Читать книгу Konradsgrün - Gerald Güntner - Страница 5

1. KAPITEL

Оглавление

Da lag das Gebirge.

Wie eine riesige Echse streckte es sich von Westen nach Osten, bedeckt mit einer Schichtung dichtbewaldeter Bergrücken, die gleich den schuppigen Gliedern eines Eisenhemdes einen undurchdringlichen Panzer bildeten. Nur die höchsten Buckel schimmerten kahl, wie abgewetzt von tiefziehenden Wolken und darüber hinwegstreichenden Nebeln. An klaren Tagen sah der Gebirgskamm einer viel zu hohen Treppenstufe ähnlich, die nur eine Riese mit Gutenachtmärchenstiefeln erklimmen konnte. Für die Beine gewöhnlicher Sterblicher erschienen die Berge unersteigbar. Bei schlechtem Wetter erhob sich das Gebirge wie der Rand eines Gefäßes, das von Wolken wie von einem Deckel abgeschlossen wurde.

Die Bewaldung des Gebirges begann schon vor dem eigentlichen Anstieg. Ein gutes Stück vor dem Ende des ebenen Landes, auf den ersten Andeutungen von Erhebung entstiegen die Bäume der Erde wie der Steilabbruch einer ungeheueren Lavamasse, deren Niederfluß von den Bergeshöhen erst im verflachenden Lande zum Stehen gekommen und dort zu einer violetten und dunkelgrünen Mauer erkaltet war. Dieser Hochwald, gebildet aus uralten und mächtigen Baumriesen, mit einer Zone Busch- und Strauchwerk davor, musste als undurchdringliches Bollwerk erscheinen; er war der Ort ewigen Dämmerlichts, das Versteck unheimlicher Mächte,ein Hinterhalt unbekannter Gefahren.

Diesem Bollwerk näherte sich ein Reiter, quer über das Vorland, über Heide und sandiges Ödland. Er saß aufrecht auf einem niedriggewachsenen, doch stämmigen graubraunen Pferd, das in kurzen Schritten ergeben seinen Weg über Grasbüschel und Unebenheiten des Bodens suchte. Der Reiter, ein junger, dem Knabenalter kaum entwachsener Mann, ließ die Zügel durchhängen und das Tier gewähren. Des jungen Mannes helle Augen, in denen sich der Glanz und die Unbekümmertheit des Sommerhimmels zu spiegeln schienen, widmete sich nur selten der Beschaffenheit des Bodens unter den Hufen seines Tieres, meist spähten sie forschend in die Landschaft, in die er hineinritt. Gekleidet war der Ankömmling in einen langen, grobgewebten braunen Wollumhang, der unter dem Kinn von einer honigfarbenen Broncefibel zusammengehalten wurde. Darunter trug er ein Unterkleid aus weißem Leinen und eine durch einen Ledergurt um die Leibesmitte festgehaltene Hose. Die Füße steckten in unverzierten Bundschuhe, deren Riemen sich weit über die Knöchel hinaufschlängelten und die an den Laufflächen eine schwarze Farbe abgenommen hatten. Aus dem Gürtel ragten linkerhand der Knauf eines langen Schwertes, das in einer aus schwarzem Leder und hellem Holz gefertigten Scheide an der Flanke des Pferdes hinabbaumelte. Rechts war der schmalere Griff eines Dolches erkennbar. Über die Brust spannte sich in diagonaler Linie die Sehne eines Bogens, dessen oberes Ende neben einem wohlgefüllten Köcher über die linke Schulter hinausragte. Auf dem Kopf trug der Mann eine Kappe aus hartem Leder, deren Aufgabe nicht nur die Bändigung des langen, bis zur Schulter hinabreichenden Haares war, sondern auch der Schutz des Hauptes. Hinter dem Reiter, am niedrigen Holzsattel festgezurrt, schaukelte ein dickes Proviantbündel, eingewickelt in ein schwarzbraunes Bärenfell. Links am Sattel war ein runder Kampfschild angehängt, der mit Leder bespannt und mit Eisenknöpfen und in der Mitte einem Eisenbuckel beschlagen war.

Vor dem Wald hielt der Reiter sein Pferd an. Mit scharfen Augen spähte er nach Spuren eines Pfades. Da er keine solchen entdecken konnte, wendete er brummend sein Tier und folgte dem Gefälle der Landschaft nach Osten. Endlich glaubte er eine Bresche in der Barriere gefunden zu haben. Er hielt auf eine Schneise zu, die ein Herbst- oder Gewittersturm in die Front des Waldes gebrochen haben mochte. Allein das Pferd wollte nicht weiter. Es scheute, als wittere es in dem unbekannten Gelände Gefahr und Verderben. Der Reiter versuchte das Tier vorwärtszutreiben. Da es trotz nachhaltiger Bemühungen den Gehorsam verweigerte, was den jungen Mann verwundert den Kopf schütteln ließ, denn er war das von seinem sonst gehorsamen Gefährten nicht gewöhnt, blieb ihm nichts anderes übrig, als endlich abzusteigen, den Zügel nach vorn zu schlagen und voranzuschreiten.

Die Lichtung, in die der Wanderer sein Pferd zog, war warm und seltsam still. Gleich einem Teppich zog sie sich zwischen die Mauern des nun steiler anstehendem Waldes , als ob sie zum feierlichen Empfang eines hohen Gastes ausgerollt wäre. Gras und niedriges Buschwerk, im Mittagslicht wie ein Geweb aus Goldfäden gewirkt, bereiteten dem Fuß des jungen Mannes einen angenehmen Weg. Von dem Verdruss, seinen störrischen Gaul hinter sich herschleppen zu müssen, wurde der Fremdling jetzt auch durch Blumen abgelenkt, die da und dort, rot und gelb, lilienweiß und von zartem Blau, Spalier standen. Schmetterlinge schaukelten hin und her. Die Luft war warm und ihr süßes Aroma lockte den jungen Mann wie eine Biene zum Honigbaum voran. Es war zu angenehm, in diesen sommerwarmen Tag voranzuschreiten, in ihn hineinzugehen wie in eine der wunderbaren Erzählungen, mit denen die Großmutter die Dunkelheit langer Winterabende aufgehellt hatte. Dass die Welt so prächtig sein konnte. Nur das Geschnaube des Pferdes, sein widerspenstiges Werfen des Kopfes störte die schönen Eindrücke.

Einmal, als der Gaul gar zu sehr bockte, wendete sich der junge Reitersmann zu ihm um.

„Was ist, mein lieber Gorid?" redete er diesen an und klopfte ihm beruhigend den Hals. „Was hast du nur? Wir gehen nicht zurück, du kannst machen, was du willst. Also gib Ruhe und komm. So ein neugieriger Bär oder alter Wolf, die vor uns irgendwo im Wald sitzen, können uns nicht schrecken. Mit denen werden wir fertig, das weißt du".

Er fasste das Pferd noch fester am Halfter und zog es unnachgiebig mit sich fort. „Komm also, ich bin ja bei dir. Wir müssen über die Berge".

Als tatsächlich ein schwarzbrauner, zottiger Ureinwohner des Waldes knackend und grummelnd die Lichtung vor ihnen räumte und zwischen den angrenzenden Palisadenstämmen des Waldes verschwand, meinte der junge Mann erheitert zu seinem Pferd:

„Siehst du! Hab ich´s nicht gesagt! Der hat mehr Angst vor uns als wir vor ihm.Das hätte ich ihm auch sehr geraten".

Der Wald begann. Zwischen den ersten Bäumen wie durch einen Vorhang hindurch trat der junge Mann in sein Inneres ein. Schon wenige Schritte hinter der Waldgrenze herrschte gedämpftes Licht. Nadelfilz und dichtes Blätterdach siebten das Gold der Sonne aus dem Licht, so daß nur Dämmerung, grau wie dünner Sand, auf den Waldboden rieselte. Moos und Moder saugten jedes Geräusch auf, es wurde beklemmend still. Und kühl zugleich.

Da der Tag noch nicht allzusehr gegen den Abend fortgeschritten war, gedachte der Reiter eine gute Strecke Wegs durch den Urwald voranzukommen. Über querliegende, rostbraun vermoderte Baumstämme und dicht bemooste Gesteinsbrocken hinweg, an schartigen Rinnsalen und schwappenden Moorstellen entlang, durch Gestrüpp und Unterholz, durch Farnwedel und Dorngebüsch arbeitete er sich in der Richtung voran, die er für die richtige hielt. Mehr als einmal musste er das Schwert zu Hilfe nehmen, um sich eine Gasse freizuhauen. Trotz ihrer Sperrigkeit blieben Dickicht und Düsternis passierbar, und der junge Mann kam in ihnen voran, wie man unter solchen Umständen und dazu mit einem störrischen Gaul vorankommt. Als der Abend ins Geäst der Waldriesen einzufliegen begann, beendete der Reiter, mit seinem Vordringen zufrieden, den Marsch. Er suchte einen Lagerplatz, baute dem Pferd aus zusammengestellten Holzprügeln und herangewälzten Steinen einen Schutzplatz gegen wilde Tiere, versorgte es und schlug sich selbst mit Stein und Zunder ein Feuer an, an welchem er sich wärmte und sich ein paar mitgebrachte Gerstefladen zum Nachtmahl röstete.

Die Nacht verlief ohne Störungen. Zwar knackte es da und dort verdächtig im Gehölz, warfen Eulenaugen glühende Kugeln aus der Finsternis und lief ein Windgetuschel durch den Wald wie von Geistern, auch schnaubte das Pferd immer wieder ängstlich und stampfte beunruhigt, doch ließ sich der junge Mann nicht aus der Ruhe bringen. In regelmäßigen Abständen, wenn das Feuer niederzubrennen drohte, schob er Holz nach und hatte solcherweise mit der Helligkeit der Flammen einen Schutzzaun, der ihm Mücken, schlechte Träume und Unheil vom Leib hielt. In den Zwischenpausen schlief er, bis zum Hals in das Bärenfell gewickelt. Als der Morgen an grauen Fäden den neuen Tag in den Wald zog, erhob sich der Schläfer einigermaßen ausgeruht.

Nach dem Frühstück ging es weiter. Der Weg, die Beschaffenheit des Geländes änderten sich nicht. Dann wollte es dem Reiter scheinen, als sehe er Spuren im Waldboden. Der Abdruck von Pferdehufen und Fußspuren tauchte in der weichen Erde auf. Bereitwillig folgte er den verheißungsvollen Zeichen, erfreut darüber, nicht allein in der Wildnis zu sein. Doch wer beschreibt seinen Unmut, als er gegen Mittag, nach langen Stunden des Marsches und der Mühe, an einen Platz gelangte, der ihm nur zu bekannt vorkam und der sich beim Nähertreten als der Rastplatz des Vortages entpuppte. Er war in die Irre gegangen, im Kreis gewandert. Das war zu ärgerlich, und der junge Mann fluchte ungehalten auf die Umstände, die ihn genasführt hatten. Doch blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in das Mißgeschick zu fügen. Wo er tags zuvor seine Schlafstelle eingerichtet hatte, hielt er jetzt Mittagspause.

Den Weiterweg suchte der Fremde nicht mehr im Glück seiner Nasenspitze. Er orientierte sich an einem Bach, der in der Nähe nach Osten drängte. In der Vermutung, das Wässerchen werde bald in einen größeren Bruder münden, der nur aus dem Gebirge herniederströmen konnte und der ihm deshalb den richtigen Weiterweg vermitteln musste, folgte er dem Springinsfeld. Und richtig, schon stand er am Ufer des gesuchten größeren Wasserlaufs und, dem Gefälle entgegen, folgte er diesem. Das Gebirge trat herzu wie ein Bär aus der Höhle.

Der weitere Weg über das Gebirge führte den jungen Mann in den nächsten Tagen an immer abgelegenere Orte und in immer einsamere Gegenden. Schluchten, steile Klingen, rutschige Hänge, Stock und Stein, Wurzeln, umgestürzte Baumriesen, Unterholz, Dornen - die Natur schien ihr Bestes aufzubieten, um dem Eindringling den Weg zu versperren. Aber der junge Weltfahrer war nicht aufzuhalten. Beharrlich bahnte er sich Bahn durch die Wildnis und kämpfte mit der Unbekümmertheit seines jugendlichen Herzen alle Gefahren, alle äußere und innere Anfechtungen nieder. Langsam aber stetig kam er voran und gewann an Höhe. Das Ende des Aufstieges begann sich abzuzeichnen. Der Wald verlor die dämmrige Kraft seiner geschlossenen Masse, er wurde schütter wie Greisenhaar und löste sich in Wettertannen und Latschengestrüpp auf. Die Bäume, eben noch wie Gitterstäbe eines Käfigs, traten auseinander. Licht und Wärme drangen ungehindert durch, der Weg wurde einfacher. Gleich einer Meereswoge, deren Anprall auf hohem Strand ausrollt, verebbte die Flut der Gehölze. Die Region der Matten setzte an. Ein frischer Wind sauste herzu, kühlte Kopf und Glieder des vom mühevollen Aufstieg Erhitzten und zauste ihm das Haar. Der Kamm des Gebirges war erreicht, flaches Hochland breitete sich aus. Aufgesessen! Und dahin ging es, dem höchsten Punkt zu, einem Hübel, der dem uralten Faltengesicht des Geländes wie eine Nase entragte.

Von da oben ging der Blick ungehindert nach allen Seiten. Von Norden nach Süden und von Westen nach Osten waren ihm keine anderen Grenzen gesetzt als jene weitentfernte Linie, in welcher die blaue Schale des Himmels auf dem basaltfarbenen Erdengrund aufsetzte. Den jungen Mann, der da, angekommen auf der Höhe, von seinem Roß kletterte, dieses zum Grasen freigab und sich selbst auf einen von grauen und grünen Flechten wie mit einem natürlichen Gobelin bedeckten Stein niederließ, beeindruckte der Rundblick wenig. Gefährliche Natur hat nichts Erhebendes an sich. Nach tagelangem mühevollem Aufstieg hatte der Betrachter Grund, sich mehr um einen geeigneten Weiterweg und Abstieg zu sorgen, als sich von der dunkelblauen Iris eines unterhalb gelegenen Bergsees, der unerhörten Wölbung des Himmelsraumes und von der im Süden mit glänzendem Silber ausgegossenen Ebene verzaubern zu lassen.

Ein wenig ins Sinnen schien der junge Mann auf dem Gebirgshorst dann doch zu geraten. Er stützte den Kopf mit der Hand auf seinem Knie ab und war in jener unverwechselbaren Stellung der Entspannung, wie sie nicht nur bei Müdigkeit und Erschöpfung, sondern auch bei Nachdenklichkeit und Grübelei zu beobachten ist. Der junge Mann drohte sich zu verträumen und die Helligkeit des Tages ungenutzt verstreichen zu lassen. Es war Gorid, ob des überlangen Verweilens ungeduldig geworden, der durch Schnauben, durch Wiehern und Stampfen auf die Fortsetzung der Reise drängte und den Reiter aus der Welt der Gedanken in die Welt der Tatsachen zurückholte. Da sprang der junge Mann, geradezu wie erwachend, mit einem Satz in in den Sattel, hü und ho und he und hopp, und leichtfüßig ging´s voran. Was im Aufstieg mühsam und beschwerlich vorangegangen war, das ergab sich im Abstieg leicht und spielerisch. Schon waren die Bergwiesen und Matten durchquert, schon war die Waldgrenze erreicht und schon kletterte er, dem Fingerzeig eines sich einsenkenden Tales folgend, die Berglehnen hinab. Der Abend rückte heran. Die Nacht blieb harmlos. Auch Gorid ruhte ohne Anzeichen von Beunruhigung.

Konradsgrün

Подняться наверх