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TOPOGRAFIE EINER VERGESSENEN STADT

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Konradsgrün, ein Bauernnest, siebenhundertfünfzig Meter über der Freiheit der Meere gelegen und in ein enges Tal des südlichen, also des böhmischen Faltenwurfs des Erzgebirges wie in ein Wolfseisen geschlagen, erwies sich trotz seiner ungünstigen Lage als ein von höherer Gnade gesegneter Ort. Inmitten verfilzter Tannwälder und mückengetürmter Moore, unter abschüssigen Berghängen und dachziegelartig darauf geschichteten Äckerchen und Pferdekümmelwiesen fand man Silber, jenes zweite Element in der Hierarchie der sieben Metalle, die es nach damaliger Lehrmeinung gab. Die Vorkommen entpuppten sich als gewaltig. Entsprechend war die Verheißung schnellen Reichtums. Menschen aus aller Herren Länder strömten herzu, hoffend, aus dem grauen Granit nicht nur das Erz, sondern auch das eigene Glück brechen zu können. So wuchs denn aus einem hinterwäldlerischen Ziegenschwanz, aus einem armseligen, verkoteten Flecken binnen weniger Jahre eine der größten und wohlhandendsten Städte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hervor, eine Glücksrittermetropole, ein europäisches Potosi, ein New York des heraufkommenden Kapitalismus.

Der plötzliche Reichtum erregte nicht nur Wohlgefallen. War es nicht Mammon, nach Luzifer der ranghöchste Engel der Finsternis, der aus der Tiefe der Erzgänge und aus der Habgier der heranströmenden Menschen hervorkroch und triumphierend sein Haupt erhob? Spiegelte sich in dem blanken Glanz des gereinigten Erzes nicht ein Widerschein des Höllenfeuers? Rollte auf den frischgeschlagenen runden Silberstücken nicht der Teufel wie in sechsspännigen Kutschen in die Herzen der Menschen? Um den Versuchungen des Leibhaftigen entgegenzuwirken, hängte man dem wunderbaren und suspekten Dorfe Konradsgrün einen neuen, frommen Namen über wie ein geweihtes Pluviale, benannte es um in Sankt Joachimstal und errichtete eine trutzige Kirche.

Es bereitete sich hier Verschiedenes vor.

So wurde aus dem Erzgebirgssilber der Joachimstaler geschlagen, eine bald weit und breit begehrte freundliche Münze - der Einfachheit halber nur Taler genannt -, mit welcher das Gottesgnadentum der mittelalterlichen Goldwährung abgelöst und durch den profaneren Silberstandard ersetzt wurde. Der Taler wanderte aus der Enge des heimischen Tals nicht nur in alle Winkel des Deutschen Reiches, er überwand die nationalen Grenzen, füllte die Schatzkammern und Geldtruhen auch der europäischen Herrscherhäuser, sprang über die Meere, von Kontinent zu Kontinent, und erfreute sich schließlich der Wertschätzung in den arabischen Wüsten ebenso wie in den nordamerikanischen Prärien. Gutes Geld findet Freunde in der ganzen Welt! Seinen Siegeszug vollendete der Taler, als er im Jahre 1774, am Vorabend des Unabhängigkeitskrieges der Vereinigten Staaten von Nordamerika, vom Amerikanischen Kontinentalkongress zur Währung des sich emanzipierenden Landes erhoben wurde. Als Dollar eroberte er dann die Welt.

Und noch etwas nahm, dem mäandrierenden Lauf des Bergbaches folgend, den Ausgang aus diesem Tal. Man stellte fest, dass Silber nicht der einzige Schatz war, den die unfruchtbare Erde des Erzgebirges barg. Dem Silber benachbart, entdeckte man in großem Umfang Uranpecherz, jenes Mineral, das unter seiner proletarischen Unscheinbarkeit jenen Titanenbrand trägt, der bei seinem ersten Entzünden im Sommer 1945 zunächst zwar nur den Wüstenhimmel New Mexikos zu illuminieren schien, in Wirklichkeit aber über dem ganzen Globus gespenstisch aufleuchtete. Die Sowjetunion, im Zweiten Weltkrieg Verbündeter und Freund der Vereinigten Staaten, nach dem gemeinsamen Sieg aber schnell ihr Rivale und Feind, fürchtete beim Zündeln mit dem Höllenfeuer ins Hintertreffen zu geraten. Das Gegenfeuer, das sie vier Jahre später über die endlosen Weiten Kasachstans warf, wurde aus den Gruben Joachimstals gespeist. Die Apokalypse schien nahe, das Ende der Geschichte gekommen, ihr Sinn in Frage gestellt.

Auch in diesem Fall war eines nicht zu übersehen. Joachimstal, das war schon ein besonderer Ort!

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