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FÜCHSE, AUFERSTEHUNG, GROßVATER UND EINGEBORENE

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Er bog scharf in einen Waldweg ein. Coyote stellte den Motor ab, der Wagen knisterte ein wenig. Die Bremsen stanken nach angebranntem Gummi. Die brauchten dringend ein Service.

»Noah, wir fahren nicht denselben Weg zurück. So vermeiden wir Probleme.«

Als wir im Dunklen vor dem Auto standen, knackste es im Wald. Eine Füchsin näherte sich. Ein Waldkauz rief. Ein Ruf, der immer etwas tief in mir berührte. Die Füchsin kam noch näher. Ob sie Tollwut hatte? Coyote stand ruhig. Eigentlich war die Tollwut in Österreich ausgerottet. Coyote blickte die Füchsin an. Sie hob ihren Kopf und drehte um.

»Wir sollen ihr folgen«, flüsterte der alte Trickster.

Wir schlichen durchs Unterholz, bis zu einem Fuchsbau.

»Sie hat Junge, Noah, und diese nur kurz allein gelassen. Sie sind erst wenige Tage alt und nicht alle werden überleben. Die Füchsin hat früh geworfen. Ihren Partner hat sie im Winter verloren, er wurde von einem Jäger erlegt«, flüsterte Coyote eindringlich.

»Echt? Das weißt du alles?«

»Ja, Noah. Meinst du, ich könnte nicht mit meinen Freunden reden?« Er grinste ein wenig traurig, das Mondlicht spiegelte sich in seinen Vorderzähnen. »Die Füchsin muss selbst die Jungen großziehen. Der Vater, der sich liebevoll um die Familie gekümmert hätte, tut sein Bestes von der anderen Seite aus. Aber es ist schwer, Noah, dieses Leid ist sinnlos. Ohne Väter sind die Jungen bei weitem nicht so kräftig. Männliche Füchse sind fantastische Väter. Für die Füchsin ist das eine Herkulesaufgabe. Viel zu viele Jäger schaffen alleinerziehende Fuchsmütter. Und glaub mir: Die meisten schießen, weil sie in den Füchsen Beutekonkurrenten sehen. Der Fuchs ist für sie das Sinnbild des letzten größeren Beutekonkurrenten geworden. Was für ein Irrtum!«

Coyote bedankte sich bei der Füchsin. »Ich habe ihr Kraft gegeben. Nun kümmert sich zusätzlich jemand um sie.«

»Wie meinst du das?«

Coyote stellte sich auf einen Baumstamm und richtete sich auf. Auf sein Haupt legte er einen Kranz aus Gräsern. »Sie hätten euch so viel zu erzählen. Ihr könntet so viel lernen. Aber ihr habt euch isoliert und euch ungefragt gekrönt. Die Götter lachten, als ihr alle anderen von eurem kühlen Fest ausgeladen habt. Aber ihr nahmt euch ernster als ernst. Wie nennen die Psychologen diese Krankheit, wenn das Ich zu sehr gefällt?«

»Selbstgefällig? Selbstverliebt?«

»Das ist sprachlich ungenau. Das Selbst darf euch gefallen. Du sollst in dein Selbst verliebt sein. Dein Selbst ist unendlich und verbunden. Verwechsle niemals das wahre Selbst mit dem isolierten kleinen Ich. Wenn du in dieses verliebt bist, dann nennt man das …«

»Narzissmus, Coyote.«

»Ach ja, genau. Viele Idole und Altäre sind nichts anderes als Spiegelbilder, worin man zu ertrinken droht. Aber ein kleines Virus erinnert gerade daran, wie verwundbar der Mensch doch ist. Und es hat keine Sympathien und Antipathien. Erstaunlich, nicht wahr? Die isolierteste Spezies des Planeten wird gerade isoliert. Jetzt erlebt ihr den Höhepunkt der Isolation. Es ist die Krönung. Danach werden viele umkehren. Die einen früher, die anderen später. Es wird eine Auferstehung aus dem Grab der Isolation, auch wenn das Ego dieses streng bewacht. Die wahre Krone am Haupt wird sich öffnen und der tausendblättrige Lotus blühen.«

»Danke, Coyote.«

»War ich gut?«

»Etwas pathetisch, aber gut gebrüllt, Löwe!«


Coyote und ich kehrten zum Auto zurück. Der Mond hatte seinen Platz am Firmament geändert. Der Alte schwieg. Er bestand darauf, selbst zu fahren. So saß ich auf dem Rücksitz und dachte über seine Worte nach, während wir Richtung Großeltern fuhren. Fast flogen wir. Coyote war wieder viel zu schnell unterwegs.

Er sang die ganze Zeit Swing low, sweet chariot, Coming for to carry me home, während wir durch die Landschaft wie eine wild gewordene Sternschnuppe rasten.

»Zeig deiner Oma, wie sehr du sie liebst. Weißt du, sie schämt sich, ihr ist das alles unangenehm. Wenn du ihr das Gefühl gibst, dass sie in Ordnung ist, braucht sie sich nicht zu schämen. Scham ist eine der tiefsten Fallen überhaupt.«

Ich klingelte bei meinen Großeltern. Die Nachbarn hatten das Auto gesehen und waren nach draußen gekommen. Sie erzählten mir, wie oft Oma sich verirrte und wie wütend sie wurde. »Sie ist nicht mehr die Alte, sie hat sich so verändert«, sagte die Nachbarin, die Oma mehrmals im Dorf aufgelesen und nach Hause gebracht hatte.

»Dein Opa macht eine schwierige Zeit durch«, erklärte ihr Mann.

Ich läutete wieder an der Tür meiner Großeltern, diesmal mehr nervös.

»Noah? Bist du es?« Die warme Stimme meines Großvaters war zu hören. »Du bist mein lieber Enkelsohn, an dem ich Wohlgefallen habe.« Er lächelte erleichtert.

»Oh danke, Opa.«

»Du bist ja mein eingeborener Enkelsohn.«

»Wie? Ja, ich bin in diesem Gebiet schon ein Eingeborener, ein Native quasi. Sowas wie ein Indigener.«

»Ich meinte, du bist der einzige Enkelsohn. An dich habe ich immer geglaubt, Noah. So wie an meine Enkelin, deine Schwester. Du hast viel Kraft. Das macht mich stolz. Diese biblischen Bilder wollen mir nicht aus dem Kopf. Die Karwoche klopft an die Tür und ein wenig Trost schadet uns nicht. Deiner Oma geht’s seit heute Nachmittag besser. Könnte es doch während der Corona-Krise so bleiben!«

»Kommst du, Viktoria? Noah ist hier. Du darfst ihn aber nicht küssen. Jetzt nur mich.«

Oma kam und grüßte mich.

»Oma, du schaust super aus. Man würde dich auf sechzig schätzen.«

Sie lächelte, aber ihr Blick verlor sich schon wieder in ihren Gedanken. Ich überreichte Opa die Medikamente.

»Danke Noah und bleib gesund. Gesundheit ist das Wichtigste. Das wird einem im Alter klar.«

»Ihr fehlt mir, Opa. Die ältere Generation wird gefeiert werden, wenn der Spuk vorüber ist. Immer mehr Leuten wird klar, wie wichtig ihr seid.«

Tränen kullerten über Opas Wangen.

»Habt ihr genug zu essen?«

»Ja, wir könnten für drei Wochen durchhalten. Mach’s gut, Noah. Wo hast du eigentlich geparkt?«

»Da vorn. Ich hab einen Chauffeur.«

»Was? Ich will gar keine Einzelheiten wissen. Du bist verrückt. Wie dein Papa. Pass nur auf! Auch junge Leute haben schwierige Krankheitsverläufe.«

Ich sprang ins Auto und Coyote ließ es langsam wegrollen.

Nachdem die Nacht das Haus meiner Großeltern verschluckt hatte, gab er Vollgas. »Wir fahren schnurstracks zu dir, Noah!«

»Echt? Warum das?«

»Ich hab Hunger! Riesigen Hunger. Ich könnte einen Braunbären verspeisen.« Coyote lachte und ließ das Gaspedal nicht mehr los. Sträucher und Bäume zischten an uns vorbei, die Berge wanderten gemächlich, nur die Sterne standen fest am Himmel.

Feuer ins Herz

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