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DIE RÜCKKEHR UND DER TANZ MIT DEM COYOTEN

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Was würde Franziska sagen, wenn sie Coyote sah? Sie hatte damals gefühlt, wer er war. Seitdem hatte ich ihr unzählige Geschichten anvertraut. Sie und Bert waren so was wie Eingeweihte. Auch Miriam wusste, wer John Fox war. Ich traute mich nicht mehr, das Zuhause zu verlassen, um Franziska zu holen. Miriam und Bert wollten, soweit es möglich war, in ihrer Hütte am Berg bleiben.

Also bot sich Martin an, Franziska zu holen. Er freute sich, mit Miriam und Bert ein wenig reden zu können.


Coyote und ich saßen am Tisch und plauderten gemütlich. Wir legten Musik ein und genossen den Vormittag.

»Es liegt eine erstaunliche Stille in der Luft, Noah. Spürst du sie? Sie wird in den nächsten Tagen noch tiefer gehen.«

»Beim Joggen hab ich mehr Tiere als sonst gesehen. Die Rehe bleiben ruhig stehen, wenn ich vorbeilaufe. Das ist so neu für mich.«

Coyote nickte. »Die Stille ist der Donnerschlag für einen Neubeginn. Die äußere Stille hält aber nicht ewig. Ihr werdet in wenigen Monaten bewellt werden. Euer Schiff wird dann durch meterhohe Dauerwellen segeln. Und ihr werdet euch zeitweise wie ein Sandwich fühlen, eingeklemmt zwischen alter und neuer Energie. Erinnere dich dann immer an den Donnerschlag der Stille.«


Ich schrieb eine Nachricht an meine Schüler, korrigierte Texte und holte den Sack Kartoffeln, den ich von meinem geliebten Bioladen erstanden hatte, um Franziska mein Erdäpfelgulasch zu kochen. Die Besitzer des Bioladens machten seit der Corona-Krise doppelten Umsatz und hofften auf einen nachhaltigen Geschäftszuwachs. Ich hoffte auch, dass jene profitieren würden, die auf Nähe und nicht auf Distanz setzten, fürchtete aber, dass Distanzanbieter wie die IT-Branche bald durch die Decke gehen würden.

Mit Schwung begann ich die Zubereitung des Gulaschs. Coyote schnitt die Zwiebeln und schälte Kartoffeln.

»Wie ich den Geruch von angebratenen Zwiebeln liebe. So elementar und belebend. Ich bin zu Tränen gerührt. Einfach ehrlich herrlich.«

»Herrlich währt am längsten, Coyote.«

Als das Gulasch, gewürzt mit Paprika, Majoran, Kümmel und Lorbeerblättern, köchelte, hörte ich den bekannten Rhythmus von Franziskas Füßen auf der Treppe. Vor der Wohnungstür fing ich sie ab. Wir küssten uns innig. Was für eine unglaubliche Frau!

»Hier riecht’s verdammt gut. Hab ich einen Hunger, Noah!«

»Ich werde dir die Augen verbinden. Es gibt eine kleine Überraschung.«

Franziska konnte ihre Neugier kaum im Zaum halten, als ich sie an ihren Platz führte. »Franziska, das Überraschungspaket ist vielleicht doch größer als klein. Dir wird das Essen von einem Freund serviert.«

»Echt? Wir haben viele Freunde, Noah. Das ist nicht so leicht.«

Coyote kam mit dem Topf Gulasch zu Tisch und stellte diesen ab. Ich stand hinter Franziska, hatte meine Hände auf ihre Schultern gelegt. »Hast du eine Ahnung, wer es sein könnte?«

Während sie ein paar Namen durchging, sang Coyote: »Hallo Franziska, ich bin’s: Old Man Coyote

Franziska riss das Tuch herunter, schaute auf und sah Coyote. Sie sagte nichts, sondern begann zu schluchzen, während sie meine Hand hielt. »Komm, alte Seele. Die Überraschung scheint gelungen. So furchtbar schaue ich doch nicht aus.«

Franziska blickte mich an, dann rannte sie zu Coyote, der am anderen Ende des Tisches stand. Sie hüpften durch den Raum wie kleine Kinder, die viel zu lange getrennt gewesen waren. Ich klatschte in die Hände. Eine Träne rollte über meine Wangen.


Wir gönnten uns bestes Erdäpfelgulasch und schwelgten in Erinnerungen.

»Wie bin ich froh, dich wieder zu sehen, John. Pardon, Coyote. Endlich kann ich dich umarmen und mit dir reden. Davon träume ich seit Jahren.«

»Hast du unsere Verbindung gespürt, Franziska?«

»Ja, sehr intensiv. Aber manchmal gab es Tage, wo du nicht erreichbar warst.«

Coyote grinste. »Auch wenn die Leitung besetzt scheint, ihr habt eine Hotline zu mir. Hotline to heaven. Die führt aber nicht nach draußen. Sie führt nach innen ins Herz und das ist nie weit entfernt und nie besetzt. Nur manchmal steht ihr auf der Leitung und macht’s zu kompliziert.«

»Wisst ihr, was mich auf dem Weg hierher traurig gemacht hat?«, fragte Franziska. »Die Kinderspielplätze sind leer, Spielgeräte sind mit Klebebändern abgesperrt. Das Recht der Kinder zu spielen ist wie ausgehebelt. Kinder und Jugendliche mutieren von Hoffnungs- zu Virenträgern. Wie konnte das passieren? Sie gehören nicht einmal zur Risikogruppe und ihnen wird fast alles verboten. Wahrscheinlich bleiben ihnen in Zukunft Feste, Feiern, Konzerte, Praktika und vieles andere verwehrt.

Ist das die neue Normalität? Was bedeutet diese Phrase, dieses gefährliche Framing, das wieder einmal Alternativlosigkeit beschwört? Damals, nach den Anschlägen 2001, wurden wir da nicht auf einen andauernden Krieg gegen den Terror eingestellt? Die Welt war nicht mehr dieselbe und Gut und Böse hatten neue Namen. Das nenne ich gekonntes Agenda-Setting.«

Coyote nickte. »Wir werden ständig über unseren Feind unterrichtet. So hat der Tag nach dem Aufstehen sofort Struktur. Nachrichten zu übernehmen ist das neue Nachdenken. Leider leben wir dann in einer Schleife des Daueralarmismus«, ergänzte ich.

»Vor wenigen Wochen mussten die Kinder in unsere Schulen kommen, jetzt müssen sie zu Hause bleiben. In Deutschland, China, Nordkorea und Schweden ist die Situation noch einschneidender. Dort gibt es immer noch eine Schulbesuchspflicht. Schweden fügt sich nicht ein in die neue Normalität während der Corona-Krise. Das finde ich erhebend. Ich glaube, es ist der richtige Weg in die Zukunft, wenn der fokussierte Schutz der Risikogruppe glückt. Da wurden am Anfang Fehler gemacht. Das Land von Astrid Lindgren und Pippi Langstrumpf geht mutig voraus. Übrigens, hier bei uns ist die Polizei extrem streng, aber dass du dreimal aufgehalten wurdest, Noah, das ist schon eine Leistung.«

»Danke für das Kompliment, Franziska.«

Wir sprachen darüber, dass vielen Kindern nur noch die elektronischen Endgeräte zu Hause blieben. Der körperliche Kontakt zu anderen Kindern war vielen nicht mehr möglich. Franziska fürchtete, nach dem Shutdown Cyborgs in den Klassen begrüßen zu müssen. Zumindest könnte die erste Übertragung von Computerviren auf Menschen stattgefunden haben, so als ob Zoonosen nicht reichen würden. Die Schule wäre in Zukunft wohl eine der letzten Freiräume vor dem Alleskönner namens Smartphone.

Wir waren uns sicher, dass das Lernen zu Hause für selbstorganisierte und freiheitsliebende Schüler eine Zeit lang spannend war. Andere würden eine förderliche Struktur vermissen und ins Hintertreffen geraten. Vielleicht lernten Kinder und Jugendliche nun jene Dinge, die ihnen oft verwehrt waren.

Eltern mussten zu Hause bleiben, auch die Väter. Gemeinsames Kochen, Werken, Spielen standen am Programm. Einfach Dinge des Alltags. Wesentliches Lernen mit den Eltern, wenn diese das bieten konnten, war nun neuer Teil des größeren Lehrplans.

»Coyote«, begann Franziska, »ich denke, dass hinter dem Corona-Virus eine Verschwörung des Bildungsministeriums steckt. Man will die Digitalisierungskompetenz der Lehrer vorantreiben. Jetzt geht’s blitzschnell. Kollegen werden zu Meistern der Digitalisierung. Also, der Mann an der Spitze des Ministeriums hat wohl das Fass mit Viren geöffnet.«

»Das ist zu kurz gedacht«, warf ich ein, während ich an dem Schober knabberte, den Franziska von Miriam mitgebracht hatte. »Da könnte man ja gleich behaupten, die Rentenversicherungsanstalten weltweit hätten eine Intrige geschmiedet.«

Coyote lächelte ob unserer nicht ganz ernst gemeinten Verschwörungstheorien.

»Okay, alter Mann. Die Frage aller Fragen.« Ich stand auf und sprach mit ausladender Geste. »Wie sollen wir unseren Kindern später erklären, dass eine einzige Fledermaus in China einen weltweiten Run auf Klopapier auslöste?«

»Oh Sohn des Pluto. Merke dir folgende Wörter: Fledermaus, Klopapier, Arschlöcher und Dunkelheit. Wir werden dazu eine Geschichte schreiben, denn sie haben Geschichte geschrieben. Ich muss … aber auf die Toilette. Legt gute Musik ein.«

»Ah, da bauen wir dann eine Reizwortgeschichte«, erklärte Franziska.

»In der Tat!«, schallte es aus der Toilette. »Nicht mal Batman wird euch retten!«, hörte man ihn. »Ihr seid jetzt in euren Zellen eingeschlossen, wie Nonnen und Mönche. Ihr rettet euch selbst. Holy Shit. An nichts könnt ihr euch festhalten. Nicht einmal am Klopapier.«

Ich schnappte meine Gitarre und sang mit Franziska Holy Shit. Die Wörter und Melodien purzelten nur so heraus. Wir sangen und lachten.

Nachdem der letzte Ton verklungen war, meinte Franziska: »Sag einmal, was ist mit Coyote los? Hat er sich in der Toilette runtergespült?«

»Coyote, wo bist du?«

Kein Wort, kein Ton. Ich klopfte an die Tür. Nichts. Ich öffnete diese. Coyote war spurlos verschwunden. Dann entdeckte ich auf der Klopapierrolle Wörter.

»Die Kraft des spurlosen Scheißens ist der wahre Weg des Feuerlotus. Die Spur des kraftlosen Scheißens führt ins Verderben. Staune, lerne und scheiße.«

All das war fein säuberlich aufs Klopapier geschrieben. Darunter noch die Unterschrift: Die Schutzpatronin des Klopapiers: Hakle feucht.

Ich lachte mich schief, Franziska rümpfte die Nase.

Feuer ins Herz

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