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BEI BERT IN DEN BERGEN

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Ich parkte das Auto. Mein Herz hüpfte wie wild, als ich Bert aus dem Haus laufen sah. So sehr wollte ich ihn umarmen. Bert verbeugte sich und grinste schelmisch.

»Namaste«, flüsterte er.

»Jammerst eh?«, gab ich zurück.

»Ein wenig.« Bert kickte mich mit seinem rechten Fuß, sodass ich etwas das Gleichgewicht verlor. »Wenn man bedenkt, was gerade abgeht. Denk nur an die scheibchenweise Aushöhlung der Grundrechte.«

Miriam, Berts Frau, eilte aus dem Holzhaus, gefolgt von den Kindern Ben und Jana, die sofort auf Franziska zustürmten.

Miriam und Bert waren in den letzten Jahren richtig dicke Freunde von uns geworden. Franziska liebte es, mit Ben und Jana zu spielen. Wenn ich sie mit den Kindern sah, war mir klar, dass sie eine wunderbare Mutter sein würde.

»Ich weiß, ihr hattet noch Kontakt zu Schülern. Aber was meinst du, Noah? Wir könnten uns ja trotzdem umarmen. Das Virus, auch wenn es etwas giftig wirkt, wird uns als junge Familie nichts anhaben können.«

»Ich würde euch gern knuddeln«, erwiderte Franziska. Sie hatte kaum ausgeredet, da rannte Miriam zu ihr, drückte und küsste sie.

»Wir sind derzeit nur mit euch in Kontakt«, erklärte Bert nochmals. »Und wir nehmen das Virus nur ein klein wenig ernst.«

»Ach, der Ernst!« Ich schnappte mir Bert und tanzte mit ihm rund um seinen Lagerfeuerplatz. Tat das gut, hier oben in den Bergen unbemerkt und unbeschadet einander zu herzen. Eine Oase der Seligen inmitten einer erstarrten Welt.

»Holt eure Sachen und kommt rein«, befahl Miriam.

Wir huschten in die warme Stube und setzten uns um den großen Esstisch. Miriam servierte eine Gemüsesuppe und ihr frisch gebackenes Brot. Wie sehr hatte mir das Zusammensein mit Freunden gefehlt.

»Wie läuft’s unten im Tal? Wie geht’s euren Schülern?«, wollte Miriam wissen.

»Es ist gespenstisch ruhig im Ort«, erklärte ich. »Kaum jemand ist auf der Straße. Am ehesten noch alte Leute, die einkaufen gehen. Unsere Schüler machen sich großartig. Die Arbeiten gehen gut voran. Irgendwie ist es aber stressig. Ich habe das Gefühl, dauernd erreichbar sein zu müssen.«

»Ja, ich bin ständig am Handy und am Laptop wegen der Mails und der Ergebnisse auf den Online-Plattformen. Ich brauche echt mal richtig Zeit zum Durchatmen.« Franziska biss herzhaft in die Brotscheibe und verdrehte verzückt die Augen.

Miriam setzte Kaffee auf und wies uns das Gästezimmer zu, in dem ein Spruch von Lame Deer jun. an der Wand zu lesen war.

Man brachte euch bei, euren Verstand bis zum Perfektionismus zu gebrauchen. Wir bringen unseren Kindern bei, mit dem Herzen zu denken. So musst du dich nicht schämen, einem Menschen unter die Augen zu treten, seine Hand zu schütteln und ihn offen anzuschauen und mit ihm zu sprechen. Das ist ein gutes Gefühl.

Bert liebte inspirierende Zitate und verteilte sie überall im Haus.

»Wie geht es Jana und Ben in der Schule?«, fragte ich ihn.

»Miriam und ich überlegen, sie rauszunehmen.«

Er zeigte auf ein weiteres Zitat. Es war wieder von einem Sioux-Indianer. Leonhard Crow Dog.

Meine Eltern sorgten sich um meine Erziehung, daher ließen sie mich nicht zur Schule gehen.

»Noah, es ist der indigene Weg, dem ich noch intensiver folgen möchte. Er erscheint mir zurzeit der wesentlichste. Kommst du mit raus? Ich will dir was zeigen«, fragte mich Bert.

»Ja, ein wenig Vitamin D tanken kann dem Immunsystem nicht schaden.«

Wir spazierten in Richtung einer Anhöhe. Der Weg führte durch einen prachtvollen Nadelwald. Fichten, Tannen und sogar Lärchen streckten sich gegen den Himmel.

»Was würdest du den Menschen sagen, die jetzt allein sind?«

»Liebe Mitbürger und -innen«, begann ich und zündete mir eine Zigarette an. »Hier spricht euer Präsident. Wisst, dass wir auch das schaffen werden. Ich danke euch, dass ihr mir mein Laster verzeiht. Mittlerweile raucht ja auch mein griechischer Straßenköter, den ich adoptiert habe. Es soll der Rauch des Friedens sein, der uns verbindet.«

»Ach, Noah!« Bert steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Kannst du etwas präziser sein?«

»Ich möchte euch eines mitteilen, euch allen, die ihr nun getrennt und in Isolation sein müsst, um euch und andere zu schützen: Es gibt keine Trennung. Wir sind in Wahrheit nicht getrennt. Der Gedanke der Trennung ist die erste große Illusion, die zu allen weiteren führt. Gerade jetzt ist dies elementar zu verstehen. Wir kriegen das schon hin, auch wenn Corona wie ein Frisör in den nächsten Monaten Dauerwellen produziert. Das wird schon.«

Bert applaudierte. »Du hast mir gefehlt, Noah. Jetzt zieht wieder Humor ein in mein Leben.« Schweigend gingen wir weiter, bis er stehen blieb und fragte: »Warum sind die meisten Kabarettisten Männer? Und warum lachen Frauen mehr als Männer? Was meinst du, Noah?«

»Ganz klar, das ist das liebevoll-geistige Eindringen des Männlichen. Das Weibliche antwortet mit ekstatischem Lachen.«

Bert schmunzelte und strahlte so viel Wärme aus, als wäre er voller Licht.

»Sag einmal, ich spüre bei dir was Neues. Als wärest du an eine frische Energie angeschlossen. Ist da was?«

Bert grinste wieder. »Vor dir lässt sich aber auch nichts verbergen. Wenn die Zeit reif ist, weihe ich dich in ein Geheimnis ein. Du wirst staunen.«

»Ich freu mich drauf. Bin schon gespannt wie ein Regenschirm.«

»Zurück zur Verbindung, Noah. Du weißt ja, dass die Wale der Meere und die des Festlandes, die Elefanten, miteinander Kontakt aufnehmen können. Sogar über weite Strecken. Sicher sind sie auch telepathisch verbunden und wir sind dazu ebenso in der Lage.«

»Hoffentlich können wir die Elefanten vor dem Aussterben bewahren wie vor vielen Jahren die Blauwale. Aber seit China global so kräftig mitspielt, ist die Situation verheerend.«

»Und jetzt kommt dieses Virus wieder aus China.« Bert runzelte die Stirn.

»Ob das Virus in den Tiermärkten Wuhans mutierte oder vom einzigen chinesischen Biolabor der Schutzstufe 4, dem Institut für Virologie Wuhan, seine weltweite Reise antrat: China und viele fernöstliche Länder haben ein Problem im Umgang mit Tieren. Tiere sind dort einfach nur eine Ware, die man konsumiert. Diese Tiermärkte sind ein Skandal. Das Wort Tierkörperverwertung bekommt eine ganz andere Bedeutung. Sogar die traditionelle chinesische Medizin ist gekippt und hat das Aussterben vieler Arten weltweit zu verantworten.«

In diesem Moment huschte ein Eichkätzchen vorbei und kletterte eine Eiche hoch. Kurz hielt es am ersten Ast inne und schimpfte mit uns. Wir hatten es wohl gestört. Was für ein hübscher, kleiner Räuber. Bald würde er die Nester vieler Vögel bedrohen.

»Weißt du was, Bert? Mir fällt gerade das Schuppentier vom Kopf, also die Schuppen von den Augen. Ja, das ist es: Das Virus ist doch Medizin. Starke Medizin mit starken Nebenwirkungen. Die Quarantäne wird vielen Menschen Leiden zufügen. Aber dieses Anhalten wird auch ein Innehalten auslösen. Wenn du nicht raus kannst, was machst du dann im besten Fall? Du gehst nach innen. Ich will es nicht schönreden. Viele wissen jetzt nicht, wie es weitergeht. Künstler, Kleinunternehmer, alte und kranke Menschen. Ich weiß. Und dann die Gefahr großer Überwachung. Internetgiganten profitieren, kleine Geschäfte sterben. Aber die Stopptaste ist auch die Chance der Einkehr und Umkehr, die Chance für eine neue Erde.«

»Amen, Noah.«

»Bitte, gerne geschehen. Frag nur, wenn du etwas wissen willst.«

Wir schlenderten die Anhöhe hinauf und genossen den Ausblick. Unzählige Dohlen zeigten uns ihre Flugkünste am tiefblauen Himmel. Das Tal lag still vor uns, kein Auto war zu hören und zu sehen. Eine Zäsur des Lärms legte einen Teppich der Stille über die Welt. Der Lärm hatte sich in die digitale Welt geflüchtet. Die Natur schien sich jene Plätze zurückzuholen, die der Mensch in seinem Expansionsdrang vor Kurzem noch besetzt hatte.

Wir mussten uns wieder daran erinnern, dass wir Teil der Natur waren und auch Teil des Geistes. Beides hatten wir zu lange vergessen. Würden wir nach dieser Pandemie neue Wege gehen? Liebevolle Wege der Freiheit oder ängstliche Wege der Sicherheit?

Feuer ins Herz

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