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DER RESET-KNOPF

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Die Vorbereitungen für unsere Schüler waren abgeschickt und der Laptop zugeklappt. Die Nacht steckte mir noch in den Knochen. Der tägliche Kontakt mit den Jugendlichen war Franziska und mir eine heilige Pflicht in dieser Corona-Ausnahmezeit. Ich erhob mich, streckte mich und rauchte eine Indian Spirit auf dem Balkon.

Wie viele Jahre waren vergangen, seit ich mit Coyote die verrücktesten Dinge erlebt hatte? War das wirklich alles passiert? Tief in mir wusste ich die Antwort. Damals war ich ein völlig neuer Mensch geworden.

Erinnerungen stiegen wie Kohlensäurebläschen in mir auf. Wie sehr ich ihn vermisste. Nachdem Coyote sich verabschiedet hatte, war es schwer für mich gewesen. Monatelang.

Wie aus dem Nichts war dieser verrückte Alte in meiner Wohnung gestanden und hatte mein Leben auf den Kopf gestellt.

Jetzt, wie aus dem scheinbaren Nichts, hatte ein Virus das Leben der Menschen rund um den Planeten durcheinandergewirbelt.

Diesen Frühling herrschte Ausnahmezustand. Nicht nur mein Zigarettenrauch, auch eine Menge Angst lag in der Luft. Laut und unbarmherzig marschierte sie mit schweren Stiefeln durch die Seelen und Hirne der Menschen. Wie nachhaltig würde diese Zeit die Gesellschaft prägen?

Der Reset-Knopf war gedrückt. Der erste weltweite Shutdown der Menschheitsgeschichte war auch in unserem Alpendorf spürbar. Ich blickte vom Balkon. Keine Motorengeräusche, denn das Leben, wie wir es kannten, stand still. Der Himmel strahlte in einem klaren Blau, das ich so seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Alle sollten zu Hause bleiben. Nur für äußerst wichtige Erledigungen durfte man das Haus verlassen. Franziska und ich wollten trotzdem Bert und seine Familie in den Bergen besuchen. Wir brauchten Luft zum Durchatmen. Die pausenlose Erreichbarkeit über Smartphone und Laptop nahm uns den Atem. Nachrichten konsumierten wir kaum noch; wenn überhaupt, dann nur per Teletext. Wir wollten uns nicht den Bildern aussetzen.

Dem Sog des Mainstreams hatten wir uns schon länger entzogen. Auch die vielen angstbesetzten, auf Klicks schielenden Infos verschiedener Plattformen vermieden wir. Sogar den Kontakt zu investigativen Journalisten und Informationsquellen hinter den Kulissen hatte ich fast auf null reduziert. Was ich wissen musste, das wusste ich. Mir war schon länger klar, dass eine Krise kommen würde. Nur einen Virus als Auslöser hatte ich doch nicht vermutet.

»Beeil dich, Noah. Und vergiss nicht wieder dein Ladegerät«, mahnte Franziska.


Wir klopften noch an der Tür unseres Nachbarn. Josef öffnete vorsichtig. Ich überreichte ihm den Einkauf, den wir für ihn besorgt hatten.

»Kann ich später zahlen? Ich mag jetzt nicht mit Bargeld hantieren.«

»Passt schon.«

»Wahrscheinlich schaffen sie bald das Bargeld auch noch ab.«

»Hoffentlich nicht«, sagte ich. »Ich möchte noch Geschäfte ohne die Banken machen dürfen.«

»Wenn ihr mir den Einkauf vorbeibringt, komme ich mir vor wie beim betreuten Wohnen.«

»Und wenn ich so manche Medien konsumiere, komme ich mir vor wie beim betreuten Denken, Josef. Wir flüchten jetzt in die Berge. Dort können wir abschalten.«

»Vielleicht sollte ich auch den Fernseher abschalten. Die Nachrichten richten mich noch zugrunde vor Angst.«


Ich lenkte meinen klapprigen Toyota an der Schule vorbei. Prachtwetter, blühende Sträucher und zwitschernde Vögel passten nicht so recht zur allgemeinen Atmosphäre der Angst und Unsicherheit. Wohin würden wir uns in den nächsten Jahren bewegen? Löste das Virus neue Entwicklungen aus?

Ich parkte vor dem Bioladen. Franziska sprang raus und holte den Einkauf für Bert, unseren wunderbaren Freund in den Bergen.

»Soll ich die Bestellung hinten in deine Kiste reinstellen, Noah?«, rief sie mir zu.

»Ja, bitte. Und nenn meinen Wagen keine Kiste. Immerhin ist er noch zugelassen.«

»Jakob sagt, er sei eine fahrende Hundehütte. Da bin ich ja noch nett.«

Franziska desinfizierte sich und reichte auch mir das Fläschchen. Am Ende des Ortes winkte uns eine Polizeistreife an den Straßenrand.

»Ihren Führerschein bitte. Warum sind Sie unterwegs?«

»Wir bringen Essensnachschub zu einem Freund in den Bergen.«

»Unser Gebiet ist noch nicht unter Quarantäne gestellt. Das kann aber jederzeit geschehen. Passen Sie gut auf. Und halten Sie Abstand, wenn Sie kommunizieren, junger Mann«, erklärte der Polizeibeamte und runzelte die Stirn.

»Er kommuniziert mit Abstand am besten«, rief Franziska. Der Polizist schmunzelte.


Weiter ging es, hoch in die Berge. Die Landschaft flog an uns vorbei, kaum jemand war unterwegs. Dieses eigenartig sprunghafte Virus hatte die menschliche Welt fast lahmgelegt. Oftmals hatte ich darüber nachgedacht, ob wir Menschen tatsächlich die Krone der Schöpfung waren oder doch nur ein brandgefährliches Virus. Der Mensch hatte eine riskante und beeindruckende Bandbreite. Vom Folterknecht bis zum Heiligen war alles möglich. Jetzt setzte uns ein Virus, das so viel wie Krone bedeutete, tatsächlich die Krone auf. Nur welche? Ein Rettungswagen zischte mit Blaulicht und eingeschaltetem Folgetonhorn an uns vorbei. Ich bremste sanft ab und bog in eine schmale Landstraße ein, die schon zur Forststraße führte, die sich zu Berts Hütte hochschlängelte.

Feuer ins Herz

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