Читать книгу Wenn es gegen den Satan Hitler geht ... - Georg von Witzleben - Страница 19
3. Kapitel Die Weimarer Republik Der Krieg ist verloren – die ersten Nachkriegsjahre in Schlesien
ОглавлениеDer Krieg war also zu Ende, und er war verloren. Schwere Verluste waren zu beklagen.327 Mancher Freund Witzlebens war auf dem Schlachtfeld geblieben. Auch sieben seiner Witzleben’schen Cousins waren gefallen oder an den Folgen des Krieges gestorben.328
Die unmittelbare, jahrelange Konfrontation mit Leid und Grauen des Krieges, die vielen schlimmen Erlebnisse hatten sich bei ihm so stark eingebrannt, dass er sich fortan ein sehr negatives Kriegsbild bewahrte, ein Bild, das großes Blutvergießen und den Verlust staatlicher Ordnung einschloss. Witzleben entwickelte aus dieser Erfahrung eine Wunschvorstellung für einen Status quo: dazu gehörte vor allem innerer und äußerer Frieden, klare staatliche Strukturen sowie uneingeschränkte Souveränität des Landes.
Seine im Ersten Weltkrieg gemachten Lebenserfahrungen sollten sich auf zahlreiche Entscheidungen in seinem weiteren Leben auswirken. Auch Motivation, Anstoß und Ziel seines späteren Widerstandsengagements finden hier einen Ursprung.
Witzleben beschäftigte sich zunächst mit dem Gedanken, die Armee zu verlassen.329 Er war groß geworden in der jahrhundertealten Tradition der preußischen Armee, die fraglos und selbstverständlich in der Monarchie verankert war. Witzleben diskutierte die Frage der weiteren beruflichen Zukunft mit Freunden und – wie alle wichtigen Dinge – mit seiner Frau. Freunde rieten zum Verbleib, vor allem, weil es der einzige Beruf sei, den er gelernt hatte und beherrschte. Witzleben liebäugelte mit dem Gedanken, zusammen mit seiner Frau eine Bienen- und Hühnerzucht zu errichten; er hatte im Krieg von einem Kameraden die Grundzüge der Imkerei gelernt.330 Tatsächlich startete er mit drei Bienenstöcken und zehn Hühnern einen Versuch in der Funkerkaserne seines Regimentes, an dem seine ganze Familie beteiligt war.331 Wenngleich das Ergebnis positiv war, so entschied er sich doch, Berufssoldat zu bleiben. Hierbei spielte zum einen die Notwendigkeit eine Rolle, seine Familie zu ernähren. Zum anderen bestimmte ihn sein Pflichtbewusstsein, auch wenn ihm nicht klar war, wie sich der neue Staat und die Gesellschaft entwickeln würden. Deutschland war immer noch sein Vaterland. Er blieb schließlich mit der Begründung: »denn alle können nicht weggehen«.332 Aber der ehemalige Frontsoldat blickte düster in die Zukunft:
»Alles was man von seiner Zukunft erhoffte ist vernichtet. Man muss sein gesamtes Leben neu aufbauen. Gebe Gott, dass es besser gelingt als es jetzt aussieht.«333
Am 28. Juni 1919 wurde der Versailler Vertrag unterzeichnet. In Deutschland wurde er »allgemein als unzumutbares Diktat angesehen«334. Er forderte von Deutschland Gebietsabtretungen, die Auslieferung des Kaisers als Kriegsverbrecher, hohe Reparationen, die Anerkennung seiner alleinigen Kriegsschuld und zudem die massive Verkleinerung der Streitkräfte.335 Deutschland durfte nur noch ein Heer von 100000 Mann haben. Es musste Wehrpflicht, Fliegertruppe und Generalstab abschaffen. Die Marine wurde auf 15.000 Mann und kleinere Schiffe reduziert, Panzer waren gänzlich verboten.336 Der kollektive Wunsch nach Revision dieses Vertrages sollte hier seinen Ursprung haben und die Weimarer Republik durchgehend begleiten.337
Grundsätzlich wurden alle Soldaten auf die neue Weimarer Reichsverfassung vereidigt. Ob und wann auch Witzleben vereidigt wurde, ist nicht nachweisbar. Da er der Reichswehr von Beginn an angehörte, kann von seiner Vereidigung ausgegangen werden.338
Witzleben diente in den nächsten Jahren wieder in Liegnitz, als Chef der Maschinengewehrkompanie im 8. (Preuß.) Infanterie-Regiment, das zum Teil aus seinem alten Regiment hervorging und die Traditionspflege der Königsgrenadiere übernahm.339 Zunächst war diese Zeit nicht einfach für ihn – wie für große Teile des deutschen Volkes.340 Aber Witzleben versuchte, das Beste aus der Situation zu machen. 1920 wurde er in den evangelischen Johanniterorden als Ehrenritter aufgenommen,341 dessen Ziele und Werte er bejahte.342 Die Mitgliedschaft war für ihn aber vor allem eine große Selbstverständlichkeit: Zahlreiche Familienangehörige, Freunde und Kameraden gehörten dem Orden ebenso an wie sein Regimentskamerad Oskar Prinz von Preußen, zu dem er weiterhin Kontakt pflegte.343
Zu Beginn der zwanziger Jahre wurde die junge Republik immer wieder von Unruhen und Aufständen heimgesucht. Am 13. März 1920 versuchten rechtsradikale Gruppen unter der Führung von Wolfgang Kapp und General Walther Freiherr von Lüttwitz gegen die Reichsregierung zu putschen. Die Reichswehr als Ganzes unterstützte zwar den Putsch nicht, griff aber auch nicht ein. Letztendlich brach er nach fünf Tagen zusammen, weil ein Generalstreik sämtliche Handlungsoptionen der Putschisten zunichtemachte.344 Im Zuge der Aufarbeitung des Umsturzversuches mussten einige Offiziere die Armee verlassen, weil sie mit den Putschisten sympathisiert hatten.345 Witzlebens Einstellung zu diesem Coup d’État ist nicht bekannt. Liegnitz lag in der Provinz, weit entfernt von der Reichshauptstadt. Auf jeden Fall verblieb er in der Armee.346
Das Verhältnis zwischen Reichswehr und vielen Parteien der Weimarer Republik war schwierig.347 Besonders die Linksparteien wurden von vielen Reichswehroffizieren als sehr anti-militärisch wahrgenommen, und auch das Verhalten der SPD wurde sehr kritisch gesehen.348 Reichspräsident Ebert hatte in dieser Zeit entgegen der Mehrheit seiner Partei Verständnis für die Soldaten,349 ein Grund dafür, dass Witzlebens Einstellung zu Ebert weiterhin positiv blieb. Er hielt diesen Sozialdemokraten für einen Patrioten und »ordentliche[n] [...] Mann«350 und traute dem Reichspräsidenten sogar zu, die Monarchie wiedereinzuführen.351 Diese positive Beurteilung durch Witzleben war keineswegs typisch – so war beispielsweise der Vater seines späteren Mitarbeiters Hans-Alexander von Voß, Hans von Voß, »stolz darauf, des Hochverrats gegen Herrn Ebert und Genossen angeklagt gewesen zu sein«352.
Witzleben verehrte auch weiterhin Paul von Hindenburg und begrüßte dessen Wahl zum Reichspräsidenten.353 Als seine Tochter Edelgarde im März 1929 volljährig und damit wahlberechtigt wurde, empfahl ihr der Vater, der als Soldat selber nicht wählen durfte, ihr Wahlrecht wahrzunehmen und »national«354 zu wählen. Welche Partei er damit konkret empfohlen hatte, bleibt offen.
In Liegnitz pflegte die Familie auch Kontakte mit jüdischen Mitbürgern. So war beispielsweise der Hausarzt der Familie der jüdische Arzt Weichmann – der Vater des späteren SPD-Politikers Herbert Weichmann.355