die er vor allem mit seiner ostdeutschen Herkunft erklärte, und sagte von sich, seine Haltung sei nicht objektiv genug. Er machte sich Sorgen, dass das zukünftige Offizierkorps nach dem Krieg zu liberal sei und zu viele Dinge im Staat auf den Kopf gestellt werden könnten.305 Je schwieriger die Lage an den Fronten wurde und die politische Situation in der Heimat, umso mehr beschäftigte sich auch Witzleben mit politischen Fragen. Im Herbst 1918 setzte der Generalstabsoffizier sich konkreter mit den Bedingungen und dem Zeitpunkt eines möglichen Friedens auseinander. Das Anfang Oktober 1918 vom Kaiser unterbreitete Friedensangebot erschreckte ihn, weil ein Frieden unter diesen Umständen auch schon Jahre zuvor hätte geschlossen werden können.306 Witzleben äußerte schon während des Krieges immer wieder die Sorge, dass die Opfer umsonst gewesen sein könnten.307 Durch die von ihm als bitter empfundene Niederlage trat ein, was er befürchtet hatte.
Lange stand er der Monarchie uneingeschränkt positiv gegenüber. Man spürt beim Lesen seiner Tagebuchaufzeichnungen, welch große Verehrung er den Herrscherhäusern und ihren Angehörigen entgegenbrachte.308 Aber diese Einstellung hinderte ihn nicht daran, auch deren Fehler beim Namen zu nennen, zum Beispiel eine militärische Fehlentscheidung des deutschen Kronprinzen 1914.309 Für die Abdankung des Kaisers hatte er wohl kein Verständnis310; in seinem Kriegstagebuch wird sie mit keinem Wort erwähnt. Und in seiner nach dem Krieg formulierten Einleitung schrieb er nur »für König und Vaterland« und nicht die übliche Ergänzungsformel »für Kaiser und Reich«.311
Von Wilsons Antwortnote an die Mittelmächte am 16. Oktober 1918 war Witzleben sehr niedergeschlagen, weil er in dieser die »bedingungslose Unterwerfung«312 erkannte. Er führte weiter aus: »Es ist ein Elend wie weit es mit uns gekommen ist. Nun kann sich die demokratische Regierung ja überlegen, was [s]ie machen will.«313 Hier schimmerte die in dieser Zeit bei Offizieren nicht unübliche kritische und ablehnende Einstellung gegenüber den an die Macht strebenden Sozialdemokraten durch, die sich aber bei Witzleben bald wandeln sollte.314 Wenige Tage später, bei einem Urlaub in Liegnitz, scheint er sich mit seiner Frau intensiv mit der Revolution und deren möglichen Folgen ausgetauscht zu haben. Dabei dürfte ihn auch die bürgerliche Herkunft seiner Mutter und seiner Ehefrau offener in der Auseinandersetzung gemacht haben.315 Elsa von Witzleben kam aus einem zwar königstreuen, aber politisch liberalen Elternhaus.316
Am 9. November 1918 – dem Tag der Ausrufung der Republik – kehrte Witzleben von einem Urlaub an die Front zurück.317 Die Waffenstillstandsbedingungen waren aus seiner Sicht katastrophal.318 Und im Innern des Landes gab es keine Ordnung mehr, sondern Revolution. Er konnte ja nicht über Berlin fahren, weil dort die Unruhen zu groß waren, sondern fuhr von Schlesien über Dresden nach Leipzig. Hier sah er sich starken Anfeindungen ausgesetzt. Der Hass gegen die alte Obrigkeit war entbrannt. Soldatenräte hatten den Bahnhof unter Kontrolle und verlangten von allen Offizieren, die Schulterstücke abzunehmen. Witzleben beugte sich angesichts der Übermacht widerstrebend. Hier erlebte er hautnah die Revolution.319 Auch an der Front gab es zahlreiche Auflösungserscheinungen und Fälle von Disziplinlosigkeit.320
Als Witzleben zurück an die Front fuhr, hatte er eine pragmatische Sichtweise für das politisch Mögliche entwickelt. Er sah eine große Gefahr in einer sozialistischen Republik. In einem Gespräch am 10. November 1918 mit dem späteren Reichskanzler Heinrich Brüning erklärte er, dass der »Bolschewismus« eine Gefahr in der aktuellen Situation für Deutschland darstellen würde. Die Oberste Heeresleitung stünde in Verbindung mit den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten und würde versuchen, die Lage zu stabilisieren. Witzleben war der Meinung, in der jetzigen, chaotischen Situation könnten nur die Sozialdemokraten Deutschland retten. Besonders positiv äußerte er sich über Friedrich Ebert und Otto Wels, die unter Einsatz ihres Lebens für Deutschland arbeiteten und in die Witzleben großes Vertrauen setzen würde.321 Wenige Tage später, in einem Gespräch mit dem Landrat von Malmedy, stellte Witzleben fest, dass sich das Ende der Monarchie nicht aufhalten ließ322 – seiner Meinung nach hatten die Hohenzollern »abgewirtschaftet«.323
Diese Äußerungen änderten jedoch nichts daran, dass Witzleben grundsätzlich Monarchist blieb und sich die Monarchie auch weiter als die beste Staatsform für Deutschland vorstellte.324
Seine pragmatische Sichtweise half ihm aber jetzt, politische Prozesse realitätsnäher zu betrachten. Und auch der Deutsche Offizier-Bund Schlesien äußerte im Januar 1919 trotz starker Ablehnung der Volks- und Soldatenräte: »Wir haben jetzt unsere persönliche Ehre hinten anzusetzen«325 und den Dienst zur Sicherung der Grenzen leisten zu wollen. In diesem Sinne ist auch Witzlebens Engagement im Grenzschutz Ost zu verstehen.326
Alle positiven Äußerungen zu Ebert und den Sozialdemokraten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Witzlebens Weltbild in den Trümmern der Niederlage mit zusammengebrochen war. Das Ende der Monarchie bedeutet auch für ihn das Ende der Gesellschafts- und Staatsform, wie er sie bejahte und guthieß.