Читать книгу Feuer ins Herz - Gerald Ehegartner - Страница 18

DEMÜTIGE OBERLEITUNG MIT WIT-ZEN

Оглавление

Ich legte das Smartphone weg und wandte mich Coyote zu. »Siehst du das auch so, Coyote?«

»Diese Dramatik? Die Welt wandelt sich, sie ist auf Visionssuche. Wir leben in einer Schwellenzeit. Wunden kommen hoch, Wunder geschehen. Verborgenes, Hässliches und Unerlöstes will geheilt werden. Eine heikle Phase, die ohne starken Spirit zermürbend werden kann. Eine längere Reise vom Schatten ins Licht. Zeit für Standortbestimmung und gute Visionen. Guten Craic.«

»Zu Beginn der Ausgangssperre dachte ich, dass viele Raupen sich verpuppen und nach der Pandemie ihre Häuser als Schmetterlinge verlassen werden.«

»Absolut. Wir werden mehr Schmetterlinge sehen als je zuvor. Schau genau, wenn die Türen wieder geöffnet werden, welch bunte Schmetterlinge den Kokon der Wohnungen verlassen. Leider geraten viele in Angst und Panik und bleiben im Stadium der Puppe hängen. Puppen für die Puppenspieler. Puppen und Schmetterlinge trennen sich gerade wie Spreu und Weizen, obwohl es natürlich keine echte Trennung gibt. Die Phase geht noch weit über diesen Shutdown hinaus.«

»Coyote, ich rekapituliere. Vor zirka 500 Jahren ging das Mittelalter zu Ende. Amerika wurde entdeckt, der Buchdruck war gerade erfunden. Die Welt wurde umsegelt und alle wussten: Die Erde ist keine Scheibe. Luther forderte die katholische Kirche mit ihrem Ablasshandel heraus.«

»Richtig, die gnadenlose Schutzgelderpressung zum Jenseits nahm ihr Ende. Aber es passierte noch was anderes. Vielleicht wurde es nicht so sehr bemerkt, aber es war umso spektakulärer. Das Weltbild änderte sich. Die Erde war nicht mehr der Mittelpunkt, sondern die Sonne. Kopernikanische Wende, heliozentrisches Weltbild, nicht wahr?«

»Welche Wende haben wir?«

»Du weißt es, Noah. Ich habe dich ein wenig beobachtet. Dir ist es schon gedämmert.«

»Göttlicher Stalker, die Aufgabe des selbstverliehenen Titels Krone der Schöpfung? Die demütige Eingliederung in das lebendige Ganze?«

»Bingo. Die Erkenntnis: Wir sind alle miteinander verbunden. Das ist der große Slogan des neuen Weltbildes. Wir müssen unseren Selbstdünkel aufgeben, von Besonderheit, die absondert, absehen. Und jetzt kommt’s: In der Absonderung wirkt alles leblos und substanzlos. Wenn ihr euch wieder eingliedert und euren wahren Platz, der mit der Wirklichkeit korreliert, einnehmt, dann wird alles lebendig. Ihr seid von Leben erfüllt, weil ihr mit dem Leben verbunden seid. Ihr werdet vom Thron steigen und mitten ins Leben springen und merken, um wie vieles ihr glücklicher seid. Die Erkenntnis eines lebendigen Universums löst den Glauben an eine tote Materie ab. Der Baum des Todes hat ausgedient. Hoch lebe der Baum des Lebens. Auf den Paradigmenwechsel! Auf das Leben, Noah!«

»Die großen Wenden führen aber immer dazu, den Mittelpunkt aufzugeben.«

»Ihr nennt sie die großen Kränkungen der Menschheit. Gekränkt ist nur das Ego, jener Teil, der die Trennung liebt, der sich absondert, nach Besonderheit strebt und sich so selbst krönt. Die Folge ist oftmals ein Lockdown des Mitgefühls. Niemand steht über jemand anderem. Der Mensch ist Teil der Natur, er ist Natur, mit allen Lebewesen verbunden. In seiner Rolle ist er sogar weniger wichtig als andere Lebewesen. Vergleicht euch mal mit den Bienen oder Ameisen. Da habt ihr schlechte Karten. Übrigens: Irgendwann wirst du verstehen, dass es keine Mittelpunkte gibt.«


»Demut hat immer einen schalen Beigeschmack. Wie altertümliches Knien auf morschen Kirchenbänken vor dem am Kreuz hängenden Jesus.«

Coyote sprang auf meinen Tisch. Endlich war es wieder so weit. Er schwang sich in den Kopfstand und sprach: »Also, wenn Demut vor dem Kreuze kriechen bedeutet, dann ist es einfach nur das Ego, das einen Kopfstand macht und Demut vorgaukelt. Demut, die hat nichts mit falscher Selbsterniedrigung zu tun. Demut ist die natürlichste Sache der Welt. Demut bedeutet, das Ego loszulassen und nicht den Kopfstand des Egos.

So offenbarst du deine wahre Größe. Weder Überhöhung noch Erniedrigung. Beide gehören ins Reich des Egos und bedingen sich. Wenn du dich überhöhst, erniedrigst du dich gleichzeitig. Das Spiel funktioniert auch umgekehrt. Die einen spielen Täter, die anderen Opfer. Beide spielen auf der Bühne des Egos, nur dass die Opferrolle die subtilere ist.«

Er drückte sich plötzlich kurz in den Handstand und sprang vom Tisch. »Eins verrate ich dir noch. Demut macht dich locker. Du nimmst dich nicht so ernst und entwickelst Humor. Liebe zu allem, auch zu dir selbst, erblüht. In der großen Freiheit bist du ans Leben angeschlossen und voller Energie. So wie ein Oberleitungsbus, der an das Netz angeschlossen ist. Du musst nur die Verbindung herstellen. Dabei musst du dich aber aufrichten. Wenn du Kinder unterrichtest, verlieren sie die Verbindung zur Oberleitung. Richte sie auf! Okay?«

»Cooles Bild, Coyote.«

»Dies wird die Schule revolutionieren und neu ausrichten. Wenn du aber vom Unterrichten zum Aufrichten wechselst, lass dich nicht von so manchen Nachrichten wieder nachrichten. Bleib aufrecht. Hast du das verstanden?«

»Ja, ich bin begeistert.«

»Die Erkenntnis, dass wir eins und miteinander verbunden sind, erfolgt während des spektakulärsten Shutdowns der Menschheitsgeschichte. Ganz intensiv über das All-eins-Sein, über das Alleinsein. Das ist die große Paradoxie – und die liebe ich.« Er klatschte in die Hände und tanzte durch den Raum. Das Licht fiel aus. Es war stockdunkel. »Wie klingt das Klatschen einer Hand?«, rief er.

Still war es. Ganz still. Ich lauschte, Coyote war nicht zu hören.

»Wie viele Zen-Mönche braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln, Noah?«, flüsterte er.

»Keine Ahnung, sag’s mir, Coyote.«

»Einen zum Wechseln und einen zum Nichtwechseln.« Er lachte schallend.

»Du, mit deinen Wit-zen. Ich werde dir unsere Lieblingsfee kreden-zen: die Kaf-fee. Aber erst wechsle ich die Birne. Ich hab noch eine alte.«

»Eine sehr gute Idee, Noah. Eine sehr gute.«

Warum nur hatte ich das komische Gefühl, dass er nicht nur die Glühbirne meinte?

Feuer ins Herz

Подняться наверх