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12. KAPITEL
ОглавлениеDer Kampf mit Lecho und den Seltschanen blieb nicht, wie man annehmen sollte, ein einzelnes Ereignis, von einem machthungrigen und anmaßenden Fürsten begonnen und von Konrad nach harter Bedrängung siegreich beendet, sondern bildete geradezu den Auftakt zu einer Sinfonie blutiger Auseinandersetzungen. Gleich einem Stein, der, in einen Teich geschleudert, Wellen aufwirft, die sich Ring um Ring ausweiten und von innen nach außen, vom kleinen zum großen Kreis den ganzen Wasserspiegel aufwellen und überziehen, so zog der Kampf um Wesamin immer weiter ausgreifende Konflikte nach sich.
Der Frühling hatte noch nicht richtig die blitzenden Raubtierzähne des Winters von den Dachtraufen der Hütten und Häuser entfernt, er hatte kaum das einfarbige Leinen, das die Landschaft zudeckte, mit dem vorsichtigen Grün der Schneeglöckchen und den ersten Farbtupfern wilder Krokusse durchlöchert, als das Getrappel von Pferdehufen in den aufgehenden Wäldern er scholl, das metallene Geklirr von Waffen durch das Tal von Konradsgrün schepperte und rauhe Männerstimmen die frohe Botschaft von der Rückkehr der milden Jahreszeit nicht gerade mit Schalmeien begleiteten. Ein langer Schlangenleib Reiter, mit Rüstungen und Panzern wie mit Echsenschuppen bedeckt, flankiert und gefolgt von Reisigen und Tross, trabte, den Windungen des Baches durch die Tannen und Fichten folgend, in das Waldland hinein.
Wenna, die Gemahlin Lechos, war nach dem Untergang ihrer Familie und nach der Niederlage der Seltschanen auf Wesamin aus der verkohlten, gespensterhaft dunklen Burg geflohen und hatte sich, schwer von Trauer und erfüllt von düsteren Visionen der Rache, mit ihrem engeren Gefolge nach Klutschov begeben, zu Radbod, ihrem Bruder, und Herrn über das nachbarliche Brudervolk der Lemusi. Wenna lag ihrem Bruder mit Bitten, Forderungen und Ermahnungen in den Ohren, unterstützt von den beiden seltschanischen Führern Miko und Otlo, die voll Grimm über die angeblich weibische, auf jeden Fall aber schimpfliche Unterwerfung des Drago, seines Anhangs und des seltschanischen Volkes und trotz des Eides, der Konrad geschworen worden war, ebenfalls lieber das Exil gesucht hatten und das Risiko des Elends in der Fremde eingegangen waren. Es war indes weniger die verwandtschaftliche Verpflichtung, das Leid der Schwester, den Tod des Schwagers und des Neffen zu rächen, die Radbod zum Handeln bewog, auch nicht die Verlockung eines kriegerischen Abenteuers und die damit verbundene Gelegenheit, Beute zu machen, als vielmehr die Aussicht, wie er glaubte, sich selbst auf den verwaisten Thron der Seltschanen schwingen, die Völker der Lemusi und Seltschanen vereinen und seinen Herrschaftsbereich ordentlich erweitern zu können. Also rüstete man in der Heimlichkeit des Winters, berief einen großen Teil der waffenfähigen Männer ein, begründete den Heerzug mit der Notwendigkeit der Rache für ein zugefügte Unrecht und zugleich der Abwehr eines gefährlichen Angreifers und brach auf, sowie sich der Winter aus den Ebenen über die Schwelle des Gebirges nach Norden zurückzog.
Die Heimlichkeit des Vorgehens, mit der sich Radbod und die Lemusi den Vorteil der Überraschung sichern wollten, war allerdings vergeblich. Da man für den Überfall auch die Seltschanen gewinnen wollte, sandte man Boten und Werber unter sie, die die Nachbarn und Brüder an ihre schmerzliche Niederlage erinnern und sie mahnen sollten, das, wie man es nannte, schändliche Joch des Mistbauern und Habenichts Konrad abzuschütteln. Diesen Bemühungen war keineswegs der erhoffte, ungeteilte Erfolg beschieden. Zwar sammelten sich auch Seltschanen unter der Fahne Radbods, stießen Häuptlinge wie Miko und Otlo zu ihr, doch wollte die Mehrzahl des Volkes nichts mehr von einem neuerlichen Waffengang wissen. Es gab im Gegenteil mehrheitlich Kräfte unter den Seltschanen, die das Unternehmen als äußerst waghalsig und als eigentlich zum Scheitern verurteilt einschätzten und die deshalb davor warnten, den wider Er-warten glimpflichen und tragbaren Frieden Konrads auf´s Spiel zu setzen. Es war der neueingesetzte Herzog der Seltschanen selbst, der gemäß seinem Eid und aus einem unguten Gefühl, in der Vorahnung einer drohenden Katastrophe und weil er die milde Oberhoheit Konrads nicht gegen die vermutlich viel strengere Radbods eintauschen wollte, Konrad insgeheim eine Warnung zukommen ließ und ihn auf die Gärung unter den Lemusi aufmerksam machte. Konrad konnte sich auf den Angriff vorbereiten.
So kam es, dass der von Finkenschlägen, Amselfanfaren und anderer Marschmusik begleitete und von einer unbesorgt warmen Frühlingssonne geführte Heereszug Radbods sich an einer Wegbiegung im Tal von Konradsgrün unerwartet einer dichtgefügte, geradezu granitartigen Mauer aus gutgerüsteten, schilder- und helmbedeckten Kriegern gegenübersah, die, des anrückenden Feindes kaum ansichtig, mit lautem Kriegsruf, durchdringendem Hörnerklang und wildem Waffengetöse, einem entfesselten Gebirgsbach gleich, auf die Eindringlinge losstürzten. Zugleich lösten sich von den Berghängen links und rechts weitere Krieger, die, wie Steinblöcke vom winterlichen Frost losgesprengt, von den Flanken her auf die verwirrten Lemusi herunterdrangen, sie durcheinanderwirbelten und ihnen alle Fluchtwege abriegelten. Die Lemusi, eben noch siegessicher und hochgemut, wehrten sich verschreckt. Durch nichts wird Tapferkeit so unterhöhlt, als wenn sie von der Aussicht auf einen sicheren Sieg geradewegs vor die nackte Tatsache einer unabwendbaren Niederlage gestellt wird. Als zusätzlich aus den finsteren Bergwäldern ein ungeheuerer, rußiger Riese mit flatterndem Haar und rauchigem Bart, eine gewaltige Keule schwingend und ein röhrendes Gebrüll ausstoßend, hervorbrach, als Radbod, der Herzog, der durch Ruhe und Beharrungsvermögen den Lemusi ein Vorbild des Widerstandes gab, zum gleichen Zeitpunkt von einem unbesiegbar auf einem mächtigen Schimmel heransprengenden Reiter aus dem Sattel gehoben und mit wenigen Schwerthieben niedergemacht wurde, gab es unter den Lemusi kein Halten mehr. Jeder suchte sein Heil in der Flucht; der Nachbar riss den Nachbarn mit und der Kamerad den Kameraden, wodurch die Niederlage und das eigene Verderben nur umso sicherer besiegelt wurde. Konrad und seine Männer hatten leichtes Spiel. Alle nicht Niedergemachten wurden entwaffnet und gefangengenommen. Die Flucht aus dem von steilen Berghängen, verfilzten Wäldern und von dichten Verteidigungslinien gesperrten Tal gelang nur wenigen. Es war noch nicht Mittag, als das Klirren der letzten Schwerthiebe und das rauhe Geschrei kämpfender Männer verstummte und die Sonne einen zwar von vielen Toten und Verletzten übersäten, nichtsdestoweniger aber wieder friedlichen Talgrund beleuchtete. Konrad bezog Stellung mitten auf der Walstatt, dem von Blut vielfach geröteten Wiesenstreifen, der sich hier zwischen den dunklen Mauern des Waldes hinzog. Bei ihm reckte sich Rubecol in die Höhe, auf seine Keule gestützt und mit finsteren Augen auf die hingestreckten Feinde blickend.
Konrad bedankte sich bei seinem einstigen Nebenbuhler für die Verstärkung.
„Was wollten die Eindringlinge?" fragte Rubecol knapp.
„Sie wollten sich zu den Herren hier aufschwingen", antwortete Konrad.
„Der Wald ist unsere Heimat", knurrte Rubecol. „Wir brauchen keine Unruhestifter hier.
„So ist es", schloss sich Konrad dieser Meinung an.
Es wurden noch ein paar Worte gewechselt, Rubecol ließ Vladana in alter Verehrung grüßen, verabschiedete sich und war wenig später im Dämmerlicht des Bergwaldes verschwunden.
Konrad zögerte nicht, den Sieg sofort auszunützen und den Angriff der Lemusi zu erwidern. In aller Eile ordnete er die Versorgung seiner verwundeten Gefolgsleute und ihre Überführung nach Konradsgrün an. Er ließ die erbeuteten Waffen und andere Güter einsammeln und fortschaffen und befahl, alle gefangengenommenen Seltschanen auszusondern und an den nächsten Bäumen aufzuknüpfen: Otlo befand sich darunter, Miko war im Kampf gefallen. Während noch die letzten Eidbrüchigen in den Seilschlingen an den Ästen der umstehenden Bäume den aussichtslosen Kampf mit dem Tod kämpften, stellte Konrad einen Reitertrupp zusammen, der, verproviantiert aus dem Tross der Lemusi, desselben Tags nach Süden hin aufbrach.
Der Überraschungsschlag glückte. Klutschov wurde im Handstreich erobert, die Familie Radbods, seine Schwester Wenna und ihr seltschanisches Gefolge wurden gefangengenommen und schworen, vor die Wahl gestellt, Konrads Oberherrschaft anzuerkennen oder zu sterben, die Urfehde. Dem Volk der Lemusi wurde ähnlich dem der Seltschanen gestattet, aus seiner Mitte einen neuen, friedfertigen Herzog zu küren. Dieser wurde wie der Seltschane Thiddag durch Eid auf die Person Konrads verpflichtet. Konrads Macht und sein Herrschaftsbereich waren nach diesem doppelten Erfolg sehr viel größer geworden. Die Aufmerksamkeit der benachbarten Völker, der näheren und ferneren, war geweckt und begann zu wachsen. Er, der Mistbauer aus dem Wald, der Ziegenhirte und Kuhtreiber,wie man ihn auf den Burgen und in den führenden Familien des Landes geringschätzig nannte, er, der Außenseiter, ohne Blutsbindungen an die vornehmen Geschlechter, war in der Politik zu einer bestimmenden Kraft geworden, mit der man rechnen musste - im Guten wie im Schlechten. Nach dem Grundsatz, meines Feindes Feind ist mein Freund,begannen die einen ihn zu umwerben, während die anderen sich gegen ihn zusammenschlossen. Und während die einen in den Niederlagen der Seltschanen und Lemusi die Bestrafung alter Feinde und die Niederwerfung lästiger Konkurrenten begrüßten, beklagten die anderen den Untergang zweier alter Geschlechter, mit denen man verwandt, versippt und befreundet war. Unversehens war die versteckt gelegene Waldburg ein Ort großen Interesses und wichtiger Entscheidungen geworden.